Verwaltungsrecht

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Aktenzeichen  Au 6 S 21.1482

Datum:
28.7.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 53573
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Tenor

I. Die aufschiebende Wirkung der Klage wird gegen Ziffer 5 des Bescheids des … vom 1. Juni 2021 angeordnet. Im Übrigen wird der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO abgelehnt.
II. Von den Kosten des Antragsverfahrens hat die Antragstellerin zwei Drittel zu tragen, der Antragsgegner ein Drittel.
III. Der Streitwert wird auf 2.500,00 EUR festgesetzt.
IV. Der Antragstellerin wird hinsichtlich Ziffer 5 des Bescheids des … vom 1. Juni 2021 Prozesskostenhilfe für das Antragsund Klageverfahren unter Beiordnung von, gewährt und im Übrigen der Antrag auf Prozesskostenhilfe abgelehnt. Mehrkosten, die sich daraus ergeben, dass die Klägerbevollmächtigte ihren Sitz nicht im Gerichtsbezirk hat, werden nicht erstattet.

Gründe

Die am … geborene Antragstellerin ist georgische Staatsangehörige und klagt auf die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis unter Gewährung von Prozesskostenhilfe und Anwaltsbeiordnung. Sie begehrt mit ihrem Eilantrag die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage und auch hierfür Prozesskostenhilfe.
I.
Am 24. August 2020 reiste die bis dahin in … in ihrer Eigentumswohnung wohnende Antragstellerin visumfrei zum Zweck des Familienbesuchs in die Bundesrepublik Deutschland ein. Ihr in Deutschland mit erteilter Niederlassungserlaubnis lebender Sohn georgischer Staatszugehörigkeit gab für die Antragstellerin diesbezüglich am 23. Juli 2020 eine Verpflichtungserklärung ab.
Die Schwiegertochter der Antragstellerin versandte am 16. November 2020 an den Antragsgegner zwei zuvor eingeholte ärztliche Atteste über die Antragstellerin vom 13. November 2020 und 12. November 2020, die eine fehlende Reisefähigkeit der Antragstellerin bescheinigten und im Wesentlichen folgenden Inhalt hatten:, Ärztliches Attest vom 13. November 2020 (Behördenakte Bl. 5): Diagnosen: Panik, Kognitiver FIM 30-35 Punkte, Delir, Anpassungsstörung mit emotionaler Symptomatik.
Es bestehe aus medizinischer Sicht aktuell und mittelfristig keine Reisefähigkeit; die im Heimatland zu erwartende häusliche Isolation sei der aktuell intermittierenden deliranten Patientin nicht zumutbar. Chronische Angststörung mit depressiven Aspekten sowie beginnende kognitive Einschränkung seien vorbekannt. Es bestünde jetzt eine „succesive Exacerbierung“ mit Medikationsbedarf. Eine entsprechende medikamentöse Einstellung sei begonnen worden; eine fachärztliche Betreuung werde nach Klärung der Versicherungssituation eingeleitet.
… (Allgemeinarzt), Attest vom 12. November 2020 (Behördenakte Bl. 6): Fremdanamnestische Mitteilung, dass Patientin unter Angst und Depression, Bluthochdruck und Diabetes leide und alleine in Georgien lebe; die Beschwerden hätten sich unter der Coronapandemie verstärkt. Befund: Patientin wirke ängstlich besorgt, die Stimmung scheine depressiv ausgelenkt, deutliche Sprachbarriere und Zeichen für Bluthochdruck. Die Patientin scheine aktuell nicht transport- oder reisefähig.
Aufgrund der auf Veranlassung des Antragsgegners am 3. Februar 2021 erfolgten amtsärztlichen Untersuchung der Antragstellerin durch das … wurde zunächst eine fehlende Reisefähigkeit festgestellt. Die Antragstellerin habe zum Zeitpunkt der Untersuchung mangels bestehender Krankenversicherung noch keine Behandlung angetreten, obwohl seit November zumindest in Ansätzen eine Therapie möglich gewesen sei. Die Kosten für eine medikamentöse Therapie, die von der im November 2020 behandelnden Ärztin verschrieben worden seien, betrügen ca. 15 Euro für 100 Tabletten des Präparats, was selbst bei vollständiger eigener Kostenübernahme zumutbar sei. Im Hinblick auf das Attest vom 12. November 2020 scheine eine zwischenzeitliche Besserung eingetreten zu sein; eine häusliche Isolation in Georgien könne eine Verschlechterung des Krankheitsbildes nach sich ziehen, jedoch handele es sich bereits um eine vorbestehende chronische Erkrankung der Antragstellerin. Konkrete Behandlungsunterlagen aus Georgien zur Vorgeschichte der Erkrankung seien nicht beigebracht, die Erkrankung jedoch bereits bekannt gewesen. Es wurde eine Nachuntersuchung nach zwei Monaten empfohlen, sofern eine medikamentöse Therapie eingeleitet werde.
Am 9. März 2021 stellte die Antragstellerin einen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis. Als Zweck gab sie darin den Besuch der Kinder an; zusätzlich wurden Unterlagen einer für die Antragstellerin vom 25. Februar 2021 bis 25. Mai 2021 abgeschlossenen privaten Krankenversicherung nachgereicht. Der Antragstellerin wurde am 10. März 2021 eine Grenzübertrittsbescheinigung, gültig bis 30. April 2021, durch den Antragsgegner ausgestellt.
Die Reisefähigkeit der Antragstellerin wurde am 20. April 2021 erneut amtsärztlich überprüft. Ausweislich des diesbezüglichen Schreibens vom 30. April 2021 seien diagnostische und therapeutische Maßnahmen bei der Antragstellerin zwischenzeitlich begonnen worden, wobei neue Untersuchungen zur Abklärung der genauen Diagnose noch zu terminieren seien. Es würden Symptome beschrieben, die zwar mit Erkrankungen in Verbindung zu bringen seien, deren Ursache jedoch nicht eindeutig geklärt sei. In den seit der ersten Untersuchung vergangenen Monaten seien weder eine Verbesserung noch eine Verschlechterung des Allgemeinzustandes der Antragstellerin beobachtbar. Aufgrund der Sprachbarriere und der Art des vermutet zugrundeliegenden Krankheitsbildes seien weder eine schnelle sichere Diagnose noch eine prompte Genesung zu erwarten. Der Zustand der Antragstellerin sei stabil und es bestehe Reisefähigkeit mit Unterstützung einer Begleitperson; die Möglichkeit einer fortgeführten Betreuung im Heimatland solle gewährleistet sein.
Mit Schreiben vom 7. Mai 2021 wurde die Antragstellerin vom Antragsgegner angehört. Die Bevollmächtigte der Antragstellerin stellte daraufhin mit Schreiben vom 20. Mai 2021 einen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 36 Abs. 2 AufenthG und verwies unter anderem auf ein weiteres ärztliches Attest vom 4. Mai 2021 mit im Wesentlichen folgenden Inhalt:
Neuropraxis … (Behördenakte Bl. 64): Diagnosen: Schwere Depression mit Pseudodemenz DD Demenz möglicherweise sekundärer Genese, Vitamin D Mangel. Im CT habe sich ein kleiner Herd im Thalamus gezeigt, der mittels MRT weiter abzuklären sei. Eine antidepressive Medikation sei erst nach Bildgebung zielführend.
Mit Bescheid vom 1. Juni 2021 lehnte der Antragsgegner den Formblattantrag der Antragstellerin vom 9. März 2021 sowie den mit Schreiben vom 20. Mai 2021 gestellten formlosen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis ab (Ziffer 1), lehnte die Erteilung einer Duldung für die Antragstellerin ab (Ziffer 2), forderte die Antragstellerin auf, die Bundesrepublik Deutschland bis zum 20. Juli 2021, 24 Uhr bzw. für den Fall der fehlenden Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht zu diesem Zeitpunkt bis spätestens 30 Tage nach Eintritt der Vollziehbarkeit der Ausreiseverpflichtung zu verlassen (Ziffer 3), drohte die Abschiebung nach Georgien oder einen anderen zur Rücknahme verpflichteten Staat bei Nichterfüllung der Ausreiseverpflichtung an (Ziffer 4) und erließ gegen die Antragstellerin ein Einreise- und Aufenthaltsverbot, das auf die Dauer von einem Jahr ab Ausreise befristet wurde (Ziffer 5).
Den Gründen ist im Wesentlichen zu entnehmen, dass die Antragstellerin nicht im Besitz eines Aufenthaltstitels sei. Der sichtvermerkfreie Aufenthalt von 90 Tagen in der Bundesrepublik Deutschland sei mit Ablauf des 21. November 2020 beendet. Die Fiktionswirkung des § 81 Abs. 3 und Abs. 4 AufenthG sei aufgrund des erst am 9. März 2021 gestellten Antrags auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nicht ausgelöst worden. Zudem seien die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen für eine Aufenthaltserlaubnis nicht gegeben: Die Antragstellerin müsse zur beabsichtigten dauerhaften Herstellung und Wahrung einer familiären Lebensgemeinschaft im Bundesgebiet ein Visumverfahren absolvieren, was ihr weder unzumutbar sei, noch eine Ausnahme nach § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG aufgrund eines fehlenden gesetzlichen Anspruchs in Betracht komme. Etwas Anderes ergebe sich auch nicht unter Beachtung der Art. 6 GG und Art. 8 EMRK; aus den Attesten ergebe sich nicht, dass die Antragstellerin in erheblichem Maße dauerhaft gesundheitlich beeinträchtigt und in einem über das normale Maß hinausgehenden Umfang auf den Beistand ihrer Angehörigen angewiesen sei. Zudem ergebe sich mangels gesetzlichen Anspruchs für die Antragstellerin auch nicht die Möglichkeit der Einholung einer Aufenthaltserlaubnis nach erfolgter Einreise gem. § 99 AufenthG, § 39 Satz 1 Nr. 2 und Nr. 3 AufenthV. Eine Abschiebung der Antragstellerin sei weder aus rechtlichen noch tatsächlichen Gründen unmöglich: Aus den ärztlichen Berichten gehe nicht hervor, dass die Antragstellerin zwingend auf Hilfe Dritter angewiesen wäre, um den Alltag zu bewältigen. Die Antragstellerin sei auf das georgische Gesundheitssystem zu verweisen, das in den größeren Städten nach dem Lagebericht des Auswärtigen Amtes umfassende und weitgehend moderne Behandlungen biete. Auch aus der gesundheitlichen Situation der Antragstellerin ergebe sich nichts Anderes; diese sei reisefähig.
Gegen diesen der Bevollmächtigten der Antragstellerin am 7. Juni 2021 zugegangenen Bescheid erhob diese Klage, stellte ein Prozesskostenhilfegesuch und beantragte,
I. Der Bescheid des Beklagten vom 1. Juni 2021 wird aufgehoben.
II. Der Beklagte wird verpflichtet, der Klägerin die Aufenthaltserlaubnis gem. § 36 Abs. 2 Satz 1 AufenthG zu erteilen.
III. Hilfsweise den Beklagten zu verpflichten, über den Antrag unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden.
Zeitgleich stellte sie einen Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO und beantragte,
Die aufschiebende Wirkung dieser Klage wird angeordnet.
Zur Begründung führte die Antragstellerin im Wesentlichen aus, dass eine außergewöhnliche Härte im Sinne des § 36 Abs. 2 Satz 1 AufenthG vorliege. Die Antragstellerin leide an einer Demenz, deren Reichweite noch nicht abschätzbar sei. Zudem sei die Antragstellerin bereits jetzt auf die familiäre Lebensgemeinschaft angewiesen: Sie erhalte in Georgien keinerlei Unterstützung und müsse sich um ihre Belange vollständig selbst kümmern. Nach Angaben der Schwiegertochter der Antragstellerin sei keine staatliche Hilfe in Georgien möglich; entsprechende Pflegeheime seien nicht vorhanden. Die Antragstellerin käme alleine nicht mehr zurecht und verlasse kaum noch das Haus. Hilfe könne daher nur in Deutschland erfolgen, da es den Familienangehörigen nicht zumutbar sei, ihren Wohnsitz nach Georgien zu verlagern. Weiterhin sei es der Antragstellerin unter Berücksichtigung von Art. 6 GG und Verhältnismäßigkeitsgründen im Hinblick auf deren Demenz unzumutbar, ein Visumverfahren nachzuholen. Die Antragstellerin sei auf die Lebenshilfe ihrer Familie angewiesen, die im Kern die Funktion einer Beistandsgemeinschaft erfülle.
Der Antragsgegner verwies im Hinblick auf den Eilantrag vollumfänglich auf den Bescheid vom 1. Juni 2021.
Mit Schriftsatz vom 26. Juli 2021 reichte die Antragstellerin ein weiteres Attest folgenden Inhalts nach:
… (Facharzt für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie), Neuropraxis …: Nervenärztliches Attest vom 20. Juli 2021: Patientin sei seit April 2021 ambulant nervenärztlich an die Praxis gebunden; soweit bei Sprachbarriere beurteilbar lägen Symptome einer schweren Demenz vor, deren Korrelat sich auch in der Bildgebung finde. Zudem bestünden Hinweise auf eine reaktive Angsterkrankung. Aufgrund dieser Symptome verlasse die Patientin nicht mehr alleine das Haus und sei auch in der Selbstversorgung erheblich eingeschränkt und hilfsbedürftig.
Ergänzend wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der von dem Antragsgegner vorgelegten Behördenakte Bezug genommen.
II.
Der zulässige Eilantrag hat in der Sache in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen ist er abzulehnen. Der Eilantrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Var. 1 VwGO ist zulässig, allerdings nur hinsichtlich der Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots in Ziffer 5 des Bescheides begründet.
1. Der Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Var. 1 VwGO ist zulässig.
a) Gegenstand des Antrags nach § 80 Abs. 5 VwGO ist nach dessen Auslegung un ter Beachtung des Rechtsschutzziels der Antragstellerin (vgl. BVerfG, B.v. 29.10.2015 – 2 BvR 1493/11 – NVwZ 2016, 238, 241) einerseits die kraft Gesetzes (§ 84 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG) sofort vollziehbare Ablehnung des am 9. März 2021 bzw. 20. Mai 2021 gestellten Antrags auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis des Antragstellers (Ziffer 1 des Bescheides vom 1. Juni 2021). Der Antrag richtet sich weiter gegen die Abschiebungsandrohung (Ziffer 2 des Bescheides vom 1. Juni 2021), die als Maßnahme der Verwaltungsvollstreckung von Gesetzes wegen ebenso sofort vollziehbar ist (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. Art. 21 a VwZVG) sowie die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbotes (Ziffer 5 des Bescheides vom 1. Juni 2021), die nach § 84 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 AufenthG kraft Gesetzes sofort vollziehbar ist.
b) Statthaft ist ein Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Ablehnung der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nur in den Fällen des § 81 Abs. 3 und Abs. 4 AufenthG. Denn nur in diesen Fällen kann die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Ablehnung der Erteilung oder Verlängerung eines Aufenthaltstitels, die nach § 84 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG keine aufschiebende Wirkung hat, nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 VwGO mit der Folge angeordnet werden, dass die Versagung des beantragten Aufenthaltstitels und die dadurch begründete Ausreisepflicht nicht vollziehbar sind (BayVGH, B.v. 14.6.2013 – 10 C 13.848 – juris Rn. 3). Danach erweist sich nur ein Antrag im Hinblick auf die Duldungsfiktion nach § 81 Abs. 3 Satz 2 AufenthG als statthaft, weil die ohne Aufenthaltstitel im Bundesgebiet aufhältige Antragstellerin aufgrund der visumfreien Einreise für 90 Tage in einem Zeitraum von 180 Tagen nach Art. 4 Abs. 1 der Verordnung (EU) 2018/1806 für diesen Zeitraum rechtmäßig einreiste und sich im Bundesgebiet aufhielt, den Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aber erst am 9. März 2021 und folglich nach Ablauf der sichtvermerksfreien Aufenthaltsdauer bei dem Antragsgegner stellte. Eine fehlende Statthaftigkeit des Antrags wegen eines visumpflichtigen Aufenthaltszwecks folgt auch nicht aus einem von vornherein beabsichtigten Daueraufenthalt zum Zeitpunkt der Einreise in die Bundesrepublik Deutschland am 24. August 2020, da trotz bestehender Vorerkrankung der Antragstellerin zum Einreisezeitpunkt derzeit mangels hinreichender Indizien nicht auf einen solchen Willen geschlossen werden kann (vgl. dazu BayVGH, B.v. 1.10.2020 – 10 CS 20.1954 – juris Rn. 8).
2. Der Antrag ist weitgehend unbegründet.
Das Gericht trifft im Rahmen des § 80 Abs. 5 VwGO eine eigene, originäre Entscheidung über die Aussetzung bzw. die Aufhebung der Vollziehung auf Grund der sich ihm im Zeitpunkt seiner Entscheidung darbietenden Sach- und Rechtslage. Das Gericht hat dabei die Interessen des Antragstellers und das öffentliche Interesse an einer sofortigen Vollziehung gegeneinander abzuwägen. Besondere Bedeutung kommt dabei den Erfolgsaussichten in der Hauptsache zu, soweit sie im Rahmen der hier nur möglichen und gebotenen summarischen Prüfung bereits beurteilt werden können.
a) Gemessen an diesen Grundsätzen fällt die vom Gericht anzustellende Interes sensabwägung vorliegend bezüglich der Ablehnung des Antrags auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis sowie der Abschiebungsandrohung zu Ungunsten der Antragstellerin aus, da nach derzeitigem Kenntnisstand keine ernstlichen Zweifel an deren Rechtmäßigkeit bestehen. Die diesbezüglich in der Hauptsache erhobene Klage wird voraussichtlich erfolglos sein. Überwiegende Interessen der Antragstellerin, die gleichwohl eine Entscheidung zu ihren Gunsten rechtfertigten, sind nicht erkennbar.
aa) Die auf Verpflichtung des Antragsgegners zur Verlängerung der Aufenthaltser laubnis gerichtete Klage wird aller Voraussicht nach keinen Erfolg haben, da der Antragstellerin ein solcher Anspruch nicht zusteht (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
Ein Anspruch auf die einzig in Betracht kommende Aufenthaltserlaubnis nach § 36 Abs. 2 Satz 1 AufenthG ist sowohl mangels Vorliegens einer außergewöhnlichen Härte als auch einer fehlenden allgemeinen Erteilungsvoraussetzung nach § 5 Abs. 2 AufenthG nach summarischer Prüfung und derzeitigem Kenntnisstand nicht gegeben.
(1) Eine außergewöhnliche Härte im Sinne des § 36 Abs. 2 Satz 1 AufenthG ist im entscheidungserheblichen Zeitpunkt nach vorläufiger Bewertung nicht anzunehmen.
Eine außergewöhnliche Härte gem. § 36 Abs. 2 AufenthG setzt voraus, dass der schutzbedürftige Familienangehörige ein eigenständiges Leben nicht führen kann, sondern auf die Gewährung familiärer Lebenshilfe dringend angewiesen ist, und dass diese Hilfe in zumutbarer Weise nur in Deutschland erbracht werden kann. Bei der Anwendung dieser Definition der außergewöhnlichen Härte im Sinne des § 36 Abs. 2 AufenthG ist jedoch der Einfluss von Art. 6 Abs. 1 GG und Art. 8 EMRK auf das deutsche Ausländerrecht zu beachten. Ob demnach von einer außergewöhnlichen Härte auszugehen ist, kann nur unter Berücksichtigung aller im Einzelfall relevanten, auf die Notwendigkeit der Herstellung oder Erhaltung der Familiengemeinschaft bezogenen konkreten Umstände beantwortet werden (vgl. BVerfG, B.v. 20.6.2016 – 2 BvR 748/13 – juris Rn. 13).
Die Erteilung eines Visums zum Familiennachzug wegen Pflegebedürftigkeit gemäß § 36 Abs. 2 Satz 1 AufenthG setzt die spezifische Angewiesenheit auf familiäre Hilfe voraus. Das ist nicht bei jedem Betreuungsbedarf der Fall, sondern kann nur dann in Betracht kommen, wenn die geleistete Nachbarschaftshilfe oder im Herkunftsland angebotener professioneller pflegerischer Beistand den Bedürfnissen des Nachzugswilligen qualitativ nicht gerecht werden können. Wenn der alters- oder krankheitsbedingte Autonomieverlust einer Person so weit fortgeschritten ist, dass ihr Wunsch auch nach objektiven Maßstäben verständlich und nachvollziehbar erscheint, sich in die familiäre Geborgenheit der ihr vertrauten persönlichen Umgebung engster Familienangehöriger zurückziehen zu wollen, spricht dies dagegen, sie auf die Hilfeleistungen Dritter verweisen zu können. Denn das humanitäre Anliegen des § 36 Abs. 2 Satz 1 AufenthG respektiert den in den unterschiedlichen Kulturen verschieden stark ausgeprägten Wunsch nach Pflege vorrangig durch enge Familienangehörige, zu denen typischerweise eine besondere Vertrauensbeziehung besteht. Pflege durch enge Verwandte in einem gewachsenen familiären Vertrauensverhältnis, das geeignet ist, den Verlust der Autonomie als Person infolge körperlicher oder geistiger Gebrechen in Würde kompensieren zu können, erweist sich auch mit Blick auf die in Art. 6 GG enthaltene wertentscheidende Grundsatznorm als aufenthaltsrechtlich schutzwürdig (vgl. BVerwG, U.v. 18.4.2013 – 10 C 10/12 – juris Rn. 38).
Jedenfalls ist grundsätzlich eine umfassende Betrachtung aller Umstände des Einzelfalles geboten, bei der sowohl der Grad des Autonomieverlusts des nachzugswilligen Ausländers als auch das Gewicht der familiären Bindungen zu den in Deutschland lebenden Familienangehörigen und deren Bereitschaft und Fähigkeit zur Übernahme der familiären Pflege zu berücksichtigen sind (vgl. BVerwG, U.v. 18.4.2013 – 10 C 10/12 – juris Rn. 39).
Ein solcher Betreuungsbedarf, der qualitativ nur durch die Familie der Antragstellerin in Deutschland erfolgen könnte, ist zum Entscheidungszeitpunkt nicht in einer Weise dargetan, dass von einer außergewöhnlichen Härte auszugehen ist: Die Antragstellerin lebte bereits vor ihrer Einreise in das Bundesgebiet am 24. August 2020 alleine in Georgien in ihrer Eigentumswohnung. Es ist nicht ersichtlich, dass die Antragstellerin vor ihrer Einreise am 24. August 2020 bereits solche Krankheitssymptome aufwies, dass eine eigenständige Lebensführung nicht mehr möglich gewesen wäre: Die Antragstellerin reiste zu familiären Besuchszwecken visumfrei in die Bundesrepublik Deutschland und nicht aufgrund eines bestehenden Betreuungsbedarfs, der sich in Georgien bereits abgezeichnet hätte; andernfalls wäre die Einreise von vornherein zu einem Daueraufenthalt beabsichtigt gewesen und der Aufenthalt damit nach § 81 Abs. 3 AufenthG von Anfang an kein rechtmäßiger. Es ist nicht ersichtlich, dass sie Hilfe oder Begleitung für die Organisation und Durchführung ihrer Reise benötigt hätte, obgleich die mittlerweile diagnostizierte Demenz bereits vorlag.
Eine wesentliche Verschlechterung ihres gesundheitlichen Zustands in Deutschland ist im entscheidungserheblichen Zeitpunkt nicht dargetan. Ausweislich des ärztlichen Attests vom 13. November 2020 sowie den Angaben zur Überprüfung der Reisefähigkeit der Antragstellerin vom 4. Februar 2021 waren zum Zeitpunkt der Einreise bereits Symptome bei der Antragstellerin aufgetreten und auch bekannt. Dennoch legte die Antragstellerin weder Untersuchungsunterlagen aus ihrem Herkunftsstaat vor, noch besuchte sie während ihres visumfreien Aufenthalts bis zum 12. November 2020 einen Arzt im Hinblick auf eine etwaige Therapie und Behandlung ihrer Krankheitssymptome. Selbst nachdem die Antragstellerin ein bestimmtes Medikament im November 2020 verschrieben bekommen habe, habe sie weder die in Höhe von 15 Euro für 100 Tabletten zumutbaren Kosten selbst übernommen, noch sich – was im Hinblick auf die Krankenversicherungsbescheinigung vom 25. Februar 2021 möglich gewesen wäre – zeitnah nach ihrer Einreise (privat) krankenversichert. Daraus folgt, dass in den ersten Monaten des Aufenthalts der Antragstellerin in der Bundesrepublik jedenfalls keine Therapiebereitschaft bestand, was auf keinen gravierenden Leidensdruck hindeutet. Auch aus der amtsärztlichen Untersuchung vom 20. April 2021 (Behördenakte Bl. 56) ergibt sich kein Schluss auf eine wesentliche Verschlechterung des Gesundheitszustands der Antragstellerin, die eine familiäre Unterstützung erfordert, im Gegenteil: Der Gesundheitszustand der Antragstellerin habe sich danach in den seit der ersten Untersuchung vergangenen Monaten weder verschlechtert noch verbessert.
Aus alledem folgt nach summarischer Prüfung, dass weder zum Zeitpunkt der Einreise eine Betreuungsbedürftigkeit der Antragstellerin ersichtlich gewesen ist, noch eine wesentliche Verschlechterung ihres gesundheitlichen Zustands während ihres Aufenthalts in Deutschland eingetreten ist.
Etwas Anderes ergibt sich auch nicht im Hinblick auf die diagnostizierte Depression und der ausweislich des Attests vom 20. Juli 2021 vorliegenden Symptomen einer schweren Demenz der Antragstellerin. Nach Auffassung des Gerichts bestehen nach summarischer Prüfung zumutbare Behandlungs- und Betreuungsmöglichkeiten für psychisch erkrankte Personen in Georgien:
Nach dem Lagebericht Georgien des Auswärtigen Amtes, auf den sich auch der Antragsgegner in seiner Bescheidsbegründung stützt und der damit Verfahrensgegenstand ist, können georgische Rückkehrer/Rückgeführte die allgemeinen, wenn auch in der Regel insgesamt unzureichenden Sozialleistungen in Anspruch nehmen, darunter eine kostenlose medizinische Grundversorgung. Traditionell biete der Familienverband eine soziale Absicherung. Die georgische Regierung stelle sich zunehmend der Probleme von Rückkehrern, gesetzliche Grundlagen seien geschaffen und auch Haushaltsmittel für die Reintegration von Rückkehrern bereitgestellt worden (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Georgien, Stand: 17.11.2020, S. 5; im Folgenden: Lagebericht). Die Grundversorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln sei gewährleistet. Die staatliche Sozialhilfe liege bei bis zu 220 GEL im Monat; Rentner über 70 Jahre erhielten aktuell zwischen 250 und 300 GEL. Zum Erhalt müssten die Personen seitens der Behörden als bedürftig eingestuft werden. Die soziale Absicherung erfolge in aller Regel durch den Familienverband. Internationale Organisationen und Projekte, wie IOM und ICMPD böten Beratung und finanzielle Unterstützung für Rückkehrer zur Reintegration in Georgien an. Die überwiegende Zahl der Rückkehrer wende sich jedoch dem Familienverband zu und erhalte dort Unterstützung. Seit 2014 unterstütze die georgische Regierung Reintegrationsprojekte zivilgesellschaftlicher Organisationen (Lagebricht S. 16). Die medizinische Versorgung sei für alle georgischen Staatsangehörigen durch eine staatlich finanzierte Grundversorgung (Universal Health Care) sowie zusätzlich bestehender staatlicher Gesundheitsprogramme für bestimmte Krankheitsbilder (z.B. Diabetes, Hepatitis C, Tuberkulose) je nach sozialer Lage kostenlos oder mit Zuzahlungen gewährleistet. Mit privater Krankenversicherung könne die Leistungsübernahme medizinischer Behandlungen beitragsabhängig erweitert werden. Medizinische Einrichtungen gebe es landesweit, jedoch mit stark voneinander abweichender Qualität. In der Hauptstadt Tiflis und weiteren städtischen Zentren (Kutaissi, Batumi) böten private Einrichtungen umfassende und weitgehend moderne Behandlungen an; staatliche Einrichtungen, wie sie primär in den ländlichen Regionen anzutreffen seien, hätten deutlichen Rückstand an technischer und personeller Ausstattung. Für manche überlebensnotwendigen Eingriffe und Maßnahmen sei daher allein eine Behandlung in Tiflis möglich. Medikamente würden weitgehend importiert, zumeist aus der Türkei und Russland, aber auch aus EU-Ländern. Viele der in Deutschland erhältlichen Medikamente seien, ggf. als Generika, daher auch in Georgien verfügbar. Unterstützungsbedürftige Rückkehrer seien vor allem auf Familie und Freunde angewiesen und erhielten die beschriebene medizinische Versorgung. Internationale Organisationen böten ebenfalls Unterstützung an (Lagebericht S. 17).
Weiter geht aus der Stellungnahme der Deutschen Botschaft Tiflis vom 15. Dezember 2016 zur Information über die Demenzkranke in Georgien (Botschaftsbericht auf Anfrage des VG Düsseldorf vom 11.11.2016 zu 26 K 10924/16.A – juris) hervor, dass in Georgien ein staatliches Programm zur Behandlung von psychisch Kranken, dessen Ziel die Verbesserung des geografischen und finanziellen Zugangs zu psychiatrischen Dienstleistungen für die georgische Bevölkerung sei, bestünde. Dabei seien sowohl ambulante, als auch stationäre Behandlungen von psychisch erkrankten Patienten sowie Unterkünfte vorgesehen. Umfasst seien Dienstleistungen für Personen mit Behinderungen ab 18 Jahren, die wegen angeborener oder erworbener psychischer Krankheiten an Demenz litten. Zusätzlich bestünde eine mindestens dreimal tägliche Verpflegung, die Erstellung und Umsetzung von Programmen der Fürsorge für Leistungsempfänger sowie von individuellen Rehabilitationsprogrammen, Vermittlung von lebenswichtigen Fähigkeiten, angemessene medizinische Fürsorge und psychologische Dienstleistung, Teilnahme der Leistungsempfänger an kulturellen Veranstaltungen unter Berücksichtigung ihrer Fähigkeiten. Die Kosten hierfür betrügen 15 Lari pro Person und Tag (24 Stunden), die vollständig vom Staat getragen würden.
Aus einer Gesamtschau ergibt sich, dass der familiäre Beistand in Georgien weiterhin einen wesentlichen Anteil zur Fürsorge erkrankter Personen darstellt. Allerdings bestehen staatliche Pflege- und Unterstützungsleistungen für psychisch erkrankte Menschen, sodass ein Verweis der Antragstellerin auf das georgische Gesundheitssystem – insbesondere im Hinblick auf deren Wohnsitz in der … – zumutbar erscheint. Es ist darüber hinaus im entscheidungserheblichen Zeitpunkt nicht dargelegt und geht auch nicht aus den ärztlichen Untersuchungsberichten hervor, warum die Antragstellerin zwingend nur auf familiäre Unterstützung angewiesen sein sollte, obwohl sie bislang alleine in ihrer Eigentumswohnung lebte; lediglich für die Rückreise wird die Unterstützung durch eine Begleitperson empfohlen (Behördenakte Bl. 56).
Mag die Antragstellerin auch die Nähe ihrer Familie in Deutschland suchen, ist dieser subjektive Wunsch doch für die gesetzliche Wertung des § 36 Abs. 2 Satz 1 AufenthG nicht maßgeblich. Ein objektives Angewiesensein auf eine alleine durch ihre Verwandten in Deutschland und auch nur hier leistbare Hilfe ist nicht substantiiert aufgezeigt oder sonst ersichtlich. Es ist daher möglich und zumutbar, die Antragstellerin auf die in Georgien verfügbare öffentliche und private Hilfe zu verweisen, gegebenenfalls mit finanzieller Unterstützung ihrer Familie. Eine ambulante Betreuung durch eine beauftragte Pflegehilfe in … erscheint ebenso erreichbar und zumutbar.
(2) Jedenfalls steht der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 36 Abs. 2 Satz 1 AufenthG die allgemeine Erteilungsvoraussetzung der fehlenden Absolvierung eines Visumsverfahrens gem. § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG entgegen.
Die Nachholung des Visumverfahrens ist auch unter Beachtung des Art. 6 GG nach summarischer Prüfung nicht unzumutbar gem. § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG.
Mit dem verfassungsrechtlichen Schutz von Ehe und Familie nach Art. 6 GG ist es grundsätzlich vereinbar, den Ausländer auf die Einholung eines erforderlichen Visums zu verweisen. Das Visumverfahren bietet Gelegenheit, die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen zu überprüfen. Das Aufenthaltsgesetz trägt dabei dem Gebot der Verhältnismäßigkeit Rechnung, indem es unter den Voraussetzungen des § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG im Einzelfall erlaubt, von dem grundsätzlichen Erfordernis einer Einreise mit dem erforderlichen Visum (§ 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG) abzusehen. Der mit der Durchführung des Visumverfahrens üblicherweise einhergehende Zeitablauf ist von demjenigen, der die Einreise in die Bundesrepublik Deutschland begehrt, regelmäßig hinzunehmen. Erfüllt die Familie im Kern die Funktion einer Beistandsgemeinschaft, weil ein Familienmitglied auf die Lebenshilfe eines anderen Familienmitglieds angewiesen ist, und kann dieser Beistand nur in Deutschland erbracht werden, weil einem beteiligten Familienmitglied ein Verlassen Deutschlands nicht zumutbar ist, so drängt die Pflicht des Staates, die Familie zu schützen, regelmäßig einwanderungspolitische Belange zurück. Dies kann selbst dann gelten, wenn der Ausländer vor Entstehung der zu schützenden Lebensgemeinschaft gegen aufenthaltsrechtliche Bestimmungen verstoßen hat. Es kommt in diesem Zusammenhang nicht darauf an, ob die Beistandsgemeinschaft als Hausgemeinschaft gelebt wird oder ob die von einem Familienmitglied tatsächlich erbrachte Lebenshilfe von anderen Personen erbracht werden kann (vgl. BVerfG, B.v. 17.5.2011 – 2 BvR 1367/10 – juris Rn. 16).
Die Antragstellerin reiste visumfrei zu familiären Besuchszwecken in die Bundesrepublik Deutschland ein und hält sich seit dem Ablauf des 90 tägigen visumfreien Aufenthalts unrechtmäßig in der Bundesrepublik Deutschland auf. Eine wesentliche Verschlechterung ihres gesundheitlichen Zustands hat die Antragstellerin nicht dargelegt (vgl. oben). Im Hinblick auf die vorhandene gesundheitliche Versorgung in … und der unter Begleitung bestehenden Reisefähigkeit der Antragstellerin ist eine aufgrund der Nachholung des Visumverfahrens bewirkte Trennung von der Familie nicht unzumutbar, sodass eine Abweichung von der allgemeinen Erteilungsvoraussetzung nach § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG nicht in Betracht kommt.
Umgekehrt besteht ein erhebliches öffentliches Interesse an der Klärung der Einreisevoraussetzungen vor der Gewährung eines Daueraufenthalts in Deutschland, wo bei Überforderung ihrer Familie die Sozialkassen für die Sicherung des Lebensunterhalts der Antragstellerin eintreten müssten, ohne dass die jemals in Deutschland erwerbstätige Antragstellerin je zur Finanzierung des hiesigen Sozialverbands beigetragen hätte.
bb) Die Ausreisefrist in Ziffer 3 und die Abschiebungsandrohung in Ziffer 4 des Be scheides folgen aus § 59 AufenthG. Die Ausreisepflicht ist nach Wegfall der Fiktionswirkung (§ 81 Abs. 3 AufenthG) und mangels aufschiebender Wirkung der Klage (§ 84 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG) auch vollziehbar (vgl. oben).
b) Die Interessenabwägung fällt hinsichtlich der Befristung des Einreise- und Aufent haltsverbots in Ziffer 5 des Bescheides derzeit noch zugunsten der Antragstellerin aus, da insoweit hinreichende Erfolgsaussichten in der Hauptsache vorliegen und kein überwiegendes öffentliches Interesse am Vollzug möglicherweise rechtswidriger Verwaltungsakte besteht.
Hinsichtlich der in Ziffer 5 des Bescheides vom 1. Juni 2021 verfügten Befristung der Wirkungen der Abschiebung auf ein Jahr, gerechnet ab dem Zeitpunkt der Ausreise, liegt im entscheidungserheblichen Zeitpunkt wohl ein Ermessensfehler in Form eines Ermessensdefizits vor (§ 114 Satz 1 VwGO).
Die Befristungsdauer steht nach der Neufassung des § 11 Abs. 3 AufenthG im Ermessen der Ausländerbehörde (vgl. BVerwG, U.v. 22.2.2017 – 1 C 3.16 – Rn. 65 f. mit Verweis auf BR-Drs. 642/14 S. 39), so dass diese Ermessensentscheidung keiner uneingeschränkten gerichtlichen Überprüfung unterliegt, sondern – soweit wie hier keine Ermessensreduzierung auf Null vorliegt – eine zu lange Frist lediglich aufgehoben und die Ausländerbehörde zu einer neuen Ermessensentscheidung verpflichtet werden kann (vgl. BayVGH, U.v. 25.8.2015 – 10 B 13.715 – Rn. 54 ff.). Die Ermessensentscheidung des Antragsgegners ist mithin im gerichtlichen Verfahren nur eingeschränkt überprüfbar. Die gerichtliche Prüfungsdichte bemisst sich nach der Regelung des § 114 VwGO, was im Wesentlichen zur Folge hat, dass die Entscheidung lediglich daraufhin zu überprüfen ist, ob überhaupt eine Ermessensentscheidung getroffen wurde, ob in diese Ermessensentscheidung alle maßgeblichen und keine unzulässigen Erwägungen Eingang gefunden haben und ob einzelne Belange entgegen ihrer objektiven Wertigkeit in die Abwägung eingestellt worden sind (vgl. VG Augsburg, B.v. 8.1.2019 – Au 6 K S 18.1939).
Generell sind bei der Entscheidung über die Fristlänge auch familiäre und persönliche Belange des Ausländers zu berücksichtigen (Maor in Kluth/Heusch: BeckOK AuslR, 29. Ed. 1.4.2021, § 11 AufenthG Rn. 24). Ausweislich der Begründung des Bescheides wurde einzig die generalpräventive Wirkung der Einreisesperre berücksichtigt, um andere rückkehrverpflichtete Drittstaatsangehörige von der Umgehung oder Verzögerung ihrer Ausreiseverpflichtung abzuhalten. Andere Erwägungen – insbesondere im Hinblick auf Art. 6 GG sowie Art. 8 EMRK – wurden bei der Ermessensentscheidung über die Befristungsdauer weder im Bescheid, noch verfahrensbegleitend zum entscheidungserheblichen Zeitpunkt getroffen. Daher liegt derzeit ein Ermessensdefizit vor.
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Die Streitwertfest setzung für das Antragsverfahren folgt aus §§ 52 Abs. 2 und 53 Abs. 2 Nr. 2 Gerichtskostengesetz (GKG) i.V.m. Ziffern 1.5 und 8.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.
III.
Hinsichtlich des Antrags auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Anwaltsbeiordnung für das Eilantragssowie das Klageverfahren ist diese hinsichtlich der Ziffer 5 des Bescheides zu gewähren und im Übrigen abzulehnen.
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe sowohl für das Klageverfahren als auch für das Antragsverfahren ist nur hinsichtlich der Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots erfolgreich (Ziffer 5 des Bescheides vom 1. Juni 2021), da die Erfolgsaussichten der Klage hiergegen noch offen und auch hinsichtlich des Antrags gegeben sind. Im Übrigen ist der Antrag erfolglos, da nach summarischer Prüfung der Antragsgegner den angefochtenen Bescheid außer der Ziffer 5 voraussichtlich zu Recht verfügt hat und im Hinblick auf das Klageverfahren ein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis voraussichtlich nicht besteht.
1. Gemäß § 166 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1 Zi vilprozessordnung (ZPO) erhält eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Hinreichende Erfolgsaussicht ist etwa dann gegeben, wenn schwierige Rechtsfragen zu entscheiden sind, die im Hauptsacheverfahren geklärt werden müssen. Auch wenn eine Beweisaufnahme ernsthaft in Betracht kommt und keine konkreten Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass diese mit großer Wahrscheinlichkeit zum Nachteil des Mittellosen ausgehen wird, ist vorab Prozesskostenhilfe zu gewähren (vgl. BVerfG, B.v. 14.4.2003 – 1 BvR 1998/02 – NJW 2003, 2976). Insgesamt dürfen die Anforderungen an die Erfolgsaussichten eines gerichtlichen Verfahrens nicht überspannt werden, eine gewisse Wahrscheinlichkeit des Erfolges genügt (Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 166 Rn. 26). Die Beiordnung eines Rechtsanwalts ist im Verfahren ohne Vertretungszwang immer geboten, wenn es in einem Rechtsstreit um nicht einfach zu überschauende Tat- und Rechtsfragen geht (Eyermann, a.a.O., Rn. 38).
2. Die gestellten Klageanträge sind im Zeitpunkt der Bewilligungsreife dahingehend auszulegen, dass die Antragstellerin die Aufhebung des Bescheides vom 1. Juni 2021 und mittels einer Versagungsgegenklage die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 36 Abs. 2 Satz 1 AufenthG begehrt, die nach Ziffer 1 des Bescheides abgelehnt wurde; hilfsweise den Antragsgegner zu verpflichten, über den Antrag unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden.
Das Gericht muss das wirkliche Rechtsschutzziel von Amts wegen ermitteln. Insoweit sind die für die Auslegung von Willenserklärungen geltenden Grundsätze (§§ 133, 157 BGB) anzuwenden. Wesentlich ist der geäußerte Parteiwille, wie er sich aus den prozessualen Erklärungen und sonstigen Umständen ergibt. Ist der Kläger bei der Fassung des Klageantrags anwaltlich vertreten worden, kommt der Antragsformulierung gesteigerte Bedeutung für die Ermittlung des tatsächlich Gewollten zu (BVerwG, U.v. 9.4.2014 – 8 C 50/12 – juris Rn. 17).
Die anwaltlich vertretene Antragstellerin hat den Verpflichtungsantrag im Zeitpunkt der Bewilligungsreife ausdrücklich auf die Aufenthaltserlaubnis beschränkt. Auch der hilfsweise gestellte Antrag auf Verpflichtung des Beklagten zur erneuten Entscheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts bezieht sich auf „den Antrag“, mithin den gestellten Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis am 9. März 2021 bzw. 20. Mai 2021. Eine Verpflichtungsklage im Hinblick auf die in Ziffer 2 des Bescheides vom 1. Juni 2021 abgelehnte Duldung ist folglich nicht gestellt. Der auf die Aufhebung des Bescheides gerichteten Anfechtungsklage der Klägerin fehlt bezüglich Ziffer 2 – der Ablehnung der Duldung – das Rechtsschutzbedürfnis, da durch eine Aufhebung der Ablehnungsentscheidung der Duldung keine Verbesserung der Rechtsstellung der Klägerin nach sich ziehen würde.
a) Zum Zeitpunkt der Bewilligungsreife besteht kein Anspruch der Antragstellerin auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 36 Abs. 2 Satz 1 AufenthG.
Weder ist im Zeitpunkt der Bewilligungsreife dargelegt, dass die Antragstellerin zwingend auf familiäre Unterstützung angewiesen ist und die gesundheitliche Versorgung in Georgien qualitativ nicht daran heranreichen würde, was Voraussetzung für eine außergewöhnliche Härte nach § 36 Abs. 2 Satz 1 AufenthG ist, noch erscheint es unzumutbar, die Antragstellerin jedenfalls auf das grundsätzliche erforderliche Visumverfahren gem. § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG zu verweisen (vgl. oben).
Mangels Vorliegen der allgemeinen Erteilungsvoraussetzung nach § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG kommt auch die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus anderem Grund nicht in Betracht.
b) Die gegen die in den Ziffern 3 und 4 des Bescheides vom 1. Juni 2021 verfügte Ausreisefrist und Abschiebungsandrohung erhobene Anfechtungsklage erweist sich zum Zeitpunkt der Bewilligungsreife aus den bereits oben bezeichneten Gründen als erfolglos.
c) Im Hinblick auf die unter Ziffer 5 des Bescheids getroffene Ermessensentschei dung bezüglich der Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots liegt im Zeitpunkt der Bewilligungsreife ein Ermessensfehler in Form eines Ermessensdefizits vor (vgl. oben). Insoweit bietet die Rechtsverfolgung derzeit hinreichende Aussicht auf Erfolg.
d) Die Beiordnung der Rechtsanwältin als Bevollmächtigte folgt aus § 121 Abs. 2 ZPO. Der Ausschluss der Mehrkosten, die dadurch entstehen, dass ein Bevollmächtigter seinen Kanzleisitz nicht im Bezirk des Verwaltungsgerichts Augsburg unterhält, ergibt sich aus § 166 VwGO i.V.m. § 121 Abs. 3 ZPO (BayVGH, B.v. 5.3.2010 – 19 C 10.236 – juris Rn. 6 f.), da der Kanzleisitz in … liegt.


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