Verwaltungsrecht

Beweiskraft einer Postzustellungsurkunde

Aktenzeichen  M 1 S 16.35437

Datum:
14.2.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG AsylG § 74 Abs. 1 S. 1
VwGO VwGO § 58, § 60, § 80 Abs. 5

 

Leitsatz

Die Beweiskraft einer Postzustellungsurkunde wird durch eine eidesstattliche Versicherung, dass ein Bescheid erst später erhalten wurde, nicht entkräftet, wenn der in der eidesstattlichen Versicherung enthaltene Vortrag nicht geeignet ist, erhebliche Wiedereinsetzungsgründe zu belegen. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Anträge werden abgelehnt.
II. Die Antragsteller tragen als Gesamtschuldner die Kosten des Verfahrens.

Gründe

I.
1. Die 1968, 1983, 2001, 2005 und 2006 geborenen Antragsteller sind türkische Staatsangehöriger mit kurdischer Volkszugehörigkeit. Die Antragsteller zu 1) und 2) sind verheiratet, die Antragsteller zu 3 bis 5) sind deren Kinder. Sie reisten nach eigenen Angaben Ende 2015 in das Bundesgebiet ein und stellten am … Juli 2016 Asylanträge, ohne diese auf die Zuerkennung internationalen Schutzes zu beschränken.
Am … Juli 2016 wurden die Antragsteller zu 1) und 2) durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) persönlich angehört. Hierbei trug der Antragsteller zu 1) im Wesentlichen vor, wegen wirtschaftlichen Erfolgs mit einem Bauunternehmen und wegen seiner kurdischen Volkszugehörigkeit mehrfach in türkischer Haft gewesen zu sein, wo er zunächst gefoltert, dann jedoch wieder freigelassen worden sei. Rufmord konkurrierender Baufirmen hätte zur Insolvenz seines Unternehmens und zur Beschlagnahme seines Eigentums geführt, weshalb er und seine Familie Ende 2015 die Türkei verlassen habe.
Das Bundesamt lehnte mit Bescheid vom 18. November 2016 die Anträge der Antragsteller auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (Nr. 1 d. Bescheids) und auf Anerkennung als Asylberechtigte (Nr. 2) ab. Weiter stellte es fest, dass der subsidiäre Schutzstatus nicht zuerkannt werde (Nr. 3) und Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorlägen (Nr. 4). Die Abschiebung in die Türkei wurde angedroht (Nr. 5). Zur Begründung wurde im Wesentlichen nausgeführt, eine politische Verfolgung seitens des türkischen Staates oder eine dem Staat zuzurechnende Verfolgung der Antragsteller sei weder vorgetragen noch ersichtlich. Der Bescheid, dem eine Rechtsbehelfsbelehrung:zur Erforderlichkeit der Erhebung einer verwaltungsgerichtlichen Klage binnen zwei Wochen in deutscher und türkischer Sprache beigefügt war (Bl. 216 ff. d. Behördenakte – BA), war dem Antragsteller zu 1) unter der Adresse der den Antragstellern zugewiesenen Unterkunft „K.-Str. 1-3, W.“ ausweislich der in den Akten enthaltenen Postzustellungsurkunde am 23. November 2016 persönlich übergeben worden (Bl. 232 f. BA)
Die Antragsteller haben am … Dezember 2016 Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht München erhoben mit dem wesentlichen Ziel, unter Aufhebung des Ablehnungsbescheids den Status eines Flüchtlings, Asylberichtigten und eines subsidiär Geschützten zu erlangen (M 1 K 16.35435). Zugleich beantragen sie gegen die Versäumung der Klagefrist die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Ebenfalls am … Dezember 2016 beantragten sie, hinsichtlich der Abschiebungsandrohung die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen,
hilfsweise, der Antragsgegnerin gemäß § 123 VwGO aufzugeben, Abschiebemaßnahmen gegen die Antragsteller zu unterlassen.
Der Antragsteller zu 1) erklärte mit Schreiben vom … Dezember 2016 an Eides statt, er habe vom Bescheid am 9. Dezember 2016 zufällig erfahren und bei einer Nachfrage beim Landratsamt am 12. Dezember 2016 von der Existenz des Bescheids erfahren. Dann sei er sofort zum Anwalt gegangen und habe Klage eingelegt. Zuvor habe er keine Kenntnis vom Bescheid gehabt. Hätte er ihn vorher bekommen, dann hätte er sofort Klage eingereicht. Zur Begründung der Klage wird ferner vorgetragen, bei einer Rückkehr in die Türkei drohe den Klägern politische Verfolgung, insbesondere drohe dem Antragsteller zu 1) bei einer Wiedereinreise die Verhaftung und damit die Gefahr von Mißhandlungen und Folter, da er die Partei HDP unterstützt habe. Die PKK unterstütze er hingegen nicht. Er habe auch keine schweren politischen Straftaten begangen.
Am 11. Januar 2017 übermittelte das Bundesamt die elektronische Behördenakte. Ein Antrag wurde nicht gestellt.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Behördenakte Bezug genommen.
II.
Der hauptsächlich gestellte Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO ist mangels Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig. Der hilfsweise gestellte Eilantrag nach § 123 Abs. 1 VwGO ist mangels Statthaftigkeit ebenfalls unzulässig.
1. Nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung der Klage im Fall des vorliegend aus § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 75 Abs. 1 AsylG folgenden gesetzlichen Ausschlusses der aufschiebenden Wirkung zur Abschiebungsandrohung ganz oder teilweise anordnen. Das setzt jedoch das Vorliegen eines Rechtsschutzbedürfnisses für einen solchen Eilantrag voraus. Dieses liegt auf Grund der eingetretenen Bestandskraft des im Hauptsacheverfahren angefochtenen Bescheids nicht vor.
Der Bescheid des Bundesamts vom 18. November 2016 ist seit Donnerstag, dem 8. Dezember 2016 bestandskräftig, da er dem Antragsteller zu 1) ausweislich der in den Akten enthaltenen Postzustellungsurkunde am Mittwoch, dem 23. November 2016 persönlich übergeben und von diesem nicht innerhalb der sich hieran anschließenden Klagefrist gemäß § 74 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 AsylG von zwei Wochen, also bis einschließlich Mittwoch, den 7. Dezember 2016 durch verwaltungsgerichtliche Klage angefochten wurde. Im Bescheid ist, ebenso wie in der Postzustellungsurkunde, die den Antragstellern zugewiesenen Unterkunft „K.Str. 1-3, W.“ als Zustelladresse genannt. Der Bescheid war auch mit einer ordnungsgemäßen Rechtsbehelfsbelehrung:versehen, welcher die Klagefrist gemäß § 58 VwGO in Gang setzte.
Den Antragstellern ist auch nicht Wiedereinsetzung in die Klagefrist zu gewähren. Gem. § 60 Abs. 1 und 2 VwGO ist auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn jemand ohne Verschulden verhindert ist, eine gesetzliche Frist einzuhalten. Der Antrag ist binnen zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses zu stellen. Die Tatsachen zur Begründung des Antrags sind bei der Antragstellung oder im Verfahren über den Antrag glaubhaft zu machen. Innerhalb der Antragsfrist ist die versäumte Rechtshandlung nachzuholen.
Zwar haben die Antragsteller zu ihrer am … Dezember 2016 und damit verspätet erhobenen Klage die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt mit der Begründung, der Antragsteller zu 1) habe erst am 9. Dezember 2016 zufällig von diesem Bescheid durch einen Mitarbeiter in der Gemeinschaftsunterkunft Kenntnis erlangt, doch haben sie dieses Vorbringen bei summarischer Prüfung angesichts der in den Akten enthaltenen Postzustellungsurkunde nicht glaubhaft machen können. Die Beweiskraft der in den Akten enthaltenen Zustellungsurkunde kann auch durch die vom Antragsteller zu 1) abgegebene entsprechende eidesstattliche Versicherung, den Bescheid erst später erhalten zu haben, nicht entkräftet werden. Der in der eidesstattlichen Versicherung enthaltene Vortrag ist nicht dazu geeignet, erhebliche Wiedereinsetzungsgründe im oben dargestellten Sinne glaubhaft zu machen, insbesondere nicht, dass die Antragsteller ohne Verschulden gehindert gewesen seien, die gesetzliche Klagefrist einzuhalten (BayVGH, B.v. 23.1.2017 – 3 ZB 16.2327 – juris Rn. 8; VG Hamburg, B.v. 11.1.2017 – 4 AE 94/17 – juris Rn. 15 ff.).
2. Auch der hilfsweise erhobene Antrag nach § 123 Abs. 1 VwGO, die Antragsgegnerin zu verpflichten, Abschiebemaßnahmen gegen die Antragsteller zu unterlassen, ist unzulässig. Da gemäß § 123 Abs. 5 VwGO die Vorschriften des § 123 Abs. 1 bis 3 VwGO nicht für den hier vorliegenden Fall eines grundsätzlich statthaften Antrags nach § 80 Abs. 5 VwGO gelten. Deshalb ist der hilfsweise gestellte Antrag hinsichtlich der angedrohten Abschiebemaßnahmen nicht statthaft und daher unzulässig (Happ in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 123 Rn. 8).
3. Nach alledem waren die Anträge mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1, § 159 Satz 1 VwGO abzulehnen. Gerichtskosten werden nach § 83b AsylG nicht erhoben.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).
… …


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