Verwaltungsrecht

Eilrechtsschutz, Brasilianische Staatsangehörige, Aufenthaltserlaubnis zu Erwerbszwecken

Aktenzeichen  M 10 S 22.314

Datum:
22.2.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 5993
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80 Abs. 5
AufenthG § 18 ff.
AufenthG § 19c Abs. 1

 

Leitsatz

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragstellerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 2.500 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragstellerin wendet sich im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes gegen die Versagung einer Aufenthaltserlaubnis zu Erwerbszwecken.
Die am … 1976 geborene Antragstellerin ist brasilianische Staatsangehörige. Sie reiste am 26. Januar 2020 in die Bundesrepublik Deutschland ein (Bl. 29, 31, 34 Behördenakte). Am 12. August 2020 erteilte ihr das Landratsamt … eine Aufenthaltserlaubnis nach § 16f Abs. 1 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) zur Teilnahme an einem Sprachkurs, die bis 11. August 2021 gültig war.
Nachdem die Antragstellerin am 1. August 2021 nach … umgezogen war, sprach sie am 13. August 2021 und am 12. November 2021 bei der Antragsgegnerin vor. Sie begehrte zunächst eine Aufenthaltserlaubnis zum Ehegattennachzug; am 12. November 2021 teilte sie mit, dass sie nunmehr, da die Heirat nicht stattgefunden habe, als Zimmermädchen arbeiten wolle (vgl. Bl. 8 f. Behördenakte). Die Antragsgegnerin erteilte der Antragstellerin daraufhin am 13. August 2021 eine bis 12. November 2021 gültige Fiktionsbescheinigung, die am 12. November 2021 bis 11. Februar 2022 verlängert wurde (Bl. 2 f. Behördenakte).
Mit Schreiben vom 22. November 2021 hörte die Antragsgegnerin die Antragstellerin zur beabsichtigten Ablehnung der Erteilung eines Aufenthaltstitels zu Erwerbszwecken an. Hierauf erfolgte keine Reaktion der Antragstellerin.
Mit Bescheid vom 12. Januar 2022 lehnte die Antragsgegnerin den Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels vom 12. November 2021 ab (Nr. 1) und verpflichtete die Antragstellerin, das Bundesgebiet innerhalb von einem Monat nach Zustellung des Bescheids zu verlassen (Nr. 2). Ferner kann nach Nummer 3 des Bescheids ein Einreise- und Aufenthaltsverbot für die Dauer von bis zu einem Jahr für die Bundesrepublik Deutschland sowie die Schengenstaaten angeordnet werden, sollte die Antragstellerin die Ausreisefrist schuldhaft und erheblich überschreiten. Im Übrigen wird der Antragstellerin für den Fall der nicht fristgerechten Ausreise die Abschiebung nach Brasilien angedroht (Nr. 4).
Ein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zur Beschäftigung nach §§ 18 ff. AufenthG bestehe nicht. Die von der Antragstellerin angestrebte Tätigkeit erfülle nicht die Voraussetzungen des § 18 Abs. 2, § 19c, § 39 AufenthG. Die Beschäftigung als Zimmermädchen falle nicht unter einen Tatbestand der Beschäftigungsverordnung. Es gebe auch keinen Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus einem anderen Rechtsgrund. Wegen der Einzelheiten der Begründung wird auf den Bescheid Bezug genommen.
Die Antragstellerin hat mit Schriftsatz ihrer Verfahrensbevollmächtigten vom 19. Januar 2022, eingegangen bei dem Verwaltungsgericht München am gleichen Tag, Klage auf Aufhebung dieses Bescheids sowie auf Erteilung der beantragten Aufenthaltserlaubnis erhoben (Az. M 10 K 22.313), über die noch nicht entschieden ist. Zugleich wird gemäß § 80 Abs. 5 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) beantragt,
die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.
Aufgrund der gesetzten Ausreisefrist sei Eilbedürftigkeit gegeben.
Die Antragsgegnerin beantragt mit Schriftsatz vom 4. Februar 2022,
den Antrag abzulehnen.
Zur Begründung wird auf den streitgegenständlichen Bescheid verwiesen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakten, auch im Verfahren M 10 K 22.313, sowie die vorgelegte Behördenakte verwiesen.
II.
Der Antrag hat keinen Erfolg. Im Hinblick auf Nummer 3 des Bescheids vom 12. Januar 2022 ist er bereits unzulässig; im Übrigen ist er zwar zulässig, aber unbegründet.
1. Soweit sich der gestellte Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO gegen Nummer 3 des angefochtenen Bescheids richtet, ist er unzulässig. Bei Nummer 3 des angegriffenen Bescheids handelt es sich nach ihrem Wortlaut sowie der diesbezüglichen Begründung auf Seite 4 f. des Bescheids („Hinweis auf § 11 Abs. 6 AufenthG“) nicht um eine Anordnung, sondern lediglich um einen Hinweis auf die Rechtslage, nach der gemäß § 11 Abs. 6 AufenthG die Möglichkeit einer späteren Anordnung eines Einreise- und Aufenthaltsverbots besteht. Da insoweit im Bescheid vom 12. Januar 2022 noch keine verbindliche Regelung getroffen werden sollte, stellt Nummer 3 des Bescheids keinen Verwaltungsakt im Sinne des Art. 35 Bayerisches Verwaltungsverfahrensgesetz dar, der im Wege des Eilrechtsschutzes über § 80 Abs. 5 VwGO angreifbar wäre.
2. Im Übrigen ist der gestellte Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO zulässig, hat jedoch in der Sache keinen Erfolg.
a) Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 VwGO ist zulässig.
aa) Im Hinblick auf die Ablehnung der Erteilung eines Aufenthaltstitels in Nummer 1 des streitgegenständlichen Bescheids ist der Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 VwGO auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung statthaft, da die Klage insoweit kraft Gesetzes gemäß § 84 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG i.V.m. § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO keine aufschiebende Wirkung hat. Obwohl in der Hauptsache die Verpflichtungsklage auf Erteilung der Aufenthaltserlaubnis die richtige Klageart ist und damit im einstweiligen Rechtsschutzverfahren an sich ein Antrag nach § 123 VwGO zu stellen wäre, ist demnach ein Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 VwGO grundsätzlich statthaft. Dies setzt allerdings voraus, dass der Antrag auf Erteilung der Aufenthaltserlaubnis zuvor eine gesetzliche Fiktion nach § 81 Abs. 3 oder Abs. 4 AufenthG ausgelöst hat. Nur dann kann eine Rechtsposition – nämlich die Fiktionswirkung – im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes über § 80 Abs. 5 VwGO gesichert werden. Ansonsten wäre allenfalls ein Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO denkbar (s. BayVGH, B.v. 31.8.2006 – 24 C 06.954 – juris Rn. 11; B.v. 12.10.2006 – 24 CS 06.2576 – juris Rn. 8; B.v. 17.7.2019 – 10 CS 19.1212 – juris Rn. 8).
Nach § 81 Abs. 4 Satz 1 AufenthG gilt der bisherige Aufenthaltstitel vom Zeitpunkt seines Ablaufs bis zur Entscheidung der Ausländerbehörde als fortbestehend, wenn der Ausländer vor Ablauf seines Aufenthaltstitels dessen Verlängerung oder die Erteilung eines anderen Aufenthaltstitels beantragt hat. Wurde der Antrag auf Erteilung oder Verlängerung eines Aufenthaltstitels verspätet gestellt, kann die Ausländerbehörde nach § 81 Abs. 4 Satz 3 AufenthG zur Vermeidung einer unbilligen Härte die Fortgeltungswirkung anordnen.
Im vorliegenden Fall ist der Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 VwGO statthaft, da der Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis die Fiktionswirkung nach § 81 Abs. 4 Satz 3 AufenthG ausgelöst hat. Die Aufenthaltserlaubnis der Antragstellerin nach § 16f AufenthG galt bis 11. August 2021; die Erteilung eines anderen Aufenthaltstitels wurde am 13. August 2021 und damit nur geringfügig verspätet beantragt. Die Antragsgegnerin hat der Antragstellerin daher am 13. August 2021 eine Fiktionsbescheinigung ausgestellt, die rechtzeitig vor ihrem Ablauf am 12. November 2021 (bis 11.2.2022) verlängert wurde.
Durch eine Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage der Antragstellerin gegen die Versagung der Erteilung eines Aufenthaltstitels würde diese Fiktion des erlaubten Aufenthalts fortbestehen und die Antragstellerin wäre nicht ausreisepflichtig.
bb) Hinsichtlich der Ausreiseaufforderung mit Ausreisefrist und der Abschiebungsandrohung (Nrn. 2 und 4 des angefochtenen Bescheids) ist der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 VwGO ebenfalls statthaft, da es sich um Maßnahmen der Verwaltungsvollstreckung handelt. Eine dagegen gerichtete Klage hat nach Art. 21a Satz 1 Bayerisches Verwaltungszustellungs- und Vollstreckungsgesetz i.V.m. § 80 Abs. 2 Satz 2 VwGO keine aufschiebende Wirkung.
b) Soweit der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO zulässig ist, ist er jedoch unbegründet, da nach summarischer Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung das Interesse der Antragstellerin an der aufschiebenden Wirkung ihres Rechtsbehelfes überwiegt.
Im Verfahren gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 VwGO trifft das Gericht eine eigenständige Ermessensentscheidung über die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage. Hierbei hat es abzuwägen zwischen dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung und dem Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfes. Dabei sind insbesondere die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens zu berücksichtigen. Ergibt die im Eilverfahren gebotene, aber auch ausreichende summarische Prüfung, dass die Klage voraussichtlich erfolglos sein wird, tritt das Interesse des Antragstellers regelmäßig zurück.
So liegt der Fall hier; nach summarischer Prüfung der Erfolgsaussichten der Hauptsache wird die Klage auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis in der Sache erfolglos bleiben. Die Antragstellerin hat im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts voraussichtlich keinen Anspruch auf Erteilung der beantragten Aufenthaltserlaubnis (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Der angegriffene Bescheid vom 12. Januar 2022 ist rechtmäßig und verletzt die Antragstellerin daher nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
aa) Die Antragstellerin hat nach summarischer Prüfung keinen Anspruch auf Erteilung der (zuletzt) beantragten Aufenthaltserlaubnis zur Beschäftigung als Zimmermädchen (Nr. 1 des Bescheids).
Eine Anspruchsgrundlage auf Erteilung einer solchen Aufenthaltserlaubnis ergibt sich nicht aus den insoweit einschlägigen §§ 18 ff. AufenthG. Insbesondere lässt sich eine Anspruchsgrundlage nicht aus § 19c Abs. 1 AufenthG herleiten, der grundsätzlich eine Beschäftigung unabhängig von einer Qualifikation als Fachkraft ermöglicht. Jedoch existiert für die vorliegend begehrte Beschäftigung als Zimmermädchen in der insoweit maßgeblichen Beschäftigungsverordnung keine Rechtsgrundlage; auch eine diesbezügliche zwischenstaatliche Vereinbarung ist weder vorgetragen noch ersichtlich.
Ein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus einem anderen Rechtsgrund ist weder geltend gemacht noch erkennbar. Jedenfalls ist die Prüfung auf die Frage beschränkt, ob die Antragstellerin einen Anspruch auf die beantragte Aufenthaltserlaubnis hat.
bb) Die Ausreiseaufforderung mit Ausreisefrist in Nummer 2 des streitgegenständlichen Bescheids begegnet vor dem Hintergrund des § 59 Abs. 1 Satz 1, Satz 4 AufenthG keinen rechtlichen Bedenken.
cc) Die Abschiebungsandrohung nach Brasilien in Nummer 4 des Bescheids ist rechtlich nicht zu beanstanden; sie findet ihre Rechtsgrundlage in § 59 Abs. 1 Satz 1 AufenthG.
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 2 GKG in Verbindung mit Nummern 1.5 und 8.1 Streitwertkatalog für die Verwaltungsgerichtsbarkeit von 2013.


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