Verwaltungsrecht

Coronavirus, SARS-CoV-2, Ausreise, Herkunftsland, Asylberechtigter, Abschiebung, Asylverfahren, Bescheid, Berufung, Drittstaat, Migration, Abschiebungsverbot, Anerkennung, Bundesamt, Abschiebungsverbote, Erkrankung, Anerkennung als Asylberechtigter, Kosten des Verfahrens, angefochtene Entscheidung

Aktenzeichen  RN 11 K 19.30995

Datum:
25.2.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 9284
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Regensburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Die Klage ist zulässig aber unbegründet.
Der streitgegenständliche Bescheid ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO. Der Kläger hat im gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 Hs. 1 des Asylgesetzes (AsylG) maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung keinen Anspruch auf die Anerkennung als Asylberechtigter und die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft. Es liegen auch keine Gründe für die Zuerkennung subsidiären Schutzes bzw. nationaler Abschiebungsverbote vor. Die von der Beklagten getroffenen Entscheidungen sind auch im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung nicht zu beanstanden. Das Gericht folgt zunächst den Feststellungen und der Begründung des angefochtenen Verwaltungsaktes und nimmt zur Vermeidung von Wiederholungen auf diesen Bezug, § 77 Abs. 2 AsylG.
I. Ein Anspruch auf die Anerkennung als Asylberechtigter scheidet aus, weil der Kläger nach seinen eigenen Angaben auf dem Landweg nach Deutschland einreiste. Ein aus einem Mitgliedsstaat der Europäischen Gemeinschaften oder aus einem anderen Drittstaat nach Deutschland einreisender Ausländer ist gemäß Art. 16a Abs. 2 Satz 1 des Grundgesetzes (GG) von der Berufung auf Art. 16a Abs. 1 GG ausgeschlossen. Der Kläger kann gemäß § 26a Abs. 1 Satz 2 AsylG nicht als Asylberechtigter anerkannt werden. Die Anerkennung als Asylberechtigter scheidet auch deshalb aus, weil er nicht vorverfolgt aus dem Westjordanland ausgereist ist und ihm bei einer Rückkehr in seine Heimat nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit staatliche Verfolgung droht (s.u.).
II. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG. Diese kann ihm nicht zuerkannt werden, da er sich nach der Überzeugung des Gerichts nicht aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe außerhalb des Westjordanlands befindet, § 3 Abs. 1, 4 AsylG. Er hat seine Heimat weder wegen politischer Verfolgung im Sinne dieser Vorschrift verlassen noch droht ihm bei einer Rückkehr eine solche.
Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer Flüchtling, wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will. Die Verfolgung kann gemäß § 3c AsylG ausgehen von
1. dem Staat,
2. Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebietes beherrschen oder
3. nichtstaatlichen Akteuren, sofern die in den Nummern 1 und 2 genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, im Sinne des § 3d AsylG Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht.
Die Flüchtlingseigenschaft wird nicht zuerkannt, wenn eine interne Schutzmöglichkeit besteht, vgl. § 3e AsylG.
1. Der Kläger ist nicht vorverfolgt ausgereist. Ihm droht bei einer Rückkehr in das Westjordanland keine Verfolgung. Ein individuelles Verfolgungsschicksal hat er weder beim Bundesamt noch im Klageverfahren substantiiert und glaubhaft geltend machen können. Es ist jedoch Sache des Schutzsuchenden, die Umstände, aus denen sich eine politische Verfolgung ergibt, in schlüssiger Form von sich aus vorzutragen, vgl. § 15 Abs. 1, § 25 Abs. 1 und 2 AsylG. Das Gericht muss dabei die volle Überzeugung von der Wahrheit des behaupteten individuellen Schicksals und der Richtigkeit der Prognose drohender politischer Verfolgung gewinnen. Dem persönlichen Vorbringen des Schutzsuchenden kommt dabei besondere Bedeutung zu. Ihm selbst obliegt es, seine Gründe für das Vorliegen politischer Verfolgung folgerichtig, substantiiert und mit genauen Einzelheiten vorzutragen (vgl. BVerwG vom 21.7.1989 Az. 9 B 239/89).
a) Bei der Anhörung hat der Kläger keine Handlungen vorgetragen, welche an ein asylrechtlich relevantes Merkmal anknüpfen würden. Insoweit wird auf die Ausführungen im streitgegenständlichen Bescheid verwiesen.
Soweit der Kläger darüber hinaus gehend weitere Handlungen vorgetragen hat, sind diese nach Auffassung des erkennenden Gerichts unglaubhaft:
b) Das Gericht glaubt dem Kläger nicht, dass er vor seiner Ausreise von der Hamas bedroht worden ist, weil er nicht in die Moschee gegangen ist und dort nicht beten wollte. Er führte hierzu in der mündlichen Verhandlung aus, dass insoweit Druck auf ihn ausgeübt worden sei. Außerdem hätten sie aufgrund seiner Tätigkeit als Ingenieur gewollt, dass er bei ihnen mitmache. Das habe er aber nicht gewollt. Dies ist unglaubhaft. Die Bedrohung durch die Hamas hat der Kläger erstmals in der mündlichen Verhandlung sowie schriftlich im Gerichtsverfahren vorgebracht. Auf Vorhalt des Gerichts, warum er dies nicht bereits bei der Anhörung vorgebracht habe, trug der Kläger vor, dass er bei der Anhörung zu wenig Zeit gehabt habe und nicht alles erzählen habe können. Das Gericht wies darauf hin, dass er bei der Rückübersetzung hätte angeben können, dass er noch mehr erzählen habe wollen. Hierzu erklärte er, dass die meiste Zeit über seine Arbeit gesprochen worden sei. Dann sei zu ihm gesagt worden, dass die Zeit rum sei. Diese Erklärung vermag das Gericht jedoch nicht zu überzeugen. Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass er nicht alles hat vorbringen können. Zudem hätte er das kundtun müssen. Außerdem sind zwischen Anhörung und Bescheiderlass 10 Monate vergangen. Es wäre ihm freigestanden seinen Vortrag schriftlich zu ergänzen. Bei den Erklärungen des Klägers handelt es sich nach Auffassung des Gerichts damit um reine Schutzbehauptungen, welche die Steigerungen im Vortrag des Klägers nicht überzeugend erklären können.
c) Weiterhin glaubt das Gericht nicht, dass der Kläger wegen seiner Homosexualität in seinem Heimatland verfolgt worden und deshalb geflohen ist. Die erkennende Einzelrichterin ist nicht davon überzeugt, dass er vorverfolgt ausgereist ist, da seine Angaben insoweit widersprüchlich und unsubstantiiert sind. So hat der Kläger schriftlich im Gerichtsverfahren vorgebracht, dass Ausreisegrund die Entdeckung einer gleichgeschlechtlichen Beziehung gewesen sei. Er habe eine jahrelange Beziehung zu einem anderen Mann gehabt. In der mündlichen Verhandlung trug der Kläger vor, dass diese Beziehung begonnen habe, als er 30 Jahre alt gewesen sei, also etwa 1997. Die Ausreise fand aber 2015 statt. Auf Nachfrage der Klägervertreterin erklärte er, dass es diese Beziehung gewesen sei, die entdeckt worden sei. Auf die zeitliche Divergenz zur Ausreise angesprochen, erklärte der Kläger wiederum, dass es ein anderer Kontakt gewesen sei, der entdeckt worden sei und weshalb er ausgereist sei. Auf Vorhalt dieses Widerspruchs durch die erkennende Einzelrichterin trug der Kläger vor, dass er sich nicht an alles erinnern könne, was in seinem Leben passiert sei. Er habe nach der langen Beziehung noch weitere gehabt, diese seien aber kürzer gewesen. Diese unsubstantiierte Erklärung vermag jedoch nicht den Widerspruch im Vortrag des Klägers überzeugend aufzuklären. Das vermögen auch nicht die weiteren Erklärungen des Klägers zu ändern, dass zwischen der Entdeckung und der Ausreise 5 Jahre vergangen seien. Auf die Frage der Klägervertreterin, wann seine Familie ihn entdeckt habe, mit wem und warum er das Heimatland verlassen habe, antwortete er lediglich pauschal, dass jemand das entdeckt habe und seiner Familie gesagt habe. Am Anfang seien sie sich nicht sicher gewesen, weil er in ein anderes Dorf umgezogen sei. Danach seien sie sich sicher gewesen. Dieser Vortrag ist detailarm und unsubstantiiert. Gleiches gilt für den Vortrag des Klägers betreffend die Bedrohung durch seine Familie. Auf die Frage, wie die Probleme mit seiner Familie ausgesehen hätten, äußerte er sich dahingehend, dass sie harte Worte zu ihm gesagt hätten, dass sie eine Schande für die Familie seien. Er habe dann das Dorf verlassen. Die Lage sei gefährlich für ihn gewesen. Auf die Frage, warum die Lage gefährlich gewesen sei, gab der Kläger lediglich pauschal an, dass homosexuellen Muslimen die Todesstrafe drohe. Zu den Bedrohungen äußerte er sich insoweit, dass er angab, in Angst gelebt zu haben. Sein Bruder und seine Cousins haben ihn mit dem Tode bedroht. Sogar der Weg zur Arbeit sei gefährlich gewesen. Meistens sei auf ihn gewartet worden. Er habe Angst gehabt und die Firma nicht verlassen. Er habe dort auch geschlafen. Zum Schluss habe er seine Arbeit verlassen und seinen anderes Dorf gezogen. Diese Angaben sind oberflächlich und vermögen das Gericht nicht davon überzeugen, dass dies tatsächlich so geschehen ist, wie der Kläger behauptet. Widersprüchlich ist der Vortrag des Klägers auch im Hinblick auf eine Bedrohung nach dem Umzug in das neue Dorf. Zunächst gab er an, dass er dort nicht bedroht worden sei, da in dort niemand gekannt habe. Auf die Frage, wie viel Zeit zwischen dem Umzug in dieses Dorf und seiner Ausreise vergangen sei, trug der Kläger vor, dass die Leute zuletzt auch in diesem Dorf erkannt hätten, dass er homosexuell sei. Er sei dann auch bedroht worden. Auch diesen Widerspruch konnte der Kläger auf Vorhalt des Gerichts nicht überzeugend erklären.
Aufgrund des größtenteils unglaubhaften Vortrag ist das erkennende Gericht nicht davon überzeugt, dass der Kläger seine Heimat vorverfolgt verlassen hat.
2. Dem Kläger droht auch nicht bei Rückkehr in seine Heimat mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit staatliche Verfolgung.
Dem Kläger droht nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aufgrund seiner sexuellen Orientierung.
Hierbei kann explizit offen bleiben, ob die allgemeine Lage im Westjordanland sich so darstellt, dass mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit anzunehmen ist, dass Homosexuelle, sofern sie ihre Homosexualität nicht verheimlichen würden, unter Anknüpfung an ein asylrechtlich relevantes Merkmal im Westjordanland verfolgt werden (so VG Chemnitz, U.v. 18.5.2021 – 4 K 2610/17.A). Der Kläger konnte die erkennende Einzelrichterin schon nicht davon überzeugen, dass er tatsächlich homosexuell ist.
Macht ein Kläger im Asylverfahren geltend, er sei homosexuell und werde deshalb in seinem Heimatland verfolgt, so verbietet sich bei der Prüfung der Glaubhaftigkeit dieser Angaben die detaillierte Befragung zu bestimmten sexuellen Handlungen. Trotzdem müssen seine Angaben auch in diesem Fall kohärent, plausibel und widerspruchsfrei sein, sodass er dem Gericht generell glaubwürdig erscheint (vgl. EuGH, U. v. 2.12.2014 – C-148/13 (A, B, C/Staatssecretaris van Veiligheid en Justitie), NVwZ 2015, 132, 133 f.; U. v. 25.1.2018 – C-473/16 (F/Ungarn), NVwZ 2018, 643 f.; VG Karlsruhe, U. v. 17.7.2019 – 4 K 11698/18, BeckRS 2019, 32514, Rn. 26). Unabhängig von der Glaubhaftigkeit der Schilderung der Erlebnisse des Klägers im Westjordanland hat das Gericht aufgrund des Gesamteindrucks und des Vortrags des Klägers in der mündlichen Verhandlung bereits erhebliche Zweifel daran, dass der Kläger homosexuell ist. Die Ausführungen des Klägers genügen nicht den Anforderungen an eine substantiierte und widerspruchsfreie Schilderung, die anschaulich, konkret und detailreich ist. Dabei verkennt das Gericht nicht, dass an einer nachvollziehbare Schilderung der eigenen sexuellen Orientierung keine überzogenen Anforderungen gestellt werden dürfen. Es handelt sich hierbei um sensible Fragen, welche die persönliche Sphäre des Klägers betreffen. Jedoch sind auch unter Berücksichtigung von Alter, Herkunft und Bildungsstand des Klägers seine Angaben zu seiner angeblichen Homosexualität so oberflächlich, vage und detailarm, dass sie nicht geeignet sind, ein nachvollziehbares Bild seiner sexuellen Orientierung zu vermitteln.
Das gilt bereits für die Darlegungen des Klägers zu seiner jahrelangen gleichgeschlechtlichen Beziehung im Westjordanland. Der Kläger schilderte diese nur vage. Auf die Frage, wie er herausgefunden habe, dass sein Freund auch homosexuell gewesen sei, trug er lediglich oberflächlich vor, dass sie gut befreundet gewesen seien und auch die Pausen zusammen verbracht hätten. So habe man gelernt, wieder der andere sei. Seine Angaben in der mündlichen Verhandlung bezüglich der Gemeinsamkeiten beschränkten sich darauf, dass sie sich immer bei seinem Freund getroffen hätten und sie ein gutes Verhältnis gehabt hätten. Bei Homosexuellen sei es so, dass einer positiv sei und der andere negativ und beide würden sich zusammenschließen. Auch seine Angaben auf die Frage, was seine Gedanken gewesen seien, als er gemerkt habe, dass er homosexuell sei, sind detailarm. Hierzu gab er lediglich an, dass für ihn alles geheim gewesen sei. Niemand habe davon gewusst. Für ihn sei alles normal gewesen. Insgesamt ließen die Angaben des Klägers an Detailreichtum, Konkretheit und Anschaulichkeit vermissen. Auch konkrete Unternehmungen oder Freizeitaktivitäten hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung nicht angegeben. Er trug lediglich pauschal vor, dass sie das gemacht hätten, was Freunde so machen würden. Sie hätten Ausflüge unternommen. Es seien teilweise auch andere Freunde dabei gewesen.
Im Ergebnis und unter der Gesamtbetrachtung der ausgeführten Umstände ist die Einzelrichterin daher nicht überzeugt, dass der Kläger tatsächlich homosexuell ist. Während sich aus den einzelnen Punkten für sich genommen noch nicht ableiten ließe, dass der Kläger nicht homosexuell ist, so fehlt es aufgrund ihrer Gesamtheit an der Überzeugung der erkennenden Einzelrichterin, dass dem Kläger aufgrund seiner sexuellen Orientierung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit im Falle seiner Rückkehr eine geschlechtsspezifische Verfolgung drohen würde. Diesbezüglich scheidet die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft aus.
3. Außerdem steht einer Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft § 3 Abs. 3 Satz 1 AsylG entgegen.
Gemäß § 3 Abs. 3 Satz 1 AsylG ist zwar ein Ausländer nicht Flüchtling nach § 3 Abs. 1 AsylG, wenn er den Schutz oder Beistand einer Organisation oder einer Einrichtung der Vereinten Nationen mit Ausnahme des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge (UNHCR) nach Art. 1 D des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28.07.1951 (Genfer Flüchtlingskonvention – GFK) genießt. Von diesem Ausschlussgrund sind z.B. palästinensische Flüchtlinge betroffen, die dem Mandat der UNRWA unterstehen. Dieses Mandat erstreckt sich u.a. auf das Westjordanland. Maßgebend für den Schutz oder den Beistand durch die UNRWA ist, dass der Flüchtling der Personengruppe angehört, deren Betreuung die UNRWA entsprechend ihrem Mandat übernommen hat. Der Kläger hat im Verfahren mehrfach Nachweise diesbezüglich vorgelegt, dass er bei der UNRWA als palästinensischer Flüchtling registriert ist. Der Kläger unterlag damit im Westjordanland dem Schutz der UNRWA, so dass § 3 Abs. 3 Satz 1 AsylG grundsätzlich einschlägig ist.
Nach § 3 Abs. 3 Satz 2 AsylG gilt dieser Ausschluss jedoch dann nicht, wenn dem Ausländer der in § 3 Abs. 3 Satz 1 AsylG genannte Schutz oder Beistand im Zeitpunkt des Verlassens des gesamten Einsatzgebietes des UNRWA nicht länger gewährt wurde (vgl. hierzu VG Berlin, Urteil vom 24. November 2021 – 34 K 326.18 A -, Rn. 27, juris).
Einem Staatenlosen palästinensischer Herkunft wird in diesem Sinne Schutz oder Beistand des UNRWA nicht länger gewährt, wenn sich auf der Grundlage einer individuellen Beurteilung aller maßgeblichen Umstände herausstellt, dass er sich in einer sehr unsicheren persönlichen Lage befindet und es dem UNRWA, um dessen Beistand er ersucht hat, unmöglich ist, ihm Lebensverhältnisse zu gewährleisten, die mit der Aufgabe des UNRWA im Einklang stehen, so dass er sich aufgrund von Umständen, die von seinem Willen unabhängig sind, dazu gezwungen sieht, das Einsatzgebiet des UNRWA zu verlassen (vgl. BVerwG, Urteil vom 27. April 2021 – 1 C 2.21 – Rn. 17 f.).
Die erforderlichen mandatskonformen Lebensverhältnisse umfassen auch die Sicherheit vor Verfolgung (Art. 9 ff. Qualifikationsrichtlinie) und ernsthaftem Schaden (Art. 15 – insbesondere Buchst. c – Qualifikationsrichtlinie). Dem steht nicht entgegen, dass das Mandat des UNRWA auf soziale und wirtschaftliche Aufgaben beschränkt ist. Denn die Bereitstellung von Lebensmitteln, Schulunterricht oder Gesundheitsfürsorge hat keinen praktischen Wert, wenn es den Begünstigten infolge einer Bürgerkriegssituation nicht zumutbar ist, diese in Anspruch zu nehmen, und deshalb ihre Ausreise aus objektiven Gründen gerechtfertigt ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 25. April 2019 – 1 C 28.18 – juris Rn. 28, unter Verweis auf Generalanwalt Mengozzi, Schlussanträge vom 17. Mai 2018 – C-585/16 – Rn. 45). Dem entspricht der Hinweis des Europäischen Gerichtshofes, dass Schutz oder Beistand durch das UNRWA voraussetzt, dass die Person sich „in Sicherheit und unter menschenwürdigen Lebensbedingungen“ in dem Einsatzgebiet aufhalten kann (vgl. EuGH, Urteile vom 13. Januar 2021 – C-507/19 – juris Rn. 54 und vom 25. Juli 2018 – C-585/16 [Alheto] – juris Rn. 134, 140).
Bei der Beurteilung der Frage, ob das Verlassen unfreiwillig erfolgt ist, ist in räumlicher Hinsicht auf das gesamte – die fünf Operationsgebiete Gazastreifen, Westjordanland (einschließlich Ost-Jerusalem), Jordanien, Libanon und Syrien umfassende – Einsatzgebiet des UNRWA abzustellen (vgl. EuGH, Urteil vom 13. Januar 2021 – C-507/19 – Rn. 47, 53 f., 64-67; BVerwG, Urteil vom 27. April 2021 – 1 C 2.21 – Rn. 19). Die Feststellung, Schutz oder Beistand des UNRWA würden im Sinne des § 3 Abs. 3 Satz 2 AsylG nicht länger gewährt, ist daher nicht schon dann gerechtfertigt, wenn sich der staatenlose Palästinenser aufgrund von Umständen, die von seinem Willen unabhängig sind, gezwungen sieht, ein bestimmtes Operationsgebiet des UNRWA zu verlassen. In diesem Fall bedarf es vielmehr zusätzlich der Feststellung, dass der Staatenlose auch in kein anderes Operationsgebiet einreisen kann, um den Schutz oder Beistand des UNRWA konkret in Anspruch zu nehmen; andernfalls ist seine Entscheidung, das Einsatzgebiet (insgesamt) zu verlassen, nicht unfreiwillig (vgl. EuGH, Urteil vom 13. Januar 2021 – C-507/19 – Rn. 72).
Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung, ob Schutz oder Beistand des UNRWA entfallen ist, ist vorrangig der des Verlassens des Einsatzgebietes des UNRWA (vgl. BVerwG, Urteil vom 25. April 2019 – 1 C 28.18 – juris Rn. 26; BVerwG, Urteil vom 27. April 2021 – 1 C 2.21 – juris Rn. 22; siehe auch Berlit, jurisPR-BVerwG 16/2021 Anm. 5, S. 3).
Zusätzlich setzt die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft auf Grundlage von § 3 Abs. 3 Satz 2 AsylG voraus, dass es dem Schutzsuchenden auch noch im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung oder gerichtlichen Entscheidung nicht möglich oder zumutbar ist, sich dem Schutz oder Beistand des UNRWA durch Rückkehr in eines der fünf Operationsgebiete des Einsatzgebiets dieser Organisation erneut zu unterstellen (vgl. BVerwG, Urteil vom 27. April 2021 – 1 C 2.21 – juris Rn. 24).
Die Voraussetzungen des § 3 Abs. 3 Satz 2 AsylG liegen nicht vor, da Schutz oder Beistand des UNRWA nicht aus Umständen weggefallen ist, die vom Willen des Klägers unabhängig waren. Wie oben dargelegt, musste er das Westjordanland nicht verfolgungsbedingt verlassen, so dass von einer fehlenden Freiwilligkeit der Ausreise nicht die Rede sein kann. Außerdem besteht auch im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung weiterhin die Möglichkeit, sich erneut dem Schutz und Beistand der UNRWA durch Rückkehr in dessen Einsatzgebiet zu unterstellen. Eine sehr unsichere persönliche Lage aufgrund der allgemeinen Sicherheitslage oder eine solche Lage wegen der fehlenden Möglichkeit der Existenzsicherung besteht ebenfalls nicht (s.u.).
III. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG. Nach dieser Vorschrift ist ein Ausländer subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt nach § 4 Abs. 1 Satz 2 AsylG die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe (Nr. 1), Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung (Nr. 2) oder eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (Nr. 3).
Im Hinblick auf den unglaubhaften Vortrag des Klägers kommt vorliegend nur § 4 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 AsylG in Betracht. Eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson aufgrund eines bewaffneten Konfliktes ist dann anzunehmen, wenn der den bewaffneten Konflikt kennzeichnende Grad willkürlicher Gewalt ein so hohes Niveau erreicht, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass eine Zivilperson bei Rückkehr in das betreffende Land oder gegebenenfalls die betroffene Region allein durch ihre Anwesenheit im Gebiet dieses Landes oder dieser Region tatsächlich Gefahr liefe, einer ernsthaften Bedrohung ausgesetzt zu sein (vgl. EuGH, Urteil vom 17. Februar 2009 – C-465/07 – Rn. 35; VG Berlin, Urteil vom 22. September 2021 – 34 K 1275.17 A -, Rn. 39, juris).
Hierzu macht das VG Berlin, U.v. 22. September 2021 – 34 K 1275.17 A folgende Ausführungen, denen sich die erkennende Einzelrichterin anschließt:
„Nach diesen Maßstäben lässt sich eine sehr unsichere persönliche Lage des Klägers im Westjordanland aufgrund eines bewaffneten Konfliktes im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung nicht feststellen, wobei im Übrigen auch nichts dafür spricht, dass solch eine Lage im Zeitpunkt der Ausreise des Klägers vorlag. Das Gericht ist nicht überzeugt, dass die sicherheitsrelevanten Vorfälle im Westjordanland ein solches Ausmaß willkürlicher Gewalt erreichen, dass für den Kläger mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit die Gefahr besteht, ziviles Opfer des Konfliktes zu werden.
Der quantitativen Ermittlung des Tötungs- und Verletzungsrisikos ist eine Bevölkerungsanzahl von knapp 2,5 Millionen Palästinensern im Westjordanland zugrunde zu legen. Hinzu kommen mehr als 400.000 israelische Siedler im Westjordanland, die hier aber unberücksichtigt bleiben (vgl. Human Rights Watch, Born Without Civil Rights, 17. Dezember 2019, S. 9). Innerhalb eines Jahres, nämlich zwischen September 2020 und September 2021, wurden insgesamt 70 Palästinenser getötet und 13.715 verletzt (https://www.ochaopt.org/data/casualties), wobei nicht feststeht, ob es sich dabei ausschließlich um zivile Opfer handelt. Demnach liegt das statistische Risiko einer palästinensischen Zivilperson im Westjordanland, binnen der letzten zwölf Monate verletzt oder getötet zu werden, bei etwa 0,55 Prozent (1:181).
Bei der gebotenen Gesamtwürdigung aller relevanten Umstände lässt sich eine sehr unsichere persönliche Lage aufgrund der Sicherheitslage im Westjordanland nicht begründen (so auch VG Kassel, Urteil vom 25. Juni 2020 – 5 K 4122/17.KS.A – juris Rn. 68 ff. [zu § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG]). Gefahrerhöhend ist zu berücksichtigen, dass die Gesundheitsversorgung im Westjordanland aufgrund der israelischen Besatzung schwierig ist, auch wenn sie nicht mit der katastrophalen medizinischen Versorgungslage im Gazastreifen zu vergleichen ist (vgl. UK Home Office, Report of a Home Office Fact Finding Mission, März 2020, S. 28 ff.). Gegenläufig ist aber in die Gesamtwürdigung einzustellen, dass ein Großteil der palästinensischen Opfer (nämlich rund 11.300) in den recht kurzen Zeitraum zwischen Mai und Juli 2021 fällt, was offenkundig in einem Zusammenhang mit dem Israel-Gaza-Konflikt im Mai 2021 steht. Außerdem ist nur ein geringer Teil der palästinensischen Opfer verstorben (etwa 0,5 Prozent). Von den 13.715 Verletzten wurden rund 8.400 durch die Inhalation von Tränengas und circa 3.400 durch Gummigeschosse verletzt (https://www.ochaopt.org/data/casualties), was regelmäßig keine bleibenden Schäden oder Todesgefahr bedeutet und häufig keine aufwendige medizinische Versorgung erfordert. Auch besteht bei dem Einsatz dieser Waffen das eher geringe Risiko, dass Zivilpersonen, die sich außerhalb des unmittelbaren Konfrontationsgebietes aufhalten, in Mitleidenschaft gezogen werden (anders etwa als bei Artilleriebeschuss oder Bombenangriffen). Darüber hinaus ist zu beachten, dass bei rund 10.400 der palästinensischen Opfer ein Zusammenhang mit Demonstrationen bestehen (https://www.ochaopt.org/data/casualties), eine Nähe oder gar Teilnahme des Klägers an Demonstration hat er aber nicht geltend gemacht und ist auch sonst nicht ersichtlich. Auch dies spricht dafür, dass die Auseinandersetzungen auf einen konkreten Anlass und ein eher umgrenztes Gebiet beschränkt waren, und nicht die gesamte Zivilbevölkerung allein aufgrund ihrer Anwesenheit im Westjordanland erheblich betroffen war.“
Auch unter Berücksichtigung der aktuellen Entwicklung kann von einem solchen Konflikt nicht die Rede sein. Seit der Entscheidung des VG Berlin haben sich die tatsächlichen Verhältnisse im Westjordanland auch nicht derart geändert, dass die Lage anders zu beurteilen wäre (vgl. (https://www.ochaopt.org/data/casualties).
IV. Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich der Palästinensischen Autonomiegebiete ist nicht festzustellen. Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Die Abschiebung eines Ausländers ist insbesondere mit Art. 3 EMRK unvereinbar, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass der Betroffene im Fall seiner Abschiebung der ernsthaften Gefahr der Todesstrafe, der Folter oder der unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Bestrafung ausgesetzt wäre.
Die ernsthafte Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung kann sich in erster Linie aus individuellen Umständen in der Person des Ausländers ergeben. Der Umstand, dass im Fall einer Aufenthaltsbeendigung die Lage des Betroffenen einschließlich seiner Lebenserwartung erheblich beeinträchtigt würde, reicht jedoch allein nicht aus, einen Verstoß gegen Art. 3 EMRK anzunehmen; anderes kann nur in besonderen Ausnahmefällen gelten, in denen humanitäre Gründe gegen die Ausweisung „zwingend“ sind (vgl. EGMR, Urteile vom 29. Januar 2013 – 60367/10 [S.H.H. gegen das Vereinigte Königreich] – Rn. 73; BVerwG, Urteil vom 31. Januar 2013 – 10 C 15.12 – juris Rn. 23). Humanitäre Verhältnisse im Zielstaat verletzten Art. 3 EMRK nur in ganz außergewöhnlichen Fällen, wenn die humanitären Gründe gegen die Abschiebung „zwingend“ sind. Die Annahme einer unmenschlichen Behandlung allein durch die humanitäre Lage und die allgemeinen Lebensbedingungen setzt ein sehr hohes Gefährdungsniveau voraus. In Konstellationen wie der Vorliegenden, in der gleichzeitig über die Gewährung unionsrechtlichen und nationalen Abschiebungsschutzes zu entscheiden ist, scheidet bei Verneinung der Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AsylG regelmäßig aus denselben tatsächlichen und rechtlichen Erwägungen auch ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG in Bezug auf Art. 3 EMRK aus, weshalb in der Sache divergierende Bewertungen kaum denkbar sind (vgl. BVerwG vom 31.1.2013 Az. 10 C 15/12).
Das erforderliche hohe Gefährdungsniveau liegt bei dem Kläger nicht vor. Die palästinensische Wirtschaft ist ein reiner Zulieferbetrieb für Israel, israelische Behörde entscheiden über alle Ex- und Importe, eine eigenständige Wirtschaftsentwicklung gibt es nicht (vgl. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt Palästinensische Gebiete, 29. April 2020, S. 33). Die Armutsrate beträgt rund 27% und ist damit nur etwa halb so hoch wie im Gazastreifen (vgl. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, a.a.O., S. 36), nach offiziellen Angaben der palästinensischen Autonomiebehörde sogar nur 14 Prozent (vgl. USDOS, Israel 2019 Human Rights Report, 11. März 2020, S. 105). Durch die im Zuge der Eindämmung der Corona-Pandemie ergriffenen Maßnahmen dürfte sich die wirtschaftliche Lage weiter verschlechtert haben. Es liegen jedoch keine Berichte vor, denen sich erhebliche Schwierigkeiten der breiten Bevölkerung entnehmen ließen, eine notwendige Grundversorgung sicherzustellen. Vor diesem Hintergrund ist nicht ersichtlich, dass der Kläger bei einer Rückkehr in das Westjordanland keine zur Sicherung eines Existenzminimums nötige Erwerbstätigkeit finden können. Er hat hierzu auch nichts substantiiert vorgetragen.
Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von einer Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Gefahren im Sinne dieser Vorschrift, denen die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind gemäß § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG nur bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen. Eine ernsthafte individuelle Bedrohung liegt im Fall des Klägers bei einer Rückkehr in das Westjordanland nicht vor (s.o.).
Eine Not- und Gefahrenlage, der die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, ist nach § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG grundsätzlich bei Anordnungen nach § 60 a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen, d.h. im Wege einer generellen politischen Leitentscheidung der obersten Landesbehörden und nicht durch Einzelfallentscheidungen des Bundesamts. Fehlt es – wie hier – an einem solchen Abschiebestopp-Erlass oder einem sonstigen vergleichbar wirksamen Abschiebungshindernis, ist die Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG bei verfassungskonformer Auslegung ausnahmsweise dann unbeachtlich, wenn dem Ausländer auf Grund der allgemeinen Verhältnisse mit hoher Wahrscheinlichkeit extreme Gefahren drohen. Eine Abschiebung muss dann ungeachtet der Erlasslage ausgesetzt werden, wenn der Ausländer ansonsten „gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würde“ (vgl. z.B. BVerwG vom 14.11.2007 Az. 10 B 47/07 m.w.N.). Eine extreme Gefahrenlage in diesem Sinn ist indes grundsätzlich auch dann anzunehmen, wenn dem Ausländer mangels jeglicher Lebensgrundlage in seiner Heimat landesweit der alsbaldige sichere Hungertod drohen würde. Eine solche Situation liegt hier jedoch nicht vor.
Auch im Übrigen ist weder ersichtlich noch substantiiert vorgetragen, dass der Kläger an einer schwerwiegenden oder gar lebensbedrohlichen Erkrankung leidet.
V. Die Abschiebungsandrohung ist rechtmäßig, weil sie den Anforderungen der §§ 34, 38 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG entspricht. Insbesondere ist auch die Zielstaatsbestimmung rechtmäßig. Rechtsgrundlage der Zielstaatsbestimmung ist § 34 Abs. 1 Satz 1 AsylG i.V.m. § 59 Abs. 2 Satz 1 AufenthG. Danach soll in der Abschiebungsandrohung der Staat bezeichnet werden, in den der Ausländer abgeschoben werden soll. Dabei ist grundsätzlich die Androhung der Abschiebung in die Palästinensischen Autonomiegebiete nicht (mehr) zu beanstanden (vgl. zur früheren Rechtslage Haedicke, in: HTK-AuslR, 10/2019, § 59 Abs. 2 AufenthG Nr. 2 „Palästina“ m.w.N.), weil nach § 59 Abs. 2 Satz 2 AufenthG Gebietskörperschaften im Sinne der Anhänge I und II der Verordnung (EU) 2018/1806 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. November 2018 Staaten gleichgestellt sind und in dieser Richtlinie in Anhang I die „Palästinensische Behörde“ genannt ist.
VI. Rechtliche Bedenken gegen das gemäß § 75 Nr. 12 AufenthG i.V.m. § 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG erlassene Einreise- und Aufenthaltsverbot bestehen nicht. In der nach alter Rechtslage ergangenen bloßen behördlichen Befristung des damals bereits gesetzlich angeordneten Einreise- und Aufenthaltsverbots ist der nach der aktuellen Regelung in § 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG nötige konstitutive Erlass eines befristeten Einreise- und Aufenthaltsverbotes zu sehen (vgl. BVerwG, Urteil vom 21. August 2018 – 1 C 21.17 – juris Rn. 25; BVerwG, Beschluss vom 13. Juli 2017 – 1 VR 3.17 – juris Rn. 72). Die vom Bundesamt vorgenommene Befristung dieses Verbotes nach § 11 Abs. 2 und 3 AufenthG auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung ist fehlerfrei. Es ist nicht zu beanstanden, dass das Bundesamt in Fällen, in denen – wie hier – keine individuellen Gründe vorgebracht werden oder ersichtlich sind, aus Gründen der Gleichbehandlung für eine Frist von 30 Monaten bestimmt und damit das in § 11 Abs. 3 Satz 2 AufenthG festgelegte Höchstmaß zur Hälfte ausschöpft (vgl. OVG Koblenz, Beschluss vom 10. Januar 2019 – 6 A 10042/18 – juris Rn. 5; VGH München, Beschluss vom 28. November 2016 – 11 ZB 16.30463 – juris Rn. 4). Hiergegen hat sich der anwaltlich vertretene Kläger auch nicht weiter gewendet.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO; diejenige über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 Sätze 1 und 2 ZPO.


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