Verwaltungsrecht

Coronavirus, SARS-CoV-2, Anordnung, Arbeitnehmer, Darlegung, Arbeit, Mindestabstand, Organstreitverfahren, Antragsteller, Grenzwerte, Aufhebung, Erlass, Hauptsacheverfahren, Landtag, Verfassungswidrigkeit, Dienstanweisung, einstweilige Anordnung, einstweiligen Anordnung, Erlass einer einstweiligen Anordnung

Aktenzeichen  Vf. 88-IVa-21

Datum:
13.1.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 178
Gerichtsart:
VerfGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verfassungsgerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Tenor

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgewiesen.

Gründe

I.
1. Die Antragsteller zu 2 bis 6 sind Abgeordnete des Bayerischen Landtags und Mitglied der Antragstellerin zu 1, der Fraktion Alternative für Deutschland im Bayerischen Landtag (AfD-Fraktion). Die Antragsteller wenden sich im Weg einer Verfassungsstreitigkeit (Organstreit) gegen durch Allgemeinverfügung der Präsidentin des Bayerischen Landtags vom 19. November 2021 geänderte „Maßnahmen im Zusammenhang mit der Bewältigung der durch die Ausbreitung des,Corona-Virus‘ bedingten besonderen Situation“.
Die Allgemeinverfügung vom 19. November 2021 ist auf das öffentlichrechtliche Hausrecht gemäß Art. 21 Abs. 1 BV und § 16 Abs. 2 der Hausordnung vom 15. April 2019 sowie die dienstrechtliche Fürsorgepflicht gestützt. Sie hat die auf denselben Grundlagen beruhende 6. Anordnung und Dienstanweisung der Landtagspräsidentin vom 29. September 2021, die zuletzt durch Allgemeinverfügung vom 21. Oktober 2021 geändert worden war, in mehreren Punkten geändert. In der aktuell geltenden Fassung enthält die 6. Anordnung und Dienstanweisung nunmehr insbesondere folgende Regelungen:
„3 Unter Nummer 3 „Zutritt zu den Räumlichkeiten des Landtags“ Buchstabe a Doppelbuchstabe aa wird bestimmt, dass – sofern im gesamten Freistaat Bayern die sogenannte 7-Tage-Inzidenz den Wert von 35 überschreitet – Personen, die in einem näheren funktionellen Zusammenhang zum Landtag stehen, wie z. B. Beschäftigte der Fraktionsgeschäftsstellen und des Landtagsamts (Personen gemäß § 3 der Hausordnung), nur Zutritt erhalten, wenn sie im Hinblick auf das CoronaVirus geimpft, genesen oder getestet (3G) sind. Von dieser 3G-Regelung sind u. a. Abgeordnete des Landtags ausgenommen.
In Nummer 4 „Zutritt zu parlamentarischen Sitzungen“ ist unter Buchstabe a eine allgemeine 3G-Regelung anlässlich von Plenarsitzungen enthalten, der jedoch für Mitglieder des Landtags und der Staatsregierung sowie die von der Staatsregierung bestellten Beauftragten eine Sonderregelung unter Buchstabe b vorgeht. Landtagsabgeordnete und die weiteren genannten Personen erhalten Zutritt zu den Plenarsitzungen auch, wenn sie keinen 3G-Nachweis erbringen, dann allerdings „ausschließlich zu den hierfür vorgesehenen und entsprechend gekennzeichneten Plätzen auf der Besuchertribüne des Plenarsaals“, die „so angeordnet [sind], dass der Mindestabstand von 1,5 Metern eingehalten wird“.
Unter Nummer 6 „Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung“ Buchstabe c ist (insoweit unverändert) in Absatz 1 geregelt, dass im Plenarsaal die Mund-Nasen-Bedeckung am Redepult sowie bei einem Wortbeitrag vom Platz abgenommen werden kann, sofern der Infektionsschutz hinreichend gewährleistet wird. Gemäß Absatz 2 in aktueller Fassung kann unter dieser Voraussetzung in parlamentarischen Sitzungen die Mund-Nasen-Bedeckung am Platz (medizinische Gesichtsmaske dort ausreichend gemäß Nummer 6 Buchstabe b Absatz 4) auch dann abgenommen werden, wenn die Grenzwerte nach §§ 16 und 17 und bezogen auf die Landeshauptstadt München nach § 17 a der 14. BayIfSMV in der jeweils geltenden Fassung nicht überschritten werden.
2. Die Antragsteller beantragen mit Antragsschrift vom 21. Dezember 2021 gegenüber dem „Freistaat Bayern, vertreten durch die Präsidentin des Bayerischen Landtags Ilse Aigner,“ als „Antragsgegner“ in der Hauptsache, „die Regelungen der 6. Anordnung und Dienstanweisung[,] zuletzt geändert durch Allgemeinverfügung vom 19.11.2021[,] … unter den Punkten,3. Zutritt zu den Räumlichkeiten des Landtags‘[,],4. Zutritt zu parlamentarischen Sitzungen‘, und,6. Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung‘ für nichtig zu erklären“. Ferner beantragen sie im Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung, diese Regelungen einstweilen gegenüber den Antragstellern und ihren Mitarbeitern nicht zu vollstrecken und diesen gegenüber insoweit außer Vollzug zu setzen.
a) Die Antragsteller behaupten, dass der parlamentarische Arbeitsablauf insbesondere von den drei oben näher beschriebenen Regelungen signifikant beeinflusst werde:
aa) Innerhalb der Räumlichkeiten des Bayerischen Landtags – in dessen Liegenschaften im Maximilianeum sowie der Ismaninger Straße 17 in München sie über Räumlichkeiten verfügten – finde nun die sogenannte 3G-Regel Anwendung.“
Zugang zu den Räumlichkeiten des Bayerischen Landtags hätten seitdem (mit Ausnahme der Abgeordneten) nur noch diejenigen Personen, die im Sinn der maßgeblichen Vorschriften der COVID-19-Schutzmaßnahmen-Ausnahmenverordnung geimpft, genesen oder getestet seien (Nr. 3 Buchst. a Doppelbuchst. aa der 6. Anordnung und Dienstanweisung). Der Zugang werde hierbei nicht nur für die geschlossenen Räume innerhalb der Liegenschaften eingeschränkt, auch das Betreten der Grundstücke unter freiem Himmel werde nur unter „3G-Bedingungen“ erlaubt. Es finde eine Zugangskontrolle an den Zugängen zum Grundstück des Landtags statt, insoweit könnten die Angestellten der Antragsteller nicht ohne Testnachweis zu ihren jeweiligen Arbeitsstätten gelangen. In der praktischen Umsetzung könnten sich zwar geimpfte oder genesene Mitarbeiter beim Landtagsamt melden und ihren Status erfassen lassen, der dort gespeichert werde; dann erhielten sie weiterhin Zutritt zu den Liegenschaften durch bloßes Auflegen der Zugangskarte an der Schranke. Nicht registrierte Mitarbeiter erhielten jedoch nur nach manueller Freigabe durch das Sicherheitspersonal Zugang zum Landtag, der nur bei Vorlage eines entsprechenden Testnachweises gewährt werde. Den Abgeordneten des Bayerischen Landtags biete „der Beklagte“ hingegen auch die Möglichkeit zur Testung innerhalb der Liegenschaften und geschlossenen Räume des Landtags an. Die Antragstellerin zu 1 verfüge über Personal, welches die entsprechenden Voraussetzungen zur Vornahme von Corona-Schnelltests habe und auch über die materielle Ausstattung hierfür verfüge. Die Kontrollen am Eingang der Liegenschaften seien nicht erforderlich. Es gebe keinen sachlichen Grund, den Antragstellern „zu 2 bis 4“ die Testmöglichkeit in,ihrem‘ Betrieb zu verwehren; die Intensität des Eingriffs würde deutlich abgesenkt, wenn die Testung bzw. Überprüfung des Impfstatus vom eigenen Arbeitgeber vorgenommen werden würde.
bb) Abgeordnete des Bayerischen Landtags könnten die allgemeinen Liegenschaften zwar ohne Test betreten, der Zutritt in den Plenarsaal werde aber auch ihnen nur unter den sogenannten 3G-Bedingungen gemäß Nr. 4 Buchst. a und b der 6. Anordnung und Dienstanweisung gewährt. Sie erhielten ohne einen der geforderten Nachweise Zutritt ausschließlich zu den hierfür vorgesehenen und entsprechend gekennzeichneten Plätzen auf der Besuchertribüne des Plenarsaals, bei denen durch die Anordnung der Mindestabstand von 1,5 m eingehalten werde.
cc) Neben diesen Zugangsbeschränkungen werde den Abgeordneten zudem ab dem Überschreiten der Inzidenzwerte der §§ 16 und 17 bzw. des § 17 a 14. BayIfSMV die Pflicht zum Tragen von FFP2-Masken auferlegt, wobei hinsichtlich § 17 a 14. BayIfSMV die Grenzwerte der Landeshauptstadt München gelten würden, nicht etwa Zahlen an den Heimatorten der Abgeordneten.
b) Die Antragsteller meinen, durch die Maßnahmen „der Antragsgegnerin“ in ihren durch die Bayerische Verfassung eingeräumten Rechtspositionen verletzt bzw. gefährdet zu sein. Sowohl die Maskenwie auch die Testpflicht stelle für die Antragsteller zu 2 bis 6 einen Eingriff in ihre organschaftliche Stellung dar; dass den Mitarbeitern der Antragsteller der Zugang zu deren jeweiligen Räumlichkeiten verweigert werden könne, verletze alle Antragsteller, auch die Antragstellerin zu 1 als Fraktion, in dieser Stellung. Fraktionen wie auch Abgeordnete dürften aufgrund des ihnen im Zug des freien Mandats eingeräumten Nutzungsrechts an ihren Räumlichkeiten selbst den Zugang regeln. Der Schutzbereich umfasse nicht nur den bloßen Zugang, sondern jede Art von Arbeitsablauf bzw. strukturierter Arbeitsformen innerhalb der Fraktionsräume, die ebenfalls beeinträchtigt seien. Eine Beschränkung greife aufgrund des Einflusses auf die parlamentarische Arbeit in die organschaftliche Stellung ein. Eine Rechtfertigung der Eingriffe, die „die Antragsgegnerin“ u. a. mit dem Gesundheitsschutz der innerhalb des Landtags tätigen Mitarbeiter und dem Schutz der Funktionsfähigkeit des Landtags sowie einer drohenden Überlastung des Gesundheitssystems begründe, scheine – auch im Hinblick auf den Impfstatus im Haus und bisher fehlende signifikante Krankenstände innerhalb der Abgeordnetenschaft – nicht gegeben zu sein. Zudem stelle die Einführung von 3G-Regelungen sowohl für die Fraktionsräume wie auch im Fall des Plenums eine unzulässige Einschränkung der parlamentarischen Arbeit der Opposition dar und verletze deren Rechte aus Art. 16 a BV.
c) Der Erlass einer einstweiligen Anordnung gemäß Art. 26 Abs. 1 Satz 1 VfGHG sei geboten, weil die Verfassungswidrigkeit der angefochtenen Vorschriften offensichtlich sei. Die Folgen, die eintreten würden, wenn die einstweilige Anordnung nicht erginge, „die Popularklage“ aber Erfolg hätte, seien den Antragstellern nicht zuzumuten. Es sei bei weitem nicht gesichert, dass die Testpflicht das Infektionsgeschehen vorteilhaft beeinflusse. Den Verlautbarungen des Robert Koch-Instituts sei trotz § 4 IfSG nicht unbesehen Folge zu leisten. Den Antragstellern könne das Zuwarten auf eine Entscheidung im Hauptsacheverfahren nicht zugemutet werden, es helfe lediglich die Außervollzugsetzung der den parlamentarischen Ablauf unmittelbar schwerwiegend beeinträchtigenden Regelungen. Andererseits bestehe seitens „des Antragsgegners“ kein gesteigertes Interesse am Vollzug „ihrer Maßnahmen“. Ob die Mitarbeiter der Antragsteller nun vor dem Landtag oder gleich nach dessen Betreten getestet würden, habe auf einen etwaigen Infektionsschutz keinen Einfluss. Dies gelte auch für die Zugangsbeschränkungen zum Plenum. Aufgrund der physischen Schutzmaßnahmen (Trennwände usw.) bestünde auch ohne 3G-Regelung keine gesteigerte Gefahr.
d) Die Antragsteller führen daneben näher aus, inwiefern aus ihrer Sicht durch die angegriffenen Regelungen und deren Vollzug nicht gerechtfertigte Eingriffe in ihre organschaftlichen Rechte vorlägen.
3. Die Präsidentin des Bayerischen Landtags hält in ihrer Stellungnahme zum Antrag auf einstweilige Anordnung vom 5. Januar 2022 dessen Zulässigkeit schon deshalb für zweifelhaft, da der begehrte Inhalt – teilweise Außervollzugsetzung der beanstandeten Maßnahmen – über den im Organstreitverfahren als Hauptsacheverfahren üblicherweise nur zulässigen Feststellungsausspruch hinausgehe und keine Sonderkonstellation vorliege, die dies ausnahmsweise zulassen würde. Die Antragstellerin zu 1 sei zudem teilweise nicht antragsbefugt. Darüber hinaus sei der Antrag im Hauptsacheverfahren offensichtlich unbegründet und auch eine gegebenenfalls zusätzlich vorzunehmende Folgenabwägung habe zugunsten der Antragsgegnerin auszugehen.
II.
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hat keinen Erfolg. Er ist unzulässig.
1. Die Zulässigkeit ist bereits deswegen zweifelhaft, weil der Antrag im Hauptsachewie im Eilverfahren gegen einen im Organstreit gemäß Art. 64 BV, Art. 49 VfGHG nicht beteiligungsfähigen Antragsgegner gerichtet ist. Nach Art. 64 BV entscheidet der Verfassungsgerichtshof über Verfassungsstreitigkeiten zwischen den obersten Staatsorganen oder in der Verfassung mit eigenen Rechten ausgestatteten Teilen eines obersten Staatsorgans. Der ausdrücklich als Antragsgegner bezeichnete „Freistaat Bayern“ als solcher ist kein Organ seiner selbst, kein „oberstes Staatsorgan“. Die Präsidentin des Bayerischen Landtags, die als in der Verfassung mit eigenen Rechten ausgestatteter Teil eines obersten Staatsorgans beteiligungsfähig ist, wird im Rubrum der Antragsschrift ausdrücklich und eindeutig lediglich als Vertreterin des Freistaats Bayern, dem „Antragsgegner“, benannt, nicht selbst als Antragsgegnerin. Lediglich in der Begründung der Anträge wird sie teilweise als „Antragsgegnerin“ bezeichnet. Auch dort ist andererseits aber auch mehrmals von „dem Beklagten“ bzw. dem „Antragsgegner“ die Rede. In früheren Eilverfahren zu hausrechtlichen Regelungen der Landtagspräsidentin in vorangegangenen Anordnungen und Dienstanweisungen – dazu ergangene Entscheidungen werden in der Antragsschrift auszugsweise zitiert, die Antragstellerin zu 1 und der Antragsteller zu 6 waren teilweise selbst Beteiligte – war hingegen insoweit zutreffend jeweils die Präsidentin des Bayerischen Landtags als beteiligungsfähige Antragsgegnerin in Anspruch genommen worden (vgl. VerfGH vom 6.5.2021 – Vf. 37-IVa-21 – juris; vom 28.9.2021 – Vf. 74-IVa-21 – juris). Ob der Antrag dennoch zugunsten der Antragsteller dahingehend ausgelegt werden kann, dass er gegen die Präsidentin des Bayerischen Landtags als Antragsgegnerin gerichtet ist, bedarf im Rahmen des hiesigen Eilverfahrens jedoch ebenso wenig einer Entscheidung wie sonstige Zulässigkeitsbedenken in Bezug auf die Hauptsache. Denn der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist jedenfalls aus anderen Gründen unzulässig.
2. Nach Art. 26 Abs. 1 VfGHG kann der Verfassungsgerichtshof eine einstweilige Anordnung erlassen, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund dringend geboten ist. Diese Regelung bezieht sich auf alle Verfahrensarten im Sinn des Art. 2 VfGHG, also auch auf Verfassungsstreitigkeiten gemäß Art. 64 BV, Art. 49 VfGHG (VerfGH vom 4.2.1991 VerfGHE 44, 9/14; vom 14.9.2020 – Vf. 70-IVa-20 – juris Rn. 8; vom 9.11.2020 BayVBl 2021, 51 Rn. 7; vom 1.12.2020 – Vf. 90-IVa-20 – juris Rn. 10; vom 6.5.2021 – Vf. 37-IVa-21 – juris Rn. 14; vom 28.9.2021 – Vf. 74- IVa-21 – juris Rn. 14).
a) Einstweilige Anordnungen können nur dazu dienen, eine vorläufige Regelung zu treffen; die Entscheidung über den Erlass einer einstweiligen Anordnung darf die Hauptsacheentscheidung grundsätzlich nicht vorwegnehmen (VerfGH vom 19.7.1982 VerfGHE 35, 82/87; vom 6.5.2021 – Vf. 37-IVa-21 – juris Rn. 16). Ein Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist zudem regelmäßig unzulässig, wenn der Verfassungsgerichtshof eine entsprechende Rechtsfolge im Hauptsacheverfahren nicht bewirken könnte. Im Organstreit, der als kontradiktorische Parteistreitigkeit maßgeblich der gegenseitigen Abgrenzung der Kompetenzen von Verfassungsorganen oder ihrer Teile in einem Verfassungsrechtsverhältnis, nicht hingegen der Kontrolle der objektiven Verfassungsmäßigkeit eines bestimmten Organhandelns dient, stellt der Verfassungsgerichtshof in der Regel lediglich fest, ob die beanstandete Maßnahme gegen verfassungsmäßige Rechte verstößt (vgl. z. B. VerfGH vom 27.6.1977 VerfGHE 35, 48; vom 6.6.2011 BayVBl 2011, 662; vom 6.5.2021 – Vf. 37-IVa-21 – juris Rn. 16). Kassatorische oder rechtsgestaltende Wirkung kommt der Entscheidung im Organstreit nicht zu (vgl. dazu auch BVerfG vom 7.7.2021 NVwZ 2021, 1368 Rn. 25 m. w. N.). Es obliegt vielmehr dem jeweiligen Verfassungsorgan selbst, einen festgestellten verfassungswidrigen Zustand zu beenden. Für eine objektive Feststellung der Verfassungswidrigkeit einer Maßnahme ist daher im Organstreit ebenso wenig Raum wie für eine über die Feststellung einer Verletzung der Rechte eines Antragstellers hinausgehende Verpflichtung eines Antragsgegners zu einem bestimmten Verhalten (vgl. VerfGH vom 11.8.2021 BayVBl 2021, 734 Rn. 25 m. w. N.). Dass der Organstreit allein der Klärung der Rechte der Verfassungsorgane im Verhältnis zueinander und nicht einer allgemeinen Verfassungsaufsicht dient, ist auch bei der Bestimmung des zulässigen Inhalts eines Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung in dieser Verfahrensart zu beachten. Gegenstand eines solchen Antrags kann allein die vorläufige Sicherung des streitigen organschaftlichen Rechts des Antragstellers sein, damit es nicht im Zeitraum bis zur Entscheidung in der Hauptsache durch die Schaffung vollendeter Tatsachen überspielt wird. Eine Abweichung von dem Grundsatz, dass der Inhalt einer einstweiligen Anordnung nicht über die im Hauptsacheverfahren bewirkbaren Rechtsfolgen hinausgehen darf, kommt daher allenfalls in Sonderkonstellationen in Betracht, wenn allein hierdurch die Schaffung vollendeter Tatsachen im Sinn einer endgültigen Vereitelung des geltend gemachten Rechts verhindert werden kann (vgl. VerfGH vom 1.12.2020 – Vf. 90-IVa-20 – juris Rn. 18; vom 6.5.2021 – Vf. 37-IVa-21 – juris Rn. 16; BVerfG vom 22.7.2020 NVwZ 2020, 1422 Rn. 40 m. w. N.; NVwZ 2021, 1368 Rn. 26). Auch ist das Verfahren nach Art. 26 Abs. 1 VfGHG ebenso wenig wie das nach § 32 BVerfGG darauf angelegt, möglichst lückenlosen vorläufigen Rechtsschutz vor dem Eintritt auch endgültiger Folgen zu bieten (vgl. BVerfG NVwZ 2021, 1368 Rn. 23 m. w. N.). Dass eine Sonderkonstellation gegeben ist, die eine Ausnahme von der grundsätzlichen Unzulässigkeit einer Anordnung gebietet, die über den im Hauptsacheverfahren bewirkbaren Rechtsfolgenausspruch im Organstreitverfahren hinausgeht, ist vom Antragsteller darzulegen (vgl. BVerfG NVwZ 2021, 1368 Rn. 26 m. w. N.; zum Ganzen VerfGH vom 28.9.2021 – Vf. 74-IVa-21 – juris Rn. 16).
b) Diesen Voraussetzungen genügt der vorliegende Antrag nicht.
Zwar ist der Antrag auf einstweilige Anordnung – anders als der zur Hauptsache, mit dem allgemein die Nichtigerklärung bestimmter Regelungen, nämlich Nrn. 3, 4 und 6 der 6. Anordnung und Dienstanweisung begehrt wird – nicht auf eine generelle Außervollzugsetzung der angegriffenen Maßnahmen gerichtet und damit nicht drittbezogen (vgl. dazu VerfGH vom 28.9.2021 – Vf. 74-IVa-21 – juris Rn. 18), sondern auf die Durchsetzung der als verletzt behaupteten Rechte der Antragsteller beschränkt. Er geht aber dennoch über die im Hauptsacheverfahren bewirkbaren Rechtsfolgen – ggf. Feststellung einer Verletzung der verfassungsmäßigen Rechte der Antragsteller – hinaus. Denn mit der begehrten einstweiligen Außervollzugsetzung der betroffenen Regelungen gegenüber den Antragstellern und ihren Mitarbeitern soll der Verfassungsgerichtshof insoweit unmittelbar die von der Landtagspräsidentin angeordneten Maßnahmen unterbinden und selbst regelnd in das Verhältnis der beteiligten Verfassungsorgane eingreifen.
Es fehlt jedoch für jede der angegriffenen Regelungen an der damit erforderlichen Darlegung einer Sonderkonstellation, in der in Anbetracht der strengen Maßstäbe ein auch nur vorübergehender Eingriff des Verfassungsgerichtshofs in die Autonomie eines anderen Verfassungsorgans unabdingbar wäre, um die Schaffung vollendeter Tatsachen bis zur Entscheidung in der Hauptsache zu verhindern. Es ist weder substanziiert dargelegt noch sonst ersichtlich, dass einem, mehreren oder allen Antragstellern bei Nichtergehen der einstweiligen Anordnung ein schwerer Nachteil drohen und in diesem Sinn eine dringende Gebotenheit vorliegen würde (vgl. VerfGH vom 28.9.2021 – Vf. 74-IVa-21 – juris Rn. 19; BVerfG NVwZ 2021, 1368 Rn. 33).
aa) Hinsichtlich der Beschränkung des Zutritts zu den Räumlichkeiten des Landtags für die Mitarbeiter der Antragsteller gemäß Nr. 3 Buchst. a Doppelbuchst. aa der 6. Anordnung und Dienstanweisung berufen sich die Antragsteller zur Begründung einer angeblich „den parlamentarischen Ablauf unmittelbar schwerwiegend beeinträchtigenden“ Regelung lediglich pauschal und abstrakt darauf, dass es offensichtlich für die parlamentarische Arbeit extrem hinderlich sei, wenn ihre Angestellten nicht ungehindert Zugang zu den Räumlichkeiten hätten; das Arbeitspensum innerhalb der parlamentarischen Arbeit (Plenumsvorbereitung, Ausschüsse, Petitionen) sei ohne Hilfe der Angestellten für die Abgeordneten und ihren Zusammenschluss als Fraktion schlicht nicht zu bewältigen.
Eine nachvollziehbare konkrete Darlegung, dass und gegebenenfalls in welchem Umfang durch die – unterstellt rechtswidrige – Zutrittsbeschränkung an sich oder deren Ausgestaltung Mitarbeiter der Antragsteller tatsächlich an der Ausübung ihrer Arbeit für die Antragstellerin zu 1 oder die Antragsteller zu 2 bis 6 unzumutbar gehindert würden und dadurch mittelbar deren parlamentarische Arbeit schwerwiegend beeinträchtigt würde, findet hingegen nicht statt. Eine solche Annahme liegt schon angesichts der kurz nach Erlass der Allgemeinverfügung, am 24. November 2021, in Kraft getretenen bundesrechtlichen allgemeinen 3G-Regelung gemäß § 28 b Abs. 1 IfSG für Arbeitsstätten, in denen physische Kontakte von Arbeitgebern und Beschäftigten untereinander oder zu Dritten nicht ausgeschlossen werden können, auch keineswegs auf der Hand, liegt vielmehr fern. Da weder dargelegt wird noch ersichtlich ist, dass die Antragsteller und ihre Angestellten und sonstigen Mitarbeiter keine „Arbeitgeber“ bzw. „Beschäftigten“ (insbesondere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer) im Sinn des § 28 b Abs. 1 Satz 1 IfSG wären oder deren Arbeitsplätze in den Liegenschaften des Landtags keine „Arbeitsstätten“ (vgl. BT-Drs. 20/89 S. 16 mit dem Verweis auf § 2 Abs. 2 und 3 Arbeitsschutzgesetz und § 2 Abs. 1 und 2 Arbeitsstättenverordnung), dürfte 3G am Arbeitsplatz für die Mitarbeiter der Antragsteller ohnehin aufgrund Bundesrechts gelten. Selbst wenn dies nicht der Fall wäre, könnte eine auf das Hausrecht gestützte 3G-Regelung, die lediglich ein „Erschwernis“ entsprechend übernimmt, das derzeit pandemiebedingt für Millionen von Beschäftigten (auch beispielsweise für Richterinnen und Richter, deren Unabhängigkeit dem besonderen Schutz sowohl der Bayerischen Verfassung als auch des Grundgesetzes unterliegt) gilt, nicht als unzumutbares Hindernis für die Arbeitsausübung qualifiziert werden.
Eine besondere Beeinträchtigung der parlamentarischen Arbeit der Antragsteller durch die konkrete Gestaltung der hausrechtlichen 3G-Regelung für die Beschäftigten ist ebenfalls weder nachvollziehbar vorgetragen noch erkennbar. Auch in § 28 b Abs. 1 Satz 1 IfSG werden vom Begriff der Arbeitsstätte nicht nur Arbeitsräume oder andere Orte in Gebäuden auf dem Gelände eines Betriebs erfasst, sondern gerade auch Orte im Freien auf dem Betriebsgelände (vgl. BT-Drs. 20/89 S. 16 mit dem Verweis auf § 2 Abs. 1 und 2 Arbeitsstättenverordnung). Den Antragstellern wird entgegen ihrer Behauptung auch nicht die Testung in „ihrem“ Betrieb – bei der Antragstellerin zu 1, die über entsprechendes Personal und die erforderliche materielle Ausstattung verfüge – verwehrt. Die Präsidentin des Bayerischen Landtags hat in ihrer Stellungnahme vielmehr hervorgehoben, dass in Absprache mit der Landtagsverwaltung der Antragstellerin zu 1 die Betreibung eines fraktionseigenen „Testzentrums“ in der ihr zugewiesenen, in kurzer Distanz zum Maximilianeum gelegenen Räumlichkeit in der Ismaninger Straße 17 ermöglicht worden sei. Dort könnten die Beschäftigten der Antragstellerin zu 1 mit dem Zweck Zutritt nehmen, durch die dortige (fraktionseigene) Testung den Nachweis für den Zutritt auch zu anderen Räumlichkeiten des Landtags, insbesondere zum Maximilianeum, nach der 3G-Regel zu erhalten.
bb) In Bezug auf die Zugangsbeschränkungen zum Plenarsaal für Abgeordnete des Bayerischen Landtags gemäß Nr. 4 Buchst. a und b der 6. Anordnung und Dienstanweisung stützen die Antragsteller die Eilbedürftigkeit darauf, dass allein die Möglichkeit, dass Abgeordnete von einer ordentlichen Teilnahme an der Plenarsitzung ausgeschlossen werden könnten, de facto eine zeitweise Aufhebung des freien Mandats und somit ein direkter Verstoß gegen die Abgeordnetenrechte wäre. Dieser ließe sich mangels Wiederholung der Plenarsitzungen auch nicht wiedergutmachen. Die Teilnahme von der Tribüne aus stelle kein taugliches Substitut für die ordentliche Teilnahme an der Plenarsitzung dar, auch nicht übergangsweise. Abgeordnete physisch vom Parlament zu separieren und sie damit aus der Mitte des Parlaments zu verbannen, verletze grob den Gleichheitsgrundsatz unter den Parlamentariern und stigmatisiere die Abgeordneten in der Öffentlichkeit, was beides mit dem Grundsatz des freien Mandats nicht vereinbar sei. Ohne Außervollzugsetzung drohe insoweit ein nicht wiedergutzumachender Schaden an der Demokratie, da die Volksvertreter ihre verfassungsmäßigen Pflichten nicht erfüllen könnten.
Die notwendige nachvollziehbare Darlegung einer Sonderkonstellation im oben beschriebenen Sinn liegt in dieser schlagwortartigen Argumentation nicht vor. Sie lässt schon außer Acht, dass mit der angegriffenen Bestimmung für die Abgeordneten des Landtags, also insbesondere auch die Antragsteller zu 2 bis 6, im Ergebnis keine „echte“ 3G-Regelung statuiert wird. Es wird vielmehr allen Abgeordneten, auch ohne im Hinblick auf das Corona-Virus geimpft, genesen oder getestet zu sein bzw. wenn sie ihren Impf- oder Genesenenstatus nicht preisgeben und sich keinem Test unterziehen möchten, eine aktive Teilhabe an den Sitzungen uneingeschränkt ermöglicht. Sie können auf der Besuchertribüne gesondert ausgewiesene Plätze einnehmen, die so angeordnet sind, dass der Mindestabstand von 1,5 m eingehalten wird. Erklärungen und Redebeiträge können über ein Mikrofon abgegeben werden, es steht ein Redepult bereit. Des Weiteren ist auch die Teilnahme an Abstimmungen möglich (vgl. Begründung der Allgemeinverfügung vom 19.11.2021, S. 9 und Stellungnahme der Landtagspräsidentin).
Inwiefern diese Mitwirkungsmöglichkeit keine „ordentliche Teilnahme“ an einer Plenarsitzung sein sollte, erschließt sich nicht. Der Zweck der räumlichen Trennung dieser Gruppe von Abgeordneten von den sonstigen Abgeordneten liegt nach der Begründung der Allgemeinverfügung vom 19. November 2021 (S. 9) und der Stellungnahme der Landtagspräsidentin darin, dass bei Personen, die weder geimpft, genesen noch getestet seien, die Wahrscheinlichkeit deutlich erhöht sei, dass diese Träger des Corona-Virus seien; damit sei auch die Wahrscheinlichkeit, dass sich unter ihnen ein „Superspreader“ befinde, erhöht. Daher würde es für alle Mitglieder des Landtags, die die 3G-Voraussetzungen erfüllen, eine unzumutbare Gefährdung bedeuten, wenn Personen, die weder geimpft, genesen noch getestet sind, direkt neben diesen ohne Abstand im Plenarsaal sitzen würden. In dieser Zwecksetzung liegt ein unschwer nachvollziehbarer sachlicher Grund für die Differenzierung. Die Schaffung der räumlichen Ausweichmöglichkeit ist ersichtlich von dem Bemühen getragen, die Abgeordnetenrechte der davon Betroffenen weitgehend unberührt zu lassen, aber dennoch insbesondere dem berechtigten Schutzinteresse der anderen Abgeordneten Rechnung zu tragen, deren freies Mandat ebenso wie das der Antragsteller den Schutz der Verfassung genießt; auch diese müssen unter zumutbaren Bedingungen und ohne unnötige Gefährdung an den Plenarsitzungen teilhaben können. Die Folgerung der Antragsteller, dass sie mit einer solchen Regelung „separiert“, aus der Mitte des Parlaments „verbannt“ und „in der Öffentlichkeit stigmatisiert“ würden, liegt ebenso fern wie die Annahme, dass darin de facto eine zeitweise Aufhebung ihres freien Mandats liege.
cc) Im Hinblick auf die Regelung in Nr. 6 Buchst. c der 6. Anordnung und Dienstanweisung zu den Modalitäten des Tragens einer Mund-Nasen-Bedeckung am Platz enthält die Antragsschrift keine Ausführungen zur Begründung einer besonderen Eilbedürftigkeit bzw. einer Sonderkonstellation im oben beschriebenen Sinn. Hinsichtlich der sogenannten Maskenpflicht auch am Platz bei Sitzungen im Plenarsaal hat der Verfassungsgerichtshof im Übrigen insbesondere bereits in seiner Entscheidung vom 6. Mai 2021 (Vf. 37-IVa-21 – juris Rn. 44) zum Ausdruck gebracht, dass darin zwar eine gewisse Beeinträchtigung des allgemeinen Wohlbefindens der Betroffenen liege – und damit auch ihre organschaftliche Stellung betroffen sein mag. Die aktive Beteiligung von Abgeordneten in parlamentarischen Sitzungen als Teil des Kernbestands an Rechten auf Teilhabe am Verfassungsleben werde davon aber nicht berührt; auch sei eine solche, rein aus Gründen des Infektionsschutzes allgemein angeordnete Maskenpflicht politisch neutral und ernsthafte Gesundheitsgefahren drohten dadurch im Allgemeinen (für Sonderfälle bestehe eine Befreiungsmöglichkeit) nicht. Das Drohen eines schweren Nachteils für organschaftliche Rechte der Antragsteller ist daher insoweit nicht ansatzweise ersichtlich.
III.
Das Verfahren ist kostenfrei (Art. 27 Abs. 1 Satz 1 VfGHG).


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