Verwaltungsrecht

Corona-Pandemie; Normenkontrollantrag; Einzelfallbezug; Bestimmtheit

Aktenzeichen  3 EN 809/21

Datum:
30.12.2021
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
Thüringer Oberverwaltungsgericht 3. Senat
Dokumenttyp:
Beschluss
ECLI:
ECLI:DE:OVGTH:2021:1230.3EN809.21.00
Normen:
§ 26a CoronaVInfSchV TH
§ 47 Abs 6 VwGO
Spruchkörper:
undefined

Leitsatz

1. Der Antrag im Normenkontrollverfahren nach § 47 VwGO sowohl im Hauptsacheverfahren wie auch im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes muss hinreichend erkennen lassen, welche Norm für unwirksam erklärt bzw. außer Vollzug gesetzt werden soll.(Rn.14)
2. Mit dem Antrag nach § 47 VwGO auf Unwirksamkeitserklärung bzw. Außervollzugsetzung einer abstrakt-generellen Norm kan grundsätzlich keine konkret-individuelle Einzelfallregelung erreicht werden.(Rn.15)

Tenor

Der Antrag wird abgelehnt.
Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Der Streitwert wird auf 5.000,00 € festgesetzt.

Gründe

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hat keinen Erfolg. Es bereits unzulässig.
Der Antragsteller begehrt im Wege der einstweiligen Anordnung nach § 47 Abs. 6 VwGO wörtlich:
„die Thüringer Verordnung zur Regelung infektionsschutzrechtlicher Maßnahmen zur Eindämmung des Coronavirus SARS-CoV-2 (Thüringer SARS-CoV-2-Infektionsschutz-Maßnahmenverordnung -ThürSARS-CoV-2-IfS-MaßnVO-) in Gestalt der Zweiten Verordnung zur Änderung der Thüringer SARS-CoV-2-Infektionsschutz-Maßnahmenverordnung vom 23. Dezember 2021
wird insoweit vorläufig außer Vollzug gesetzt, als dass hiermit sinngemäß folgendes angeordnet bzw. das für das Schulwesen zuständige Ministerium ermächtigt wird,
– vom 03. bis 14. Januar 2022 den Präsenzunterricht an der für den Antragsteller zuständigen staatlichen Grundschule Hans-Christian Andersen in W… zu verbieten
hilfsweise hierzu:
die Thüringer Verordnung zur Regelung infektionsschutzrechtlicher Maßnahmen zur Eindämmung des Coronavirus SARS-CoV-2 (Thüringer SARS-CoV-2-Infektionsschutz-Maßnahmenverordnung -ThürSARS-CoV-2-IfS-MaßnVO-) in Gestalt der Zweiten Verordnung zur Änderung der Thüringer SARS-CoV-2-Infektionsschutz-Maßnahmenverordnung vom 23. Dezember 2021
wird insoweit vorläufig außer Vollzug gesetzt, als dass hiermit sinngemäß folgendes angeordnet wird bzw. das für das Schulwesen zuständige Ministerium ermächtigt wird,:
– am 03. und 04. Januar 2022 die für den Antragsteller zuständige staatliche Grundschule Hans-Christian Andersen in W… zu schließen und nicht einmal Distanzunterricht durchzuführen.
äußerst hilfsweise hierzu:
Es wird festgestellt,
dass die die Thüringer Verordnung zur Regelung infektionsschutzrechtlicher Maßnahmen zur Eindämmung des Coronavirus SARS-CoV-2 (Thüringer SARS-CoV-2-Infektionsschutz-Maßnahmenverordnung -ThürSARS-CoV-2-IfS-MaßnVO-) in Gestalt der Zweiten Verordnung zur Änderung der Thüringer SARS-CoV-2-Infektionsschutz-Maßnahmenverordnung vom 23. Dezember 2021
den Antragsgegner nicht ermächtigt, am 03. und 04. Januar 2022 die für den Antragsteller zuständige staatliche Grundschule Hans-Christian Andersen in W… zu schließen.“
Der Antrag ist bereits zu unbestimmt. Er lässt zum einen nicht hinreichend bestimmt genug erkennen, welche Norm der Thüringer SARS-CoV-2-Infektionsschutz-Maßnahmenverordnung konkret außer Vollzug gesetzt werden soll. Soweit sich aus der Begründung ergibt, dass sich der Antrag auf § 26a der Verordnung beziehen soll, bleibt auch insoweit unklar, gegen welche konkreten Einzelbestimmungen dieser Norm sich der Antrag wendet. Er ist aber auch insoweit zu unbestimmt, als offen bleibt, ob sich der Antragsteller gegen die Ermächtigungsnorm wendet oder doch nur vorbeugenden Rechtsschutz gegenüber einer in Aussicht gestellten Anordnung des Thüringer Ministers für Bildung, Jugend und Schule begehrt.
Auch unter Berücksichtigung der weiteren Begründung zielt der anwaltlich eindeutig so gestellte und einer anderweitigen Auslegung nicht zugängliche Antrag jedenfalls auf eine im Normenkontrollverfahren nach § 47 VwGO – sowohl im Hauptsacheverfahren wie auch im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes – nicht zu erreichende Einzelfallregelung (OVG Nordrein-Westfalen, Beschluss vom 8. Januar 2021 – 13 B 1794/20.NE – m. w. N.; Ziekow, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 47 Rn. 404 f. m. w. N.; Schoch, in: Schoch/Schneider, VwGO, 39. EL Juli 2020, § 47 Rn. 182, m. w. N.). Die Unzulässigkeit einer lediglich individuellen Außervollzugsetzung folgt schon daraus, dass Prüfungsgegenstand im Normenkontrollverfahren eine abstrakt-generelle Rechtsnorm ist, die schon vom Ansatz her nicht relativ (un)gültig sein kann, sodass auch eine relative Suspendierung derselben nicht in Betracht kommt. Dementsprechend sieht auch § 47 Abs. 5 Satz 2 VwGO im Falle einer erfolgreichen Normenkontrolle nur eine allgemeinverbindliche Entscheidung vor. Für das akzessorische Eilverfahren kann nichts anderes gelten.
Angesichts der bereits aus diesen Gründen unzulässigen Antragsstellung bedarf es keiner Entscheidung, ob dem Antragsteller eine Antragsbefugnis im Hinblick darauf zukommt, dass § 26a ThürSARS-CoV-2-IfS-MaßnVO lediglich eine Ermächtigung für den zuständigen Minister enthält, Anordnungen für den Schulbetrieb zu erlassen; die Verordnung enthält diese Anordnungen nicht selbst. Es kann auch dahin stehen, ob nach den zwischenzeitlichen Äußerungen und Erlassen des Thüringer Ministers für Bildung, Jugend und Sport dem Antrag im Eilverfahren das Rechtsschutzbedürfnis fehlt.
Es bedarf im vorliegenden Verfahren ebenfalls keiner Klärung, ob der Antragsteller einen individuellen Anspruch auf schulischen Präsenzunterricht gegebenenfalls im Wege einer verwaltungsgerichtlichen Klage geltend machen kann.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung folgt aus §§ 63 Abs. 2 Satz 1, 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 2 GKG. Eine Reduzierung des Wertes auf die Hälfte, wie es der üblichen Praxis in Eilverfahren entspricht, war hier wegen der weitgehenden Vorwegnahme der Hauptsache nicht vorzunehmen.
Hinweis:Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i. V. m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).


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