Verwaltungsrecht

Dienstposten, Auswahlentscheidung, Besoldungsgruppe, Dienstherr, Widerspruchsbescheid, Verletzung, Bewerber, Ermessen, Ausschreibung, Stellenbesetzung, Aufhebung, Zuziehung, Widerspruch, Auslegung, Kosten des Verfahrens, dienstlicher Grund, drei Jahre

Aktenzeichen  Au 2 K 20.1120

Datum:
17.6.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 46009
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Tenor

I. Der Beklagte wird unter Aufhebung seiner Auswahlentscheidung und des Widerspruchsbescheids des Polizeipräsidiums … vom 8. Juni 2020 verpflichtet, über die Bewerbung des Klägers als “Stellvertretenden Kommissariatsleiter Verletzung höchstpersönlicher Rechtsgüter im K. der KPI … (A11/A12)” unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden.
II. Die Kosten des Verfahrens hat der Beklagte zu tragen. Die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig. Die Zuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren war notwendig.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die zulässige Klage ist begründet. Die Auswahlentscheidung des Beklagten in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 8. Juni 2020 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Er hat einen Anspruch auf die begehrte Aufhebung der Auswahlentscheidung des Polizeipräsidiums … und Neuverbescheidung unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Gerichts (§ 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 Satz 2, § 114 Satz 1 VwGO).
1. In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass der Dienstherr in der Ausschreibung zwischen Beförderungs- und Umsetzungs-/Versetzungsbewerbern unterscheiden kann. Nur dann, wenn sich der Dienstherr für ein Auswahlverfahren entschließt, an dem Beförderungs- und Umsetzungs-/Versetzungsbewerber unterschiedslos teilnehmen, legt er sich auf ein an den Maßstäben des Art. 33 Abs. 2 GG ausgerichtetes Auswahlverfahren (Auswahlverfahren nach dem Prinzip der Bestenauslese) fest. Da in der Ausschreibung ausdrücklich angegeben ist, dass Umsetzungen nach Ziff. 7.1 der Richtlinien über die Bestellung auf Dienstposten des gehobenen und des höheren Dienstes der Bayerischen Polizei vom 26. Oktober 2018 (Bestellungsrichtlinien/RBestPol) vorrangig durchgeführt werden können, hat sich der Beklagte nicht auf ein Auswahlverfahren nach dem Prinzip der Bestenauslese beschränkt. Die getroffene Auswahlentscheidung zugunsten des Beigeladenen muss daher nur den Anforderungen an die Ausübung des pflichtgemäßen (aber sehr weit gespannten) Ermessens genügen und darf nicht willkürlich sein (BVerfG, B.v. 28.11.2007 – 2 BvR 1431/07 – juris Rn. 11; BayVGH, B.v. 9.1.2015 – 3 ZB 12.1126 – juris Rn. 5 m.w.N.). Welches „Modell“ der Dienstherr seiner Entscheidung über die Besetzung eines freien Dienstpostens zugrunde legt, hat er – gleichsam als „Organisationsgrundentscheidung“ – spätestens vor der Auswahlentscheidung festzulegen (BVerwG, B.v. 27.5.2020 – 1 WB 18.19 – juris Rn. 27; BayVGH, U.v. 11.11.2020 – 3 BV 19.1619 – BeckRS 2020, 32732 Rn. 26).
2. Die getroffene Auswahlentscheidung hält dennoch einer rechtlichen Prüfung nicht stand. Der Kläger hat jedenfalls Anspruch auf die ermessensfehlerfreie Entscheidung über seine Bewerbung. Die Auswahlentscheidung ist hier ermessensfehlerhaft getroffen worden, da die erforderlichen Voraussetzungen für eine vorrangige Umsetzung des Beigeladenen gemäß Ziff. 7.1 RBestPol nicht vorlagen.
Nach Ziff. 3 Satz 3 RBestPol können Umsetzungsbewerber nur „ausnahmsweise“ nach den unter Ziff. 7 RBestPol genannten „engen“ Voraussetzungen bestellt werden. Erforderlich ist hierfür nach den Regelungen der derzeit geltenden RBestPol in der veröffentlichten Fassung neben besonderen dienstlichen (Ziff. 7.1 Satz 2 f. RBestPol) oder zwingenden persönlichen Gründen (Ziff. 7.1 Satz 4 RBestPol), dass der Bewerber beim Ablauf der Ausschreibungsfrist (vgl. Ziff. 6.2 Var. 1 RBestPol) schon mindestens fünf Jahre auf seinem derzeitigen Dienstposten tätig war und mindestens drei Jahre seit der letzten Beförderung vergangen sind (vgl. Ziff. 7.1 Satz 3 RBestPol).
a) Ein besonderer dienstlicher Grund wäre an sich gegeben. Darunter versteht man einen legitimen, an dienstlichen Bedürfnissen orientierten Belang (VG Augsburg, U.v. 17.1.2013 – Au 2 K 11.1781 – juris Rn. 23). Dem Dienstherrn kommt bei dessen Bestimmung grundsätzlich ein gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbarer Entscheidungsspielraum zu. Ein solcher dienstlicher Grund könnte daher an sich darin gesehen werden, dass der Ausgewählte den ausgeschriebenen Dienstposten bereits mehrere Monate kommissarisch ausgeübt hat, mit den anfallenden Aufgaben des Dienstpostens bereits vertraut war und keiner Einarbeitung mehr bedurfte (so bereits VG Augsburg, U.v. 17.1.2013 – Au 2 K 11.1781 – BeckRS 2013, 50490 Rn. 23). Der Gesichtspunkt der größtmöglichen personellen Kontinuität bei der Ausübung von Leitungsfunktionen einer Polizeiinspektion und des Wegfalls einer nicht unerheblichen Einarbeitungszeit ist nämlich ein legitimer, an dienstlichen Bedürfnissen orientierter Belang (VG Augsburg, U.v. 6.10.2016 – Au 2 K 16.662 – juris Rn. 29).
b) Allerdings regelt Ziff. 7.1 Satz 3 RBestPol einschränkend, dass von besonde ren dienstlichen Gründen in der Regel frühestens ausgegangen werden kann, wenn der Bewerber beim Ablauf der Ausschreibungsfrist (vgl. Ziff. 6.2 Var. 1 RBestPol) schon mindestens fünf Jahre auf seinem derzeitigen Dienstposten tätig war und mindestens drei Jahre seit der letzten Beförderung vergangen sind. Bei den Regelungen der Bestellungsrichtlinie handelt es sich um Verwaltungsvorschriften, die eine tatsächliche Vermutung für eine bestimmte Verwaltungspraxis schaffen. Der Bewerber hat daher einen Anspruch auf Beibehaltung der Verwaltungspraxis aus Art. 3 Abs. 1 GG i.V.m. dem Grundsatz der Selbstbindung der Verwaltung. Vorliegend wurde bei der getroffenen Auswahlentscheidung dieser subjektive Anspruch verletzt, weil beim Beigeladenen die Voraussetzungen der Ziff. 7.1 Satz 3 RBestPol nicht vorlagen und die Ergebnisse der internen Dienstbesprechungen vom 3. Juli und 27. November 2019 keine Änderung der Verwaltungspraxis bewirken konnten.
aa) Der Beigeladene war erst seit dem 1. November 2018 Sachbearbeiter im . und damit noch keine 5 Jahre auf seinem bisherigen Dienstposten. Überdies wurde er erst mit Wirkung vom 1. Februar 2020 zum Kriminalhauptkommissar (A 12) befördert, so dass nicht mindestens drei Jahre seit der letzten Beförderung vergangen sind. Es sind auch keine atypischen Umstände vorgetragen und ersichtlich, die zu einem Abweichen von den statuierten Voraussetzungen („in der Regel“) berechtigen würden. Im Gegenteil dürfte sich angesichts des geringen Zeitraums zwischen der letzten Beförderung und der Ausschreibung das in Ziff. 7.1 Satz 3 RBestPol eingeräumte Ermessen eher dahingehend verdichtet haben, dass von einem dienstlichen Belang nicht ausgegangen werden kann, zumal auch der dienstliche Grund der zeitweisen (kommissarischen) Ausübung des Dienstpostens ein vom Dienstherrn selbst geschaffener Aspekt ist.
bb) Ein anderes Ergebnis ergibt sich auch nicht aus den genannten internen Dienstbesprechungen. Zwar ist eine Änderung von Verwaltungsvorschriften bzw. der maßgeblichen Verwaltungspraxis grundsätzlich jederzeit möglich, wenn ab einem bestimmten Zeitpunkt allgemein anders verfahren und nicht nur in Einzelfällen willkürlich von der bisherigen Praxis abgewichen wird (VG Bayreuth, B.v. 26.6.2017 – 5 E 17.424 – BeckRS 2017, 122596 Rn. 24). Die Verfahrenswirkungen von u.a. Art. 3 Abs. 1 GG verpflichten bei behördlichen Auswahlentscheidungen wie der konkret streitgegenständlichen Stellenbesetzung jedoch dazu, dass die das Ermessen bindenden Richtlinien transparent sind und den Bewerbern so rechtzeitig bekanntgegeben werden, dass sie sich darauf einstellen können (vgl. Rennert in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 114 Rn. 29; zu Auswahlentscheidungen beim Zugang zu öffentlichen Einrichtungen z.B. NdsOVG, B.v. 17.11.2009 – 7 ME 116/09 – juris; VG Regensburg, U.v. 22.7.2019 – RO 5 K 19.26 – BeckRS 2019, 19855 Rn. 36, 38). Dies gilt in besonderer Weise im konkreten Fall. Durch den ausdrücklichen Hinweis in der Ausschreibung auf Ziff. 7.1 RBestPol hat der Dienstherr eindeutig zu erkennen gegeben, dass er sich in einer bestimmten Weise, nämlich im Sinne der derzeit gültigen Fassung dieser Ziffer der RBestPol, binden will. Er kann sein (Umsetzungs-, Versetzungs- bzw. Auswahl-) Ermessen daher nicht aufgrund einer rein internen Dienstbesprechung in einer der objektiv kommunizierten Verfahrensweise widersprechenden Art ausüben. Eine solche Ermessensbetätigung wäre für Bewerber nämlich nicht vorhersehbar, so dass diese sich auf eine geänderte Verwaltungspraxis nicht einstellen könnten.
3. Der unterlegene Beamte kann eine erneute Entscheidung über seine Bewer bung dann beanspruchen, wenn seine Aussichten, beim zweiten Mal ausgewählt zu werden, zumindest offen sind, d.h. wenn seine Auswahl möglich erscheint (BVerfG, B.v. 24.9.2002 – 2 BvR 857/02 – ZBR 2002, 427). Dies ist hier der Fall, weil es nicht ausgeschlossen erscheint, dass der Kläger angesichts eines Gesamturteils von 13 Punkten in der letzten periodischen Beurteilung bei einer Auswahlentscheidung nach Leistungsgesichtspunkten zum Zuge käme (vgl. BayVGH, B.v. 14.8.2015 – 3 CE 15.1410 – juris Rn. 22). Jedenfalls wurde vom Beklagten nicht substantiiert vorgetragen, dass eine Auswahl des Klägers nach dem Grundsatz der Bestenauslese nicht in Betracht kommt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Es entsprach der Billigkeit nach § 162 Abs. 3 VwGO, die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen nicht der unterliegenden Partei aufzuerlegen, weil der Beigeladene keinen Antrag gestellt hat und sich seinerseits ebenso keinem Kostenrisiko ausgesetzt hat (§ 154 Abs. 3 Hs. 1 VwGO). Die Zuziehung einer Bevollmächtigten im Vorverfahren war nach § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO notwendig. Gegenstand des Verfahrens war die ordnungsgemäße Ermessensausübung bei einer Konkurrenzsituation zwischen einem Umsetzungsbewerber und Beförderungsbewerbern. In diesem Zusammenhang stellten sich eine Reihe nicht ohne weiteres zu beantwortender rechtlicher Fragen. Von dem insoweit nicht juristisch vorgebildeten Kläger konnte daher nicht erwartet werden, das Vorverfahren ohne Hinzuziehung eines Rechtsanwalts zu führen.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i. V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.


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