Verwaltungsrecht

Befristete Zuweisung einer Obdachlosenunterkunft

Aktenzeichen  M 22 E 17.4746

Datum:
5.12.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO VwGO § 123
Clearinghäuser-Benutzungssatzung § 9
LStVG LStVG Art. 7

 

Leitsatz

1 Ein Anspruch auf (zumindest) ermessensfehlerfreie Entscheidung über eine Obdachlosenunterbringung ist gegenüber einer möglichen Selbsthilfe nachrangig und umfasst nicht die Zuweisung einer bestimmten Unterkunft oder den Verbleib in einer bestimmten Unterkunft; über die Zuweisung entscheidet die Obdachlosenbehörde nach pflichtgemäßem Ermessen. (Rn. 15 – 17) (redaktioneller Leitsatz)
2 Die Verwaltungspraxis einer grundsätzlich nur befristeten Einweisung in eine Einrichtung, in der Obdachlose mit sozialpädagogischer Beratung und Unterstützung die für eine Selbsthilfe erforderlichen Verhaltensweisen einüben, entspricht dem Zweck der Einrichtung und ist nicht zu beanstanden. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragstellerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 2.500 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragstellerin begehrt im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes die Verlängerung ihrer obdachlosenrechtlichen Unterbringung im …
Die 1964 geborene Antragstellerin wurde von der Antragsgegnerin zur Vermeidung von Obdachlosigkeit erstmals mit Aufnahmeverfügung vom … Oktober 2016 befristet bis … Januar 2017 im … in München mit dem Ziel der Erarbeitung und Realisierung einer (privatrechtlichen) Wohnperspektive aufgenommen. In Ziffer 1 der Aufnahmeverfügung war die Antragstellerin darüber informiert worden, dass die Unterbringung im … – entsprechend der Zielsetzung – gemäß § 5 Abs. 3, § 9 … nur befristet, zunächst bis … Januar 2017, erfolgt.
Mit Bescheiden vom … Januar 2017, … April 2017 und … Juli 2017 wurde das Benutzungsverhältnis in Summe bis zum … September 2017 verlängert, da der Bezug einer Mietwohnung durch die Antragstellerin zu erwarten stand: Die Antragstellerin hatte einen Antrag auf Registrierung für eine sozial geförderte Wohnung gestellt, war mit Bescheid vom … Februar 2017 mit 97 Punkten in Rangstufe I registriert und für eine Wohnung der GWG als Mieterin ausgewählt worden.
Zum Abschluss eines Mietvertrages kam es in der Folge jedoch nicht, weshalb die Antragstellerin am … September 2017 erneut einen Antrag auf Registrierung für eine Sozialwohnung stellte.
Am … September 2017 wandte sich die Antragstellerin an das Sozialgericht München und beantragte sinngemäß,
die Antragsgegnerin im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes zu verpflichten, das Benutzungsverhältnis mit der Antragstellerin auf unbestimmte Zeit zu verlängern.
Zur Begründung ihres Antrags trägt die Antragstellerin vor, sie habe trotz extensiver Bemühungen um neuen Wohnraum bislang keine Unterkunft gefunden und sei mit Schreiben der Antragsgegnerin vom … September 2017 auf die Befristung ihrer Aufnahme hingewiesen worden. Zur Vermeidung von Obdachlosigkeit sei sie daher unbefristet im … aufzunehmen.
Mit Beschluss vom … September 2017 hat das Sozialgericht den Antrag nach vorheriger Anhörung der Beteiligten an das Verwaltungsgericht München verwiesen, bei dem das Verfahren am … Oktober 2017 rechtshängig wurde.
Mit Bescheid vom … Oktober 2017 verlängerte die Antragsgegnerin das Benutzungsverhältnis der Antragstellerin für das … bis zum … Dezember 2017. Ihr Antrag auf erneute Registrierung für eine Sozialwohnung wurde mit Bescheid vom … Oktober 2017 abgelehnt, da die Antragstellerin inzwischen über ein bereinigtes Jahreseinkommen in Höhe von 22.125 Euro verfüge und damit die maßgebende Einkommensgrenze um 85 Prozent überschreite.
Die Antragsgegnerin nahm mit Schriftsatz vom … November 2017 zum Verfahren Stellung und beantragte,
den Antrag abzulehnen.
Sie macht geltend, es fehle schon an einem Anordnungsgrund, da das Benutzungsverhältnis mit Bescheid vom … Oktober 2017 erneut – bis zum … Dezember 2017 – verlängert worden sei. Der Antragstellerin drohe, sollte das Benutzungsverhältnis für das … zukünftig nicht mehr verlängert werden, auch keine Obdachlosigkeit. Zum einen verfüge die Antragstellerin über ausreichend eigene Einkünfte um sich selbst eine (zumindest vorübergehende) Unterkunft zu verschaffen. Zum anderen werde ihr in jedem Fall eine Ersatzunterbringung angeboten. Es bestehe im Rahmen der Obdachlosenunterbringung kein Anspruch auf eine bestimmte Unterkunft. Die Aufnahme in … erfolge satzungsgemäß nur befristet.
Wegen der weiteren Einzelheiten zum Sach- und Streitstand wird auf die Gerichts- und die vorgelegte Behördenakte Bezug genommen.
II.
Der Antrag ist zulässig, bleibt in der Sache aber ohne Erfolg.
Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO kann das Gericht eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis erlassen, wenn diese Regelung nötig erscheint, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus sonstigen Gründen. Dabei hat die Antragstellerin sowohl den aus dem streitigen Rechtsverhältnis abgeleiteten Anspruch, bezüglich dessen die vorläufige Regelung getroffen werden soll (Anordnungsanspruch), als auch die Dringlichkeit einer vorläufigen Regelung (Anordnungsgrund) glaubhaft zu machen (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. §§ 920 Abs. 2, 294 Zivilprozessordnung – ZPO). Maßgeblich für die Beurteilung sind dabei die rechtlichen und tatsächlichen Verhältnisse zum Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts.
Vorliegend fehlt es zum maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung bereits an einem Anordnungsgrund, da die Antragsgegnerin die auslaufende Befristung verlängert hat und eine Entscheidung über den weiteren Aufenthalt im … noch aussteht.
Unabhängig hiervon ist jedoch auch kein Anordnungsanspruch, auf weitere Unterbringung im … gegeben. Rechtsgrundlage für einen Anspruch auf Zuweisung einer Unterkunft zur Vermeidung von Obdachlosigkeit ist Art. 7 Abs. 2 Nr. 3 Landesstraf- und Verordnungsgesetz (LStVG). Die Antragsgegnerin hat als Sicherheitsbehörde (Art. 6 LStVG) grundsätzlich die Aufgabe der Gefahrenabwehr. Hierzu zählt auch die Beseitigung einer – unfreiwilligen – Obdachlosigkeit (vgl. BayVGH, B.v. 26.4.1995 – 4 CE 95.1023 – BayVBl 1995, 729), um Gefahren für Leben und Gesundheit des Betroffen zu verhüten. Aus dieser gesetzlichen Verpflichtung ergibt sich ein Anspruch des Betroffenen (zumindest) auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über die Unterbringung durch die Behörde. Ein solcher Anspruch kann allerdings nur dann angenommen werden, soweit und solange der Betroffene die Gefahr nicht selbst aus eigenen Kräften oder mit Hilfe der Sozialleistungsträger beheben kann (vgl. BayVGH, B.v. 21.9.2006 – 4 CE 06.2465 – BayVBl 2007, 439; BayVGH, B.v. 10.3.2005 – 4 CS 05.219 – juris).
Wegen des damit angesprochenen Vorrangs der Selbsthilfe ist vorliegend bereits zweifelhaft, ob die Antragstellerin im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung überhaupt noch einen Anspruch auf Unterbringung gegen die Antragsgegnerin hat. Ausweislich der im Verfahren auf Registrierung für eine Sozialwohnung gemachten Angaben verfügt die Antragstellerin mittlerweile über ein bereinigtes Jahreseinkommen von 22.125 Euro. Die Antragstellerin dürfte sich daher inzwischen, sollte die Antragsgegnerin das Benutzungsverhältnis für das … nicht mehr verlängern, selbst kurzfristig – wenn auch gegebenenfalls nur vorübergehend – eine einfache kostengünstige Unterkunft (etwa in einer Pension) verschaffen können.
Selbst wenn man vorliegend einen Unterbringungsanspruch der Antragstellerin annehmen sollte, kann sie jedoch nicht ihre weitere Unterbringung im … verlangen. Ein Obdachloser hat grundsätzlich keinen Anspruch auf Zuweisung einer bestimmten Unterkunft oder auf den Verbleib in einer bestimmten Unterkunft. Über die Zuweisung der Unterkunft entscheidet die Obdachlosenbehörde nach pflichtgemäßem Ermessen (vgl. Schenk in Bengl/Berner/Emmerig, LStVG, Sept. 2015, Art. 7 Rn. 190).
Anhaltspunkte, aufgrund derer das Ermessen der Antragsgegnerin vorliegend auf eine Unterbringung im … beschränkt wäre, sind unter keinem in Betracht kommenden Aspekt ersichtlich.
Die Verwaltungspraxis der Antragsgegnerin, Obdachlose in ein … grundsätzlich nur befristet einzuweisen, ergibt sich aus dem Zweck dieser Einrichtungen und ist nicht zu beanstanden. Ziel der Unterbringung in einem … ist es, mit den Haushalten an einer Wohnperspektive zur schnellen Vermittlung in eine geeignete Wohnform, nach Möglichkeit mit einem privatrechtlichen Mietvertrag zu arbeiten. Bewohnerinnen und Bewohner sollen mit sozialpädagogischer Beratung und Unterstützung Verhaltensweisen einüben, die eine regelmäßige Mietzahlung, den sachgemäßen Gebrauch der Mietsache und die Einordnung in die Hausgemeinschaft sicherstellen. Während des Aufenthalts werden u.a. Lösungen zur Existenzsicherung und Stärkung der praktischen Alltagskompetenz erarbeitet. Dieser Praxis entsprechend erfolgte die Unterbringung der Antragstellerin im … im Einklang mit der …-Benutzungssatzung wiederholt nur befristet.
Zudem ist eine Unterbringung auf „unbestimmte Zeit“, wie von der Antragstellerin beantragt, auch mit der Funktion des verwaltungsprozessualen vorläufigen Rechtsschutzes unvereinbar (vgl. auch § 123 Abs. 1 S. 2 VwGO: „zur Regelung eines vorläufigen Zustands.“). Ihr „auf unbestimmte Zeit“ gerichteter Antrag kann auch insoweit keinen Erfolg haben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO; die Festsetzung des Streitwerts auf § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nr. 1.5 und 35.3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.


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