Verwaltungsrecht

Beihilfeleistung für die 4D-Wirbelsäulenanalyse

Aktenzeichen  14 ZB 15.1439

Datum:
18.4.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2016, 48814
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 117 Abs. 5, § 124 Abs. 2 Nr. 1 u. 5, § 124a Abs. 4 S. 4

 

Leitsatz

Verfahrensgang

RO 8 K 15.614 2015-05-26 Ent VGREGENSBURG VG Regensburg

Tenor

I.
Die Berufung wird zugelassen, soweit das Verwaltungsgericht die Verpflichtungsklage hinsichtlich der mit Antrag vom 19. Januar 2015 beantragten Beihilfeleistung für die 4D-Wirbelsäulenanalyse (GOÄ-Nr. 5378) abgewiesen hat.
II.
Im Übrigen wird der Antrag auf Zulassung der Berufung abgelehnt. Insoweit trägt der Kläger die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III.
Der Streitwert für den erfolglosen Teil des Zulassungsverfahrens wird auf 361,87 Euro festgesetzt.

Gründe

Der zulässige Antrag des Klägers, die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts zuzulassen, ist nur teilweise begründet.
Der Zulassungsantrag richtet sich gegen das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts Regensburg vom 26. Mai 2015, mit dem dieses die Verpflichtungsklage des Klägers auf Gewährung von Beihilfe für eine bei seiner berücksichtigungsfähigen Tochter von einem Facharzt für Orthopädie durchgeführte 4D-Wirbelsäulenanalyse, für die in diesem Zusammenhang in Rechnung gestellte GOÄ-Nr. 4 (Erhebung der Fremdanamnese über einen Kranken und/oder Unterweisung und Führung der Bezugsperson(en) im Zusammenhang mit der Behandlung eines Kranken), die GOÄ-Nr. 624 (analog), 652A, 842 (analog) und 826 sowie für ärztlich verordnete sensomotorische Einlagen abgewiesen hat. Zur Begründung hat sich das Verwaltungsgericht durch Verweisung auf die Begründung des Bescheids des Beklagten vom 13. Februar 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 24. März 2015 der Auffassung des Beklagten angeschlossen (vgl. § 117 Abs. 5 VwGO), der Kläger könne keine Beihilfe für die streitgegenständlichen Aufwendungen beanspruchen. Ergänzend hat es ausgeführt, es teile hinsichtlich der 4D-Wirbelsäulenanalyse die Auffassung des Beklagten, dass es sich um ein spezielles Verfahren handele, für das bisher der Nachweis einer medizinischen Notwendigkeit nicht erbracht worden sei. Zutreffend gehe die Beihilfestelle auch davon aus, dass hier die GOÄ-Nr. 4 nicht in Ansatz gebracht werden könne, weil die Erhebung einer Anamnese bei (nicht behinderten) Kindern mit GOÄ-Nr. 7 abgerechnet werde. Die Aufwendungen für sensomotorische Einlagen seien nicht beihilfefähig, weil es insoweit an der wissenschaftlichen Anerkennung der Behandlungsmethode fehle, wie das Verwaltungsgericht Wiesbaden überzeugend in seinem Urteil vom 26. Februar 2015 – 3 K 949/14.Wi – ausgeführt habe.
I.Der Antrag ist unbegründet, soweit sich der Kläger gegen die Abweisung seiner Klage auf Gewährung weiterer Beihilfeleistungen für die mit Beihilfeantrag vom 19. Januar 2015 für seine Tochter aufgrund der Rechnung des behandelnden Facharztes für Orthopädie vom 15. Januar 2015 geltend gemachten Leistungen nach GOÄ-Nr. 4, 624 (analog), 652A, 842 (analog) und 826 sowie die ebenfalls für seine Tochter hergestellten sensomotorischen Einlagen (Rechnung vom 5.1.2015) richtet. Insoweit liegt keiner der geltend gemachten Zulassungsgründe nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 und 5 VwGO vor bzw. sind diese Zulassungsgründe nicht in einer den Anforderungen des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO genügenden Art und Weise dargelegt.
1. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils i. S. d. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO insoweit liegen nicht vor.
Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit i. S. d. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO sind anzunehmen, wenn in der Antragsbegründung ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt werden (vgl. etwa BVerfG, B.v. 10.9.2009 – 1 BvR 814/09 – NJW 2009, 3642) und die Zweifel an der Richtigkeit einzelner Begründungselemente auf das Ergebnis durchschlagen (BVerwG, B.v. 10.3.2004 – 7 AV 4.03 – DVBl 2004, 838/839). Schlüssige Gegenargumente in diesem Sinne liegen dann vor, wenn der Rechtsmittelführer substantiiert rechtliche oder tatsächliche Umstände aufzeigt, aus denen sich die gesicherte Möglichkeit ergibt, dass die erstinstanzliche Entscheidung im Ergebnis unrichtig ist (vgl. BVerfG, B.v. 20.12.2010 – 1 BvR 2011/10 – NVwZ 2011, 546/548). Welche Anforderungen an Umfang und Dichte der Darlegung zu stellen sind, hängt wesentlich von der Intensität ab, mit der die Entscheidung begründet worden ist (Happ in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 124a Rn. 64 m. w. N.).
a) Der Kläger wendet gegen die Ablehnung der Beihilfefähigkeit der mit GOÄ-Nr. 4 abgerechneten Leistungen des Orthopäden ein, das Verwaltungsgericht übergehe bei seiner Begründung den Beschluss des Ausschusses „Gebührenordnung“ der Bundesärztekammer vom 21. Mai 1996, auf den er bereits vor dem Verwaltungsgericht hingewiesen habe. Mit diesem Vorbringen hat er keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils dargetan.
Dem in der Antragsbegründung zitierten Beschluss ist zu entnehmen, dass die Nummern 4 und 1 der Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) nur dann nicht nebeneinander berechenbar seien, wenn sich sämtliche Bestandteile der Legenden zu den Nummern 1 und 4 (Anamnese, Beratung, Fremdanamnese, Unterweisung) an ein und dieselbe Person richteten, wie dies z. B. der Fall sei bei Mutter und Kleinkind oder Betreuer und schwerst kommunikationsgestörten Patienten. In allen anderen Fällen sei die Nebeneinanderberechenbarkeit möglich. Durch den Inhalt dieses Beschlusses werden die Ausführungen des Beklagten im Widerspruchsbescheid vom 24. März 2015, die Anamnese und Besprechung des Krankheitsbilds in Zusammenarbeit mit den Angehörigen oder anderen Bezugspersonen könne nur dann abgerechnet werden, wenn diese schwierig und aufwendig seien, nicht in Zweifel gezogen. Denn der Beschluss zeigt zwar auf, wann GOÄ-Nr. 4 neben GOÄ-Nr. 1 nicht abgerechnet werden kann, und stellt darüber hinaus klar, dass eine gemeinsame Berechnung beider GOÄ-Nummern möglich ist. Er verhält sich hingegen nicht dazu, wann GOÄ-Nr. 4 und GOÄ-Nr. 1 unter Berücksichtigung des Zielleistungsprinzips, wonach ausschließlich „selbstständige Leistungen“ ohne gebührenwirksame inhaltliche Überschneidungen „nebeneinander“ berechnet werden dürfen (vgl. Klakow-Franck zitiert in: Hermanns/Filler/Roscher, GOÄ, 4. Aufl. 2010, § 4), gemeinsam abgerechnet werden können. Ob eine Abrechnung von GOÄ-Nr. 4 neben GOÄ-Nr. 1 möglich ist, ist im konkreten Einzelfall unter Berücksichtigung des medizinischen Sachverhalts zu beurteilen (vgl. Hermanns/Filler/Roscher a. a. O. GOÄ-Nr. 4). Hierauf hat das Verwaltungsgericht durch Bezugnahme auf die Ausführungen des Beklagten gemäß § 117 Abs. 5 VwGO im Kern zu Recht hingewiesen. Denn es entspricht – was der Beklagte zutreffend ausgeführt hat – der Begründung der Bundesregierung zur 4. Änderungsverordnung zur GOÄ, durch GOÄ-Nr. 4 den entsprechenden Mehraufwand bei der Anamnese und Besprechung des Krankheitsbilds in Zusammenarbeit mit Angehörigen oder anderen Bezugspersonen zu berücksichtigen. Der Gesetzesbegründung ist somit die Motivation des Gesetzgebers zu entnehmen, mit GOÄ-Nr. 4 besonders aufwendige Fremdanamnesen und Besprechungen mit Bezugspersonen abzugelten (vgl. Hermanns/Filler/Roscher a. a. O. GOÄ-Nr. 4). Weder dem zitierten Beschluss noch der weiteren Antragsbegründung sind jedoch Gründe dafür zu entnehmen, die eine Abrechnung der GOÄ-Nr. 4 neben der GOÄ-Nr. 1 bzw. GOÄ-Nr. 7 bei der im Behandlungszeitpunkt 13jährigen Tochter des Klägers ausnahmsweise rechtfertigen würden.
b) Hinsichtlich der Ablehnung der Beihilfefähigkeit der mit Rechnung des behandelnden Orthopäden vom 15. Januar 2015 geltend gemachten GOÄ-Nr. 624 (analog), 652A, 842 (analog) und 826 hat der Kläger keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils dargelegt.
Durch Bezugnahme gemäß § 117 Abs. 5 VwGO hat sich das Verwaltungsgericht die Begründung des Beklagten zu Eigen gemacht hat, ein Teil der in der streitgegenständlichen Rechnung aufgeführten (und analog angewendeten) GOÄ-Nummern könne bereits deshalb nicht als beihilfefähig anerkannt werden, da sie in dem Verzeichnis der Analogbewertungen überhaupt nicht aufgeführt bzw. die Analogabrechnungen nur für eine andere Behandlung „geöffnet“ seien. Zu der Richtigkeit dieser Begründung verhält sich der Kläger in seiner Antragsbegründung nicht. Er kommt daher insoweit bereits seinen ihm nach § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO obliegenden Darlegungspflichten nicht nach.
c) Das Zulassungsvorbringen des Klägers hinsichtlich der Ablehnung von Beihilfe für die für seine Tochter hergestellten sensomotorischen Einlagen genügt den Darlegungsanforderungen des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO ebenfalls nicht.
Darlegen bedeutet, unter substantiierter Auseinandersetzung mit dem angefochtenen Urteil fallbezogen zu erläutern, weshalb die Voraussetzungen des geltend gemachten Zulassungsgrunds im Streitfall vorliegen sollen (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 21. Aufl. 2015, § 124a Rn. 49). Eine tatsachengestützte Darlegung, inwiefern die Begründung des Verwaltungsgerichts rechtlich zweifelhaft sein soll, lässt der Vortrag des Klägers vermissen.
Das Verwaltungsgericht hat sich durch Bezugnahme gemäß § 117 Abs. 5 VwGO auch die Begründung des Beklagten zur Ablehnung des klägerischen Anspruchs auf Beihilfe für die sensomotorischen Einlagen zu Eigen gemacht. Der Beklagte hatte hierzu im Widerspruchsbescheid vom 24. März 2015 ausgeführt, Voraussetzung und Umfang der Beihilfefähigkeit für die Aufwendungen der sensomotorischen Einlagen bestimmten sich nach Anlage 3 zu § 21 Abs. 1 BayBhV. Im dortigen Positivkatalog seien orthopädische Einlagen-Sonderanfertigungen – MedReflexx – nicht aufgeführt. Derartige Einlagen seien „medizinisch durchaus möglich, aber medizinisch nicht zwingend erforderlich“, da durch normale Einlagenanfertigungen eine ausreichende Behandlung erfolgen könne. Darüber hinaus hat das Verwaltungsgericht die Ablehnung des klägerischen Anspruchs – im Sinne einer Mehrfachbegründung – kumulativ darauf gestützt, die Aufwendungen für sensomotorische Einlagen seien nicht beihilfefähig, weil es insoweit an der wissenschaftlichen Anerkennung dieser Behandlungsmethode fehle. Ist die verwaltungsgerichtliche Entscheidung – wie vorliegend – auf mehrere selbstständig tragende Begründungen gestützt, so ist die Berufung nur zuzulassen, wenn hinsichtlich jeder dieser Begründungen ein Berufungszulassungsgrund aufgezeigt wird und vorliegt (st. Rspr., vgl. z. B. BayVGH, B.v. 8.1.2014 – 15 ZB 12.1236 – juris Rn. 7 m. w. N.). Wenn nur bezüglich einer Begründung ein Zulassungsgrund gegeben ist, kann diese Begründung nämlich hinweg gedacht werden, ohne dass sich der Ausgang des Verfahrens ändert (vgl. BVerwG, B.v. 27.8.2013 – 4 B 39.13 – BauR 2013, 2011 Rn. 2).
Mit der vom Verwaltungsgericht übernommenen – selbstständig tragenden – Begründung des Beklagten, sensomotorische Einlagen seien bereits wegen § 21 BayBhV nicht beihilfefähig, hat sich der Kläger nicht auseinandergesetzt. Denn seine diesbezüglichen Ausführungen beziehen sich ausschließlich auf die Frage, ob es sich um eine wissenschaftlich allgemein anerkannte Behandlungsmethode handelt. Die Berufung ist daher bereits aus diesem Grund nicht zuzulassen. Ob sein Vortrag, die Behandlung der Tochter mit sensomotorischen Einlagen sei eine wissenschaftlich anerkannte Behandlungsmethode, die Zulassung der Berufung rechtfertigen würde, kommt es nicht an.
2. Die Berufung gegen das angefochtene Urteil ist auch nicht nach § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO zuzulassen. Soweit der Kläger im Hinblick auf die Ablehnung der Beihilfefähigkeit sensomotorischer Einlagen – denn nur insoweit macht der Kläger Verfahrensfehler im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO geltend – einen Verstoß des Verwaltungsgerichts gegen die diesem nach § 86 Abs. 1 VwGO obliegende Amtsermittlungspflicht rügt, kann er nicht durchdringen.
Wie unter 1. c) ausgeführt hat sich das Verwaltungsgericht selbstständig tragend der Ansicht des Beklagten angeschlossen, sensomotorische Einlagen seien als orthopädische Einlagen-Sonderanfertigungen nicht im Positivkatalog der Anlage 3 zu § 21 Abs. 1 BayBhV aufgeführt. Ob diese Begründung zutreffend ist, ist keiner Beweiserhebung zugänglich, sondern auf der Grundlage der im Zeitpunkt des Entstehens der Aufwendungen geltenden Beihilfebestimmungen zu beurteilen. Nach der maßgeblichen Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts kam es daher letztlich nicht auf die medizinische Notwendigkeit einer Behandlung durch sensomotorische Einlagen an. Ein Aufklärungsmangel kann folglich bereits aus diesem Grunde nicht vorliegen.
Nach alledem war der Antrag auf Zulassung der Berufung insoweit abzulehnen. Der Kläger hat gemäß § 154 Abs. 2 VwGO die Kosten des erfolglosen Teils des Zulassungsverfahrens zu tragen.
Die Streitwertfestsetzung für den erfolglosen Teil des Zulassungsverfahrens folgt aus §§ 47, 52 Abs. 3 Satz 1 GKG.
Dieser Teil I des Beschlusses ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).
II.Der Antrag ist begründet, soweit sich der Kläger gegen die Abweisung seiner Verpflichtungsklage auf Gewährung von Beihilfeleistungen für Aufwendungen für die 4D-Wirbelsäulenanalyse (GOÄ-Nr. 5378) richtet. Insoweit liegt der Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) vor. Im Berufungsverfahren wird zu prüfen sein, ob die Aufwendungen für die bei der Tochter des Klägers durchgeführte Untersuchung medizinisch notwendig im Sinne des § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BayBhV sind (vgl. die Stellungnahme des behandelnden Facharztes vom 24.2.2015).


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