Verwaltungsrecht

Baueinstellung und Beseitigungsanordnung wegen nicht genehmigter Dacherneuerung und Nutzung einer Garage zu Wohnzwecken

Aktenzeichen  1 ZB 20.512

Datum:
25.11.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 36089
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayBO Art. 57 Abs. 6, Art. 75, Art. 76 S. 1

 

Leitsatz

1. Bauliche Maßnahmen zur kompletten Erneuerung eines Dachs (mit neuem Dachstuhl und neuer Dacheindeckung) stellen keine verfahrensfreie Instandhaltungsmaßnahme im Sinn von Art. 57 Abs. 6 BayBO mehr dar. (Rn. 4) (redaktioneller Leitsatz)
2. Bauliche Substanz und Nutzung unterliegen nicht unabhängig voneinander unterschiedlichen rechtlichen Regelungen. Bestandsschutz genießt die bauliche Anlage nur in ihrer durch die Nutzung bestimmten Funktion. Wurde eine baurechtlich genehmigte Garage zu Wohnzwecken umgebaut und die bauliche Anlage als Wohnung genutzt, die Nutzung zu Wohnzwecken aber nicht genehmigt sondern nur geduldet, besteht ein Bestandsschutz für eine Nutzung des „Baus“ zu Wohnzwecken daher nicht. (Rn. 5) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 29 K 17.3652 2019-09-25 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 10.000 Euro festgesetzt.

Gründe

Für den Sachverhalt wird zunächst auf Gründe I. des Beschlusses des Senats vom 15. April 2019 im einstweiligen Rechtsschutzverfahren gegen die Baueinstellungsverfügung (1 CS 19.150) Bezug genommen. Nach dem am 7. Juli 2017 ergangenen Baueinstellungsbescheid erließ der Beklagte am 26. Januar 2018 auch eine Beseitigungsanordnung. Die gegen die Bescheide erhobene Klage wies das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 25. September 2019 ab. Sowohl die Baueinstellungsverfügung als auch die Beseitigungsanordnung seien rechtmäßig. Der Augenschein habe gezeigt, dass zwar die Südwand der inzwischen nur noch bestehenden Bauruine ein Altbestand sei, der östliche Teil der Nordwand und die Ostwand jedoch erkennbar neueren Datums seien. Auch sei erkennbar, dass der neuere Teil der nördlichen Außenwand gegenüber einer früheren Außenwand um ca. 1,20 m nach Norden versetzt worden sei. Die Neuerrichtung einer Außenwand und von Teilen einer weiteren Außenwand sowie ein Austausch des Daches gingen über bloße Instandhaltungsarbeiten weit hinaus. Die tatbestandlichen Voraussetzungen einer Beseitigungsanordnung für den derzeit noch vorhandenen Gebäudetorso seien erfüllt; das im Außenbereich liegende, nicht privilegierte Wohnbauvorhaben beeinträchtigte öffentliche Belange. Die Duldung des rechtswidrigen Zustands in der Vergangenheit hindere die Behörde nicht, die Anlage erneut aufzugreifen, da an ihr erhebliche Veränderungen durchgeführt worden seien.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Die geltend gemachten Zulassungsgründe der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) und des Vorliegens von Verfahrensmängeln (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO) bestehen nicht oder werden nicht dargelegt.
1. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils, die die Zulassung der Berufung rechtfertigen, sind zu bejahen, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung des Verwaltungsgerichts mit schlüssigen Argumenten in Frage gestellt wird (vgl. BVerfG, B.v. 8.5.2019 – 2 BvR 657/19 – juris Rn. 33; B.v. 20.12.2010 – 1 BvR 2011/10 – NVwZ 2011, 546) und die Zweifel an der Richtigkeit einzelner Begründungselemente auf das Ergebnis durchschlagen (vgl. BVerwG, B.v. 10.3.2004 – 7 AV 4.03 – DVBl 2004, 838). Das ist nicht der Fall. Das Verwaltungsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass sowohl die Baueinstellungsverfügung als auch die Beseitigungsanordnung rechtmäßig sind.
Es hat zutreffend darauf abgestellt, dass die vom Kläger durchgeführten und beabsichtigten baulichen Maßnahmen keine verfahrensfreien Instandhaltungsmaßnahmen sind. Bereits die komplette Erneuerung des Dachs (neuer Dachstuhl und neue Dacheindeckung) ist keine Instandhaltungsmaßnahme im Sinn von Art. 57 Abs. 6 BayBO mehr (vgl. BayVGH, B.v. 15.4.2019 – 1 CS 19.150 – juris Rn. 9; B.v. 16.5.2018 – 9 ZB 14.653 – juris Rn. 5). Soweit vorgetragen wird, dass die Feststellungen des Verwaltungsgerichts, dass der östliche Teil der Nordwand und die Ostwand erkennbar neueren Datums seien und der neuere Teil der nördlichen Außenwand gegenüber einer früheren Außenwand um ca. 1,2 m nach Norden versetzt worden sei, unrichtig seien und der sich aus Ziegelstein bestehende Bau so darstelle, wie er im Jahr 1983 bestanden habe, werden die Annahmen des Verwaltungsgerichts mit den vorgelegten Fotos nicht in erheblichem Maß erschüttert. Denn der vorgelegten Bildaufnahme Nr. 2 (Anlage BF3) kann nur entnommen werden, dass der Teil der östlichen Wand mit dem Fenster und ein sich daran nördlich anschließendes Mauerstück nicht verputzt gewesen ist. Hingegen ergibt ein Vergleich der aktuellen Bildaufnahmen mit einer Aufnahme aus einer Baukontrolle vom 14. November 2011 (Bl. 78 der Behördenakte S. 2011-5078), dass an der nordöstlichen Ecke, wie vom Verwaltungsgericht festgestellt, Bauarbeiten durchgeführt wurden. Auf den Umfang der vom Kläger durchgeführten Arbeiten an den Mauerstücken kommt es nicht entscheidungserheblich an (s.o). So hat das Verwaltungsgericht im Hinblick auf die genannten Maßnahmen auch ausgeführt, dass sie über bloße Instandhaltungsarbeiten weit hinausgehen.
Das Verwaltungsgericht ist auch zu Recht davon ausgegangen, dass das vom Kläger beabsichtigte Wohnbauvorhaben nicht (offensichtlich) genehmigungsfähig ist. Soweit vorgetragen wird, dass eine Garage baurechtlich genehmigt worden sei, unterliegen bauliche Substanz und Nutzung nicht unabhängig voneinander unterschiedlichen rechtlichen Regelungen. Bestandsschutz genießt die bauliche Anlage nur in ihrer durch die Nutzung bestimmten Funktion (vgl. BVerwG, B.v. 9.9.2002 – 4 B 52.02 – BauR 2003, 1021). Die Garage wurde zu Wohnzwecken umgebaut und die bauliche Anlage als Wohnung genutzt. Eine Genehmigung der Wohnnutzung ist nicht erfolgt, die Wohnnutzung durch die Vorbesitzerin ist nur geduldet worden. Der vom Kläger geltend gemachte Bestandsschutz für eine Nutzung des „Baus“ zu Wohnzwecken besteht daher nicht.
Weiter trägt der Kläger vor, dass der Erlass der Beseitigungsanordnung bezüglich der nicht genehmigten Anbauteile unzulässig gewesen sei, da bereits eine entsprechende Beseitigungsanordnung aus dem Jahre „1983“ vorgelegen habe und der Abbruchanspruch aus dem Bescheid vom 9. April 1984 verjährt gewesen sei. Damit wiederholt er lediglich seinen Vortrag aus dem Schriftsatz vom 10. Oktober 2017 im erstinstanzlichen Verfahren, ohne sich mit der Begründung des Verwaltungsgerichts auseinanderzusetzen, dass die Behörde aufgrund eines veränderten Sachverhalts eine neue, umfassende Beseitigungsanordnung erlassen konnte (vgl. UA S. 16, 17). Es ist eine substantiierte, auf den Zulassungsgrund bezogene Auseinandersetzung mit der tragenden Begründung der angegriffenen Entscheidung erforderlich, durch die der Streitstoff entsprechend durchdrungen und aufbereitet wird. Eine bloße Wiederholung des erstinstanzlichen Vorbringens genügt dem Darlegungserfordernis des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO nicht (vgl. z.B. BayVGH, B.v. 12.7.2016 – 15 ZB 14.1108 – juris Rn. 20 m.w.N.).
Soweit geltend gemacht wird, dass die Feststellung des Verwaltungsgerichts aufgrund des Augenscheins, dass die übrig gebliebenen Bauteile bautechnisch nicht mehr nutzbar sein sollen, nicht richtig sei, nimmt der Kläger bereits auf keinen Entscheidungssatz in der Begründung des Urteils Bezug. Sollte er sich damit gegen die Bezeichnung der bei den Abbrucharbeiten übrig gebliebenen Teile als Bauruine wehren, bedeutet dieser Begriff nur, dass es sich um einen Baubestand handelt, der nicht fertiggestellt ist. Es kommt auch nicht darauf an, ob der Kläger das Mauerwerk so instandsetzen könnte, dass eine Nutzung der Räumlichkeiten möglich ist, da weitere Baumaßnahmen nicht zulässig sind.
Mit der Kritik an der Entscheidung des Senats vom 15. April 2019 (1 CS 19.150) kann der Kläger keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils des Verwaltungsgerichts aufzeigen. Er wiederholt im Übrigen nur seine Rechtsauffassung, dass die von ihm beabsichtigten Baumaßnahmen neues Pultdach, neuer Kamin und Ausbesserung der Mauerteile nur Reparaturmaßnahmen seien und verkennt dabei den Begriff der Instandhaltungsmaßnahmen. Für die Tatsache, dass eine bauliche Maßnahme die Standsicherheit der baulichen Anlage berührt, kommt es auch nicht maßgeblich darauf an, wer die erforderliche statische Überprüfung durchführen kann (vgl. Art. 61, Art. 62 BayBO).
2. Verfahrensmängel, auf denen das Urteil beruhen kann (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO), liegen nicht vor bzw. werden nicht dargelegt.
Der Kläger macht geltend, dass das Verwaltungsgericht seiner Verpflichtung, den Sachverhalt von Amts wegen zu ermitteln (§ 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO) nicht nachgekommen sei, indem es das Mauerwerk der Ostwand und des östlichen Teils der Nordwand als „erkennbar neuen Datums“ eingestuft habe. Ein Gericht verletzt seine Pflicht zur Sachverhaltsaufklärung grundsätzlich dann nicht, wenn es von einer Beweiserhebung absieht, die ein anwaltlich vertretener Beteiligter nicht ausdrücklich beantragt hat. Die Aufklärungsrüge dient nicht dazu, Versäumnisse eines anwaltlich vertretenen Verfahrensbeteiligten in der Tatsacheninstanz zu ersetzen, die ein Beteiligter zumutbarerweise hätte stellen können, jedoch zu stellen unterlassen hat (vgl. BVerwG, B.v. 20.12.2012 – 4 B 20.12 – juris Rn. 6 m.w.N.). Die Feststellungen im Augenschein – „der östliche Teil der Nordseite und die Ostseite selbst sind erkennbar neueren Datums“ – wurden zu Beginn der mündlichen Verhandlung verlesen. Damit hätte der Kläger, wenn er hierzu eine andere Auffassung vertritt, diese vortragen und unter Beweis stellen können. Dies ist jedoch nicht geschehen. Die Aussage, dass die Mauerstücke erkennbar neueren Datums seien, kann auch nicht dahingehend verstanden werden, dass sie von der Voreigentümerin 1983 errichtet wurden, wie mit dem Schriftsatz vom 31. März 2020 vorgetragen wurde. Dass sich dem Verwaltungsgericht auch ohne Widerspruch des Klägers und ohne ausdrücklichen Beweisantrag eine weitere Sachverhaltsermittlung hätte aufdrängen müssen, wird nicht ansatzweise dargelegt und ist auch nicht ersichtlich.
Auch eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG, §§ 104 Abs. 1, 108 Abs. 2 VwGO) ist nicht dargetan. Der Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs soll sicherstellen, dass ein Verfahrensbeteiligter Einfluss auf den Gang des gerichtlichen Verfahrens und dessen Ausgang nehmen kann. Zu diesem Zweck muss er Gelegenheit erhalten, sich zu allen tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkten zu äußern, die für die Entscheidung erheblich sein können. Hieraus folgt jedoch keine allgemeine Frage- und Aufklärungspflicht des Gerichts. Auch in der Ausprägung, die das Äußerungsrecht in § 86 Abs. 3 VwGO gefunden hat, wird dem Gericht keine umfassende Erörterung der entscheidungserheblichen Gesichtspunkte abverlangt. Vielmehr kann erwartet werden, dass die Beteiligten von sich aus erkennen, welche Gesichtspunkte Bedeutung für den Fortgang des Verfahrens und die abschließende Sachentscheidung des Gerichts erlangen können, und entsprechend vortragen (vgl. BVerwG, B.v. 14.8.2018 – 7 B 8.18 – juris Rn. 8 m.w.N., B.v. 16.6.2003 – 7 B 106.02 – NVwZ 2003, 1132). Wie ausgeführt hat der Kläger den in der mündlichen Verhandlung verlesenen Feststellungen nicht widersprochen. Das Gericht musste daher diesen Gesichtspunkt und dessen Bedeutung für das Verfahren nicht von sich aus weiter erörtern. Soweit sich der Kläger auf die Baueinstellungsverfügung bezieht, betraf diese auch den Umbau an bestehenden Hausmauerbruchstücken (vgl. die Betreffzeile des Bescheides vom 7.7.2017).
Der Kläger hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen, da sein Rechtsmittel erfolglos geblieben ist (§ 154 Abs. 2 VwGO). Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nr. 1.1.1, 9.4 und 9.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit und entspricht dem vom Verwaltungsgericht festgesetzten Betrag.
Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).


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