Verwaltungsrecht

Beschwerde, Duldung, Reiseunfähigkeit, Suizidalität, Ärztliche Bescheinigung

Aktenzeichen  10 CE 21.2473

Datum:
27.9.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 28599
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 146
VwGO § 123 Abs. 1 und 3
ZPO § 920 Abs. 2
AufenthG § 60a Abs. 2 S. 1
AufenthG § 60a Abs. 2c

 

Leitsatz

Verfahrensgang

M 10 E 21.5053 2021-09-27 Bes VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 1.250,- Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Mit seiner heute eingelegten Beschwerde verfolgt der Antragsteller seinen vor dem Verwaltungsgericht erfolglosen Antrag weiter, den Antragsgegner zu verpflichten, seine Abschiebung in den Senegal einstweilen auszusetzen.
Mit Schriftsatz vom 24. September 2021 hat der Antragsteller bei dem Verwaltungsgericht – unter Vorlage ärztlicher Bescheinigungen vom 19. Juli 2019, 25. Januar 2021, 20. Mai 2021 und 24. Juni 2021 sowie eines Entlassungsbriefs über einen Aufenthalt vom 15. Oktober 2019 bis zum 23. Oktober 2019 − beantragt, dem Antragsgegner einstweilen zu untersagen, gegen ihn Abschiebemaßnahmen durchzuführen. Zur Begründung führt er an, dass er seit Jahren in fachärztlicher Behandlung sei und sich nach einem Selbstmordversuch im Jahr 2019 in stationärer Behandlung befunden habe. Die behandelnden Fachärzte hätten weiteren Abklärungsbedarf festgestellt. Es sei Sache der für die Abschiebung zuständigen Ausländerbehörde, das dafür erforderliche Gutachten zu ermöglichen. Dafür bräuchte er aber die Kostenübernahme durch das Sozialamt, das nur bei Erteilung eines Auftrags durch die Ausländerbehörde tätig werde. Die gesetzliche Vermutung des § 60a Abs. 2c AufenthG sei im vorliegenden Fall bereits widerlegt. Eine Abschiebung ohne fachärztliche Begutachtung sei unzulässig, da eine Verletzung von Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG im Raum stehe.
Mit Schreiben vom 26. September 2021 hat der Antragsgegner darauf erwidert, dass die vorgelegten Atteste nicht den Anforderungen an qualifizierte ärztliche Bescheinigungen entsprächen. Außerdem könne sich der Antragsteller wegen der Kostenübernahme an die zuständige Krankenkasse wenden. Etwaigen selbstgefährdenden Handlungen während der geplanten Abschiebemaßnahme würde durch besondere Information aller beteiligten Stellen und eingesetzten Kräfte entgegengewirkt, die Abschiebung selbst würde medizinisch und sicherheitsbegleitet stattfinden.
Ergänzend hat der Antragsteller mit Schriftsatz am 27. September 2021 ausgeführt, dass es im Einzelfall geboten sein könnte, dass erforderliche Hilfen im Heimatland erreicht würden (unter Verweis auf: BVerfG, B.v. 17.9.2014 – 2 BvR 1795/14 – juris Rn. 12 u. VGH BW, B.v. 29.11.2010 – 18 B 910/10 – juris Rn. 13 u. 23).
Mit angegriffenem Beschluss vom 27. September 2021 (um 10.49 Uhr) hat das Verwaltungsgericht den Eilantrag des Antragstellers abgelehnt. Zur Begründung hat es im Wesentlichen angeführt, dass die vom Antragsteller vorgelegten ärztlichen Atteste nicht den Anforderungen an eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung im Sinne des § 60a Abs. 2c Satz 3 AufenthG genügten, teils, weil sie veraltet seien, teils weil ihnen erforderliche Angaben nicht zu entnehmen seien. Im Übrigen sei den fachärztlichen Attesten vom 25. Januar 2021 und vom 20. Mai 2021 keine Feststellung einer Reiseunfähigkeit zu entnehmen, da danach hierfür gerade ein weiteres psychiatrisches Gutachten erforderlich sei. Überdies werde der Antragsteller in den Attesten vom 19. Juli 2019, 25. Januar 2021, 20. Mai 2021 und 24. Juni 2021 als affektiv stabil auf niedrigem Niveau und von akuter Suizidalität glaubhaft distanziert beschrieben. Das Attest vom 24. Juni 2021, wonach eine mögliche erzwungene Rückkehr in den Senegal mit Abbruch der Behandlung und Versorgung zu einer Exazerbation der psychiatrischen Störung führen und im schlimmsten Fall in einen Suizid münden könnte, nähme einen weiteren Zeithorizont in den Blick, als dies für die Prüfung einer Reiseunfähigkeit angezeigt sei. Mangels hinreichender ärztlicher Bescheinigungen bestehe keine weitere Ermittlungspflicht.
Mit Schriftsatz vom 27. September 2021 um 11:45 Uhr hat der Antragsteller hiergegen Beschwerde eingelegt der Sache nach mit dem Antrag,
den Antragsgegner − unter Änderung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts vom gleichen Tag − zu verpflichten, die Abschiebung einstweilen auszusetzen.
Zur Begründung trägt der Antragsteller vor, dass hinsichtlich der konkreten Ausgestaltung der geplanten Abschiebung Bedenken bestünden (unter Verweis auf den erstinstanzlichen „Schriftsatz vom 27.09.2021“).
Hinsichtlich des übrigen Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtssowie die vorgelegte Behördenakte Bezug genommen.
II.
1. Die zulässige Beschwerde ist unbegründet.
Das Vorbringen im Beschwerdeverfahren, auf dessen Überprüfung der Senat nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, rechtfertigt es nicht, eine von dem Beschluss des Verwaltungsgerichts vom heutigen Tag abweichende Entscheidung zu treffen.
Der Antragsteller hat den geltend gemachten Anordnungsanspruch auf Aussetzung der Abschiebung nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG nicht in einer den Anforderungen des § 123 Abs. 1 und 3 VwGO in Verbindung mit § 920 Abs. 2 ZPO genügenden Weise glaubhaft gemacht. Es ist nicht zu beanstanden, dass das Verwaltungsgericht die Voraussetzungen hierfür als nicht erfüllt angesehen hat.
Der Antragsteller hat keine Umstände glaubhaft gemacht, die nahelegen würden, dass die Abschiebung nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG wegen Reiseunfähigkeit (im weiteren Sinne) − insbesondere mit Blick auf die geltend gemachten Bedenken gegen die konkrete Ausgestaltung der Abschiebung − rechtlich unmöglich ist.
Das Beschwerdevorbringen ist unsubstantiiert. Der pauschale Verweis auf erstinstanzliches Vorbringen ohne inhaltliche Auseinandersetzung mit der angegriffenen Entscheidung genügt schon den Darlegungsanforderungen des § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO nicht.
Nichts anderes gilt, wenn man der Beschwerde den Einwand entnehmen wollte, das Verwaltungsgericht habe die − im Rahmen der Prüfung einer Reiseunfähigkeit im weiteren Sinn mit Blick auf § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG in Verbindung mit Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG – von den zuständigen deutschen Behörden und Gerichten von Amts wegen zu beachtenden Vorkehrungen bei der Ausgestaltung der beabsichtigten Abschiebung nicht beachtet und hierbei insbesondere verkannt, dass die im Fall des Antragstellers nach der Ankunft erforderlichen (psychosozialen) Hilfen im Heimatland, darunter gegebenenfalls auch eine Übergabe in eine Therapieeinrichtung (vgl. BVerfG, B.v. 17.9.2014 – 2 BvR 1795/14 – juris Rn. 11 f. m.w.N.), nicht sichergestellt seien. Dieser Einwand greift nicht durch, weil das Verwaltungsgericht entscheidungstragend bereits die konkrete Gefahr einer wesentlichen oder gar lebensbedrohlichen Verschlechterung des Gesundheitszustandes des Antragstellers, insbesondere eine konkrete Suizidgefahr, verneint hat (s.o.), was die Beschwerde auch nicht angreift, und auf die Begleitung der Abschiebung durch medizinisch geschultes Personal und durch Sicherheitskräfte nur ergänzend abgestellt hat (vgl. BA Rn. 33: „gegebenenfalls so zu gestalten, dass einer Suizidgefahr wirksam begegnet werden kann“). Mit all dem setzt sich die Beschwerde nicht hinreichend auseinander.
2. Die Kostenfolge ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO.
3. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1 und 2, § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 2 GKG in Verbindung mit Nrn. 8.3 und 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.
4. Dieser Beschluss ist nach § 152 Abs. 1 VwGO unanfechtbar.


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