Verwaltungsrecht

Baukindergeld, Zuwendungsbescheid, Ermessenserwägungen, Zuwendungen, Streitwertfestsetzung, Öffentliches Interesse, Wiedereinsetzungsgrund, Verwaltungsgerichte, Vermögensdisposition, Gleichbehandlungsgrundsatz, Maßgeblicher Zeitpunkt, Rechtswidriger Verwaltungsakt, Befähigung zum Richteramt, Verwaltungsvorschriften, Begünstigender Verwaltungsakt, Rücknahmebescheid, Selbstbindung der Verwaltung, Verwaltungsgerichtsverfahren, Rücknahmemöglichkeit, Rücknahme der Bewilligung

Aktenzeichen  W 8 K 20.1180

Datum:
8.2.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 2871
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayVwVfG Art. 32
BayVwVfG Art. 40
BayVwVfG Art. 48
BayHO Art. 23
BayHO Art. 44
VwGO § 114
GG Art. 3
Baukindergeld-Plus-Richtlinien – BayBauKGPR

 

Leitsatz

1. I. Die Klage wird abgewiesen.
2. II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
3. III. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher in gleicher Höhe Sicherheit leistet.

Gründe

Die zulässige Anfechtungsklage, über die entschieden werden konnte, obwohl nicht alle Beteiligten in der mündlichen Verhandlung erschienen sind (§ 102 Abs. 2 VwGO), ist unbegründet.
Der Aufhebungsbescheid vom 31. Juli 2020, mit dem die BayernLabo ihren Zuwendungsbescheid vom 21. Juli 2020 in voller Höhe aufhob, ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Die BayernLabo hat in dem streitgegenständlichen Bescheid vom 31. Juli 2020 die Sach- und Rechtslage zutreffend dargestellt und die maßgeblichen Umstände im Wesentlichen berücksichtigt. Zur Vermeidung von Wiederholungen kann auf die zutreffenden Ausführungen im angefochtenen Bescheid vom 31. Juli 2020, die die Regierung von Unterfranken in ihrer Klageerwiderung vom 21. Juli 2020 noch ergänzt und vertieft hat, Bezug genommen und insoweit von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe abgesehen werden (§ 117 Abs. 5 VwGO). Das Klagevorbringen führt zu keiner anderen Beurteilung.
Ergänzend ist noch Folgendes auszuführen:
Rechtsgrundlage für den Aufhebungsbescheid vom 31. Juli 2020 ist Art. 48 Abs. 1 Satz 1 BayVwVfG, weil der Zuwendungsbescheid vom 21. Juli 2020
– ausgehend vom Zeitpunkt seines Erlasses – rechtswidrig war. Der Kläger durfte auch nicht in schutzwürdiger Weise auf den Bestand des Verwaltungsaktes, der eine Geldleistung gewährte, vertrauen (Art. 48 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 BayVwVfG).
Nach Art. 48 Abs. 1 BayVwVfG kann ein rechtswidriger Verwaltungsakt ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Sofern es sich – wie hier – um einen begünstigenden Verwaltungsakt handelt, ist bei der Rücknahme die Vertrauensschutzregelung des Art. 48 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. Art. 48 Abs. 2 bis 4 BayVwVfG zu berücksichtigen. Ein Verwaltungsakt darf nicht zurückgenommen werden, wenn der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit den öffentlichen Interessen an einer Rücknahme schutzwürdig ist (Art. 48 Abs. 2 Satz 1 BayVwVfG). Das Vertrauen ist dabei in der Regel schutzwürdig, wenn der Begünstigte gewährte Leistungen verbraucht und eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann (Art. 48 Abs. 2 Satz 2 BayVwVfG). Auf Vertrauen kann sich der Betroffene nicht berufen, wenn die Voraussetzungen des Art. 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 bis 3 BayVwVfG vorliegen, insbesondere wenn der begünstigtende Verwaltungsakt durch im Wesentlichen unrichtige Angaben erwirkt wurde (Nr. 2) oder der Begünstigte die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte (Nr. 3). In den Fällen des Satzes 3 wird der Verwaltungsakt in der Regel mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen (Art. 48 Abs. 2 Satz 4 BayVwVfG).
Die Rücknahmevorschrift des Art. 48 BayVwVfG ist die korrekte einschlägige Rechtsgrundlage, da der aufzuhebende Zuwendungsbescheid vom 21. Juli 2020 wegen Verstoßes gegen Art. 23 und 44 BayHO i.V.m. den einschlägigen Richtlinien rechtswidrig war. Denn der Kläger hatte und hat keinen Anspruch auf die Gewährung des Baukindergeldes für jährlich 1.200,00 EUR für zehn Jahre.
Denn bei Zuwendungen der vorliegenden Art handelt es sich um freiwillige staatliche Maßnahmen. Eine explizite Rechtsnorm, die konkret einen Anspruch des Klägers auf Bewilligung der beantragten Zuwendung begründet, existiert nicht. Vielmehr erfolgt die Zuwendung auf der Grundlage der einschlägigen Richtlinien im billigen Ermessen der Behörde und im Rahmen der dafür im Haushaltsplan besonders zur Verfügung gestellten Ausgabemittel (Art. 23, 44 BayHO). Ein Rechtsanspruch besteht danach nur ausnahmsweise, insbesondere aus dem Gleichbehandlungsgrundsatz (Art. 3 Abs. 1 GG) durch eine Selbstbindung der Verwaltung aufgrund einer ständigen Verwaltungspraxis auf Basis der einschlägigen Richtlinien. Die Richtlinien begründen als ermessenslenkende Verwaltungsvorschriften nicht wie Gesetze und Rechtsverordnungen unmittelbar Rechte und Pflichten, sondern entfalten erst durch ihre Anwendung Außenwirkung. Das Gericht ist somit grundsätzlich an den Zuwendungszweck gebunden, wie ihn der Zuwendungsgeber versteht. Für die gerichtliche Prüfung einer Förderung ist entscheidend, wie die Behörde des zuständigen Rechtsträgers die Verwaltungsvorschrift im maßgeblichen Zeitpunkt in ständiger Praxis gehandhabt hat und in welchem Umfang sie infolgedessen durch den Gleichheitssatz gebunden ist (vgl. BayVGH, U.v. 11.10.2019 – 22 B 19.840 – BayVBl 2020, 365 – juris Rn. 26; U.v. 28.10.1999 – 19 B 96.3964 – juris Rn. 59; VG München, U.v. 19.11.2009 – M 15 K 07.5555 – juris Rn. 30). Ein Anspruch auf die Förderung besteht im Einzelfall über den Grundsatz der Selbstbindung der Verwaltung und den Gleichheitssatz dann, wenn die in den Richtlinien dargelegten Fördervoraussetzungen vorliegen und vergleichbare Anträge in ständiger Förderpraxis des Beklagten auch positiv verbeschieden werden (BayVGH, U.v. 11.10.2019 – 22 B 19.840 – BayVBl 2020, 365 – juris Rn. 26; vgl. auch ausführlich VG Würzburg, U.v. 25.5.2020 – W 8 K 19.1546 – juris sowie B.v. 18.6.2020 – W 8 E 20.736 – juris).
Dabei dürfen solche Richtlinien nicht – wie Gesetze oder Verordnungen – gerichtlich ausgelegt werden, sondern sie dienen nur dazu, eine dem Gleichheitsgrundsatz entsprechende Ermessensausübung der Behörde zu gewährleisten (BayVGH, B.v. 18.5.2020 – 6 ZB 20.438 – juris). Da Richtlinien keine Rechtsnormen sind, unterliegen sie grundsätzlich keiner richterlichen Interpretation. Eine Überprüfung hat sich darauf zu beschränken, ob aufgrund der einschlägigen Förderrichtlinien überhaupt eine Verteilung öffentlicher Mittel vorgenommen werden kann (Vorbehalt des Gesetzes) und bejahendenfalls, ob bei Anwendung der Richtlinien in Einzelfällen, in denen die begehrte Leistung versagt worden ist, der Gleichheitssatz (Art. 3 GG) verletzt oder der Rahmen, der durch die gesetzliche Zweckbestimmung gezogen ist, nicht beachtet worden ist (vgl. BVerwG, U.v. 26.4.1979 – 3 C 111/79 – BVerwGE 58, 45).
Bei der rechtlichen Beurteilung staatlicher Fördermaßnahmen, die wie hier nicht auf Rechtsnormen, sondern lediglich auf verwaltungsinternen ermessenslenkenden Vergaberichtlinien beruhen, kommt es damit nicht auf eine objektive Auslegung der Richtlinien an, sondern grundsätzlich nur darauf, wie die ministeriellen Vorgaben von der zuständigen Stelle tatsächlich verstanden und praktiziert worden sind (vgl. BayVGH, U.v. 10.12.2015 – 4 BV 15.1830 – juris Rn. 42 m.w.N.). Der Beklagte bestimmt im Rahmen des ihm eingeräumten Ermessens darüber, welche Ausgaben er dem Fördergegenstand zuordnet. Insoweit hat er auch die Interpretationshoheit über die maßgeblichen Verwaltungsvorschriften (vgl. BayVGH, B.v. 17.11.2010 – 4 ZB 10.1689 – juris Rn. 19 m.w.N.), so dass es allein darauf ankommt, wie die administrative Binnenvorschrift im maßgeblichen Zeitpunkt in ständiger Praxis gehandhabt wurde (vgl. auch BayVGH, B.v. 14.9.2020 – 16 ZB 20.1652 – juris; B.v. 22.5.2020 – 6 ZB 20.216 – juris).
Der maßgebliche Zeitpunkt für die Bewertung der Fördervoraussetzungen und der Förderfähigkeit einer Maßnahme ist des Weiteren nicht der Zeitpunkt der Antragstellung durch den Kläger und auch nicht der Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts. Dem materiellen Recht folgend, dass hier vor allem durch die Förderrichtlinien und deren Anwendung durch den Beklagten in ständiger Praxis vorgegeben wird, ist vielmehr auf den Zeitpunkt der Entscheidung der Förderbehörde abzustellen (BayVGH, B.v. 18.5.2020 – 6 ZB 20.438 – juris m.w.N.).
Ausgehend von der entsprechend der einschlägigen Förderrichtlinien gehandhabten Verwaltungspraxis ist das Bayerische Baukindergeld abhängig vom Baukindergeld des Bundes. Nach Nr. 3.1 der BayBauKGPR ist zuwendungsberechtigt, wer das Baukindergeld des Bundes erhält. Der Nachweis hierfür ist durch die Auszahlungsbestätigung der KfW zu erbringen. Gemäß Nr. 8.2 BayBauKGPR ist die Antragstellung ab Bezug des Wohnraumes nach Nr. 2 und bis spätestens drei Monate nach dem Datum der Auszahlungsbestätigung der KfW für das Baukindergeld des Bundes zulässig. In den Erläuterungen zu dem Antragsformular (sog. Anlage zum Formblatt BayBauKGPR) wird unter Nr. 6 auf diese Dreimonatsfrist hingewiesen (siehe VG Ansbach, U.v.1.12.2020 – AN 3 K 19.02073 – juris Rn. 5 ff.).
Die Antragstellung ist unstreitig nicht innerhalb der dreimonatigen Antragsfrist erfolgt. Die vorgelegte Auszahlungsbestätigung der KfW ist auf den 20. Dezember 2019 datiert. Der Antrag vom 1. Mai 2020 ist bei der BayernLabo am 4. Mai 2020 eingegangen. Fristablauf war jedoch schon am 20. März 2020.
Rechtlich nicht zu beanstanden ist, wenn der Beklagte unter Nr. 8.2 der BayBauKGPR festlegt, dass die Antragstellung bis spätestens drei Monate nach dem Datum der Auszahlungsbestätigung der KfW für das Baukindergeld des Bundes zu erfolgen hat und diese Richtlinie auch in ständiger Verwaltungspraxis so anwendet (VG Ansbach, U.v.1.12.2020 – AN 3 K 19.02073 – juris Rn. 36 ff. mit Verweis auf Rechtslage und Rechtsprechung bei Förderungen, Anspruch nur aus Gleichheitssatz in Form der Selbstbindung der Verwaltung).
Es ist allein Sache des Zuwendungsgebers, die Modalitäten und die Formalien des Förderverfahrens festzulegen und dabei auch eine Stichtagsregelung zu treffen (vgl. BayVGH, B.v. 14.9.2020 – 6 ZB 20.1652 – juris Rn. 12).
Die Anwendung der Fristenregelung mit dem Ausschluss des Klägers war und ist weder ermessensfehlerhaft noch willkürlich.
Vielmehr ist nicht die Beachtung der Fristenregelung, sondern die Missachtung der Fristenregelung gleichheitswidrig und damit rechtswidrig (so VG Ansbach, U.v.1.12.2020 – AN 3 K 19.02073 – juris Rn. 43).
Der Beklagte hat auch nicht konkludent eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt, weil er die Verfristung übersehen und die Förderung bewilligt hat.
Es ist schon fraglich, ob auf durch Verwaltungsvorschriften festgelegte Fristen trotz des eindeutigen Wortlautes des Art. 32 Abs. 1 BayVwVfG („gesetzliche Frist“) in analoger Anwendung die Grundsätze der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand überhaupt zur Anwendung kommen können (ausdrücklich offen gelassen BayVGH, B.v. 17.12.2009 – 3 CE 09.2494 – juris; VG Ansbach, U.v.1.12.2020 – AN 3 K 19.02073 – juris Rn. 45 f.). Dies wäre allenfalls denkbar, wenn es – anders als hier – eine entsprechende Verwaltungspraxis mit Selbstbindung der Förderbehörde gäbe (vgl. Ramsauer in Kopp/Ramsauer, VwVfG, 21. Auflage 2020, § 32 Rn. 7 ff. u. 16).
Der Beklagte hat zudem in der Klageerwiderung – unwidersprochen – ausgeführt: In der Förderpraxis der BayernLabo werde die Frist in Nr. 8.2 BayBauKGPR als materielle Ausschlussfrist gehandhabt mit der Folge, dass bei Fristversäumnis keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden könne. Eine Ausschlussfrist könne auch durch Verwaltungsvorschriften und eine diese umsetzende Verwaltungs- und Förderpraxis begründet werden. Damit scheide eine „konkludente“ Wiedereinsetzung durch die – zudem versehentliche – Bewilligung bereits mangels Vorliegens einer einsetzungsfähigen Frist aus (Art. 32 Abs. 5 BayVwVfG).
Allerdings ist die Annahme einer echten Ausschlussfrist (mit Rechtsverlust) in diesem Sinne nicht unproblematisch, gerade bei einer durch interne Verwaltungsvorschrift bestimmten Frist, aber denkbar (vgl. nur Ramsauer in Kopp/Ramsauer, VwVfG, 21. Auflage 2020, § 31 Rn. 9 ff. u. § 32 Rn. 16 u. 64), auch wenn die Regelung in Nr. 8 der Richtlinien der BayBauKGPR das Verfahren betrifft. Denn der Förderanspruch entsteht und besteht nur bei Beachtung der Modalitäten und Einhaltung der Fristen, da nur dann eine Selbstbindung der Verwaltung erfolgt.
Unabhängig davon lagen die Voraussetzungen für die Gewährung von einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß Art. 32 BayVwVfG ausweislich des vorgebrachten Sachverhaltes nicht vor. Der Kläger hat jedenfalls zum einen schon eventuelle Wiedereinsetzungsgründe nicht rechtzeitig glaubhaft gemacht. Zum anderen war er nicht ohne Verschulden verhindert, die inmitten stehende Antragsfrist gemäß Nr. 8.2 der BayBauKGPR einzuhalten.
Nach Art. 32 Abs. 1 und 2 BayVwVfG ist einem Verfahrensbeteiligten auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn er ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten. Der Antrag ist innerhalb von zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses zu stellen. Die Tatsachen zur Begründung des Antrags sind bei der Antragstellung oder im Verfahren über den Antrag glaubhaft zu machen. Innerhalb der Antragsfrist ist die versäumte Handlung nachzuholen. Ist dies geschehen, so kann Wiedereinsetzung auch ohne Antrag gewährt werden.
Danach ist der Antrag innerhalb von zwei Wochen unter Glaubhaftmachung der Hinderungsgründe zu stellen. Dazu hat der Kläger überhaupt nichts dargelegt, insbesondere nicht, dass die Hinderungsgründe erst in den letzten zwei Wochen vor Antragstellung entfallen wären. Außerdem hat er erstmals mit Schriftsatz vom 28. Oktober 2020 Hinderungsgründe benannt, also fast zwei Monate nach Klageerhebung und fast sechs Monate nach Antragstellung bei der Behörde bzw. über drei Monate nach Abschluss des Bewilligungsverfahrens. Selbst wenn in der Antragstellung ein konkludenter Antrag auf Wiedereinsetzung zu sehen wäre – wie der Klägerbevollmächtigte ohne weitere diesbezügliche Begründung vorbringt, wofür aber nichts spricht -, fehlt es jedenfalls an jeglicher fristgerechten Glaubhaftmachung von Wiedereinsetzungsgründen.
Dem Gericht erschließt sich des Weiteren nicht, wie unter diesen Voraussetzungen ohne jeglicher Benennung von Hinderungsgründen eine Wiedereinsetzung von Amts wegen erfolgt sein sollte. Denn eine Wiedereinsetzung von Amts wegen nach Art. 32 Abs. 2 Satz 4 BayVwVfG kommt nur in Betracht, wenn die Wiedereinsetzungsgründe – innerhalb der zweiwöchigen Wiedereinsetzungsfrist – glaubhaft gemacht oder der Behörde ohnehin bekannt sind (vgl. nur Ramsauer in Kopp/Ramsauer, VwVfG, 21. Auflage 2020, § 32 Rn. 47 u. 51). Daran fehlt es offenkundig.
Abgesehen davon hat der Kläger nicht gemäß Art. 32 Abs. 2 Satz 2 BayVwVfG glaubhaft machen können, dass er ohne Verschulden gehindert war, die inmitten stehende Frist zur Beantragung des Baukindergelds Plus einzuhalten. Die Versäumung einer Frist ist in diesem Sinne grundsätzlich dann verschuldet, wenn der Betroffene die Sorgfalt außer Acht gelassen hat, die für einen gewissenhaften und seine Rechte und Pflichten sachgemäß wahrnehmenden Verfahrensbeteiligten im Hinblick auf eine Fristwahrung geboten ist und ihm nach den gesamten Umständen des Falles zuzumuten war (vgl. VG Ansbach, U.v.1.12.2020 – AN 3 K 19.02073 – juris Rn. 49 f. mit Verweis auf BayVGH, B.v. 27. Juni 2011 – 12 ZB 10.1363 – juris und auf BVerwG, B.v. 28.2.2008 – 9 VR 2/08 – juris).
Der Klägerbevollmächtigte hat vorgebracht: Der Kläger sei Oberarzt in einer Klinik. Dort sei er auch bereits seit Mitte/Ende Februar 2020 zuständig für die Corona-Krise gewesen (Mitorganisation der designierten Corona-Normalstation, Zuständigkeit für die Patientenversorgung, tägliche Corona-Sitzungen bzw. Besprechungen). Erschwerend sei der frühzeitige Wegfall der großelterlichen Unterstützung bei der Betreuung der fünf Kinder (einmal Drillinge) aufgrund der Kontaktbeschränkung hinzugekommen. Aus diesem Grund sei der Kläger bereits seit Mitte/Ende Februar 2020 derart beruflich eingespannt gewesen, dass es ihm nicht mehr möglich gewesen sei, den Antrag auf Baukindergeld Plus rechtzeitig zu stellen.
Aus dem Vorbringen ist indes nicht ersichtlich, dass es dem Kläger innerhalb der ganzen drei Monate unzumutbar gewesen wäre, den Antrag – in seiner Freizeit – zu stellen. Der Kläger hat nicht substanziiert, dass er die ganze Zeit (tägliche, wöchentliche Arbeitszeiten im ganzen Zeitraum bis 20.3.2020) dermaßen eingespannt gewesen wäre, dass er trotz zumutbarer Anstrengungen die Frist nicht wahren konnte. Vielmehr muss er sich die Fristversäumnis vorwerfen lassen (vgl Ramsauer in Kopp/Ramsauer, VwVfG, 21. Auflage 2020, § 32 Rn. 21). Der kurze allgemeine Verweis auf die Auswirkungen der Corona-Krise auf ihn als Arzt und als Vater von fünf Kindern genügt bei weitem nicht.
Der rechtswidrige Zuwendungsbescheid vom 21. Juli 2020 konnte auch ermessensfehlerfrei ohne Verstoß gegen Vertrauensschutzgesichtspunkte (Art. 48 Abs. 1 Satz 2 und Art. 48 Abs. 2 BayVwVfG) vom Beklagten zurückgenommen werden.
Hier liegt kein Fall des Art. 48 Abs. 2 Satz 3 BayVwVfG (unrichtige Angaben, Täuschung usw.) vor, sodass die Berufung auf Vertrauensschutz grundsätzlich möglich.
Umgekehrt ist aber auch kein Regelfall des Art. 48 Abs. 2 Satz 2 BayVwVfG gegeben, wonach Vertrauen schutzwürdig ist, wenn die gewährte Leistung verbraucht oder Vermögensdispositionen getroffen wurden. Die erste Variante greift nicht, weil das Geld noch nicht ausgezahlt wurde. Die zweite Variante ist nicht gegeben, weil zu eventuellen Vermögensdispositionen bislang überhaupt nichts vorgebracht ist und Anhaltspunkte dafür auch sonst nicht ersichtlich sind, zumal die Rücknahme schon 10 Tage nach Erlass des Zuwendungsbescheides erfolgte. Der Erwerb von Wohneigentum für sich ist Fördervoraussetzung und als Vertrauensschutz begründende Vermögensdisposition nicht geeignet.
Letztlich kommt es für die Ausübung des Rücknahmeermessens auf die allgemeinen Erwägungen an. Nach Art. 48 Abs. 2 Satz 1 BayVwVfG hat unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalles eine Abwägung des Vertrauensinteresses (Vertrauen des Begünstigten auf Bestand der Zuwendung) mit öffentlichem Interesse an Rücknahme zu erfolgen. Insofern sind Ermessensfehler nicht ersichtlich.
Der Beklagte hat vielmehr ermessensfehlerfrei von seiner Rücknahmemöglichkeit Gebrauch gemacht. Das Gericht hat insoweit nur zu überprüfen, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder vom Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist (§ 114 Satz 1 VwGO). Der Beklagte konnte die Ermessenserwägung auch noch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren ergänzen (§ 114 Satz 2 VwGO). Die angeführten Ermessenserwägungen des Beklagten sind nicht zu beanstanden. Die Ermessensausübung deckt sich mit der Verwaltungspraxis. Ermessensfehler sind nicht ersichtlich.
Auf die plausiblen Ausführungen des Beklagten im Bescheid vom 31. Juli 2020 wird verwiesen. Dort wird ausgeführt: Mangels eines schutzwürdigen Vertrauens ergebe die Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an der Wiederherstellung eines rechtmäßigen Zustandes im Hinblick auf die zu Unrecht bewilligte Zuwendung und an der korrekten Verwendung der Haushaltsmittel des Freistaats Bayern, dass das öffentliche Interesse überwiege. Die BayernLabo nehme den Zuwendungsbescheid in Ausübung des Ermessens zurück, weil das öffentliche Interesse an der Rücknahme höher bewertet werde, als das Interesse am Fortbestand der Bewilligung. Andere Antragsteller müssten darauf vertrauen, dass der Gleichbehandlungsgrundsatz strikt beachtet werde, die formellen und materiellen Voraussetzungen erfüllt würden und noch Haushaltsmittel zur Verfügung stünden. Die Rücknahme stelle für den Kläger keine besondere Härte dar; insbesondere drohe ihm in keiner Weise die Vernichtung der Existenz.
Die Ermessenserwägungen hat der Beklagte in der Klageerwiderung vom 5. November 2020 nachvollziehbar und in zulässiger Weise vertieft. Dort ist im Wesentlichen ausgeführt: In diesem Sinne habe die BayernLabo im Rücknahmebescheid das private Interesse des Klägers am Fortbestand der Bewilligung mit dem öffentlichen Interesse an der Rücknahme abgewogen und sei dabei nachvollziehbar zum Ergebnis gekommen, dass fiskalische Erwägungen, d.h. das öffentliche Interesse an der korrekten Verwendung der Fördermittel und damit des zweckgerichteten Einsatzes der Haushaltsmittel, zu einem Überwiegen des öffentlichen Interesses führten. Diesem öffentlichen Interesse stehe auf Seiten des Klägers das bloße Interesse an der Aufrechterhaltung einer rechtswidrigen Förderentscheidung entgegen. Nicht gänzlich unberücksichtigt könne auch der Umstand bleiben, dass unmittelbar nach dem Erkennen des Versehens sofort die Rücknahme erfolgt sei. Die BayernLabo habe das eingeräumte Ermessen erkannt und entsprechende Ermessenerwägungen angestellt. Insbesondere habe sie auch die Belange des Zuwendungsempfängers bei den Ermessenserwägungen gesichtet und gewichtet. Unter Berücksichtigung fiskalischer Erwägungen und des öffentlichen Interesses an der zweckmäßigen und zweckentsprechenden Verwendung der ihr übertragenen Fördermittel komme die BayernLabo in nicht zu beanstandender Weise zum Ergebnis, dass die Rücknahme der Bewilligung eine ermessensgerechte Entscheidung (Art. 40 BayVwVfG) darstelle.
Der Kläger hat im Verfahren nichts vorgebracht, was eine andere Beurteilung rechtfertigen würde. Er hat sowohl im behördlichen Verfahren als auch im gerichtlichen Verfahren zu möglichen Ermessenaspekten zunächst überhaupt nichts vorgetragen. Lediglich und erstmals in der mündlichen Verhandlung am 8. Februar 2021 verwies der Klägerbevollmächtigte kurz und pauschal auf die fünf Kinder des Antragstellers und brachte vor, dass diese nicht mit Ermessensabwägungen berücksichtigt worden seien. Dem ist abgesehen vom Zeitpunkt des Vorbringens entgegenzuhalten, dass nicht ersichtlich ist, dass der Beklagte diesen Aspekt übersehen hat. Denn das Vorhandensein der Kinder ist überhaupt Voraussetzung für die Förderung und die Anzahl der Kinder ist Voraussetzung für die Höhe der Förderung des Baukindergeldes plus des Freistaats Bayern. Indes hat der Kläger auch in Bezug auf die Kinder nicht substantiiert, welche Vermögensdispositionen er vermutlich getroffen hätte bzw. inwieweit er auf die Gewährung der Förderung und dem Verbleib der Förderung vertraut hat. Das Gericht kann schon nicht erkennen, dass ein gravierender Aspekt bei der Ermessensausübung nicht berücksichtigt worden sein sollte. Erst recht kann es nicht erkennen, dass angesichts der gegenläufigen öffentlichen Interessen eine andere Entscheidung getroffen worden wäre. Nach Überzeugung des Gerichts sind weder die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten, noch das Ermessen nicht zweckentsprechend ausgeübt worden.
Schließlich sind auch keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass die Richtlinien und/oder die Förderpraxis, konkret die Fristenregelung mit dem Ausschluss des Klägers, ermessensfehlerhaft oder willkürlich wären und dies in der vorliegenden Fallgestaltung auf das Rücknahmeermessen durchschlagen würde, weil vertretbare Gründe vorliegen.
Der Kläger wird so nicht anders behandelt als andere Antragsteller, bei denen auf den Stichtag abgestellt wird. Infolgedessen liegt auch keine Ungleichbehandlung, sondern eine Gleichbehandlung wie in vergleichbaren Förderfällen vor. Die vom Beklagten gewählte Stichtagsregelung begegnet auch mit Blick auf den Gleichheitsgrundsatz keinen rechtlichen Bedenken (so BayVGH, B.v. 14.9.2020, 6 ZB 20.1652 – juris Rn. 12 ausdrücklich zu den Bayerischen Baukindergeld-Plus-Richtlinien). Umgekehrt wäre vielmehr – wie bereits ausgeführt – die Missachtung der Frist gleichheitswidrig.
Nach alledem war die Klage im vollen Umfang abzuweisen.
Die Entscheidung über die Kosten ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, § 711 ZPO.


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben