Verwaltungsrecht

Corona-Pandemie, Testobliegenheit an Schulen

Aktenzeichen  20 NE 21.1092

Datum:
29.4.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 10017
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 47 Abs. 6
12. BayIfSMV § 18 Abs. 4
IfSG § 28
IfSG § 28a
IfSG § 28 b

 

Leitsatz

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragsteller tragen die Kosten des Verfahrens.
III. Der Streitwert wird auf jeweils 10.000,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
1. Die 46 Antragsteller besuchen unterschiedliche Jahrgangsstufen in einer Grund-, Mittel- oder Realschule bzw. eines Gymnasiums in Bayern und beantragen, § 18 Abs. 4 der Zwölften Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung (12. BayIfSMV vom 5.3.2021, BayMBl. 2021 Nr. 171) in der Fassung der Änderungsverordnung vom 27. April 2021 (BayMBl. 2021 Nr. 290), die mit Ablauf des 9. Mai 2021 außer Kraft tritt (§ 30 12. BayIfSMV), durch Erlass einer einstweiligen Anordnung vorläufig außer Vollzug zu setzen.
2. Die angegriffene Regelung hat folgenden Wortlaut:
„(4) 1Die Teilnahme am Präsenzunterricht und an Präsenzphasen des Wechselunterrichts sowie an der Notbetreuung und Mittagsbetreuung ist Schülerinnen und Schülern nur erlaubt, wenn sie sich zwei Mal wöchentlich, im Fall des Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 mindestens zwei Mal wöchentlich, nach Maßgabe der Sätze 2 bis 5 einem Test in Bezug auf eine Infektion mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 unterziehen. 2Hierfür haben die Schülerinnen und Schüler zu Beginn des Schultages über ein schriftliches oder elektronisches negatives Ergebnis eines PCR- oder POC-Antigentests zu verfügen und dieses auf Anforderung vorzuweisen oder müssen in der Schule unter Aufsicht einen Selbsttest mit negativem Ergebnis vorgenommen haben. 3Die dem Testergebnis zu Grunde liegende Testung oder der in der Schule vorgenommene Selbsttest dürfen höchstens 48 Stunden, im Fall des Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 höchstens 24 Stunden vor dem Beginn des jeweiligen Schultags vorgenommen worden sein. 4Soweit Tests in der Schule vorgenommen werden, verarbeitet die Schule das Testergebnis ausschließlich für den schulischen Zweck der Aufrechterhaltung des Präsenzunterrichts; eine Übermittlung an Dritte findet vorbehaltlich von Meldepflichten nach dem Infektionsschutzgesetz nicht statt. 5Das Testergebnis wird höchstens 14 Tage aufbewahrt. 6Für Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf kann das Staatsministerium für Unterricht und Kultus Ausnahmen bekanntmachen. 7Für die Lehrkräfte und das Schulverwaltungspersonal gelten hinsichtlich ihrer Tätigkeit in den Schulräumen die Sätze 1 bis 5 mit der Maßgabe entsprechend, dass ein Selbsttest auch außerhalb der Schule und ohne Aufsicht vorgenommen werden kann, wenn die Person versichert, dass das Testergebnis negativ ausgefallen ist.“
3. Mit ihrem Eilantrag vom 14. April 2021 tragen die Antragsteller im Wesentlichen vor, in ihren Rechten und Grundrechten verletzt zu werden. Es liege ein Rechtsschutzbedürfnis vor, obwohl die angegriffene Norm nur unter einem Inzidenzwert von 100 Anwendung finde, da es hierfür ausreiche, dass eine Rechtsverletzung möglich bzw. in absehbarer Zeit zu erwarten sei. In diversen Städten und Landkreisen liege die Inzidenz bereits unter 100 (aktuell: Stadt Ansbach, Bad Kissingen, Stadt Bamberg, Ebersberg, Erlangen-Höchstadt, Main-Spessart, Miltenberg, Starnberg, Tirschenreuth und Stadt Weiden mit Stand vom 13.4.2021). Der Senat habe in seiner Entscheidung vom 12. April 2021 nicht über die allgemeine schulische Testpflicht im Sinne der neuesten Fassung des § 18 Abs. 4 der 12. BaylfSMV entschieden, sondern über die inzidenzabhängige Fassung, die auch nur gewisse Klassen und Schularten betroffen habe, sodass erneut Klärungsbedarf bestehe. Im Vergleich zu der vorherigen und bisher noch gültigen Regelung der inzidenzabhängigen Testung nach § 18 Abs. 4 der 12. BaylfSMV a.F. könne die Neuregelung nicht von einer Rechtsgrundlage getragen werden. Weder § 28 IfSG noch § 28a IfSG könnten hierfür herangezogen werden. Schülerinnen und Schüler könnten nicht als Krankheits- oder Ansteckungsverdächtige angesehen werden. Eine inzidenzunabhängige, ja sogar nur unter dem Wert von 100 einschlägige, Testpflicht sei zur Verhinderung der Verbreitung übertragbarer Krankheiten nicht erforderlich. Das Infektionsgeschehen werde mit der angegriffenen Regelung bundeslandweit und inzidenzunabhängig geregelt. Hiermit sei keine effiziente, den Inzidenzwerten gerechte und erforderliche Regelung geschaffen. Der Senat habe in seiner Entscheidung vom 12. April 2021 (Az. 20 NE 21.926), die in dem dortigen Verfahren angegriffene Regelung deshalb als rechtens erachtet, da sie erst ab einem Wert von 100 einschlägig war. Solch eine Regelung fehle hier vollkommen. Die angegriffene Regelung erfasse weder einen Schwellenwert von über 50, noch von über 35. Die Anordnung von Tests bei einem Wert von unter 35 sei nicht verhältnismäßig, da dadurch nicht die Kontrolle des Infektionsgeschehens unterstützt werde. Da es hinsichtlich der Testpflicht keinen Schwellenwert gebe, sei für den Bürger und die Behörden gar nicht bestimmbar, ab welchem Wert welche Maßnahmen erforderlich und angemessen seien. Die Schülerinnen und Schüler würden in ihren Grundrechten (Art. 1 Abs. 1 GG, Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, Art. 2 Abs. 1 GG, Art. 4 Abs. 1 Alternative 2 GG) verletzt, zum Objekt der Corona-Bekämpfung degradiert und nur noch als Infektionsherd und -überträger gesehen. Der Abstrichtupfer führe bei falscher Handhabung zu Würgereflexen bzw. Schmerzen und manchmal sogar zu Erbrechen, Nasenbluten oder sonstigen negativen Gesundheitszuständen, die auch noch Tage anhalten könnten. Der Distanzunterricht stelle keine vergleichbare Möglichkeit dar, dem Schulbetrieb zu folgen. Unter anderem gebe es dort keine Möglichkeit, gültige Leistungsnachweise zu erbringen. Von Schülerinnen und Schülern sei kein merklich erhöhtes Infektionsaufkommen nachweisbar. Das Testen bringe keinen Mehrwert an Sicherheit oder Eindämmung des Infektionsgeschehens. Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung könne nicht gewährleistet werden. Die Freiwilligkeit der datenschutzrechtlichen Einwilligung fehle, wenn seitens des Gesetzgebers kein Anspruch auf Distanzunterricht einfach- oder grundgesetzlich ausgestaltet werde. Gegebenenfalls werde ein Distanzunterricht „aufgezwungen“, welcher nicht gleichwertig sei. Anzunehmen, dass alle Schulen überhaupt die technischen und personellen Möglichkeiten hätten, dies über Wochen und Monate aufrechtzuerhalten, sei fernab jeder Wirklichkeit. Es müsse also jedem selbst überlassen bleiben, ob er sich testen lasse oder nicht. Eine Testpflicht würde einen Gewissenskonflikt zwischen dem wichtigen Präsenzunterricht einerseits und der Gesundheit andererseits hervorrufen und damit gegen die Gewissensfreiheit aus Art. 4 Abs. 1 Alt. 2 GG verstoßen. Eine inzidenzunabhängige Regelung, fernab von jeder Prognose oder Evaluierung des Infektionsgeschehens, sei unverhältnismäßig. Die Testung habe keinerlei positive Auswirkung auf die Eindämmung des Infektionsgeschehens. Auch wenn der Senat die Zugangsbeschränkung als Testobliegenheit bezeichne, handele es sich faktisch angesichts des nicht flächendeckend angebotenen Distanzunterrichts um eine Testpflicht. Dass Lehrkräfte und Schulverwaltungspersonal Selbsttests auch außerhalb der Schule und ohne Aufsicht vornehmen dürften, stelle eine unangemessene Benachteiligung für die Schülerinnen und Schüler dar. Ferner führe der Einsatz von Schnelltests oftmals zu falschen Ergebnissen. Kinder trügen zum jetzigen Zeitpunkt nicht überproportional am COVID-19-Infektionsgeschehen bei. Dies belege eine Präsentation der LMU, Haunersches Kinderspital München von Prof. Dr. H. PCR-Tests wiesen nicht nach, ob eine infizierte Person noch ansteckend sei. Die Antragsteller verwiesen auf den Beschluss des Amtsgerichts Weimar vom 8. April 2021 (Az. 9 F 148/2) und die in diesem Verfahren eingeholten Gutachten. Das Gericht werde um Beiziehung der Akte, bzw. des Beschlusses gebeten. Auch das Amtsgericht Weilheim (B.v. 13.4.2021 – 2 F 192/21) habe sich dieser Ansicht angeschlossen. Art. 35 BayEUG bzw. Art. 56 Abs. 1 S. 2 BayEUG i.V.m. Art. 128 der Verfassung des Freistaats Bayern erkläre die Pflicht und damit korrelierend auch das Recht auf einen Schulbesuch. Bei einem ausbleibenden Präsenzunterricht entfielen die Möglichkeiten des Art. 56 Abs. 2 Nrn. 1 bis 3 BayEUG. Die Pflicht, am Unterricht regelmäßig teilzunehmen, resultiere aus Art. 56 Abs. 4 Satz 3 BayEUG.
4. Mit gerichtlichem Schreiben vom 26. April 2021 wies der Senat die Antragsteller darauf hin, dass sich durch das Inkrafttreten des „Vierten Gesetzes zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite“ zum 23. April 2021 (BGBl. 2021 I Nr. 18, S. 802 ff.) sowie durch die Anpassung der 12. BayIfSMV zum 23. April 2021 (BayMBl. 2021 Nr. 287) die rechtlichen Rahmenbedingungen des vorliegenden Rechtsstreits wesentlich geändert haben. Soweit der streitgegenständliche Sachverhalt nunmehr unmittelbar durch die Bestimmungen des § 28b IfSG geregelt wird, dürfte für Anträge nach § 47 Abs. 1 und/oder Abs. 6 VwGO gegen die 12. BayIfSMV zumindest keine Antragsbefugnis mehr bestehen.
Bis zur Entscheidung erfolgte keine Rückäußerung der Antragsteller.
5. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten Bezug genommen.
II.
Der Eilantrag bleibt ohne Erfolg.
1. Der Antrag ist nicht statthaft und damit unzulässig, da er im Kern auf die vorläufige Außervollzugsetzung des § 28b Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 2 IfSG gerichtet ist. Nach Art. 100 Abs. 1 GG (Verfahren der konkreten Normenkontrolle) sind jedoch förmliche nachkonstitutionelle Gesetze dem Verwerfungsmonopol des Bundesverfassungsgerichts vorbehalten (stRspr BVerfG, U.v. 20.3.1952 – 1 BvL 12/51 – juris; B.v. 6.10.1959 – 1 BvL 13/58 – juris Rn. 11; B.v. 14.5.1985 – 2 BvR 397/82 – juris Rn. 68), wohingegen Prüfungsgegenstand des Normenkontrollverfahrens nach § 47 VwGO nur untergesetzliche landesrechtliche Normen sein können (Ziekow in Sodan/Ziekow, Verwaltungsgerichtsordnung, 5. Auflage 2018, § 47 Rn. 21).
Mit dem „Vierten Gesetzes zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite“ vom 22. April 2021 (BGBl. I S. 802 ff.) fügte der Bundesgesetzgeber § 28b in das Gesetz zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen (Infektionsschutzgesetz – IfSG) vom 20. Juli 2000 (BGBl. I S. 1045) ein. Anders als die bisher vorgesehenen Schutzmaßnahmen (§§ 28, 28a, 29, 30, 31) bedürfen die in § 28b geregelten Schutzmaßnahmen keines Umsetzungsaktes durch eine Vollzugsbehörde, sondern gelten „automatisch“ unmittelbar kraft gesetzlicher Anordnung (vgl. BT-Drs. 19/28732, S. 19).
Die Antragsteller haben nicht vorgetragen, dass § 18 Abs. 4 12. BayIfSMV demgegenüber für sie eine darüberhinausgehende, eigenständige belastende Regelung enthält.
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Festsetzung des Gegenstandswertes ergibt sich aus § 53 Abs. 2 Nr. 2 i.V.m. § 52 Abs. 1 GKG. Da die von den Antragstellern angegriffene Verordnung bereits mit Ablauf des 9. Mai 2021 außer Kraft tritt (§ 30 12. BayIfSMV), zielt der Eilantrag inhaltlich auf eine Vorwegnahme der Hauptsache, weshalb eine Reduzierung des Gegenstandswertes für das Eilverfahren auf der Grundlage von Ziff. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 hier nicht angebracht erscheint.
3. Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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