Verwaltungsrecht

Berufungszulassung zur Klärung der Frage der Rückkehrgefährdung syrischer Asylbewerber wegen illegaler Ausreise und Asylantragstellung

Aktenzeichen  21 ZB 16.30235

Datum:
22.9.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2016, 106575
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 3, § 3a, § 78 Abs. 3

 

Leitsatz

1 Die Annahme, syrische Asylbewerber unterlägen aktuell bereits aufgrund ihrer illegalen Ausreise und/oder der Asylantragstellung in der Bundesrepublik Deutschland der Gefahr, bei einer Rückkehr nach Syrien Verfolgungsmaßnahmen nach § 3a AsylG ausgesetzt zu sein, ist zweifelhaft und rechtfertigt die Berufungszulassung wegen grundsätzlicher Bedeutung nach § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG. (red. LS Clemens Kurzidem)
2 Tatsächliche Erkenntnisse zur Rückkehrgefährdung syrischer Asylbewerber, die vier Jahre oder älter sind, besitzen aufgrund der seither eingetretenen Entwicklungen keinen nennenswerten Aussagegehalt mehr. (red. LS Clemens Kurzidem)

Verfahrensgang

RO 11 K 16.31104 2016-08-02 Urt VGREGENSBURG VG Regensburg

Tenor

I. Die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 2. August 2016 wird zugelassen.
II. Die Kostenentscheidung bleibt der Berufungsentscheidung vorbehalten.
III. Dem Kläger wird für das Berufungsverfahren Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt A., 9. R., bewilligt.

Gründe

Die Berufung ist auf Antrag der Beklagten wegen einer grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG) zuzulassen.
1. Die angefochtene Entscheidung beruht im Wesentlichen auf folgenden Feststellungen des Verwaltungsgerichts: Der syrische Staat betrachte gegenwärtig das Stellen eines Asylantrags im Zusammenhang mit einer (illegalen) Ausreise und dem entsprechenden Aufenthalt im westlichen Ausland als Anknüpfung und Ausdruck einer politisch missliebigen Gesinnung und damit als Kritik am herrschenden System, die das Gebot der Loyalität ihm gegenüber verletze. Ein solches Verhalten werde – ungeachtet einer tatsächlichen oppositionellen Haltung des Einzelnen – vom syrischen Staat generell und unterschiedslos als Ausdruck regimefeindlicher Gesinnung aufgefasst. Zumindest Rückkehrer aus dem westlichen Ausland und damit auch aus Deutschland hätten in der Regel mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit in Anknüpfung an ihre tatsächliche oder wohl zumeist nur vermutete politische Überzeugung mit Verfolgungsmaßnahmen im Sinn des § 3a AsylG zu rechnen.
Die Beklagte hat mit ihrem Zulassungsantrag zutreffend dargelegt, dass diese Feststellungen im Wesentlichen auf Erkenntnissen fußen, die vor mehr als vier Jahren gewonnen wurden. Angesichts der seitdem eingetretenen und im Zulassungsantrag aufgezeigten Entwicklungen sind diese Erkenntnisse derart in Frage gestellt, dass die vom Verwaltungsgericht im Rahmen einer Gesamtschau vorgenommene Gefährdungsprognose wesentlich auf Vermutungen beruht. Das gilt umso mehr, als das Auswärtige Amt, worauf die Beklagte zutreffend verweist, mit der auch vom Verwaltungsgericht herangezogenen Auskunft der Botschaft Beirut vom 3. Februar 2016 unter anderem mitgeteilt hat: „Dem Auswärtigen Amt liegen keine Erkenntnisse dazu vor, dass ausschließlich aufgrund des vorausgegangenen Auslandsaufenthalts Rückkehrer nach Syrien Übergriffe/Sanktionen zu erleiden haben. Allerdings sind Fälle bekannt, bei denen Rückkehrer nach Syrien befragt, zeitweilig inhaftiert oder dauerhaft verschwunden sind. Dies steht überwiegend in Zusammenhang mit oppositionsnahen Aktivitäten (beispielsweise Journalisten oder Menschenrechtsverteidigern) oder in Zusammenhang mit einem nicht abgeleisteten Militärdienst. Dies entspricht auch den Erkenntnissen von Menschenrechtsorganisationen, mit denen das Auswärtige Amt bzw. die Botschaft Beirut zusammen arbeitet.“ Im Übrigen enthalten auch die vom Verwaltungsgericht herangezogenen „UNHCR-Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen“ (November 2015) nichts, was konkret für die der angefochtenen Entscheidung zugrunde liegende Rückkehrgefährdung sprechen könnte.
Das Berufungsverfahren gibt dem Senat Gelegenheit, die in der obergerichtlichen Rechtsprechung nicht einheitlich beantwortete Frage zu klären, ob für syrische Asylbewerber im Fall ihrer Rückkehr in die Arabische Republik Syrien allein wegen der (illegalen) Ausreise und/oder der Asylantragstellung sowie des Aufenthalts im westlichen Ausland die begründete Furcht vor Verfolgung wegen eines verfolgungsrelevanten Merkmals besteht (vgl. etwa bejahend VGH BW, B.v. 19.6.2013 – A 11 S. 927.13 – juris; HessVGH, B.v. 27.1.2014 – 3 A 917/13.Z.A. – juris; verneinend OVG NW, B.v. 13.2.2014 – 14 A 215.14 – juris).
2. Wird die Berufung zugelassen, gehören die Kosten des Zulassungsverfahrens zu den Kosten des Berufungsverfahrens, so dass es im Zulassungsbeschluss keiner Kostenentscheidung bedarf (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 124a Rn. 90).
3. Dem Kläger ist gem. § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1, § 119 Abs. 1 ZPO Prozesskostenhilfe zu gewähren.
Nach der im verwaltungsgerichtlichen Verfahren vorgelegten Erklärung über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse ist der Kläger nicht in der Lage, die Kosten der Prozessführung aufzubringen. Da der Gegner das Rechtsmittel eingelegt hat, ist nicht zu prüfen, ob die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg hat.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG, § 152 VwGO).


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