Verwaltungsrecht

Darlegungsanforderungen an eine Divergenzrüge

Aktenzeichen  9 ZB 17.31969

Datum:
5.1.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 480
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 78 Abs. 3, Abs. 4 S. 4

 

Leitsatz

Die Verletzung des rechtlichen Gehörs setzt voraus,dass das Gericht in seinen Rechtsstandpunkt zentrale Argumente eines Beteiligten nicht zur Kenntnis genommen oder sich mit ihnen nicht auseinander gesetzt hat. Anders laufende Schlussfolgerungen stellen keine eben solche Verletzung dar. (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

Au 4 K 17.32860 2017-10-27 Urt VGAUGSBURG VG Augsburg

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

I.
Der Kläger ist Staatsangehöriger Ugandas. Er begehrt eine positive Entscheidung über seinen Asylantrag. Ausweislich des ablehnenden Bescheids vom 4. Mai 2017 bewertete das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) den Vortrag des Klägers zum behaupteten Verfolgungsschicksal als unglaubhaft. Mit Urteil vom 27. Oktober 2017 wies das Verwaltungsgericht Augsburg die Asylklage ab. Mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgt der Kläger sein Begehren weiter.
II.
Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Augsburg vom 27. Oktober 2017 hat keinen Erfolg.
1. Soweit sich der Kläger in seinem Antrag auf Zulassung der Berufung vom 18. Dezember 2017 auf ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils sowie auf besondere Schwierigkeiten der Rechtssache beruft, bleibt sein Antrag schon deshalb ohne Erfolg, weil damit keine Gründe geltend gemacht werden, aus denen nach § 78 Abs. 3 AsylG die Berufung in asylrechtlichen Streitigkeiten zugelassen werden kann.
2. Soweit der Kläger annimmt, die Rechtssache habe grundsätzliche Bedeutung (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG), bleibt sein Antrag auf Zulassung der Berufung ohne Erfolg, weil nicht dargelegt wird (vgl. § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG), welche konkrete Rechts- oder Tatsachenfrage für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts von Bedeutung war, deren Klärung im Berufungsverfahren zu erwarten und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zur Weiterentwicklung des Rechts geboten ist und weshalb ihr eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt (vgl. BayVGH, B.v. 27.11.2017 – 9 ZB 17.31302 – juris Rn. 3 m.w.N.).
3. Soweit der Kläger geltend macht, das erstinstanzliche Urteil weiche von einer Entscheidung eines der in § 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylG genannten Gerichte ab, bleibt der Antrag erfolglos, weil im Zulassungsvorbringen kein abstrakter Rechtssatz des angefochtenen Urteils herausgearbeitet und diesem ein Rechtssatz eines Divergenzgerichts unter Darlegung der Abweichung gegenübergestellt wird (vgl. BayVGH, B.v. 24.5.2017 – 9 ZB 15.50041 – juris Rn. 3 m.w.N.). Das pauschale Vorbringen, „das Urteil des Erstgerichts weicht von anderen Urteilen ab, die bei anderen homosexuellen Menschen aus Uganda, die sich in der Lage des Klägers befanden, zumindest deren Flüchtlingseigenschaft anerkannten“, genügt nicht den Darlegungsanforderungen einer Divergenzrüge (§ 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG).
4. Die geltend gemachte Verletzung des rechtlichen Gehörs (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG, § 138 Nr. 3 VwGO) liegt nicht vor.
Der Kläger ist der Auffassung, das Verwaltungsgericht habe sein Vorbringen zum Verfolgungsschicksal unzureichend gewürdigt, den Sachverhalt unvollständig und fehlerhaft festgestellt und bei der rechtlichen Würdigung die Argumentation des Klägers übergangen. Aus den Darlegungen des Klägers ergibt sich allerdings kein Gehörsverstoß.
a) Mit dem Vorbringen des Klägers, er habe keine widersprüchlichen Angaben zu seiner Homosexualität gemacht, die sein Vorbringen unglaubwürdig erscheinen ließen, wendet er sich gegen die Überzeugungsbildung des Verwaltungsgerichts (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Die Kritik an der tatrichterlichen Sachverhaltswürdigung durch das Verwaltungsgericht im Einzelfall kann die Annahme eines Verstoßes gegen das rechtliche Gehör aber grundsätzlich nicht begründen (vgl. BVerwG, B.v. 30.7.2014 – 5 B 25.14 – juris Rn. 13 m.w.N.). Das rechtliche Gehör wäre allenfalls dann verletzt, wenn das Verwaltungsgericht den Sachverhalt oder das Vorbringen des Klägers in einer Weise gewürdigt hätte, mit der ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nach dem vorherigen Verfahrensverlauf nicht rechnen konnte (BVerfG, B.v. 1.8.2017 – 2 BvR 3068/14 – NJW 2017, 3218 = juris Rn. 51 m.w.N.; verbotene Überraschungsentscheidung) oder wenn sich klar ergäbe, dass das Verwaltungsgericht die Ausführungen des Klägers nicht in Erwägung gezogen hat (vgl. BVerfG, B.v. 8.2.1995 – 2 BvR 2241/94 – juris Rn. 21). Das ist hier aber nicht der Fall.
Angesichts der Begründung im Bundesamtsbescheid vom 4. Mai 2017, in dem die Widersprüche in den klägerischen Angaben aufgezeigt wurden, musste der Kläger damit rechnen, dass das Verwaltungsgericht die widersprüchlichen Angaben des Klägers in derselben Weise wie das Bundesamt werten würde. Davon abgesehen hat der Einzelrichter in der mündlichen Verhandlung im erstinstanzlichen Verfahren auch auf den seiner Ansicht nach widersprüchlichen Vortrag des Klägers im Zusammenhang mit einer im gerichtlichen Verfahren vorgelegten Bestätigung hingewiesen.
Das Vorbringen des Klägers zum Beleg der Widerspruchsfreiheit seines Vortrags, er habe bereits anlässlich seiner Erstbefragung am 28. Juni 2016 beim Bundesamt angegeben, Uganda im Januar 2014 verlassen zu haben, ändert nichts an den unzutreffenden Angaben des Klägers im Rahmen seiner Anhörung beim Bundesamt am 11. Oktober 2016. Danach habe er sein Heimatland Ende 2011 verlassen, weil er Mitte 2011 „von einer homosexuellen Gruppe gekidnappt“ und daraufhin von Dorfbewohnern verfolgt worden sei. Ab Juli 2009 (Asylantragstellung 29.7.2009) hatte sich der Kläger aber in der Republik Irland aufgehalten, von wo er nach erfolglosem Asylverfahren erst am 21. November 2012 nach Uganda abgeschoben wurde. Dass der Kläger hinsichtlich der von ihm gemachten zeitlichen Angaben keinem Irrtum unterlag, hat das Verwaltungsgericht – ebenso wie bereits das Bundesamt – plausibel mit dem weiteren Vortrag des Klägers u.a. zum Fluchtverlauf begründet.
b) Das Zulassungsvorbringen, wonach das Verwaltungsgericht den Sachverhalt durch sensibles Nachfragen beim Kläger vollständig und fehlerfrei habe aufklären müssen, weil es von der Flucht traumatisierten Personen sehr schwerfalle bzw. nahezu unmöglich sei, stringent zu erzählen, zeigt keinen Gehörsverstoß auf.
In der Sache beanstandet der Kläger eine seiner Ansicht nach unzureichende Aufklärung des Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht (§ 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Hiermit kann der Kläger aber nicht durchdringen, weil die Rüge der Verletzung der Aufklärungspflicht den Regelungsgehalt des Art. 103 Abs. 1 GG nicht berührt. Der Grundsatz des rechtlichen Gehörs stellt nur sicher, dass das Gericht die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis nimmt und in Erwägung zieht. Der gerichtlichen Entscheidung dürfen nur solche Tatsachen und Beweisergebnisse zugrunde gelegt werden, zu denen die Beteiligten Stellung nehmen konnten. Art. 103 Abs. 1 GG gibt den am Prozess Beteiligten jedoch weder einen Anspruch darauf, dass das Gericht Tatsachen erst beschafft oder von sich aus erst ermittelt (vgl. BVerfG, B.v. 18.2.1998 – 2 BvR 1324/87 – BayVBl 1988, 268 = juris Rn. 18 m.w.N.) noch ist Art. 103 Abs. 1 GG sonst eine allgemeine Frage- und Aufklärungspflicht des Richters zu entnehmen (vgl. BVerfG, B.v. 29.5.1991 – 1 BvR 1383/90 – BVerfGE 84, 188 = juris Rn. 7 m.w.N.).
Von Vorstehendem abgesehen setzt eine begründete Rüge der Versagung rechtlichen Gehörs die vorherige Ausschöpfung sämtlicher verfahrensrechtlich eröffneter und nach Lage der Dinge tauglicher Möglichkeiten voraus, sich rechtliches Gehör zu verschaffen (vgl. BVerfG, B.v. 10.2.1987 – 2 BvR 314/86 – BVerfGE 74, 220 = juris Rn. 14 m.w.N.). Daran fehlte es hier selbst dann, wenn der Kläger ohne sensibles Nachfragen zu keinem stringenten Vortrag in der Lage gewesen wäre, weil es jedenfalls der Bevollmächtigten des Klägers ohne weiteres möglich war, die vom Kläger vermissten Nachfragen zur Aufklärung eines vollständigen und fehlerfreien Sachverhalts in der mündlichen Verhandlung zu stellen.
c) Entgegen dem Vorbringen des Klägers hat das Verwaltungsgericht die im Klageverfahren vorgelegten Unterlagen von Bonito allgäu e.V. und des sub München e.V. berücksichtigt und gewürdigt (vgl. S. 6 d. UA.). Es hat allerdings nicht dieselben Schlüsse aus diesen Unterlagen gezogen, wie der Kläger. Eine Verletzung des rechtlichen Gehörs folgt daraus nicht. Denn der Anspruch auf rechtliches Gehör ist nur dann verletzt, wenn im Einzelfall besondere Umstände deutlich machen, dass das Gericht nach seinem Rechtsstandpunkt zentrale Argumente eines Beteiligten nicht zur Kenntnis genommen oder sich mit ihnen nicht auseinander gesetzt hat. Deshalb kann insbesondere aus einer von der Ansicht eines Beteiligten abweichenden Beweiswürdigung des Gerichts nicht auf einen Gehörsverstoß geschlossen werden (vgl. BVerwG, B.v. 15.5.2014 – 9 B 14.14 – juris Rn. 8 m.w.N.). Ein Gehörsverstoß liegt auch nicht vor.
Zwar steht die homosexuelle Identität des Klägers ausweislich der Kurzstellungnahme der Beratungsstelle für schwule Männer (sub e.V.) vom 10. April 2017 für den Berater außer Frage. Grundlage dieser Einschätzung durch die Beratungsstelle war aber die Annahme, eine glaubhafte Schilderung der Facetten des Lebens des Klägers als schwuler Mann erhalten zu haben. Hiervon abweichend hat das Verwaltungsgericht eine glaubhafte Schilderung der homosexuellen Identität des Klägers aufgrund eines vollkommen widersprüchlichen Vortrags des Klägers zu seinem Verfolgungsschicksal mit einer nachvollziehbaren Begründung verneint. Eine Verletzung des rechtlichen Gehörs ergibt sich daraus nicht, insbesondere ist die von der Einschätzung der Beratungsstelle abweichende Bewertung des Verwaltungsgerichts nicht willkürlich oder offenbar unrichtig.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, § 83b AsylG.
Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).


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