Verwaltungsrecht

Beschwerde, Kindernachzug, Aufenthaltserlaubnis, Versagung, Visumverfahren, Unzumutbarkeit der Nachholung

Aktenzeichen  10 CS 21.1076

Datum:
18.6.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 20839
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 146
VwGO § 80 Abs. 5
AufenthG § 32 Abs. 3
AufenthG § 5 Abs. 2 S. 2

 

Leitsatz

Verfahrensgang

M 10 S 21.552 2021-03-22 Bes VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.500,– Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Mit der Beschwerde verfolgt die Antragstellerin ihren vor dem Verwaltungsgericht erfolglosen Eilantrag weiter, die aufschiebende Wirkung ihrer Klage im Zusammenhang mit der Versagung der beantragten Aufenthaltserlaubnis zum Kindernachzug und der angedrohten Abschiebung nach Serbien anzuordnen.
Die am 19. Dezember 2004 geborene Antragstellerin, eine serbische Staatsangehörige, reiste am 20. September 2020 zu ihrem Vater, einem ebenfalls serbischen Staatsbürger, in das Bundesgebiet ein. Dieser hatte sich zuvor im August 2020 bei der zuständigen Ausländerbehörde wegen des Nachzugs von Familienmitgliedern erkundigt und die Auskunft erhalten, dass für einen dauerhaften Aufenthalt von Familienmitgliedern ein Visum benötigt werde und ohne das Durchlaufen des Visumverfahrens ein Aufenthaltstitel im Bundesgebiet nicht beantragt werden könne.
Am 16. Dezember 2020 beantragte die Antragstellerin die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis. Grund für die Einreise sei gewesen, dass die Antragstellerin sich mit ihrer Mutter nicht mehr verstehe, zwischen ihnen ein schweres Zerwürfnis bestehe, die Mutter sie nicht mehr aufnehmen wolle und sie daher bei dem Vater bleiben solle.
Mit Bescheid vom 28. Januar 2021 lehnte der Antragsgegner die Erteilung der beantragten Aufenthaltserlaubnis ab (Nr. 1), führte aus, dass die Antragstellerin verpflichtet ist, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb von 7 Tagen nach Zustellung dieses Bescheides, im Fall der Anordnung der aufschiebenden Wirkung innerhalb von 7 Tagen nach Wiedereintritt der Vollziehbarkeit, zu verlassen (Nr. 2), drohte für den Fall, dass die Antragstellerin der unter Nr. 2 genannten Ausreiseaufforderung nicht fristgerecht nachkommt, die Abschiebung nach Serbien oder in einen anderen Staat an, in den sie einreisen darf oder der zu seiner Rückübernahme verpflichtet ist (Nr. 3) und untersagte für den Fall, dass die Ausreise nicht innerhalb der unter Nr. 2 genannten Frist erfolgt, die Wiedereinreise in das Bundesgebot für ein Jahr (Nr. 4).
Mit Schriftsatz vom 3. Februar 2021 hat die Antragstellerin beantragt, die aufschiebende Wirkung der noch zu erhebenden Klage gegen Nr. 2 des Bescheides des Antragsgegners anzuordnen. Am 11. Februar 2021 hat sie zudem Klage auf Aufhebung des (gesamten) Bescheides des Antragsgegners erhoben.
Mit angegriffenem Beschluss vom 22. März 2021 hat das Verwaltungsgericht den Eilantrag der Antragstellerin abgelehnt. Dabei legte das Verwaltungsgericht das Rechtsschutzbegehren der Antragstellerin dahingehend aus, dass sie mit dem Eilantrag die aufschiebende Wirkung der (den gesamten Bescheid angreifenden) Klage begehrt. In der Sache führt es im Wesentlichen an, dass die Antragstellerin keinen Anspruch auf Erteilung der begehrten Aufenthaltserlaubnis nach § 32 Abs. 3 AufenthG habe. Die Antragstellerin sei entgegen § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG nicht mit dem erforderlichen Visum eingereist, weil sie schon vor der Einreise zu vorgeblich touristischen Zwecken beziehungsweise einem zeitlich beschränkten Besuch ihres Vaters einen Daueraufenthalt beabsichtigt habe. Die Voraussetzungen für ein mögliches Absehen von dem Visumerfordernis gemäß § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG lägen nicht vor, weil § 32 Abs. 3 AufenthG eine Sollvorschrift sei, die keinen strikten Rechtsanspruch verleihe, und Gründe für eine etwaige Unzumutbarkeit weder vorgetragen noch ersichtlich seien.
Mit Schriftsatz vom 9. April 2021 hat die Antragstellerin hiergegen Beschwerde eingelegt mit dem Antrag,
unter Aufhebung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts die aufschiebende Wirkung der Klage gegen Nr. 2 des Bescheides des Antragsgegners anzuordnen.
Zur Begründung trägt die Antragstellerseite vor, dass die Voraussetzungen des § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG erfüllt seien. Dazu bietet sie die Einvernahme der Mutter der Antragstellerin als Zeugin zu dem Zerwürfnis und der fehlenden Rücknahmebereitschaft an. Das Verwaltungsgericht habe den Umstand der fehlenden Rücknahmebereitschaft im Rahmen des Ermessens nicht berücksichtigt. Die Antragstellerin habe nicht entschieden, im Bundesgebiet zu bleiben, sie könne gar nicht anders als bei dem Vater zu bleiben. Dass das Zerwürfnis mit der Mutter der Grund für den Besuch bei dem Vater gewesen sei, bedeute nicht, dass von Anfang an ein Daueraufenthalt geplant gewesen sei. Dies sei eine Vermutung ins Blaue hinein.
Mit Schreiben vom 27. Mai 2021 hat der Antragsgegner beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Zur Begründung weist der Antragsgegner unter anderem darauf hin, dass es an einer Erklärung der Mutter zu der fehlenden Rücknahmebereitschaft fehle, obwohl dafür ohne Weiteres die Möglichkeit bestanden habe, wie auch der Vergleich mit der von ihr abgegebenen Einverständniserklärung nach § 32 Abs. 3 AufenthG zeige. Des Weiteren trägt der Antragsgegner – unter Vorlage eines Auszugs des Bundesverwaltungsamtes vom 2. Juni 2021 – vor, dass die Mutter der Antragstellerin aktuell die Erteilung eines Visums zum Familiennachzug zu dem Vater der Antragstellerin beantragt habe. Die nachweislich geplante Familienzusammenführung untermauere, dass das Vorbringen der Antragstellerin zu einem Zerwürfnis nicht glaubhaft sei.
Mit Schriftsätzen vom 16. Juni 2021 und 17. Juni 2021 hat die Antragstellerseite daraufhin vorgetragen, dass das Zerwürfnis nichts mit dem Visumantrag der Mutter der Antragstellerin zum Familiennachzug zu tun habe, weil der Vater und die Mutter der Antragstellerin nicht zerstritten seien, und dass am 28. Juni 2021 ein Termin für die Beantragung eines Visums zur Familienzusammenführung für die Antragstellerin sowie deren Bruder avisiert sei.
Im Übrigen wird wegen der weiteren Einzelheiten auf die Gerichts- und Behördenakte verwiesen.
II.
1. Die Beschwerde bleibt ohne Erfolg. Die dargelegten Gründe, auf die der Senat seine Prüfung nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO zu beschränken hat, rechtfertigen keine Abänderung des angefochtenen Beschlusses.
a) Dies gilt insbesondere, soweit man berücksichtigt, dass sich die Beschwerde der rechtsanwaltlich vertretenen Antragstellerin gegen den angegriffenen Beschluss des Verwaltungsgerichts ausdrücklich nur auf Nr. 2 des streitbefangenen Bescheides bezieht. Die darin von dem Antragsgegner getroffene Feststellung der Ausreisepflicht folgt unmittelbar aus der in Nr. 1 des streitbefangenen Bescheides niedergelegten Versagung der begehrten Aufenthaltserlaubnis. Die Versagung führt dazu, dass die Antragstellerin gemäß § 58 Abs. 2 Satz 2 AufenthG in Verbindung mit § 84 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG vollziehbar ausreisepflichtig wird, da Rechtsbehelfen hiergegen keine Suspensivwirkung zukommt. Zu der ebenfalls in Nr. 2 des streitbefangenen Bescheides von dem Antragsgegner gesetzten Ausreisefrist, die sich innerhalb der zeitlichen Grenzen des § 59 Abs. 1 Satz 1 AufenthG bewegt, verhält sich die Beschwerdeschrift nicht. Ausführungen der Antragstellerin hierzu fehlen gänzlich. Dass insofern Gründe für eine Abänderung des angefochtenen Beschlusses vorliegen, ist weder dargetan noch anderweitig ersichtlich.
b) Nichts anderes ergibt sich, soweit man das Beschwerdevorbringen wie bereits das Verwaltungsgericht entsprechend § 88 VwGO dahingehend auslegt, die Antragstellerin setze ihr Rechtsschutzbegehren gerichtet auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der – den gesamten Bescheid und damit auch die Versagung der beantragten Aufenthaltserlaubnis umfassenden – Klage fort.
Das Beschwerdevorbringen ist vage, unplausibel und widersprüchlich. Die Beschwerdeschrift zeigt insbesondere nicht auf, dass das Verwaltungsgericht Anlass hatte, im Rahmen der Prüfung des Ermessens nach § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG das behauptete Zerwürfnis und die behauptete, darauf beruhende fehlende Rücknahmebereitschaft der Mutter zu berücksichtigen. Die Antragstellerin blendet aus, dass das Verwaltungsgericht bereits im Rahmen der Erteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG, namentlich der Einreise mit dem erforderlichen Visum, das Vorbringen der Antragstellerseite zu dem behaupteten Zerwürfnis geprüft und ihm keinen Glauben geschenkt hat. So hat das Verwaltungsgericht – zusammengefasst − bemängelt, dass die Antragstellerin das Zerwürfnis lediglich behauptet habe, dass sie zwar einerseits wegen des Zerwürfnisses, aber gleichzeitig ohne Bleibeabsicht (also unter Einhaltung v. Art. 4 Abs. 1 d. VO (EU) 2018/1806 i.V.m. Anhang II, ABl. EU L 303 S. 39 ff. – Anm. d. Senats) eingereist sein will und nunmehr andererseits, wenngleich ohne den Sinneswandel näher darzulegen, einen Daueraufenthalt anstrebt, wobei der Vater der Antragstellerin sich im Vorhinein wegen einer möglichen Familienzusammenführung erkundigt hatte (vgl. BA S. 13 ff.).
Diese Erwägungen sind in der Sache nicht zu beanstanden. Die Antragstellerseite hat den Inhalt und die Hintergründe des behaupteten Streits im Eilverfahren vor dem Verwaltungsgericht nicht konkretisiert, und sie bleiben im Beschwerdeverfahren weiterhin gänzlich im Dunkeln. Die Antragstellerseite greift die Erwägungen des Verwaltungsgerichts auch nicht substantiiert an. Das Beschwerdevorbringen beschränkt sich insoweit auf das inhaltlich pauschale Beweisangebot der Zeugeneinvernahme der Mutter, wobei darauf hinzuweisen ist, dass der Senat ohnehin wegen der Dringlichkeit des verwaltungsgerichtlichen Eilrechtsschutzverfahrens auf die Verwertung von präsenten beziehungsweise allgemein verfügbaren Beweismitteln beschränkt ist.
Das Verwaltungsgericht musste nach alledem im Rahmen der nachgelagerten Prüfung des Ermessens nach § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG weder hierauf noch dementsprechend auf die behauptete fehlende Rücknahmebereitschaft der Mutter, die auf dem als unglaubhaft erachteten Zerwürfnis fußen soll, nicht weiter eingehen.
Abgesehen davon ist auch das Vorbringen zu der behaupteten fehlenden Rücknahmebereitschaft der Mutter angesichts einer bislang fehlenden Erklärung der Mutter − obwohl das Beschwerdeverfahren Gelegenheit bot, eine solche Erklärung vorzulegen, worauf der Antragsgegner zutreffend hingewiesen hat − als unsubstantiiert einzustufen.
Schließlich steht das Vorbringen der Antragstellerin im Widerspruch zu dem späteren eigenen Vorgehen und dem der übrigen Familienmitglieder im Zusammenhang mit der Beantragung von Visa zur Familienzusammenführung. Diesen Widerspruch hat die Antragstellerseite auch erkennbar nicht dadurch aufgelöst, dass der Vater und die Mutter der Antragstellerin nicht zerstritten sind. Tatsächlich bestätigen diese Bestrebungen zu der Verlagerung des Lebensmittelpunktes der gesamten Familie in das Bundesgebiet die Unglaubhaftigkeit des Vortrags der Antragstellerin.
Die Antragstellerseite setzt sich auch im Übrigen mit den Ausführungen des Verwaltungsgerichts zu den fehlenden Voraussetzungen für ein Absehen von dem Visumerfordernis (vgl. BA S. 15 ff.) nicht auseinander, wonach eine Trennung für die Dauer des Visumverfahrens grundsätzlich hinzunehmen ist und Gründe für eine etwaige Unzumutbarkeit nicht dargelegt sind. Derartige Gründe sind von der Antragstellerin im Beschwerdeverfahren nicht aufgezeigt und auch nicht anderweitig ersichtlich, zumal während des laufenden Beschwerdeverfahrens augenscheinlich die Mutter der Antragstellerin einen Vorsprachetermin bei der zuständigen Auslandsvertretung wahrgenommen hat und ein Vorsprachetermin in naher Zukunft für die Antragstellerin und deren Bruder vereinbart wurde.
2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
3. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 2 GKG in Verbindung mit Nrn. 8.1 und 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.
4. Dieser Beschluss ist nach § 152 Abs. 1 VwGO unanfechtbar.


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