Verwaltungsrecht

Bescheid, Unterkunft, Untersagung, Mietvertrag, Festsetzung, Kostenentscheidung, Vollstreckung, Aufhebung, Mietminderung, Unterbringung, Verfahren, Klage, Wohnung, Zuweisungsentscheidung, Kosten des Verfahrens, Zeitpunkt des Erlasses, ohne Rechtsgrund

Aktenzeichen  RO 4 K 20.3237, RO 4 K 20.3241, RO 4 K 20.3239

Datum:
9.8.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 49494
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Regensburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Tenor

I. Das Verfahren wird eingestellt, soweit es die Beteiligten in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt haben.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Soweit die Beteiligten die Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt haben, war das Verfahren einzustellen (§ 161 VwGO i.V.m. § 92 Abs. 3 VwGO analog). Im Übrigen war die Klage abzuweisen, weil sie zulässig, aber nicht begründet ist.
I. Soweit sich die Klage gegen die Erhebung eines Nutzungsentgelts in Nr. 4 des Bescheides vom 1.12.2020 richtet, ist sie zulässig, aber nicht begründet. Insoweit ist der Bescheid der Beklagten vom 1.12.2020 rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Rechtsgrundlage für die Festsetzung eines Nutzungsentgelts bilden die §§ 812 ff. des Bürgerlichen Gesetzbuchs – BGB analog, die im vorliegenden Fall Anwendung finden (dazu 1.1) und deren Voraussetzungen hier vorliegen (dazu 1.2). Auch die Höhe des Nutzungsentgelts ist nicht zu beanstanden (dazu 1.3).
1.1 Die §§ 812 ff. BGB sind vorliegend analog anwendbar (BayVGH, U.v. 14.8.1990 – 21 B 90.00335 – juris m.w.N.; ebenso VG Ansbach, U.v. 27.8.2009 – AN 5 K 09.01321 – juris).
a) Das entscheidende Gericht teilt nicht die in der obergerichtlichen Rechtsprechung vertretene Auffassung, dass es sich selbst bei einer einmaligen Zuweisung von Räumen als Obdachlosenunterkunft bei dieser um eine öffentliche Einrichtung handelt, für die das Entgelt ausschließlich auf der Grundlage einer kommunalen Satzung erhoben werden könnte, so dass im Kommunalabgabenrecht eine abschließende Sonderregelung zu sehen wäre, welche den Rückgriff auf die bereicherungsrechtlichen Vorschriften ausschlösse (so aber OVG Lüneburg, U.v. 25.3.2004 – 11 LC 333/03, juris, Rn. 38).
Dieser Ansatz überzeugt schon deshalb nicht, weil der Begriff der „öffentlichen Einrichtung“ im Sinne der Gemeindeordnung – GO -, alle Einrichtungen bezeichnet, die im Rahmen des öffentlich-rechtlichen Wirkungskreises der Gemeinde ausdrücklich oder konkludent durch einen gemeindlichen Widmungsakt zum externen Gebrauch der Öffentlichkeit (Allgemeinheit) zur Verfügung gestellt und im öffentlichen Interesse unterhalten werden (vgl. Widtmann/Grasser/Glaser, 31. EL März 2021, BayGO Art. 21 Rn. 4). Auf den vorliegenden Fall passt diese Definition schon deshalb nicht, weil gerade keine Benutzungsmöglichkeit über die konkrete Zuweisung hinaus eröffnet werden soll, sondern durch die Gemeinde im Rahmen der sicherheitsrechtlichen Aufgabenzuweisung lediglich in einem Einzelfall und ausschließlich für einen begrenzten Zeitraum eine konkrete Gefahr beseitigt wird. Somit liegt schon nach dem allgemeinen Sprachgebrauch keine öffentliche Einrichtung vor. Im Übrigen würde es auch an einem entsprechenden gemeindlichen Widmungsakt fehlen.
Selbst wenn man dies anders beurteilen würde, wäre nicht nachvollziehbar, weshalb aus der Möglichkeit der Gemeinden, für die Benutzung ihrer öffentlichen Einrichtungen nach Art. 8 Kommunalabgabengesetz – KAG – Benutzungsgebühren zu erheben, die Schlussfolgerung gezogen werden könnte, dass ein Rückgriff auf bereicherungsrechtliche Vorschriften ausgeschlossen sein soll.
Eine Umgehung der Vorschriften des KAG ergibt sich zudem auch schon deshalb nicht, weil die Beklagte für den anzusetzenden Wertersatz nur das übliche Entgelt für die Überlassung gleichwertiger Unterkünfte in Rechnung stellen kann und sich die „Nutzungsgebühr“ deshalb im untersten Rahmen wiederfinden wird (VG Ansbach, U.v. 27.8.2009,a.a.O., Rn. 20).
Ein anderes Ergebnis wäre schließlich auch in der Praxis kaum umsetzbar, weil Gemeinden für jeden möglicherweise vorübergehend als Obdachlosenunterkunft nutzbaren Raum quasi vorbeugend eine Gebührensatzung erlassen müssten.
b) Eine analoge Anwendung der §§ 812 ff. BGB ist vielmehr möglich, weil eine planwidrige Regelungslücke und eine vergleichbare Sach- und Interessenlage vorliegt. Insbesondere ist hier der allgemeine Rechtsgedanke einschlägig, dass derjenige, der durch Leistung eines anderen oder in sonstiger Weise auf dessen Kosten etwas ohne rechtlichen Grund erlangt hat, zur Herausgabe des Erlangten oder, wenn dies nicht möglich ist, zum Wertersatz (analog § 818 Abs. 2 BGB) verpflichtet ist (ebenso BayVGH, U. v. 14.8.1990, a.a.O., Rn. 21).
1.2 Der angefochtene Bescheid ist auch formell und materiell rechtmäßig.
a) Entgegen der Rechtsauffassung der Klägerin enthält der Bescheid hinsichtlich der angefochtenen Nr. 4 eine den Erfordernissen von Art. 39 Abs. 1 S. 1 BayVwVfG entsprechende Begründung. Der Bescheid nennt als Grundlage für die Anordnung in Nr. 4 die einschlägige Rechtsgrundlage (§ 812 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 BGB analog) und führt erklärend aus, dass der durch die Benutzung der Unterkunft entstandene „Werteverzehr“ erhoben werden soll. Dies erachtet das Gericht als (noch) ausreichend.
b) Die tatbestandlichen Voraussetzungen von § 812 Abs. 1 Satz 1 BGB analog liegen vor. Nach dieser Vorschrift ist derjenige, der durch die Leistung eines anderen oder in sonstiger Weise auf dessen Kosten etwas ohne rechtlichen Grund erlangt, ihm zur Herausgabe des Erlangten oder, wenn dies nicht möglich ist, zum Wertersatz (analog § 818 Abs. 2 BGB) verpflichtet.
Die Klägerin hat sich für den Zeitraum der Zuweisung vom 1.12.2020 bis 31.12.2020 durch die Leistung der Beklagten Aufwendungen für eine anderweitige Unterkunft erspart. Insoweit hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof darauf hingewiesen, dass die ungerechtfertigte Ersparnis sonst nötiger Aufwendungen, zu der der Gebrauch der Sache eines Dritten führt, eine Bereicherung darstellt, die der Eigentümer der Sache von dem Benutzer nach § 812 Abs. 1 Satz 1 BGB im Hinblick auf den das gesamte Bereicherungsrecht bestimmenden Grundsatz eines gerechten Vermögensausgleichs für sachlich nicht gerechtfertigte Vermögensverschiebungen zurückfordern kann (BayVGH, U.v. 14.8.1990, a.a.O., Rn. 21).
Die Klägerin hat diesen Vorteil auch ohne Rechtsgrund erlangt. Ein Mietvertrag wurde zwischen den Beteiligten nicht abgeschlossen. Die im Bescheid getroffene Zuweisungsentscheidung stellt keinen Rechtsgrund dar, weil der oben dargestellte Vorteil sich nicht mit dem Besitz der Wohnung deckt, den die Zuweisungsentscheidung der Klägerin verschafft hat, sondern sich erst aus ihrer Nutzung ergibt (vgl. BayVGH, U.v. 14.8.1990, a.a.O.), so dass der Beklagten dem Grunde nach der geltend gemachte Anspruch zusteht.
1.3 Auch die Höhe des Nutzungsentgelts ist aus Sicht des Gerichts nicht zu beanstanden. Die Klägerin hat selbst in der mündlichen Verhandlung angegeben, dass ihr und ihren Kindern ein Gastzimmer mit Nebenraum, Küche und sanitären Anlagen mit einer Fläche von geschätzt ca. 100 m² zur alleinigen Nutzung zur Verfügung gestellt worden sei. Wenn die Beklagte hierfür einen Bemessungssatz von 300,- € zuzüglich 150,- € für Nebenkosten angesetzt hat, entspricht dies für die Nutzung der Räume ca. 3,- € pro m² bzw. incl. Nebenkosten 4,50 € pro m². Dass sich ein solcher Bemessungssatz – auch unter Berücksichtigung des vorgetragenen einfachen Standards – deutlich unterhalb einer in Hirschbach ortsüblichen Miete bewegt, bedarf keiner weiteren Sachaufklärung.
1.4 Die Klägerin kann auch keine „Mietminderung“ geltend machen. Ungeachtet dessen, dass die Einschätzung der Klägerin, die Wohnung sei „völlig desolat und unbewohnbar“ gewesen, lediglich ihren subjektiven Eindruck widerspiegelt, scheidet eine Mietminderung schon deshalb aus, weil kein Anspruch aus Mietvertrag sondern aus § 812 Abs. 1 Satz 1 BGB analog vorliegt.
Die geltend gemachten Mängel führen auch nicht dazu, dass der Wert des Erlangten zu hoch bemessen wäre. In diesem Zusammenhang weist das Gericht darauf hin, dass sich die Anforderungen an die zu stellende Unterkunft danach richten, was zur Abwendung der drohenden Gefahr erforderlich ist, so dass es unter Berücksichtigung der humanitären Zielsetzung des Grundgesetzes ausreichend ist, wenn obdachlosen Personen eine Unterkunft zugewiesen wird, die vorübergehend Schutz vor den Unbilden des Wetters bietet und Raum für die notwendigen Lebensbedürfnisse lässt, so dass eine weitgehende Einschränkung der Wohnansprüche hinzunehmen ist, wobei die Grenze dort liegt, wo die Anforderungen an eine menschenwürdige, das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit achtende Unterbringung nicht mehr eingehalten ist (vgl. Schenk in Bengl/Berner/Emmerig, LStVG, Stand: Oktober 2019, Art. 7, Rn. 184 m.w.N.).
Das Gericht folgt nicht der Auffassung der Klägerseite, die Unterkunft sei nicht menschenwürdig gewesen, da sich dies auch unter Zugrundelegung des klägerischen Sachvortrags und Berücksichtigung der vorgelegten Lichtbilder nicht ergibt. Dass nach längerem Leerstand zunächst braunes Wasser aus den Rohren kommt, macht eine Unterkunft ebenso wenig unbewohnbar wie die genannten Mängel bei den sanitären Anlagen. Hierbei ist im Rahmen einer Gesamtbewertung zu berücksichtigen, dass grundsätzlich fraglich ist, ob im Rahmen einer Obdachlosenunterbringung eine eigene Toilette, sowie ein eigenes Bad oder Dusche verlangt werden können (ablehnend BayVGH, U.v.14.8.1990, a.a.O.). Dass die Unterkunft insgesamt gesundheitsgefährdend gewesen wäre, wurde substantiiert nicht vorgetragen. Im Übrigen trifft die Benutzer einer Obdachlosenunterkunft die Obliegenheit, etwaige Mängel der Unterkunft bei der zuständigen Behörde anzuzeigen und Abhilfe zu verlangen (VGH BaWü, B.v. 19.9.2017 – 1 S 1975/17, juris Rn. 4).
II. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus §§ 154 Abs. 1 VwGO, 161 Abs. 2 Satz 1 VwGO. Bei der Kostenentscheidung hinsichtlich der übereinstimmend für erledigt erklärten Anordnungen war zu berücksichtigen, dass die Klage insoweit in der Hauptsache keine Aussicht auf Erfolg gehabt hätte (vgl. R. P. Schenke in Kopp/Schenke, VwGO, 24. Aufl. 2018, § 161 Rn. 16).
III. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit findet ihre Grundlage in § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.


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