Verwaltungsrecht

Beschwerde, Auswahlverfahren, Bewerber, Beurteilungszeitraum, Revision, Zulassungsverfahren, Verbraucherschutz, Berufung, Hochschule, Anlassbeurteilung, Ernennung, Amt, Bewerbungsverfahrensanspruch, Gesamturteil, Aussetzung des Verfahrens, einstweiligen Anordnung, Besorgnis der Befangenheit

Aktenzeichen  6 CE 21.2705

Datum:
1.2.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 2016
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Verfahrensgang

M 5 E 21.1682 2021-10-18 Bes VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Die Ablehnungsgesuche der Antragstellerin gegen den Vorsitzenden Richter S. und die Richterin B2. werden als unzulässig verworfen.
II. Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts München vom 18. Oktober 2021 – M 5 E 21.1682 – wird zurückgewiesen.
III. Die Antragstellerin hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen. Die Beigeladene trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
IV. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 34.121,01 € festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragstellerin ist seit Januar 2005 Richterin am Bundesfinanzhof (Besoldungsgruppe R 6). Sie bewarb sich auf zwei frei werdende Stellen von Vorsitzenden Richter/ innen am Bundesfinanzhof (Besoldungsgruppe R 8) und – mit Schreiben vom 19. Juni 2020 – auf die ebenfalls nachzubesetzenden Stellen der Vizepräsidentin/des Vizepräsidenten des Bundesfinanzhofs (Besoldungsgruppe R 8 mit Amtszulage) sowie der Präsidentin/des Präsidenten des Bundesfinanzhofs (Besoldungsgruppe R 10).
Im Auswahlverfahren um eine Vorsitzendenstelle erstellte der damalige Gerichtspräsident für die Antragstellerin unter dem 20. Juli 2020 eine Anlassbeurteilung bezogen auf den Beurteilungszeitraum 1. Januar 2015 bis 31. März 2020, die mit dem Gesamturteil „ungeeignet“ schließt. Auf dieser Grundlage blieben alle vier Bewerbungen ohne Erfolg. Mit Blick auf das Amt der Vizepräsidentin/des Vizepräsidenten entschied das (damalige) Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz mit Auswahlvermerk vom 16. Februar 2021, von der Ministerin am 22. Februar 2021 gebilligt, die Stelle mit der Beigeladenen zu besetzen.
Nachdem ihr diese und die weiteren negativen Auswahlentscheidungen mitgeteilt worden waren, hat die Antragstellerin beim Verwaltungsgericht am 29. März 2021 um Eilrechtsschutz nachgesucht und beantragt,
„die Antragsgegnerin im Wege des Erlasses einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten, „die beim Bundesfinanzhof (BFH) freien Posten von Vorsitzenden Richter/Innen betreffend den I., den II., den V. und den IX. Senat einstweilen nicht mit anderen Personen (namentlich ) zu besetzen, bevor nicht über jeweils rechtskräftig entschieden und über die Stellenbewerbung der Antragstellerin erneut unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts entschieden worden ist“.
Zur Begründung hat sie im Wesentlichen geltend gemacht, die für sie erstellte Anlassbeurteilung sei aus einer Vielzahl von Gründen rechtswidrig und könne keine tragfähige Grundlage für die Auswahlentscheidungen darstellen. Nach Behebung der Mängel durch eine faire und korrekte Beurteilung dürfe sie mit einer hervorragenden Beurteilung rechnen.
Im Verlauf der – für jedes (Beförderungs-) Amt getrennt geführten – erstinstanzlichen Verfahren, zu denen vom Verwaltungsgericht die jeweils ausgewählten Bewerber beigeladen worden sind, hat die Antragstellerin ohne Erfolg mehrere Befangenheitsanträge gegen die zur Entscheidung berufenen Richterinnen und Richter gestellt, ferner ebenfalls erfolglos die Aussetzung des Verfahrens nach § 94 VwGO beantragt (dazu Senatsbeschluss vom 7.9.2021 – 6 C 21. 2079).
Mit dem hier angegriffenen Beschluss vom 18. Oktober 2021 – M 5 E 21.1682 – hat das Verwaltungsgericht bezogen auf das Amt der Vizepräsidentin/des Vizepräsidenten des Bundesfinanzhofs den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung als unzulässig, jedenfalls aber unbegründet abgelehnt.
Die Antragstellerin hat hiergegen fristgerecht Beschwerde eingelegt, mit der sie ihren erstinstanzlichen Antrag insoweit weiterverfolgt, hilfsweise die Zurückverweisung an das Verwaltungsgericht beantragt und höchsthilfsweise die Aussetzung des Verfahrens begehrt, um dem Gerichtshof der Europäischen Union im Wege des Vorabentscheidungsersuchens näher bezeichnete Fragen vorzulegen. Sie macht geltend, der erstinstanzliche Beschluss leide an schwerwiegenden Verfahrensmängeln und verletze materielles Recht.
Ferner beantragt die Antragstellerin, den Vorsitzenden Richter S. und die Richterin B2. von einer Mitwirkung an dem Verfahren auszuschließen.
Wegen der Einzelheiten wird auf die Beschwerdeschrift, die Gerichtsakten beider Rechtszüge und die von der Antragsgegnerin vorgelegten Verwaltungsvorgänge verwiesen.
II.
1. Die Antragstellerin darf sich im Beschwerdeverfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof selbst vertreten, weil sie als Honorarprofessorin Rechtslehrerin an einer staatlichen Hochschule ist (§ 67 Abs. 4 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 VwGO).
2. Die Ablehnungsgesuche sind als unzulässig zu verwerfen. Darüber entscheidet der Senat in der nach dem Geschäftsverteilungsplan des Gerichts und der senatsinternen Geschäftsverteilung maßgeblichen (Stamm-)Besetzung unter Mitwirkung und ohne dienstliche Äußerung der abgelehnten Richter (vgl. BayVGH, B.v. 15.5.2015 – 6 ZB 15.662; BayVerfGH, E.v. 1.2.2021 – Vf. 98-VII-20 – juris Rn. 8 m.w.N.).
Die Antragstellerin wiederholt und erweitert ihre bereits in früheren Verfahren vorgebrachten Rügen, der Vorsitzende Richter S. sei wegen „Vorbefassung“ und einer Reihe weiterer Gründe insbesondere aufgrund der Verfahrensgestaltung fortgesetzt „individuell und institutionell“ voreingenommen, während Richterin B2. wegen eines verfassungswidrigen Richterwechsels während des laufenden Geschäftsjahrs 2021 kraft Gesetzes ausgeschlossen sei. Diese Rügen sind sowohl einzeln als auch bei einer Gesamtschau weiterhin offensichtlich von vornherein ungeeignet, die Besorgnis der Befangenheit oder einen gesetzlichen Ausschlussgrund zu bilden. Auf die zuletzt ergangenen Senatsbeschlüsse vom 23. November 2021 – 6 CE 21.2768 und 6 CE 21. 2769 – und vom 26. Oktober 2021 – 6 CE 21.2080 – wird verwiesen.
Offensichtlich ungeeignet, die Besorgnis der Befangenheit zu begründen, ist der neue Vorwurf, der Antragstellerin seien im Oktober 2021 „durch die entsprechenden Angehörigen des 6. Senats in abgestimmter Weise bewusst und willentlich“ in engem zeitlichen Zusammenhang so viele Entscheidungen zugestellt worden, dass sie an der ordnungsgemäßen Wahrnehmung ihres effektiven Rechtsschutzes gehindert würde. Die Anzahl der zuzustellenden gerichtlichen Entscheidungen und der Entscheidungszeitpunkt werden durch die Anzahl der Rechtsschutzanträge und die Eilbedürftigkeit der von der Antragstellerin geführten Konkurrentenstreitverfahren vorgegeben. Die Mutmaßung, die „bayerischen Verwaltungsrichter“ könnten sich aus „falsch verstandener Solidarität“ mit einem früheren Kollegen und späteren Richter am Bundesverfassungsgericht „den unter der Amtsführung des … über Jahre hinweg gezielt gegen die Beschwerdeführerin veranlassten sitten- und rechtswidrigen Verfahrensweisen angeschlossen“ haben, entbehrt jeder Grundlage. Inwiefern die „Verlautbarungen“ des Pressesprechers und das an die Antragstellerin gerichtete Schreiben der Präsidentin des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 13. Oktober 2021 die Besorgnis der Befangenheit der abgelehnten Richter begründen soll, ist nicht nachvollziehbar.
3. Die Beschwerde ist zulässig, aber unbegründet.
Die Gründe, die mit der Beschwerde fristgerecht dargelegt worden sind und auf deren Prüfung das Gericht beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Satz 6 i.V.m. Satz 1 und 3 VwGO), rechtfertigen es nicht, dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zu entsprechen.
Die Rüge, der Beschluss des Verwaltungsgerichts leide an einer Vielzahl schwerwiegender Verfahrensmängel, geht von vornherein fehl. Denn das Gesetz sieht für das Rechtsmittel der Beschwerde anders als die Vorschriften über Berufung und Revision kein vorgeschaltetes, etwa von der erfolgreichen Rüge eines Verfahrensfehlers abhängiges Zulassungsverfahren vor. Der Verwaltungsgerichtshof prüft vielmehr als Beschwerdegericht – innerhalb des durch § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO gezogenen Rahmens – den Rechtsfall eigenständig sowohl tatsächlich als auch rechtlich im gleichen Umfang wie das Verwaltungsgericht (vgl. BayVGH, B.v. 26.1.2016 – 6 CE 15.2800 – juris Rn. 15 m.w.N.). Selbst wenn die behaupteten Verfahrensverstöße vorliegen sollten, bestünde kein Grund, die Sache entsprechend § 130 Abs. 2 VwGO an das Verwaltungsgericht zurückzuweisen (vgl. Happ in Eyermann, 15. Aufl. 2019, § 130 Rn. 4).
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung, mit dem die Antragstellerin vorläufig die Ernennung der Beigeladenen zur Vizepräsidentin des Bundesfinanzhofs verhindern will, ist bereits unzulässig, wie das Verwaltungsgericht zu Recht entschieden hat. Der Antragstellerin fehlt das erforderlich Rechtsschutzbedürfnis. Es gelten dieselben Erwägungen, wie für den von der Antragstellerin parallel geführten Konkurrentenstreit um das Präsidentenamt (BayVGH, B.v. 27.9.2021 – 6 CE 21.2082 – Rn. 18 ff. und B.v. 19.10.2021 – 6 CE 21.2552 – Rn. 9 sowie nachfolgend BVerfG, B.v. 16.12.2021 – 2 BvR 2099/21 – Rn. 16 ff.).
Die Antragstellerin hat auch hier im Ausgangs- und im Beschwerdeverfahren ausdrücklich erklärt, dass sie – trotz ihrer Bewerbung vom 19. Juni 2020 – allein das Amt einer Vorsitzenden Richterin am Bundesfinanzhof anstrebt. Um ein solches Amt konkurriert sie aber mit der Beigeladenen nicht. Diese ist von der Antragsgegnerin für das Amt der Vizepräsidentin des Bundesfinanzhofs vorgesehen, also ein anderes Amt im statusrechtlichen Sinn, wie sich aus der unterschiedlichen Amtsbezeichnung (vgl. § 19a Abs. 1 DRiG) und der unterschiedlichen besoldungsrechtlichen Einstufung ergibt (vgl. BayVGH, B.v. 1.2.2022 – 6 CE 21.2696 -). Die Antragstellerin kann ihren durch Art. 33 Abs. 2 GG gewährleisteten Bewerbungsverfahrensanspruch um das Amt einer Vorsitzenden Richterin nur dadurch sichern, dass sie die Ernennung von Mitbewerbern um ein solches von ihr selbst angestrebtes richterliches Statusamt verhindert. Dieses Rechtsschutzziel hat sie etwa in den Beschwerdeverfahren 6 CE 21.2080 und 2081 verfolgt. Ihr steht aber kein Rechtsschutzbedürfnis zur Seite, die Ernennung der Beigeladenen zur Vizepräsidentin zu verhindern, also zu einem anderen und höherwertigen Statusamt, das sie selbst ausdrücklich nicht (mehr) anstrebt. Denn dadurch kann sie ihrem eigenen Rechtsschutzziel, zur Vorsitzenden Richterin ernannt zu werden, nicht näherkommen. Dass auch die Vizepräsidentin den Vorsitz in einem Senat des Bundesfinanzhofs führt, ändert daran entgegen der Ansicht der Beschwerde nichts. Es ist nicht ersichtlich, wie die Antragstellerin – ohne Vizepräsidentin werden zu wollen – auf die mit diesem Amt verbundene Vorsitzendenstelle ernannt werden könnte.
Die Sache ist entscheidungsreif. Für die „höchst hilfsweise“ beantragte Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union besteht kein Anlass.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 und § 162 Abs. 3 VwGO. Es entspricht nicht der Billigkeit, etwaige außergerichtliche Kosten der Beigeladenen für erstattungsfähig zu erklären, weil diese keinen Antrag gestellt und sich damit keinem Kostenrisiko ausgesetzt hat (vgl. § 154 Abs. 3 VwGO).
Die Festsetzung des Streitwerts folgt aus §§ 40‚ 47 Abs. 1 Satz 1‚ § 53 Abs. 2 Nr. 1 GKG sowie § 52 Abs. 1 i.V.m. Abs. 6 Satz 1 Nr. 1‚ Satz 2 bis 4 GKG. Anzusetzen ist danach im Ergebnis ein Viertel der für ein Kalenderjahr in dem angestrebten Amt (Vorsitzende Richterin am Bundesfinanzhof) zu zahlenden Bezüge (BayVGH, B.v. 24.10.2017 – 6 C 17.1429 – BayVBl 2018, 390; hier: 136.484,04 € ./. 4).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO; § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).


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