Verwaltungsrecht

Beförderungspflicht von Schülern

Aktenzeichen  W 2 K 14.1040

Datum:
29.1.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BaySchBefV BaySchBefV § 2 Abs. 1 S. 1, Abs. 3 S. 1, Abs. 4 Nr. 4

 

Leitsatz

1 Der Ausnahmetatbestand des § 2 Abs. 3 S. 1 SchBefV ist eng auszulegen. Er erfasst nur Schulen mit einem besonderen pädagogischen oder weltanschaulichen Konzept, das sich auf die gesamte Schule und nicht nur auf einzelne Klassen oder Jahrgangsstufen bezieht und die gesamte Schule in signifikanter Weise von anderen Schulen unterscheidet (vgl. BayVGH BeckRS 2014, 51738). (redaktioneller Leitsatz)
2 Eine Schule erhält durch ein besonderes medienpädagogisches Konzept einiger weniger Klassen (hier: “Tablet-Klassen”) keinen eigenständigen, an anderen Schulen nicht vorhandenen Charakter, der sie signifikant von diesen unterscheidet. (redaktioneller Leitsatz)
3 Im Rahmen der Härtefallregelung in § 2 Abs. 4 Nr. 4 SchBefV ist dem Umstand Rechnung zu tragen, dass die Bestimmungen über die Kostenfreiheit des Schulweges auch die optimale Organisation der Schülerbeförderung sicherstellen sollen; dem widerspricht eine Beförderungspflicht auch zu entfernter liegenden Schulen, wenn dafür keine durchgreifenden Gründe geltend gemacht werden, wie auch die Übernahme “fiktiver Beförderungskosten” zur nächstgelegenen Schule (vgl. BayVGH BeckRS 2015, 42884). (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kostenentscheidung vorläufig vollstreckbar. Die Kläger können die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Über die Klage kann mit Zustimmung aller Beteiligten ohne weitere mündliche Verhandlung entschieden werden, § 101 Abs. 2 VwGO.
Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.
I.
Nach Auslegung anhand des Rechtsschutzbedürfnisses und der Äußerungen in der mündlichen Verhandlung beinhaltet die Klage den Antrag, den Beklagten unter Aufhebung den Bescheids vom 23. April 2014 zu verpflichten, die Beförderungskosten von L. zum besuchten Gymnasium in Schweinfurt ab dem Schuljahr 2013/14 weiter zu übernehmen, und den Antrag, die Rückzahlungsverpflichtung aufzuheben.
1. Die Verpflichtungsklage ist zulässig, aber unbegründet. Die Kläger haben keinen Anspruch auf Übernahme der Beförderungskosten für ihren Sohn L. zum W. R. Gymnasium Schweinfurt ab dem Schuljahr 2013/2014. Der Bescheid des Beklagten vom 23. April 2014 und der Widerspruchsbescheid vom 15. Oktober 2014 sind rechtmäßig und verletzen die Kläger nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1, Abs. 5 VwGO).
1.1 Die Kläger können den Anspruch auf Übernahme der Beförderungskosten nicht auf das Schulwegkostenfreiheitsgesetz – SchKfrG – i.d.F. d. Bek. vom 31. Mai 2000, zuletzt geändert durch § 1 Nr. 241 Verordnung zur Anpassung des Landesrechts an die geltende Geschäftsverteilung vom 22. Juli 2014 (GVBl S. 286) in Verbindung mit der Verordnung über die Schülerbeförderung (Schülerbeförderungsverordnung – SchBefV) i.d.F. d. Bek. vom 8. September 1994 (GVBl S. 953), zuletzt geändert durch § 5 Änderungsverordnung vom 17. August 2012 (GVBl S. 443), stützen. Auf die zutreffenden Ausführungen im Widerspruchsbescheid der Regierung von Unterfranken vom 15. Oktober 2014 wird insoweit verwiesen (§ 84 Abs. 1 Satz 3 VwGO i.V.m. § 117 Abs. 5 VwGO).
Nach Art. 1 Abs. 1 Satz 1 SchKfrG ist die notwendige Beförderung der Schülerinnen und Schüler auf dem Schulweg bei öffentlichen und staatlich anerkannten privaten Realschulen, Gymnasien, Berufsfachschulen (ohne Berufsfachschulen in Teilzeitform), zweistufigen Wirtschaftsschulen und drei- bzw. vierstufigen Wirtschaftsschulen bis einschließlich Jahrgangsstufe 10 sowie bei Vollzeitunterricht an Berufsschulen Aufgabe der kreisfreien Gemeinde oder des Landkreises des gewöhnlichen Aufenthalts der Schülerin oder des Schülers (Aufgabenträger). Eine Beförderung durch öffentliche oder private Verkehrsmittel ist nach Art. 2 Abs. 1 Satz 1 SchKfrG notwendig, wenn der Schulweg in eine Richtung mehr als drei Kilometer beträgt und die Zurücklegung des Schulwegs auf andere Weise nach den örtlichen Gegebenheiten und nach allgemeiner Verkehrsauffassung nicht zumutbar ist. Die Beförderungspflicht besteht zum Pflicht- und Wahlpflichtunterricht der nächstgelegenen Schule (Art. 2 Abs. 3 SchKfrG i.V.m. § 2 Abs. 1 Satz 1 SchBefV). Nächstgelegene Schule ist gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 SchBefV die Pflichtschule i.S. des Art. 36 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Bayerisches Gesetz über das Erziehungs- und Unterrichtswesen – BayEUG – i.d.F. d. Bek. vom 31. Mai 2000 (GVBl S. 414, ber. S. 632) oder die Schule, der die Schülerinnen und Schüler zugewiesen sind (Nr. 2), oder diejenige Schule der gewählten Schulart, Ausbildungs- und Fachrichtung, die mit dem geringsten Beförderungsaufwand erreichbar ist (Nr. 3).
1.2 Maßgeblich für die Bestimmung der nächstgelegenen Schule ist hier der Beförderungsaufwand gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SchBefV, da L. weder eine Pflichtschule besucht noch eine Schulzuweisung besteht. Bei dem Vergleich des Beförderungsaufwand kommt es nicht auf die Entfernung oder den Zeitaufwand an, sondern auf die unter Beachtung des Grundsatzes der Wirtschaftlichkeit zu ermittelnden Fahrtkosten (BayVGH, U.v. 7.6.2010 – 7 ZB 09.2415 – juris; BayVGH, U.v. 12.2.2001 – 7 B 99.3719 – BayVBl 2001, 308/309; U.v. 8.1.2008 – 7 B 07.1008 – juris; B.v. 23.6.2008 – 7 B 08.550 – juris; B.v. 20.4.2009 – 7 ZB 08.3048 – juris). Zum Schuljahr 2013/14 ist L. von der Ausbildungsrichtung „wirtschaftswissenschaftlich“ (Art. 9 Abs. 3 S. 1 Nr. 4 BayEUG) zur Ausbildungsrichtung „naturwissenschaftlich-technologisch“ (Art. 9 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 BayEUG) gewechselt. Die nächstgelegene Schule in der „naturwissenschaftlich-technologischen“ Ausbildungsrichtung ist für L. jedoch das Regiomontanusgymnasium Haßfurt und nicht das W. R. Gymnasium in Schweinfurt. Dies ergibt sich aus der von der Klägerseite nicht angezweifelten Vergleichsberechnung im Anhang zum Bescheid des Landratsamtes Haßberge vom 23. April 2014. Mit jährlichen Gesamtkosten in Höhe von 495,00 EUR ist die Beförderung zum Regiomontanusgymnasium Haßfurt deutlich günstiger als die Beförderung zum W. R. Gymnasium in Schweinfurt in Höhe von 1.364,30 EUR.
1.3 Das SchBefV selbst sieht einige abschließend aufgezählte Ausnahmen vor, in denen auch beim Besuch einer nicht nächstgelegenen Schule die Beförderung übernommen werden soll oder ganz oder teilweise übernommen werden kann. Die hier in Betracht kommenden Ausnahmetatbestände des § 2 Abs. 3, 4 SchBefV sind nicht einschlägig.
1.3.1 Gemäß § 2 Abs. 3 Satz 1 SchBefV soll die Beförderung zu einer anderen als der nächstgelegenen Schule übernommen werden, wenn die Schülerinnen und Schüler diese Schule wegen ihrer pädagogischen oder weltanschaulichen Eigenheiten besuchen, insbesondere eine Tagesheimschule, eine Schule mit gebundenem oder offenem Ganztagsangebot, eine nicht-koedukative Schule oder Bekenntnisschule. Der Ausnahmetatbestand des § 2 Abs. 3 Satz 1 SchBefV ist eng auszulegen (BayVGH, U.v. 19.2.2013 – 7 B 12.2441 – BayVBl 2013, 439). Es sollen nur Schulen mit einem besonderen pädagogischen oder weltanschaulichen Konzept erfasst werden, das dem Unterricht in allen Klassen einen eigenständigen, an anderen Schulen auch nicht ansatzweise vorhandenen Charakter gibt und das die Schule damit – ohne eine eigenständige Ausbildungs- und Fachrichtung i.S. des § 2 Abs. 1 Satz 3 Nr. 3 SchBefV zu begründen – deutlich von anderen vergleichbaren Schulen unterscheidet (BayVGH, U.v. 10.1.1996 – 7 B 94.1847 – VGH n.F. 49, 12/16; BayVGH, U.v. 14.4.2014 – 7 B 14.24 – juris Rn. 25, bezüglich des Schulprofils „Inklusion“ i.S. des Art. 30b Abs. 3 BayEUG).
Gemessen an diesen Vorgaben ist dieser Tatbestand ist im vorliegenden Fall nicht erfüllt, da das W. R. Gymnasium keine Schule mit besonderen pädagogischen oder weltanschaulichen Eigenheiten ist. Diese Eigenheiten müssten sich auf die gesamte Schule beziehen, nicht nur auf einzelne Klassen oder Jahrgangsstufen. Die gesamte Schule müsste sich durch pädagogische oder weltanschauliche Eigenheiten in signifikanter Weise von anderen Schulen unterscheiden.
Der Beweisantrag des Klägerbevollmächtigten im Schriftsatz vom 25. November 2015 wird abgewiesen, weil die zum Beweis gestellte Tatsache, dass die von L. besuchte „Tablet“ – Klasse nicht nur ein Versuchsprojekt sei, sondern auf einem medienpädagogischem Konzept beruhe und so auch Folgeklassen eingerichtet worden seien, als wahr unterstellt werden kann.
Als einziges Unterscheidungsmerkmal kommt hier die von L. besuchte „Tablet“- Klasse in Betracht. Die „Tablet-Klasse“ mag ein besonderes medienpädagogisches Konzept darstellen. Es erstreckt sich am W. R. Gymnasium jedoch nur auf einzelne Klassen. Das W. Gymnasium erhält dadurch keinen eigenständigen, an anderen Schulen nicht vorhandenen Charakter und unterscheidet sich damit nicht signifikant vom Regiomontanusgymnasium in Haßfurt. Nach dessen Internetauftritt wird auch am Gymnasium in Haßfurt verstärkt der PC zur Unterrichtsgestaltung und Wissensvermittlung eingesetzt. Ebenso werden die grundlegenden Kenntnisse der Medienpädagogik vermittelt. Da sich der Lehrstoff an bayerischen Gymnasien nach einem einheitlichen Lehrplan richtet, sind nur geringe Unterschiede zwischen den Schulen möglich. Dabei ist es jeder Schule selbst überlassen, wie sie die angebotenen Ausbildungsrichtungen im Einzelnen konzipiert und organisiert. In Zeiten sinkender Schülerzahlen versuchen viele Schulen, sich durch unterschiedliche Projekte, Konzepte oder Wahlfächerangebote voneinander abzugrenzen. Diese Unterschiede begründen aber nicht in jedem Fall eine pädagogische Eigenheit, die die Schulwegkostenfreiheit erzwingt. Durch ein besonderes pädagogisches Konzept i.S. des § 2 Abs. 3 SchBefV muss der Unterricht in allen Klassen der jeweiligen Schule einen eigenständigen, an anderen Schulen nicht ansatzweise vorhandenen Charakter erhalten, so dass die gesamte Schule sich damit deutlich von anderen vergleichbaren Schulen unterscheidet. Dies ist durch wenige Klassen, die Tablet-PCs benutzen, nicht gegeben. Würde man bereits bei geringen pädagogischen Besonderheiten, wie z.B. einzelne „Laptop- oder Tablet-Klassen“ den Tatbestand von § 2 Abs. 3 S. 1 SchBefV eröffnet sehen, würde man der Ermessensnorm aus § 2 Abs. 4 SchBefV zudem weitestgehend ihren Anwendungsbereich entziehen. Bereits mit Urteil vom 5. März 2012 – 7 ZB 11.2092 – juris (vgl. zudem BayVGH, U.v.19.2.2013 – 7 B 12.2441 – juris) hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof festgestellt, dass die Voraussetzungen des § 2 Abs. 3 S. 1 SchBefV nicht schon dadurch erfüllt sind, dass ein großer Teil des Unterrichts unter Verwendung eines Notebooks durchgeführt wird. Gleiches muss folglich auch für „Tablet-Klassen“ gelten, welche sich in der technischen und methodischen medienpädagogischen Anwendung nur geringfügig von „Notebook-Klassen“ unterscheiden.
1.3.2 Die Ausnahmetatbestände des § 2 Abs. 4 SchBefV sind ebenfalls nicht einschlägig. Danach kann der Aufgabenträger die Beförderung zu einer anderen als der nächstgelegenen Schule ganz oder teilweise übernehmen, wenn die Schülerinnen oder Schüler eine Schule besonderer Art mit schulartübergreifendem integriertem Unterricht besuchen (Nr. 1) oder ein Schulwechsel nicht zumutbar ist (Nr. 2) oder der Beförderungsaufwand die ersparten Beförderungskosten zur nächstgelegenen Schule um nicht mehr als 20 v.H. übersteigt (Nr. 3) oder die betroffenen Aufwandsträger und Schulen zustimmen (Nr. 4).
Der Sohn der Kläger besucht keine Schule besonderer Art mit schulartübergreifendem integriertem Unterricht i.S. des § 2 Abs. 4 Nr. 1 SchBefV.
Der Schulwechsel ist für L. nicht unzumutbar (§ 2 Abs. 4 Nr. 2 SchBefV). Die von den Klägern angeführte „Mobbing“- Situation, in der sich L. am Regiomontanusgymnasium in Haßfurt vor seinem Schulwechsel nach Schweinfurt befunden habe, konnten die Kläger nicht belegen. Es ist nicht nachvollziehbar dargelegt, ob der behaupteten Mobbingsituation nur durch einen Schulwechsel zu begegnen war. Auch wurde nicht näher begründet, warum diese sozialen Probleme bei einer Rückkehr von L. an das Gymnasium in Haßfurt weiter bestehen oder nicht auf andere Weise, z. B. durch Intervention der/des Schulpsychologen-/in, lösbar sein sollen. Zwar wird darauf verwiesen, dass damals ein Gespräch mit der zuständigen Lehrkraft nicht zielführend war. Inwieweit sonst versucht wurde, die Situation für L. zu verbessern, wurde nicht dargelegt. Der/die Schulpsychologe-/in ist als fachlich kompetente Stelle und primärer Ansprechpartner bei zwischenmenschlichen Problemen in der Schule aber offensichtlich nicht mit L.`s Situation betraut worden. Die nicht nachgewiesene Angabe, dass schwierige soziale Kontakte von L. aus der Grundschulzeit, die sich am Gymnasium in Haßfurt fortsetzen könnten, ist für eine Annahme der Unzumutbarkeit des Schulwechsels unzureichend. Ein in Aussicht gestelltes, fachärztliches Gutachten, welches die Problematik, insbesondere eine Angststörung oder eine psychische Erkrankung verdeutlichen sollte, wurde nicht vorgelegt. Auch konkrete Vorfälle und der Anlass wurden nicht genannt.
Auch § 2 Abs. 4 Nr. 3 SchBefV ist nicht einschlägig. Danach kann die Beförderung zu einer anderen als der nächstgelegenen Schule übernommen werden, wenn der Beförderungsaufwand die ersparten Beförderungskosten zur nächstgelegenen Schule um nicht mehr als 20 v. H. übersteigt. Der Beförderungsaufwand nach Schweinfurt (1.364,30 EUR) übersteigt den nach Haßfurt (495,00 EUR) um ca. 176%.
Auch die Härtefallregelung in § 2 Abs. 4 Nr. 4 SchBefV (vgl. BayVGH, U.v. 12.2.2001 – 7 B 99.3719 – BayVBl 2001, 308) findet zugunsten der Kläger keine Anwendung. Es besteht keine Zustimmung des betroffenen Aufwandsträgers in Gestalt des Beklagten für eine Beförderungsübernahme. Diese Entscheidung wird mit der Bindung der Verwaltung an die Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit (Art. 2 Abs. 1 Satz 3 SchKfrG) begründet und ist nicht zu beanstanden (vgl. BayVGH, U.v. 19.2.2013 – 7 B 12.2441 – juris Rn. 42 m.w.N.). Eine ordnungsgemäße Ermessensausübung des Beklagten liegt vor. Hierbei ist dem Umstand Rechnung zu tragen, dass die Bestimmungen über die Kostenfreiheit des Schulwegs nicht nur eine finanzielle Entlastung der Schüler und Eltern bezwecken, sondern zugleich die optimale Organisation der Schülerbeförderung sichergestellt werden soll (vgl. BayVGH, B.v. 27.2.2015 – 7 ZB 14.2300 – juris; U.v. 13.4.2011 – 7 B 10.1423 – BayVBl 2011, 572; U.v. 11.2.2008 – 7 B 06.1390 – juris). Dementsprechend verfolgen die Vorschriften über die Kostenfreiheit des Schulwegs auch den Aufbau eines Schülertransportnetzes, das den Schulen tragfähige Einzugsbereiche sichert und das Entstehen unzumutbar langer Schulwege verhindert (vgl. BayVGH, B.v. 15.6.1999 – 7 ZB 99.1103 – juris; U.v. 11.2.2008 – 7 B 06.1390 – juris). Dem öffentlichen Interesse der auf den näheren Einzugsbereich abstellenden Schulplanung und den Interessen der beteiligten Aufgabenträgern, die auch bei geringerer Schülerzahl die notwendige Beförderung zu den nächstgelegenen Schulen sicherzustellen haben, widerspricht es daher, eine Beförderungspflicht auch zu entfernter liegenden Schulen anzunehmen, ohne dass hierzu durchgreifende Gründe seitens des zu befördernden Schülers geltend gemacht werden (vgl. BayVGH, B.v. 27.2.2015 – 7 ZB 14.2300 – juris; B.v. 10.12.2012 – 7 ZB 12.1623 – juris).
Im Übrigen sind auch die Verbindungen zwischen dem Wohnort des Sohnes der Kläger und des Regiomontanusgymnasiums in Haßfurt mit öffentlichen Verkehrsmitteln zumutbar. Insoweit wird auf die zutreffenden Ausführungen im Bescheid des Landratsamts Miltenberg vom 23. April 2014 verwiesen (§ 84 Abs. 1 Satz 3 VwGO i.V.m. § 117 Abs. 5 VwGO).
Entgegen der Auffassung des Klägers, kann das Gericht im Bescheid des Landratsamts Haßberge vom 23. April 2014 Ermessenserwägungen der Behörde erkennen, da auf die vom Kläger vorgebrachten gesundheitlichen Gründe sowie auf die Angaben im Erfassungsbogen eingegangen wird. Ergänzt wird dies später zudem im Schriftsatz vom 28. Januar 2015. Ein Ermessensnichtgebrauch ist somit nicht zu erkennen.
Auch ist die Ermessensausübung nicht fehlerhaft erfolgt. Bei § 2 Abs. 4 Nr. 4 SchBefV handelt es sich um eine Auffangnorm, mit der auf besondere Einzelfälle, welche extreme Härten mit sich bringen würden, eingegangen werden soll. Insofern sind bei Anwendung dieser Norm strenge Maßstäbe anzulegen. Dass sich die Behörde nicht im Rahmen der ihr vom Gesetz gegebenen Ermächtigung gehalten hat (Kopp/Schenke, 20. Aufl. 2014, VwGO, § 114 Rn. 7), ist gerade nicht ersichtlich.
1.4 Die Kläger haben auch keinen Anspruch auf Übernahme der „fiktiven Beförderungskosten“ zur nächstgelegenen Schule („Sowieso-Kosten“), d.h. auf Übernahme derjenigen Kosten, die angefallen wären, wenn L. das Regiomontanusgymnasiums in Haßfurt besucht hätte. Nach der Rechtsprechung ist eine derartige Erstattung ausgeschlossen (vgl. BayVGH, B.v. 27.2.2015 – 7 ZB 14.2300 – juris; U.v. 14.3.1983 – 7 B 82 A.2161 – BayVBl 1983, 568; BayVerfGH, E.v. 20.4.1990 – Vf. 28-VI-89 – BayVBl 1991, 16, VG Würzburg, U.v. 20.8.2014 – W 2 K 14.125 – juris). Die Erstattung der fiktiven Beförderungskosten hätte zur Folge, dass mehr Schüler als bisher eine andere als die nächstgelegene Schule besuchen würden. Dies würde es den Aufgabenträgern erschweren, auch bei geringerer Schülerzahl die notwendige Beförderung zu den nächstgelegenen Schulen sicherzustellen. Außerdem liefe es der auf den näheren Einzugsbereich abstellenden Schulplanung entgegen, durch Übernahme von Beförderungskosten zu entfernter liegenden Schulen die Schülerzahl der nächstgelegenen Schulen zu gefährden (vgl. BayVerfGH, E.v. 20.4.1990 – Vf. 28-VI-89 – VerfGH 43, 81/85 f.).
1.5 Im Übrigen ergibt sich auch aus der Verfassung des Freistaates Bayern (BV) kein grundlegender Anspruch auf eine kostenfreie Schülerbeförderung (BayVerfGH, E.v. 7.7.2009 – Vf. 15-VII-08 – BayVBl 2010, 76; E.v. 28.10.2004 – Vf. 8-VII-030 – VerfGH 57, 156; BayVGH, B.v. 31.5.2011 – 7 ZB 10.2930 – juris; B.v. 7.6.2010 – 7 ZB 09.2415 – juris; U.v. 19.8.2009 – 7 BV 08.1375 – VGH n.F. 62, 120; B.v. 10.1.2012 – 7 ZB 12.1623 – juris). Machen der Schüler oder seine Eltern daher von ihrem Recht der freien Schulwahl in der Weise Gebrauch, dass der Schüler nicht die nächstgelegene Schule besucht, so darf ihm und seinen Eltern auch ohne Verstoß gegen Art. 118 Abs. 1 BV zugemutet werden, die finanziellen Folgen dieser Entscheidung selbst zu tragen (BayVGH, B.v. 31.5.2011 – 7 ZB 10.2930 – juris; vgl. BayVerfGH, E.v. 20.4.1990 – Vf. 28-VI-89 – VerfGH 43, 81/85).
2. Die Anfechtungsklage gegen die Ziffer 2 des streitgegenständlichen Bescheids ist zulässig, aber unbegründet. Der Beklagte konnte zu Recht die unrechtmäßig gewährten Leistungen zurückfordern.
Rechtsgrundlage für die Rücknahme der Bewilligung ist Art. 48 Abs. 1, Abs. 2 BayVwVfG.
2.1 Die Tatbestandsvoraussetzungen sind erfüllt.
Die Aushändigung der Fahrkarten für die Monate September 2013 bis Juli 2014 zu Schuljahresbeginn ist als konkludente Bewilligung durch den Beklagten und somit als Verwaltungsakt nach Art. 35 S. 1 BayVwVfG zu sehen. Mit diesem wurde auch eine laufende Sachleistung gem. Art. 48 Abs. 2 BayVwVfG in Form der Fahrkarten gewährt. Der Verwaltungsakt war, wie oben gezeigt, von Anfang an rechtswidrig, da L. ab dem Schuljahr 2013/14 keinen Anspruch mehr auf eine kostenfreie Schülerbeförderung hatte.
2.2 Die Kläger können sich auch nicht auf Vertrauensschutz nach Art. 48 Abs. 2 S. 1, 2 BayVwVfG berufen, da sie den Verwaltungsakt durch Angaben erwirkt haben, welche in wesentlichen Beziehungen unrichtig waren (Art. 48 Abs. 2 S. 3 Nr. 2 BayVwVfG).
Mit Erfassungsbogen vom 2. August 2012 beantragten die Kläger die kostenlose Beförderung von L. und verpflichtete sich durch ihre Unterschrift auf dem Formblatt zeitgleich, sowohl jede Änderung der angegebenen Verhältnisse während der gesamten Schulzeit unverzüglich dem Beklagten schriftlich anzuzeigen, als auch dazu, bei Wegfall der Beförderungsvoraussetzungen Berechtigungsausweise und nicht verbrauchte Fahrausweise unverzüglich an das Landratsamt zurückzugeben. Eine Änderung der angegebenen Verhältnisse ergab sich durch den Wechsel der Ausbildungsrichtung, welche den Wegfall der Beförderungsvoraussetzungen zur Folge hatte. Dies wurde dem Beklagten jedoch nicht von Seiten der Kläger mitgeteilt und auch der ausgegebene Fahrausweis wurde nicht unverzüglich zurückgegeben.
2.3 Die Entscheidung erfolgte auch ermessensfehlerfrei (vgl. § 114 VwGO).
Ermessenserwägungen hat die Verwaltungsbehörde bereits im Bescheid vom 23. April 2014 angestellt. Diese Erwägungen und Begründungen hierzu sind auch ausreichend. Nach den Grundsätzen des gelenkten bzw. intendierten Ermessens müssen, wenn eine ermessenseinräumende Vorschrift dahingehend auszulegen ist, dass sie für den Regelfall von einer Ermessensausübung in einem bestimmten Sinne ausgeht, besondere Gründe vorliegen, um eine gegenteilige Entscheidung zu rechtfertigen. Liegt ein vom Regelfall abweichender Sachverhalt nicht vor, versteht sich das Ergebnis der Abwägung von selbst, so dass es keiner ausführlichen das Selbstverständliche darstellenden Begründung bedarf (vgl. BVerwG, U.v. 16.6.1997 3 C 22.96 – DVBl 1998, 145). Als eine ermessenslenkende Vorschrift in diesem Sinne ist jedoch Art. 48 Abs. 2 Satz 4 BayVwVfG zu sehen, der für die Fälle des Art. 48 Abs. 2 Satz 3 BayVwVfG die Rücknahme des Verwaltungsakts mit Wirkung für die Vergangenheit als Regel festlegt (BVerwG, a.a.O.). Entgegen der Ansicht der Kläger ist es hier somit weder zu pauschal noch zu oberflächlich, dass die Behörde zusätzlich die Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit der öffentlichen Verwaltung sowie das Gleichbehandlungsgebot anführt. Im Übrigen wurden die Ermessenerwägung im Rahmen des Widerspruchsverfahrens ergänzt (§ 114 Satz 2 VwGO).
2.4 Rechtsgrundlage der Erstattungsanordnung aus der Ziffer 2 des Ausgangsbescheides vom 23. April 2014 ist Art. 49 a Abs. 1 Satz 1 BayVwVfG. Danach sind bereits erbrachte Leistungen zu erstatten, wenn ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen oder widerrufen worden ist. Der Verwaltungsakt wurde rechtmäßig mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen (s.o.). Mit Aushändigung der Fahrkarte wurden die Leistungen auch erbracht. Die Kosten für die Fahrkarte sind somit zwingend zu erstatten. Die Festsetzung der zu erstattenden Leistung wurde auch durch schriftlichen Verwaltungsakt festgesetzt gemäß Art. 49a Abs. 1 Satz 2 BayVwVfG.
3. Der Antrag auf Zulassung der Berufung bleibt erfolglos, § 124 Abs. 2 VwGO. Es liegt kein Zulassungsgrund vor. Insbesondere besitzt die Rechtssache entgegen der Meinung des Klägerbevollmächtigten keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO, weil die Frage, ob die Einrichtung einer Tablet-Klasse der Schule eine pädagogische oder weltanschauliche Eigenheit verleiht, durch die Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofes geklärt ist (BayVGH, B.v. 5.3.2012 – 7 ZB 11.2092 – juris).
4. Nach alledem war die Klage mit der Kostenfolge aus §§ 154 Abs. 1, 159 Satz 2 VwGO abzuweisen.
5. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO, § 708 Nr. 11, § 711 ZPO.


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