Verwaltungsrecht

Beseitigung von Verkehrshindernissen

Aktenzeichen  11 ZB 16.2576

Datum:
15.2.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 104012
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
LStVG Art. 7 Abs. 2 Nr. 1
StVO § 32 Abs. 1 S. 1, S. 2, § 49 Abs. 1 Nr. 27

 

Leitsatz

1. Sicherheitsrechtliche Anordnungen zur Verhütung oder Unterbindung rechtswidriger Taten, die den Tatbestand eines Strafgesetzes oder einer Ordnungswidrigkeit verwirklichen, setzen kein Verschulden des Handelnden voraus. (redaktioneller Leitsatz)
2. Ein Verstoß gegen das straßenverkehrsrechtliche Verbot, Gegenstände auf Straßen zu bringen oder dort liegen zu lassen, wenn dadurch der Verkehr gefährdet oder erschwert werden kann, stellt auch bei fahrlässiger Begehung eine Ordnungswidrigkeit dar. (redaktioneller Leitsatz)
3. Das Anbringen von Warntafeln entbindet nicht von der Verpflichtung, verkehrswidrige Zustände unverzüglich zu beseitigen; nur soweit eine Beseitigung nicht umgehend möglich ist, sind Hindernisse bis dahin ausreichend kenntlich zu machen. (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

Au 3 K 15.1299 2016-10-18 Urt VGAUGSBURG VG Augsburg

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000,- Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Gegenstand des Rechtsstreits ist die Rechtmäßigkeit einer Anordnung zur Beseitigung von Verkehrshindernissen auf einem Feld- und Waldweg.
Der Kläger ist seit 2005 Eigentümer des Grundstücks Fl.Nr. 1121 der Gemarkung H … Über dieses Grundstück verläuft auf einer Länge von ca. 50 m der Waldweg „B …-Nord“ (Gesamtlänge 2,07 km), der 1971 mit Zustimmung der damaligen Grundeigentümer und der örtlichen Forstdienststelle für den land- und forstwirtschaftlichen Verkehr errichtet worden war. Die vom Gemeinderat am 18. März 1975 beschlossene Widmung als öffentlicher Feld- und Waldweg wurde seinerzeit nicht in das Bestandsverzeichnis eingetragen. Aufgrund eines Gemeinderatsbeschlusses vom 23. Juni 2009 und einer Widmungsverfügung der Beklagten vom 24. Juni 2009 wurde die Eintragung jedoch am 3. September 2009 nachgeholt. Eine Klage des Klägers auf Feststellung, dass die Widmung nichtig sei, hat das Verwaltungsgericht Augsburg mit rechtskräftigem Urteil vom 5. September 2012 abgewiesen (Az. Au 6 K 12.619). Der Kläger müsse die Zustimmung des damaligen Eigentümers zur Widmung vom 14. September 1971 gegen sich gelten lassen.
Im Frühjahr 2015 stellte die Beklagte fest, dass im Bereich des klägerischen Grundstücks Baumstämme und Äste am Rande des Weges abgelagert waren, und forderte den Kläger mit Schreiben vom 2. April 2015 zu deren Beseitigung auf. Nachdem der Kläger die Beseitigung mehrfach abgelehnt hatte, verpflichtete die Beklagte den Kläger mit Bescheid vom 5. August 2015 gemäß Art. 7 Abs. 2 Nr. 1 LStVG i.V.m. §§ 32 Abs. 1, 49 Abs. 1 Nr. 27 StVO unter Anordnung des Sofortvollzugs und Androhung eines Zwangsgelds, alle Ablagerungen auf dem öffentlichen Feld- und Waldweg im Bereich des Grundstücks Fl.Nr. 1121 Gemarkung H* … sofort zu beseitigen.
Die gegen diesen Bescheid erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht Augsburg mit Urteil vom 18. Oktober 2016 abgewiesen, nachdem der Kläger einen vom Gericht unterbreiteten Vergleichsvorschlag abgelehnt hat. Die Beseitigungsanordnung sei rechtmäßig. Der Kläger habe vorsätzlich eine Ordnungswidrigkeit begangen, indem er auf dem öffentlichen Feld- und Waldweg im Bereich seines Grundstücks Baumstämme und Äste gelagert habe. Durch das rechtskräftige Urteil des Verwaltungsgerichts vom 5. September 2012, das der Kläger innerhalb der dafür vorgeschriebenen Frist nicht angefochten habe, stehe fest, dass es sich bei dem Feld- und Waldweg um eine öffentliche Straße handele. Selbst wenn man jedoch die Nichtigkeit der Widmung unterstellen würde, würde dies nicht zur Rechtswidrigkeit des Bescheids führen, weil es sich dann um eine tatsächlich-öffentliche Verkehrsfläche handeln würde, auf der auch der Eigentümer keine Verkehrshindernisse errichten dürfe. Die im Klageverfahren ergänzten Ermessenserwägungen der Beklagten seien ebenfalls nicht zu beanstanden.
Zur Begründung des Antrags auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil vom 18. Oktober 2016, dem die Beklagte entgegentritt, macht der Kläger ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils und Verfahrensmängel geltend. Die Zwangsgeldfestsetzung in Nr. 3 des Bescheids sei rechtswidrig. Die Behörde hätte das Zwangsgeld zunächst androhen müssen. Auch die Anordnung der sofortigen Vollziehung sei mangels besonderen Dringlichkeitsinteresses rechtswidrig. Schließlich hätten die Tatbestandsvoraussetzungen der §§ 32 Abs. 1, 49 Abs. 1 Nr. 27 StVO nicht vorgelegen. Der Kläger habe nicht vorsätzlich, sondern allenfalls fahrlässig gehandelt, da er davon ausgegangen sei, zur Lagerung von Baumstämmen und Ästen befugt gewesen zu sein. Ein Verfahrensmangel ergebe sich daraus, dass das Gericht die von der Beklagten vorgelegten Fotos als ausreichend angesehen und hinsichtlich der Ablagerungen keinen Beweis über die Verkehrsgefährdung oder -erschwerung erhoben habe.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen und auf die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
II.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Aus der Antragsbegründung, auf die sich gemäß § 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO die Prüfung im Zulassungsverfahren beschränkt (BayVerfGH, E.v. 14.2.2006 – Vf. 133-VI-04 – VerfGH 59, 47/52; E.v. 23.9.2015 – Vf. 38-VI-14 – BayVBl 2016, 49 Rn. 52; Happ in Eyermann, VwGO, 14. Auflage 2014, § 124a Rn. 54), ergeben sich weder ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils noch ein Verfahrensmangel, auf dem die Entscheidung beruhen kann.
1. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) liegen vor, wenn der Rechtsmittelführer einen einzelnen tragenden Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage stellt (BVerfG, B.v. 9.6.2016 – 1 BvR 2453/12 – NVwZ 2016, 1243 Rn. 16). Das ist vorliegend nicht der Fall.
a) Nach Art. 7 Abs. 2 Nr. 1 des Gesetzes über das Landesstrafrecht und das Verordnungsrecht auf dem Gebiet der öffentlichen Sicherheit und Ordnung (Landesstraf- und Verordnungsgesetz – LStVG) können die Sicherheitsbehörden zur Erfüllung ihrer Aufgaben Anordnungen für den Einzelfall auch ohne besondere gesetzliche Ermächtigung treffen, um rechtswidrige Taten zu verhüten oder zu unterbinden, die den Tatbestand eines Strafgesetzes oder einer Ordnungswidrigkeit verwirklichen. Dabei kommt es ausschließlich darauf an, ob die zu verhütende oder zu unterbindende Handlung in rechtswidriger Weise den Tatbestand eines Strafgesetzes oder einer Ordnungswidrigkeit erfüllt. Die Anordnung setzt kein Verschulden des Handelnden, also weder Vorsatz noch Fahrlässigkeit voraus. Neben dem Zweck des Sicherheitsrechts, die öffentliche Sicherheit und Ordnung durch Abwehr von Gefahren und durch Unterbindung und Beseitigung von Störungen aufrechtzuerhalten (Art. 6 LStVG), ergibt sich dies auch daraus, dass ein schuldhaftes Verhalten bei einer zu verhütenden, also noch nicht begangenen Straftat oder Ordnungswidrigkeit noch gar nicht feststehen kann.
Im Übrigen kann zwar fahrlässiges Handeln nur dann als Ordnungswidrigkeit geahndet werden, wenn das Gesetz dies ausdrücklich vorsieht (§ 10 des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten – OWiG). Nach § 24 Abs. 1 Satz 1 des Straßenverkehrsgesetzes (StVG) i.V.m. §§ 32 Abs. 1 Satz 1, 49 Abs. 1 Nr. 27 der Straßenverkehrs-Ordnung (StVO) erfüllt jedoch ein Verstoß gegen das Verbot, Gegenstände auf Straßen zu bringen oder dort liegen zu lassen, wenn dadurch der Verkehr gefährdet oder erschwert werden kann, nicht nur im Falle des Vorsatzes, sondern auch bei Fahrlässigkeit den Tatbestand einer Ordnungswidrigkeit. Abgesehen davon bestehen angesichts des Umfangs der vom Kläger auf dem Weg abgelagerten Äste und Holzreste, der von ihm wiederholt ausdrücklich erklärten Absicht, allen Verkehrsteilnehmern mit Ausnahme von Fußgängern und Radfahrern das Betreten und Befahren des Wegs im Bereich seines Grundstücks zu verwehren, und der mehrfachen schriftlichen Hinweise der Beklagten an den Kläger zur Rechtslage keinerlei Zweifel am Vorsatz des Klägers und an der Vorwerfbarkeit seines Handelns (§ 11 Abs. 2 OWiG). Er kann sich insoweit auch nicht darauf berufen, auf die Hindernisse mit zwei Warntafeln ausreichend hingewiesen zu haben. Das Anbringen von Warntafeln entbindet nicht von der Verpflichtung, verkehrswidrige Zustände unverzüglich zu beseitigen. Nur soweit eine Beseitigung nicht umgehend möglich ist, hat der Verantwortliche die Hindernisse bis dahin ausreichend kenntlich zu machen (§ 32 Abs. 1 Satz 2 StVO). Dass die Sicherheitsbehörden unabhängig von der Frage der hier rechtskräftig festgestellten Widmung als öffentlicher Feld- und Waldweg (Art. 6 i.V.m. Art. 53 Nr. 1 des Bayerischen Straßen- und Wegegesetzes – BayStrWG) auch bei einem nicht gewidmeten, lediglich tatsächlich-öffentlichen Weg berechtigt wären, den Eigentümer der Verkehrsfläche gemäß Art. 7 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 LStVG i.V.m. §§ 32 Abs. 1 Satz 1, 49 Abs. 1 Nr. 27 StVO zur Beseitigung von Verkehrshindernissen zu verpflichten, hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof mehrfach entschieden (U.v. 17.2.2003 – 11 B 99.3439 – juris, B.v. 11.1.2005 – 8 CS 04.3275 – NuR 2005, 463, B.v. 9.2.2010 – 11 CS 09.1486 – juris).
b) Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils ergeben sich auch nicht aus dem klägerischen Vorbringen in der Antragsbegründung zur Notwendigkeit einer Zwangsgeldandrohung.
Richtig ist zwar, dass Zwangsmittel, also auch das Zwangsgeld, grundsätzlich zunächst mit einer Fristsetzung schriftlich angedroht werden müssen (Art. 36 des Bayerischen Verwaltungszustellungs- und Vollstreckungsgesetzes – VwZVG) und nur angewendet werden können, wenn die im Bescheid ausgesprochene Verpflichtung nicht innerhalb der bestimmten Frist erfüllt wird (Art. 37 Abs. 1 Satz 1 VwZVG). Entgegen der Auffassung der Klägerbevollmächtigten hat jedoch die Beklagte in Nr. 3 ihres Bescheids vom 5. August 2015 das Zwangsgeld in Höhe von 800,- Euro für den Fall der nicht fristgerechten Beseitigung der Ablagerungen nicht festgesetzt, sondern angedroht. Die späteren Zwangsgeldfestsetzungen sind ebenso wie die nach dem Schriftsatz der Prozessbevollmächtigten der Beklagten vom 21. Oktober 2015 im Ausgangsverfahren offenbar bereits durchgeführte Ersatzvornahme nicht Gegenstand dieses Verfahrens.
c) Ebenfalls nicht Gegenstand dieses Verfahrens ist der in Nr. 2 des Bescheids vom 5. August 2015 angeordnete Sofortvollzug der Verpflichtung zur Beseitigung der Ablagerungen. Insoweit hätte der Kläger die Möglichkeit gehabt, beim Verwaltungsgericht gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage zu beantragen.
2. Aus der Antragsbegründung ergibt sich schließlich auch kein Verfahrensmangel, auf dem das angefochtene Urteil beruhen kann (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO). Einen Beweisantrag (§ 86 Abs. 2 VwGO) hat der bereits erstinstanzlich anwaltlich vertretene Kläger in der mündlichen Verhandlung nicht gestellt. Auf eine Verletzung der gerichtlichen Aufklärungspflicht kann sich jedoch ein anwaltlich vertretener Beteiligter nicht berufen, wenn er nicht alle ihm zur Verfügung stehenden prozessualen Möglichkeiten ausschöpft, sondern davon absieht, einen förmlichen Beweisantrag zu stellen bzw. stellen zu lassen (stRspr, vgl. z.B. BayVGH, B.v. 8.12.2016 – 4 ZB 16.1583 – juris Rn. 15 m.w.N.). Die Aufklärungsrüge stellt kein Mittel dar, um Versäumnisse eines Verfahrensbeteiligten in der Vorinstanz, vor allem das Unterlassen von Beweisanträgen, zu kompensieren. Angesichts der in den Akten der Beklagten vorhandenen Fotos, die die vom Kläger angebrachten Verkehrshindernisse hinreichend dokumentieren, musste sich dem Verwaltungsgericht die Notwendigkeit einer Beweisaufnahme durch einen Augenschein auch nicht aufdrängen. Im Übrigen hat die Beklagte die Verkehrshindernisse offenbar zeitnah im Wege der Ersatzvornahme (Art. 32 VwZVG) beseitigen lassen, sodass eine Ortseinsicht im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung ohnehin zu keinem entscheidungsrelevanten Erkenntnisgewinn mehr hätte beitragen können.
3. Als unterlegener Rechtsmittelführer hat der Kläger die Kosten des Verfahrens zu tragen (§ 154 Abs. 2 VwGO).
4. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 und § 52 Abs. 2 des Gerichtskostengesetzes (GKG).
5. Dieser Beschluss, mit dem die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig wird (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO), ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben