Verwaltungsrecht

Ausweisungsschutz bei einem minderjährigen deutschen Kind

Aktenzeichen  10 ZB 19.1870

Datum:
9.12.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 34547
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG § 53 Abs. 1, Abs. 2, § 55 Abs. 1 Nr. 4
GG Art. 6 Abs. 1
EMRK Art. 8

 

Leitsatz

Ist ein Ausländer aufgrund seiner Inhaftierung und einer Betäubungsmittelabhängigkeit nicht in der Lage, über Jahre die familiäre Lebensgemeinschaft mit seinem minderjährigen deutschen Kind aufrechtzuerhalten, so bedeutet auch ein längerer Auslandsaufenthalt und die damit verbundene Trennung für das Kind keine grundlegende Änderung seiner bisherigen Lebensbedingungen. (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 12 K 18.4730 2019-04-05 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 10.000,- Euro festgesetzt.

Gründe

Mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgt der Kläger seine gegen den Bescheid der Beklagten vom 21. August 2018 gerichtete Klage weiter, mit dem diese seine Ausweisung verfügt, die Wiedereinreise für vier Jahre untersagt, den Antrag auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis abgelehnt und seine Abschiebung in den Herkunftsstaat angedroht hat.
Der zulässige Antrag ist unbegründet, weil sich aus dem der rechtlichen Überprüfung durch den Senat allein unterliegenden Vorbringen im Zulassungsantrag nicht die geltend gemachten ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ergeben.
Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO bestünden dann, wenn der Kläger im Zulassungsverfahren einen einzelnen tragenden Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung des Erstgerichts mit schlüssigen Gegenargumenten infrage gestellt hätte (BVerfG, B.v. 10.9.2009 – 1 BvR 814/09 – juris Rn. 11; B.v. 9.6.2016 – 1 BvR 2453/12 – juris Rn. 16). Dies ist jedoch nicht der Fall.
Die die Rechtmäßigkeit der Ausweisungsverfügung betreffende Rüge, das Verwaltungsgericht habe bei der gemäß § 53 Abs. 1 und 2 AufenthG zu treffenden Abwägungsentscheidung verkannt, dass dem schwerwiegenden Ausweisungsinteresse (§ 54 Abs. 1 Nr. 9 AufenthG) im Hinblick auf den (am 12.6.2009 geborenen) Sohn des Klägers mit deutscher Staatsangehörigkeit nicht nur ein gemäß § 55 Abs. 2 Nr. 5 AufenthG schwerwiegendes, sondern vielmehr ein nach § 55 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG besonders schwerwiegendes Bleibeinteresse gegenüber stehe, greift nicht durch. Denn das Verwaltungsgericht hat selbstständig tragend festgestellt, auch wenn man seiner Bewertung der Beziehung des Klägers zu seinem Sohn, wonach weder eine familiäre Lebensgemeinschaft (§ 55 Abs. 1 Nr. 4 Alt. 1 AufenthG) bestehe noch das Personensorge- oder Umgangsrecht tatsächlich ausgeübt werde (§ 55 Abs. 1 Nr. 4 Alt. 2 und 3 AufenthG), nicht folgen wollte, überwiege bei der erforderlichen Abwägung aller Umstände des Einzelfalls das öffentliche Interesse an der Ausreise des Klägers dessen Bleibeinteressen. Dabei hat es in Übereinstimmung mit der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. z.B. B.v. 5.6.2013 – 2 BvR 586/13 – juris Rn. 12 ff.) unter Berücksichtigung der wertentscheidenden Grundsatznorm des Art. 6 Abs. 1 und 2 GG sowie des Art. 8 EMRK entscheidend auf die Sicht des Kindes abgestellt. Unter umfassender Berücksichtigung der Belange des Klägers und seines Sohnes hat es im Ergebnis festgestellt, tatsächlich bestehe zwischen diesen keine persönliche Verbundenheit, auf deren Aufrechterhaltung das inzwischen zehnjährige Kind zu seinem Wohl angewiesen wäre (UA S. 28 ff.).
Soweit der Kläger einwendet, er habe während der Zeit des Zusammenwohnens (in den ersten beiden Lebensjahren des Kindes) einen engen Kontakt und eine gute und das Verhältnis prägende Beziehung zu seinem Sohn gehabt, während der Aufenthalte in der Klinik und in der Justizvollzugsanstalt aber keine Beiträge zur Erziehung leisten und wegen seiner Betäubungsmittelabhängigkeit das Umgangs- und Sorgerecht in den letzten Jahren nicht ausüben können, was ihm aber nicht vorgehalten werden dürfe, wird damit die verwaltungsgerichtliche Bewertung der Vater-Kind-Beziehung und deren Würdigung im Rahmen des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit nicht ernstlich in Zweifel gezogen. Denn das Verwaltungsgericht hat zutreffend darauf verwiesen, dass der Kläger zum maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung weder mit seinem Sohn in familiärer Lebensgemeinschaft lebt noch in den vergangenen nahezu fünf Jahren – abgesehen von wenigen sporadischen Besuchskontakten (etwa einmal im Jahr) – das Personensorge- oder Umgangsrecht tatsächlich ausgeübt hat. Unabhängig davon, ob man in einem solchen Fall überhaupt noch von einer im Sinne von § 55 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG schützenswerten „tatsächlich gelebten Nähebeziehung“ (so die Gesetzesbegründung, BT-Drs. 18/4097 S. 53, vgl. Tanneberger in BeckOK Ausländerrecht, Stand 1.8.2019, AufenthG § 55 Rn. 28 f.) sprechen kann, ist das Verwaltungsgericht zu Recht davon ausgegangen, dass der vom Kläger angegebene „Umgang“ bzw. die wenigen Kontakte zu seinem Kind jedenfalls nicht die Annahme rechtfertigen, es bestehe tatsächlich eine persönliche Verbundenheit, auf deren Aufrechterhaltung der Sohn zu seinem Wohl angewiesen wäre. Für den Sohn ist – wie das Verwaltungsgericht zutreffend darlegt – die Trennung vom Kläger seit Jahren gelebte Realität, sodass auch ein längerer Auslandsaufenthalt des Klägers und die damit verbundene Trennung für das Kind keine grundlegende Änderung seiner bisherigen Lebensbedingungen bedeutet. Anhaltspunkte für eine Gefährdung des Kindeswohls durch eine solche Trennung hat weder das Verwaltungsgericht gesehen noch etwa der Kläger aufgezeigt. Dabei ist, wie auch das Verwaltungsgericht betont, zu berücksichtigen, dass eine dauerhafte Trennung des Kindes von seinem Vater durch die Aufenthaltsbeendigung keineswegs eintreten muss, da die Wirkungen der Ausweisung befristet sind und der Kläger neben den verschiedenen Formen moderner Kommunikation (insbesondere Telefon, Internet) auch die Möglichkeit hat, Betretenserlaubnisse (§ 11 Abs. 8 AufenthG) zu beantragen. Die Einlassung des Klägers in der Zulassungsbegründung, mit seiner Rückkehr in den Gazastreifen hätte sich die Vater-Sohn-Beziehung „vollends erledigt“, ist daher verfehlt.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1 und 3, § 39 Abs. 1 sowie § 52 Abs. 2 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).


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