Verwaltungsrecht

Behandlung eines Zweitantrags auf internationalen Schutz nach begonnener Geschlechtsumwandlung (Herkunftsland Georgien)

Aktenzeichen  AN 4 K 17.33046

Datum:
15.1.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 301
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 3 Abs. 1 Nr. 1, § 3b Abs. 1 Nr. 4, § 3c Nr. 3, § 4 Abs. 1 Nr. 2, § 26a, § 29 Abs. 1 Nr. 5, § 71a Abs. 1
VwVfG § 51 Abs. 1 Nr. 1
AufenthG § 60 Abs. 5
EMRK Art. 8

 

Leitsatz

Eine eingeleitete geschlechtsangleichende Therapie kann eine nachträglich geänderte Sachlage im Sinne des § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG darstellen, die die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens in der Bundesrepublik Deutschland erforderlich macht. (Rn. 17 – 29) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Der Bescheid der Beklagten vom 27. April 2017 wird aufgehoben. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Kläger und Beklagte tragen die Kosten des Verfahrens jeweils zur Hälfte.
3. Der Gegenstandswert wird auf 5.000,00 EUR festgesetzt.

Gründe

Die Klage ist, soweit sie zulässig ist, auch begründet. Sie ist lediglich als Anfechtungsklage zulässig (vgl. Ziffer I). Der Bescheid der Beklagten ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (Ziffer II), § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Im Übrigen ist die Klage dagegen unzulässig. Aufgrund des teilweisen Obsiegens jeder Partei waren die Kosten vorliegend zu teilen (Ziffer III).
Das Gericht konnte über die Klage nach Anhörung ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entschieden, da die Sache keine besonderen Schwierigkeiten rechtlicher oder tatsächlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist, § 84 Abs. 1 VwGO.
I.
Der klägerische Anfechtungsantrag ist zulässig. Der darüber hinausgehende Feststellungsbzw. (der Sache nach eher) Verpflichtungsantrag erweist sich dagegen vorliegend als unzulässig. Durch die gerichtliche Kassation des Bescheids vom 27. April 2017 muss die Beklagte von Gesetzes wegen ein weiteres Asylverfahren durchführen. Eine gerichtliche Durchentscheidung ist vorliegend nicht erforderlich.
Nach Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, der sich die erkennende Kammer anschließt, ist die Entscheidung des Bundesamtes über die Unzulässigkeit des Asylantrags nach § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG mit der Anfechtungsklage anzugreifen. Bei der Unzulässigkeitsentscheidung handelt es sich um einen Bestandskraft fähigen Verwaltungsakt, der die Rechtsstellung des Klägers verschlechtert, da ohne weitere Sachprüfung festgestellt wird, dass ihr Asylvorbringen nicht zur Schutzgewährung führt und darüber hinaus im Fall eines weiteren Asylverfahrens abgeschnitten wird (BVerwG, U.v. 14.12.2016, Az. 1 C 4/16 – juris Rn. 16).
Für den darüber hinaus gestellten Feststellungsbzw. Verpflichtungsantrag (vgl. oben) ist aufgrund des nach der geltenden Rechtslage mehrstufig geregelten Asylverfahrens bei Zweitanträgen kein Raum (BVerwG, U.v. 14.12.2016, Az. 1 C 4/16 – juris Rn. 18). Das Gericht entscheidet im vorliegenden Fall nicht durch, denn dies obliegt dem Bundesamt in der nächsten Verwaltungsverfahrensstufe.
Die Beschränkung des klägerischen Antrags auf Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 AufenthG ist auch nicht inzident als Rücknahme des Asylantrags zu verstehen. In diesem Fall hätte das Bundesamt das Verfahren einzustellen und lediglich über die Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG zu entscheiden, § 32 AsylG. Die Klage wurde ausdrücklich auch gegen Ziffer 1 des Bescheides erhoben. Deshalb kann aus systematischen Gründen gesagt werden, dass auch und gerade die im Bescheid vom 27. April 2017 ausgesprochene Unzulässigkeitsentscheidung angegriffen werden soll.
II.
Die Klage ist, soweit sie zulässig ist, begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 27. April 2017 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Aufgrund der zwischenzeitlich begonnenen Geschlechtsumwandlung und der Auskunftslage für das Land Georgien konnte das Bundesamt seine Entscheidung nicht allein auf das Vorverfahren im Königreich Schweden stützen, da die Sachlage sich maßgeblich geändert hat. Es ist ein Asylverfahren in Deutschland durchzuführen.
1. Nach § 71a Abs. 1 AsylG ist nach erfolglosem Abschluss eines Asylverfahrens in einem sicheren Drittstaat (§ 26a AsylG), für den Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft über die Zuständigkeit für die Durchführung von Asylverfahren gelten, ein weiteres Asylverfahren aufgrund eines Zweitantrags nur durchzuführen, wenn die Bundesrepublik Deutschland für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist und die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG vorliegen.
Ausweislich der Aktenlage (vgl. Bundesamtsakte Blatt 46) wurde zuvor ein Asylverfahren im Königreich Schweden erfolglos durchgeführt, das als Mitgliedsstaat der Europäischen Union sicherer Drittstaat ist und für das die Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft über Asylverfahren gelten. Die Beklagte geht, da sie vorliegend ihre Unzulässigkeitsentscheidung aufgrund von § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG und nicht aufgrund § 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG getroffen hat, von ihrer Zuständigkeit selbst aus.
2. Darüber hinaus liegen die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG vor, da sich die Sachlage nachträglich zugunsten des Klägers geändert hat.
Nach § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG hat die Behörde auf Antrag des Betroffenen über die Aufhebung und Änderung eines unanfechtbaren Verwaltungsaktes zu entscheiden, wenn sich die dem Verwaltungsakt zugrunde liegende Sach- oder Rechtslage nachträglich zugunsten des Betroffenen geändert hat. Jedenfalls aufgrund der beim Kläger zwischenzeitlich eingeleiteten Geschlechtsumwandlung in Zusammenschau mit der aktuellen Auskunftslage für das Land Georgien hat sich die Sachlage nachträglich zugunsten des vom Kläger geltend gemachten Anliegens verändert. Dabei ist maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sachlage der Zeitpunkt dieser Entscheidung, § 77 Abs. 1 AsylG. In diesem Zusammenhang ist die Entscheidung der schwedischen Behörde als Verwaltungsakt im Sinne des § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG zu qualifizieren.
a) Mit Blick auf die Situation in Georgien, insbesondere für Transgender-Personen, geht das Gericht von folgender maßgeblicher Lage aus:
Der Bericht des Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Georgien vom 11. Dezember 2017 (Lagebericht) führt aus, dass Homosexualität seit 2000 nicht mehr unter Strafe steht und umgekehrt seit 2012 die Diskriminierung auf Grund der sexuellen Orientierung unter Strafe gestellt wurde. Gesellschaftliche Benachteiligung finde jedoch weiter statt. Dies liege insbesondere an der ablehnenden Haltung der georgisch-orthodoxen Kirche gegenüber sexuellen Minderheiten. Im Lagebericht wird hinsichtlich der Repressionen Dritter weiter ausgeführt, dass traditionelle Vorbehalte in der Bevölkerung verbreitet sind. Die Situation von sexuellen Minderheiten wird als praktisch schwierig beschrieben. LGBTI-Personen müssen im gesellschaftlichen und im beruflichen Leben mit ungleicher Behandlung rechnen und vereinzelt komme es zu Gewaltanwendung. Die Angehörigen von Minderheiten seien häufig gezwungen, ihre sexuelle Identität und Orientierung zu verbergen. Die öffentliche Meinung sei stark polarisiert und sehr geprägt von den konservativen Werten der gesellschaftlich tief verankerten orthodoxen Kirche. Im Anschluss spricht der Lagebericht die Ereignisse im Zusammenhang mit den gewalttätigen Angriffen am Internationalen Tag gegen Homophobie und Transphopie (IDAHO) im Jahr 2013 an. Am IDAHO Tag 2017 habe in Tiflis eine LGBTI-Veranstaltung stattgefunden, die von den Regierungsbehörden massiv abgeschirmt worden sei. Das Auswärtige Amt geht davon aus, dass die Behörden einerseits eventuelle Angriffe auf die Teilnehmer der Veranstaltung ausschließen wollten und andererseits die öffentliche Wahrnehmung der Veranstaltung möglichst gering halten wollten. Gleichzeitig zu der Veranstaltung organisierte die georgisch-orthodoxe Kirche einen öffentlichen Familientag (Lagebericht, S. 9).
Zu den gewalttätigen Übergriffen am IDAHO-Tag 2013 hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte im Fall Identoba gegen Georgien am 12. Mai 2015 festgestellt, dass die Polizei demonstrierenden LGBTI-Aktivisten nicht ausreichend Schutz vor den Übergriffen nichtstaatlicher Stellen gewährt hat.
Nach einem Bericht von Amnesty International konnten LGBTI-Aktivisten an einer politischen Diskussion zur Änderung der Verfassung (die Ehe sollte als Verbindung zwischen einem Mann und einer Frau definiert werden), auf Grund fehlender Sicherheitszusage durch die staatlichen Stellen Georgiens nicht teilnehmen. Amnesty berichtet weiter, dass eine Transfrau nach einem gewalttätigen Überfall durch zwei Männer am 23. November 2016 im Krankenhaus infolge der Verletzungen aus dem Überfall verstorben ist.
Hinsichtlich der Verfügbarkeit einer geschlechtsangleichenden Therapie trägt der Kläger selbst vor, dass es in Georgien solche Therapiemöglichkeiten gibt.
b) Diese Lage zugrunde gelegt, muss angesichts der zwischenzeitlich eingeleiteten geschlechtsangleichenden Therapie von einer zugunsten des Klägers maßgeblich geänderten Sachlage ausgegangen werden. Aufgrund dessen ist ein weiteres Asylverfahren in der Bundesrepublik Deutschland durchzuführen.
Die derzeitige Sachlage zeigt, dass der georgische Staat nicht durchgehend willens und fähig ist, Übergriffe durch Dritte effektiv auszuschließen. Dies wird sowohl unter dem Aspekt des Flüchtlingsschutzes (§§ 3 Abs. 1 Nr. 1, 3 b Abs. 1 Nr. 4, 3 c Nr. 3 AsylG), des subsidiären Schutzes (§ 4 Abs. 1 Nr. 2 und Nr. 3 AsylG), als auch mit Blick auf den Schutz der sexuellen Identität des Klägers (§ 60 Abs. 5 AufenthG i.v.m. Art. 8 EMRK, vgl. Meyer-Ladewig, Europäische Menschenrechtskonvention, 4. Aufl. 2017, Art. 8, Rn. 26 sowie Art. 3, Rn. 9) zu betrachten sein.
Es ist zwar grundsätzlich davon auszugehen, dass die Frage der geschlechtlichen Identität und der erniedrigenden Behandlung bei fehlender Schutzbereitschaft des georgischen Staates bereits im Rahmen des Verfahrens im Königreich Schweden thematisiert worden sind. Die zum Zeitpunkt der Entscheidung maßgebliche Sachlage hat sich aber aufgrund der zwischenzeitlich eingeleiteten geschlechtsangleichenden Therapie jedoch nachträglich verändert. Das Gericht ist insoweit der Überzeugung, dass dem Kläger durch die Folgen aus der fortgeschrittenen Behandlung das Anders-Sein „quasi ins Gesicht geschrieben“ steht. Dies ist insbesondere vor dem Hintergrund der Aussage des Lageberichts zu sehen, wonach LGBTI-Personen häufig gezwungen sind ihre sexuelle Identität zu verbergen. Angesichts der Lage in Georgien wird das Bundesamt die Frage zu beurteilen haben, ob der Staat Georgien auch außerhalb von Großereignissen der LGBT-Gemeinde willens und in der Lage ist, einzelne Personen vor den Übergriffen Dritter zu schützen, bzw. ob solche Übergriffe auch in den größeren Bevölkerungszentren zu befürchten sind oder ob es möglicherweise sogar geschützte Bereiche für Transgender-Personen gibt.
3. Die Verletzung des Klägers in eigenen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO) ergibt sich vorliegend in seinem Anspruch auf Durchführung eines Asylverfahrens, der ihm in rechtswidriger Weise verweigert wurde.
III.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 155 Abs. 1 VwGO, die Gerichtskostenfreiheit aus § 83 b AsylG. Für eine Abweichung vom Gegenstandswert des § 30 RVG liegen keine Gründe vor.


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