Verwaltungsrecht

Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots

Aktenzeichen  Au 6 K 18.30779

Datum:
19.5.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 18405
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 3, § 4
AufenthG § 11 Abs. 1, § 60 Abs. 5, § 60 Abs. 7

 

Leitsatz

Tenor

I. Unter Aufhebung von Ziffer 6 ihres Bescheids vom 16. April 2018, soweit sie der folgenden Verpflichtung entgegenstehen, wird die Beklagte verpflichtet, über die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts neu zu entscheiden.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Die Klägerin hat von den Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens vier Fünftel zu tragen, die Beklagte ein Fünftel.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner darf die Vollstreckung durch den jeweiligen Vollstreckungsgläubiger durch Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Vollstreckungsgläubiger zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die zulässige Klage ist nur zu einem geringen Teil begründet. Die Klägerin hat im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) keinen Anspruch auf internationalen Schutz oder ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 AufenthG (§ 113 Abs. 5 VwGO). Der angefochtene Bescheid des Bundesamtes vom 16. April 2018 ist daher bis auf die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots rechtmäßig und verletzt die Klägerin bis auf diesen Punkt nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Es wird insoweit Bezug genommen auf die Gründe des angefochtenen Bescheids (§ 77 Abs. 2 AsylG) und ergänzend ausgeführt:
1. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylG.
Nach § 3 Abs. 4 AsylG wird einem Ausländer, der Flüchtling nach § 3 Abs. 1 AsylG ist, die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt. Ein Ausländer ist nach § 3 Abs. 1 AsylG Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560 – Genfer Flüchtlingskonvention), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb seines Herkunftslandes befindet.
Im Einzelnen sind definiert die Verfolgungshandlungen in § 3a AsylG, die Verfolgungsgründe in § 3b AsylG und die Akteure, von denen eine Verfolgung ausgehen kann bzw. die Schutz bieten können, in §§ 3c, 3d AsylG. Einem Flüchtling nach § 3 Abs. 1 AsylG, der nicht den Ausschlusstatbeständen nach § 3 Abs. 2 AsylG oder nach § 60 Abs. 8 Satz 1 AufenthG unterfällt oder der den in § 3 Abs. 3 AsylG bezeichneten anderweitigen Schutzumfang genießt, wird die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt (§ 3 Abs. 4 AsylG). Als Verfolgung i.S.d. § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG gelten Handlungen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen gemäß Art. 15 Abs. 2 EMRK keine Abweichung zulässig ist (§ 3a Abs. 1 Nr. 1 AsylG), oder in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nummer 1 beschriebenen Weise betroffen ist (§ 3a Abs. 1 Nr. 2 AsylG). Zwischen den Verfolgungsgründen (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG i.V.m. § 3b AsylG) und den Verfolgungshandlungen – den als Verfolgung eingestuften Handlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen, § 3a AsylG – muss für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft eine Verknüpfung bestehen (§ 3a Abs. 3 AsylG).
Eine Verfolgung i.S.d. § 3 AsylG kann nach § 3c Nr. 3 AsylG auch von nicht-staatlichen Akteuren ausgehen, sofern der Staat oder ihn beherrschende Parteien oder Organisationen einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor der Verfolgung zu bieten.
Für die Beurteilung der Frage, ob die Furcht des Betroffenen vor Verfolgung begründet i.S.v. § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG ist, gilt einheitlich der Prognosemaßstab der tatsächlichen Gefahr („real risk“), der demjenigen der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (vgl. BVerwG, U.v. 4.7.2019 – 1 C 31/18 – juris Rn. 16) entspricht.
Der Wahrscheinlichkeitsmaßstab setzt voraus, dass bei einer zusammenfassen-den Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine „qualifizierende“ Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann (vgl. BVerwG, U.v. 4.7.2019 – 1 C 31/18 – juris Rn. 16).
Es ist Sache des Schutzsuchenden, seine Gründe für eine Verfolgung in schlüssiger Form vorzutragen. Er hat unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern, aus dem sich bei Wahrunterstellung ergibt, dass bei verständiger Würdigung seine Furcht vor Verfolgung begründet ist, so dass ihm nicht zuzumuten ist, im Herkunftsland zu verbleiben oder dorthin zurückzukehren. Wegen des sachtypischen Beweisnotstands, in dem sich Flüchtlinge insbesondere im Hinblick auf asylbegründende Vorgänge im Verfolgerland vielfach befinden, genügt für diese Vorgänge in der Regel eine Glaubhaftmachung. Voraussetzung für ein glaubhaftes Vorbringen ist allerdings ein detaillierter und in sich schlüssiger Vortrag ohne wesentliche Widersprüche und Steigerungen.
a) Für die Prüfung einer etwaigen Verfolgung der Klägerin ist auf die Vereinigten Arabischen Emirate als letztes Land des gewöhnlichen Aufenthalts abzustellen.
Das Land des gewöhnlichen Aufenthalts ist nach § 3 Abs. 1 Nr. 2 AsylG das Land, in dem der Staatenlose tatsächlich seinen Lebensmittelpunkt gefunden hat, dort also nicht nur vorübergehend verweilt, ohne dass die zuständigen Behörden aufenthaltsbeendende Maßnahmen gegen ihn einleiten. Der tatsächliche Aufenthalt genügt, wenn er von einer gewissen Dauerhaftigkeit geprägt ist. Nicht erforderlich ist hingegen, dass der Aufenthalt des Staatenlosen rechtmäßig ist. Durch die Formulierung „hatte“ ist klargestellt, dass es insoweit nicht auf den gegenwärtigen gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik ankommt (BVerwG, U.v. 26.2.2009 – 10 C 50/07 – juris Rn. 30 f.; vgl. auch BayVGH, U.v. 14.4.2011 – 2 B 06.30538 – juris Rn. 39).
Die Klägerin ist – wie von der Beklagten zutreffend gewürdigt – nach derzeitiger Aktenlage staatenlose Palästinenserin. Sie mag berechtigt sein, sich in Gaza registrieren zu lassen und dort einen Personalausweis und einen Reisepass zu erlangen, zumal sie von dort auch eine Geburtsurkunde und eine Kopie des Reisepasses ihres Vaters (mit ihrem Eintrag als sein Kind, BAMF-Akte Bl. 76) vorgelegt hat, aber auch Gaza ist lediglich ein im völkerrechtlichen Status uneinheitlich bewertetes Gebilde, wohl kein Staat, nur ein teilautonomes Gebiet (vgl. NdsOVG, U.v. 14.12.2017 – 8 LC 99/17 – juris Rn. 37). Derzeit jedenfalls ist die Klägerin staatenlos, so dass nach § 3 Abs. 1 Nr. 2 AsylG auf das Herkunftsland im flüchtlingsrechtlichen Sinn, also in dem ein Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte, abzustellen ist. Da die Klägerin nach ihren Angaben von 2007 bis 2013 in den Vereinigten Arabischen Emiraten gelebt hat, kommt es für die Prüfung einer Verfolgungsfurcht auf diesen Staat an.
b) Die Klägerin hat keine staatliche Verfolgung in den Vereinigten Arabischen Emiraten geltend gemacht.
Hierbei ist der Bescheidsbegründung der Beklagten nur insoweit zu folgen, wonach die Klägerin bis auf eine Ausweisung – aus den Vereinigten Arabischen Emiraten – keine an sie individuell gerichteten Bedrohungen oder gar Übergriffe geschildert hat. Von der Schwere und Bedeutung her handelt es sich bei einer Ausweisung und Abschiebung aber nicht um eine Verfolgungsmaßnahme, sondern um eine ausländerrechtliche Maßnahme. Dass diese vorliegend in irgendeiner menschenrechtswidrig diskriminierenden Form angewandt worden wäre, ist nach dem mündlichen und schriftlichen Vortrag der Klägerin (BAMF-Akte Bl. 75 ff., 162 f.) nicht ersichtlich. Sie hat sich selbst – anders als die Frau ihres Bruders (ebenda Bl. 77) – nicht in sozialen Medien in einer Art und Weise geäußert, die in den Vereinigten Arabischen Emiraten staatlicherseits als Bedrohung durch den politischen Islam in Gestalt der Muslimbruderschaft verstanden wird, die im arabischen Raum als starke politische Kraft mit dem Ziel einer Errichtung eines islamisch-konservativen bis salafistischen Systems wahrgenommen wird.
Eine Verfolgung i. S. des § 3 i.V.m. § 3a Abs. 2 AsylG in Gestalt einer unverhältnismäßigen oder diskriminierenden Strafverfolgung oder Bestrafung droht nicht, da die Klägerin zum Einen nicht mehr zu Einreise und Aufenthalt in den Vereinigten Arabischen Emiraten berechtigt ist und dorthin auch nicht abgeschoben werden soll, zum Anderen auch nicht strafrechtlich belangt, sondern lediglich des Landes verwiesen worden ist, was keine Strafe für vergangenes Verhalten sondern eine Maßnahme gegen künftige Gefahren darstellt (vgl. nur § 53 AufenthG).
Eine Verfolgung i. S. des § 3 i.V.m. § 3a Abs. 2 AsylG in Gestalt diskriminierend angewandter administrativer oder justizieller Maßnahmen oder eine diskriminierende Verweigerung gerichtlichen Rechtsschutzes droht nicht. Eine diskriminierende Vorenthaltung von Rechtsschutz ist nicht ersichtlich.
2. Die Klägerin hat auch keinen Anspruch auf Gewährung subsidiären Schutzes i.S. des § 4 Abs. 1 AsylG. Sie hat keine stichhaltigen Gründe für die Annahme vorgebracht, dass ihr bei einer Rückkehr in die Vereinigten Arabischen Emirate oder nach Gaza ein ernsthafter Schaden i.S. des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nrn. 1 bis 3 AsylG droht.
Ein Ausländer ist subsidiär Schutzberechtigter nach § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt gemäß § 4 Abs. 1 Satz 2 AsylG i.V.m. Art. 15 RL 2011/95/EU die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe, Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung oder eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts.
Die Aufenthaltsbeendigung eines Ausländers durch einen Konventionsstaat kann Art. 3 EMRK verletzen, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme vorliegen und bewiesen sind, dass der Ausländer im Zielstaat einer Abschiebung tatsächlich Gefahr läuft, Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung ausgesetzt zu werden. Dann ergibt sich aus Art. 3 EMRK die Verpflichtung für den Konventionsstaat, den Betroffenen nicht in dieses Land abzuschieben (vgl. EGMR, U.v. 13.12.2016 – 41738/10 – NVwZ 2017, 1187 ff. Rn. 173 m.w.N.).
a) Die Klägerin hat eine ernsthafte Bedrohung, so sie eine Gefährdungslage i.S. des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AsylG in Gestalt der Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe begründen würde, nicht glaubhaft gemacht. Weder für die Vereinigten Arabischen Emirate noch für Gaza ist ersichtlich, dass der Klägerin irgendeine Strafe, geschweige denn die Todesstrafe, drohte.
b) Die Klägerin hat eine ernsthafte Bedrohung, so sie eine Gefährdungslage i.S. des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG wegen Folter, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung begründen würde, nicht glaubhaft gemacht.
Unter Heranziehung der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union zu Art. 15b RL 2011/95/EU und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu Art. 3 EMRK ist als unmenschliche oder erniedrigende Behandlung i.S. des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG eine absichtliche, d.h. vorsätzliche Zufügung schwerer körperlicher oder seelischer Leiden zu verstehen, die im Hinblick auf Intensität und Dauer eine hinreichende Schwere aufweisen (vgl. nur EGMR, U.v. 21.1.2011 – 30696/09 – NVwZ 2011, 413 Rn. 220 m.w.N.; EGMR U.v. 25.7.2006 – 54810/00 – NJW 2006, 3117 Rn. 67; BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 15.12 – NVwZ 2013, 1167 Rn. 22 ff. m.w.N.), Eine erniedrigende Behandlung setzt als Schweregrad eine Demütigung oder Herabsetzung voraus, die im Opfer Gefühle von Furcht, Todesangst und Minderwertigkeit verursacht und geeignet sind, diese Person zu erniedrigen oder zu entwürdigen und möglicherweise ihren psychischen oder moralischen Widerstand zu brechen.
Für die Wahrscheinlichkeit des Eintritts eines solchen ernsthaften Schadens gilt der Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit („real risk“) unabhängig davon, ob der Betroffene bereits vor seiner Ausreise einen ernsthaften Schaden i.S. des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG erlitten hat; eine solche Vorschädigung stellt aber einen ernsthaften Hinweis darauf dar, dass er tatsächlich Gefahr läuft, (erneut) ernsthaften Schaden zu erleiden (zur Vermutungswirkung vgl. Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU.
Gleichwohl hat das Verwaltungsgericht für die Beurteilung der Wahrscheinlichkeit sich nach § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO seine freie, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnene Überzeugung zu bilden. Auch im Asylverfahren muss die danach gebotene Überzeugungsgewissheit dergestalt bestehen, dass das Gericht die volle Überzeugung von der Wahrheit (nicht etwa nur von der Wahrscheinlichkeit) des behaupteten individuellen Schicksals erlangt hat. Wegen des sachtypischen Beweisnotstandes, in dem sich der Betroffene insbesondere hinsichtlich der von ihm vorgetragenen Vorgänge vielfach befindet, genügt für diese Vorgänge in der Regel die Glaubhaftmachung, wodurch allerdings das Gericht nicht von einer Überzeugungsbildung im Sinne des § 108 Abs. 1 VwGO enthoben ist. Vielmehr darf das Gericht keine unerfüllbaren Beweisanforderungen stellen und keine unumstößliche Gewissheit verlangen. Es muss sich in tatsächlich zweifelhaften Fällen mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit begnügen, der den Zweifeln Schweigen gebietet, auch wenn sie nicht völlig auszuschließen sind (vgl. zum Ganzen VGH BW, U.v. 25.4.2018 – A 11 S 924/17 – juris Rn. 32 ff.). Es ist daher zunächst Sache des Schutzsuchenden, die Gründe für seine Furcht vor Verfolgung schlüssig vorzutragen. Dazu hat er unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern, aus dem sich bei verständiger Würdigung ergibt, dass ihm in seinem Heimatstaat Verfolgung droht. Hierzu gehört, dass er zu den in seine Sphäre fallenden Ereignissen, insbesondere zu seinen persönlichen Erlebnissen, eine Schilderung gibt, die geeignet ist, den behaupteten Anspruch lückenlos zu tragen. Erhebliche Widersprüche und Unstimmigkeiten im Vorbringen können dem entgegenstehen, es sei denn, diese können überzeugend aufgeklärt werden (vgl. zum Maßstab bereits oben zu § 3 AsylG).
Eine solche Gefahr besteht im Fall der Klägerin weder für die Vereinigten Arabischen Emirate noch für Gaza mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit. Insbesondere bezieht sich die ihrerseits behauptete Gefährdung durch ihren Bruder – wegen ihres Schwangerschaftsabbruchs mit verlorener Jungfräulichkeit – nicht auf den Zielstaat der Abschiebungsandrohung, sondern auf das Inland, wo der Bruder in Deutschland lebt. Zudem hat die Klägerin mittlerweile geheiratet, so dass es auch nach arabisch-patriarchalischer Sitte nicht mehr auf die Jungfräulichkeit ankommt, da sie Ehefrau geworden ist.
c) Auch die Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG liegen nicht vor. Der Klägerin droht bei einer Rückkehr in den Gazastreifen nach derzeitigem Kenntnisstand des Gerichts auch keine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts. Derzeit findet zwischen der Gaza in ihrer Gewalt haltenden Hamas und dem Staat Israel keine gewalttätige Auseinandersetzung statt, die nach Intensität und Größenordnung als vereinzelt auftretende Gewalttaten i.S. von Art. 1 Nr. 2 des Zusatzprotokolls vom 8. Juni 1977 zu den Genfer Abkommen vom 12. August 1949 über den Schutz der Opfer nicht internationaler bewaffneter Konflikte (BGBl. 1990 II S. 1637) – ZP II – oder aber als anhaltende Kampfhandlungen bewaffneter Gruppen im Sinne von Art. 1 Nr. 1 ZP II zu qualifizieren wären. Von vereinzelten Attentaten und Übergriffen abgesehen, finden keine Gewalttätigkeiten statt, nachdem der 2015 geführte Konflikt durch eine vorläufige Waffenruhe geendet hat.
3. Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG liegen aber auch bezüglich Gaza nicht vor.
Gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Nach Art. 3 EMRK darf niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe unterworfen werden. Dies ist auch der Fall, wenn es dem Betroffenen nicht (mehr) gelingen würde, seine elementaren Bedürfnisse wie Nahrung, Hygiene und Unterkunft, zu befriedigen (vgl. BayVGH, U.v. 21.25.2014 – 13a B 14.30285 – Asylmagazin 2015, 197) und die aus zu erwartenden schwierigen Lebensbedingungen resultierenden Gefährdungen im Einzelfall eine solche Intensität aufweisen, dass auch ohne konkret drohende Maßnahmen von einer unmenschlichen Behandlung auszugehen ist.
Hier liegen diese besonders strengen Voraussetzungen nicht vor:
Die erwachsene, gesunde und erwerbsfähige Klägerin im Fall ihrer Abschiebung nach Gaza keiner besonderen Ausnahmesituation ausgesetzt sein, die mit hoher Wahrscheinlichkeit dazu führen würde, dass ihre elementarsten Bedürfnisse im Sinne eines absoluten Existenzminimums nicht gesichert wären. Sie ist auf Grund ihres hohen Bildungsstands – Abitur und Lehramtsstudium Englisch (BAMF-Akte Bl. 77) – sowie ggf. unter Vermittlung etwa dort verbliebender Familienangehöriger sowie ihres in Deutschland lebenden Ehemanns in der Lage, einer Erwerbstätigkeit nachzugehen. Angesichts der Lebensbedingungen in Gaza und der auf das Wohlwollen der Hamas oder von ihr kontrollierter Organisationen angewiesenen Sozialstruktur geht das Gericht davon aus, dass die Klägerin dort imstande wären, ihre Existenz ohne fremde Hilfe zu sichern. Das Gericht geht grundsätzlich nicht davon aus, dass Gaza im Hinblick auf die allgemeine Versorgungslage (zu ihrer Verschlechterung s.a. Amnesty International. Report 2015, Israel und besetzte palästinensische Gebiete S. 2) generell als Rückführungsziel ausscheidet. Im vorliegenden Einzelfall liegen auch keine risikoerhöhenden Umstände für die Kläger vor.
Soweit die Klägerin darauf verweist, mangels Identitätspapieren und selbst mit solchen kein Land gemeinsam ausreisen zu dürfen, stellt dies kein zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot dar, sondern allenfalls ein vorübergehendes und mit gehörigen Anstrengungen wohl auch behebbares Abschiebungshindernis: Es ist der Klägerin zumutbar, sich unter Vorlage ihrer Dokumentenkopien sowie wahrheitsgemäßer Angaben über ihre Herkunft Ersatz für ihre abgelaufenen oder verlorenen Originaldokumente zu beschaffen, so bei einer jordanischen Auslandsvertretung und – wie bereits bei der Ausstellung der Geburtsurkunde geschehen – auch bei der palästinensischen Auslandsvertretung. Ein Abschiebungsverbot ergibt sich daraus jedenfalls nicht.
4. Allerdings erweist sich die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbotes nach § 11 Abs. 1 AufenthG nicht mehr als rechtmäßig, da die Klägerin zwischenzeitlich eine Ehe in Deutschland eingegangen ist und somit fristreduzierende Belange vorliegen, welche die Beklagte noch nicht gewürdigt hat. Daher war der Klage im tenorierten Umfang stattzugeben und sie im Übrigen mit der Kostenfolge des § 155 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG). Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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