Verwaltungsrecht

Bzgl. der Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots erfolgreiche, im Übrigen erfolglose Asylklage eines Marokkaners

Aktenzeichen  W 8 K 18.32593

Datum:
29.4.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 8268
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
GG Art. 16a Abs. 1
AsylG § 3, § 4
AufenthG § 11, § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1, § 60a Abs. 2

 

Leitsatz

Bei der Ermessensentscheidung im Rahmen der Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots sind neben den zulässigerweise heranzuziehenden spezial- und generalpräventiven Gesichtspunkten auch familiäre sowie andere erhebliche persönliche Belange unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit zu berücksichtigen. (Rn. 12 – 13) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Beklagte wird verpflichtet, unter Abänderung der Nr. 6 des Bescheids des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 10. Dezember 2018 über die Länge der Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots unter Beachtung der Rechtssauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Die Klage, über die entschieden werden konnte, obwohl von den Beteiligten niemand in der mündlichen Verhandlung erschienen ist (§ 102 Abs. 2 VwGO), ist zulässig und teilweise begründet, soweit sie sich auf die Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots unter Nr. 6 des streitgegenständlichen Bescheides bezieht. Im Übrigen ist die Klage unbegründet.
Die Klage ist begründet, soweit sie sich auf die Nr. 6 des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 10. Dezember 2018 bezieht. Die Beklagte wird verpflichtet, unter Abänderung der Nr. 6 des streitgegenständlichen Bescheides über die Länge der Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden. Denn der streitgegenständliche Bescheid ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO), soweit das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot unter Nr. 6 unter fehlerhafter Ausübung des Ermessens auf 30 Monate befristet ist.
Die Ermessensentscheidung ist rechtswidrig. Denn bei der Ermessensentscheidung im Rahmen der Befristung gemäß § 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG sind neben den zulässigerweise heranzuziehenden spezial- und generalpräventiven Gesichtspunkten auch familiäre sowie andere erhebliche persönliche Belange unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit zu berücksichtigen. Sämtliche im konkreten Kontext schutzwürdigen Interesse des Klägers sind in den Blick zu nehmen und mit dem öffentlichen Interesse in einen praktisch verträglichen verhältnismäßigen Ausgleich zu bringen (vgl. VG Würzburg, G.v. 8.12.2015 – W 6 K 15.30722 – juris m.w.N. sowie etwa U.v. 28.1.2019 – W 8 K 18.32124 – juris).
Vorliegend ist ein Ermessensausfall gegeben, weil die Beklagte erhebliche schutzwürdige Belange des Klägers nicht berücksichtigt hat. Im streitgegenständlichen Bescheid ist ausdrücklich ausgeführt, dass der Kläger im Bundesgebiet über keine wesentlichen Bindungen verfüge, die zu berücksichtigen wären. Anhaltspunkte für eine kürzere Fristsetzung aufgrund schutzwürdiger Belange, seien weder vorgetragen worden noch lägen sie nach den Erkenntnissen des Bundesamtes vor. Die Beklagte hat im Rahmen ihrer Ermessensentscheidung nicht berücksichtigt und nicht gewürdigt, dass der Kläger mit einer deutschen Staatsangehörigen verheiratet ist, mit der er mittlerweile wohl auch zusammengezogen ist, weil dieser relevante Umstand erst nach Bescheidserlass eingetreten ist. Abzustellen ist jedoch auf den maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 AsylG). Der Klägerbevollmächtigte hatte erst mit zwei Schreiben vom 23. April 2019 unter Vorlage entsprechender Unterlagen mitgeteilt, dass der Kläger am 1. Februar 2009 eine deutsche Staatsangehörige geheiratet habe und eine Umverteilung zu ihr nach Hessen erfolgt sei. Vor diesem Hintergrund spricht bei Würdigung der vorliegenden Gesamtumstände im konkreten Fall des Klägers bei sachgerechter Ermessensausübung vieles für eine Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots auf eine Länge deutlich unter 30 Monate.
Im Übrigen ist die Klage unbegründet.
Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 10. Dezember 2018 ist – abgesehen von der Nr. 6 – rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Asyl gemäß Art. 16a Abs. 1 GG oder auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 AsylG. Die Voraussetzungen für die Zuerkennung subsidiären Schutzes gemäß § 4 AsylG sowie für die Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG liegen ebenfalls nicht vor (§ 113 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 5 Satz 1 VwGO).
Das Gericht folgt im Ergebnis sowie in der wesentlichen Begründung dem angefochtenen Bescheid und sieht insoweit von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 77 Abs. 2 AsylG).
Der Kläger hat im gesamten gerichtlichen Verfahren keinerlei Klagebegründung zu eventuellen zielstaatsbezogenen Gründen trotz gerichtlicher Aufforderung nach § 87b Abs. 3 VwGO vorgebracht und ist auch in der mündlichen Verhandlung nicht erschienen. Daher erübrigen sich weitergehende Ausführungen zu den diesbezüglichen Entscheidungsgründen.
Ergänzend ist nur darauf hinzuweisen, dass das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge im streitgegenständlichen Bescheid schon zu Recht ausgeführt hat, dass im Ergebnis hinsichtlich Marokko keine Gründe ersichtlich sind, die eine Rückkehr des Klägers dorthin entgegenstehen. Das Vorbringen zu den angeblichen Demonstrationsteilnahmen erscheint teilweise ungereimt und erweckt den Eindruck, dass es nur als Vorwand für den eigentlichen Einreisegrund dienen soll, der geplanten Heirat des Klägers mit seiner deutschen Verlobten. Asyl- bzw. sonst schutzrelevante Gründe sind dem Vorbringen des Klägers im Ergebnis nicht zu entnehmen.
Eine politische Verfolgung droht dem Kläger nach der Auskunftslage weder wegen seines Auslandsaufenthalts noch seiner Asylantragstellung in Deutschland. Das Stellen eines Asylantrags im Ausland ist nicht strafbar und wird nach Erkenntnissen des Auswärtigen Amts von der Behörde nicht als Ausdruck oppositioneller Gesinnung gewertet. Aus den letzten Jahren sind keine Fälle bekannt, in denen es zu einem Gerichtsurteil oder staatlichen Repressionsmaßnahmen wegen der Stellung eines Asylantrags oder wegen des in einem Asylantrag enthaltenen Vorbringens gekommen wäre (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage im Königreich Marokko vom 21.12.2018, Stand: November 2018, S. 22; BFA, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Marokko vom 17.8.2018, S. 35).
Nach der Erkenntnislage sind des Weiteren – wie auch schon im streitgegenständlichen Bescheid ausführlich dargelegt – das Existenzminimum des Klägers bei einer Rückkehr nach Marokko gesichert und die Grundversorgung sowie die medizinische Versorgung in Marokko gewährleistet (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage im Königreich Marokko vom 21.12.2018, Stand: November 2018, S. 21 f.; BFA, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Marokko vom 17.8.2018, S. 31 ff.). Der Kläger ist noch jung und erwerbsfähig; ihm ist zuzumuten, zur Sicherung seines Existenzminimums den nötigen Lebensunterhalt durch Erwerbstätigkeit zu erwirtschaften und gegebenenfalls auf die Unterstützung durch Familienangehörige sowie auf weitere Hilfemöglichkeiten zurückzugreifen (ebenso im Ergebnis OVG NRW, U.v. 18.5.2018 – 1 A 2/18.A – juris; VG Cottbus, U.v. 7.11.2017 – 5 K 1230/17.A – juris; VG Greifswald, U.v. 19.9.2017 – 4 A 1408/17 As HGW – juris). Hinzu kommt, dass der Kläger schon vor der Ausreise nicht nur seinen Lebensunterhalt erwirtschaften, sondern auch das Geld für seine Reise auftreiben konnte.
Nach dem vorstehend Gesagten sind weiter insgesamt betrachtet keine Anhaltspunkte ersichtlich, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung des subsidiären Schutzes gemäß § 4 AsylG oder von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG erfüllt wären. Im Übrigen wird auf den angefochtenen Bundesamtsbescheid Bezug genommen und von einer weiteren Darstellung der Gründe abgesehen (§ 77 Abs. 2 AsylG). Dies gilt auch hinsichtlich der Begründung der Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung.
Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass die Ausländerbehörde zuständig ist, eventuelle inlandsbezogene Abschiebungshindernisse – wie etwa familiäre Aspekte (deutsche Ehefrau) – zu prüfen (§ 60a Abs. 2 AufenthG).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, § 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO § 83b AsylG. Die Kosten konnten dem Kläger ganz auferlegt werden, weil die Beklagte betreffend die Nr. 6 des streitgegenständlichen Bescheides nur zu einem geringen Teil unterlegen ist. Außerdem hat der Klägerbevollmächtigte vorwerfbar trotz wiederholter Aufforderung den Nachweis über die deutsche Staatsangehörigkeit erst wenige Tage vor der mündlichen Verhandlung übersandt, so dass seitens der Beklagten in der Kürze der Zeit auch keine Reaktion in Form einer Teilabhilfe mehr erfolgte (vgl. § 155 Abs. 4 VwGO).


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