Verwaltungsrecht

Eingeschränkter Schulunterricht wegen der Corona-Pandemie

Aktenzeichen  M 26b E 20.2763

Datum:
25.8.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 21855
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 47 Abs. 6, § 123

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Anträge werden abgelehnt.
II. Die Antragsteller tragen die Kosten des Verfahrens.
III. Der Streitwert wird auf Euro 5.000,– festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragsteller wenden sich gegen den wegen der Corona-Pandemie eingeschränkten Schulunterricht.
Der Antragsteller zu 1 besucht die 3. Klasse einer Grundschule in A. im Landkreis B.Die Antragsteller zu 2 und 3 sind die Eltern des Antragstellers zu 1.
Nach Wiederzulassung des Schulbetriebs nach dem sog. „Lockdown“ wurde aus Gründen des Infektionsschutzes der Unterricht in den Schulen in der Regel in geteilten Klassen abgehalten, gestaffelt im wochenweisen Wechsel, um die Anzahl der Schüler, die sich zeitgleich auf dem Schulweg, im Klassenzimmer oder im Schulhaus befanden, zu reduzieren, so dass sich Phasen des Präsenzunterrichts mit Phasen des „Lernens zuhause“ abwechselten. Das Pensum des wöchentlichen Unterrichts war dabei abhängig von der Schulart und Jahrgangsstufe.
Ab Herbst 2020 soll an den bayerischen Schulen Schulunterricht wieder im Regelbetrieb unter bestimmten Hygieneauflagen stattfinden. Dies bedeutet, dass ab September 2020 alle Schülerinnen und Schüler täglich im Präsenzunterricht unterrichtet werden, auch die Schulvorbereitenden Einrichtungen (SVE) an Förderschulen wieder einen regulären Betrieb aufnehmen, die schulischen Ganztagesangebote sowie die Angebote der Mittagsbetreuung regulär stattfinden und weiterhin besondere Hygienevorgaben gelten, um den Anforderungen des Infektionsschutzes Rechnung zu tragen. (https://www.km.bayern.de/allgemein/meldung/7047/faq-zum-unterrichtsbetrieb-an-bayerns-schulen.html, abgerufen am 19.8.2020.)
Mit Schreiben vom 23. Juni 2020 beantragten die Antragsteller beim Bayerischen Verwaltungsgericht München,
den Antragsgegner per einstweiliger Anordnung zu verpflichten, ab dem 1. Juli 2020 den Antragsteller zu 1. sowie alle weiteren Schülern der bayerischen Grundschulen täglich mindestens vier Schulstunden im Präsenzunterricht zu beschulen.
Zur Begründung wird im Wesentlichen vorgetragen, dass der Antragsteller zu 1 seit dem … Juni 2020 wieder im wöchentlichen Wechsel seine Schule für vier Schulstunden täglich besuche, wobei nach Anordnung des Bayerischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultus maximal 15 Kinder pro Klasse unterrichtet werden dürften, während Kindergartenkinder die Kindergärten ab dem 1. Juli 2020 ohne zahlenmäßige oder raumgrößenmäßige Auflagen besuchen dürften. Dabei würde für Kindergartenkinder ebenso wenig eine Pflicht zum Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes wie zur Einhaltung von Abständen gelten, während Grundschüler zum Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes verpflichtet seien, Abstandsvorgaben einhalten müssten und in der Schule eine Begrenzung der Gruppengröße gelte. Diese unterschiedliche Behandlung von Kindergarten- und Grundschulkindern sei willkürlich und widerspreche Art. 3 und Art. 7 GG.
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Hinsichtlich der Einzelheiten des Sach- und Streitstands sowie zum Vorbringen der Beteiligten im Übrigen wird auf die Gerichtsakten Bezug genommen.
II.
Die Anträge haben keinen Erfolg. Sie sind teilweise bereits unzulässig, im Übrigen sind sie unbegründet.
Die Antragsteller erstreben bei sachgerechter Auslegung ihrer Anträge nach dem erkennbaren Rechtsschutzziel (§§ 88, 122 Abs. 1 VwGO) unter Berücksichtigung der Antragsbegründung einen Präsenzunterricht des Antragstellers zu 1 ohne die von ihnen konkret benannten und abgelehnten Hygienemaßnahmen (Mund-Nasen-Schutz, Abstandsgebot, Begrenzung der Gruppengröße).
1. Die Anträge sind bereits unzulässig, da unstatthaft, insofern der Schulunterricht ohne Einhaltung eines Mindestabstands begehrt wird.
§ 16 Abs. 1 und 2 der Sechsten Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung (6. BayIfSMV) vom 19. Juni 2020 (BayMBl. Nr. 348, BayRS 2126-1-10-G), die zuletzt durch § 1 der Verordnung vom 14. August 2020 (BayMBl. Nr. 463) geändert worden ist, lauteten zum Zeitpunkt der Antragstellung wie auch zum maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung wie folgt:
„(1) Unterricht und sonstige Schulveranstaltungen an Schulen im Sinne des Bayerischen Erziehungs- und Unterrichtsgesetzes sind zulässig, wenn durch geeignete Maßnahmen sichergestellt ist, dass zwischen allen Beteiligten grundsätzlich ein Mindestabstand von 1,5 m eingehalten wird.“
(2) 1Die Schulen haben ein Schutz- und Hygienekonzept auf der Grundlage eines ihnen von den Staatsministerien für Unterricht und Kultus und für Gesundheit und Pflege zur Verfügung gestellten Hygieneplans auszuarbeiten und auf Verlangen der zuständigen Kreisverwaltungsbehörde vorzulegen. 2Dieses Schutz- und Hygienekonzept muss Maßnahmen enthalten, durch welche der Mindestabstand gewahrt und das Infektionsrisiko minimiert wird. 3In Betracht kommt etwa die Reduzierung der Klassenstärke oder das Abhalten von alternierendem Unterricht. 4Dabei sind schulartspezifische Anforderungen und die Umstände vor Ort zu berücksichtigen.
Danach ergibt sich das Gebot des Mindestanstands direkt aus § 16 Abs. 1 6. BayIfSMV, der den Mindestabstand als Voraussetzung für die Zulässigkeit des Schulunterrichts normativ festlegt.
Insoweit ihr Rechtsschutzbegehren die Beseitigung dieses Mindestabstands zum Inhalt hat, steht den Antragstellern gemäß § 47 Abs. 6 VwGO i.V.m. Art. 5 Satz 1 AGVwGO in Bayern die Möglichkeit des einstweiligen Rechtsschutzes im Rahmen eines Normenkontrollverfahrens gegen die Verordnung selbst offen. Neben diesem beim Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zu stellenden Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 47 Abs. 6 VwGO ist ein Antrag nach § 123 VwGO zum Verwaltungsgericht nicht statthaft.
Da die Antragsteller auch auf gerichtliche Nachfrage nicht erklärt haben, einen Normenkontrollantrag stellen zu wollen und die Anträge nicht entsprechend umgestellt haben, kam insoweit eine Verweisung an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof nicht in Betracht.
2. Die Anträge sind mangels Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig, insoweit eine Beschulung im Präsenzunterricht begehrt wird, denn ab dem neuen Schuljahr 2020/20121 soll der Unterricht voraussichtlich wieder im Regelbetrieb, das heißt täglich und im Präsenzunterricht, stattfinden (https://www.km.bayern.de/allgemein/meldung/7047/faq-zum-unterrichtsbetrieb-an-bayerns-schulen.html, abgerufen am 19.8.2020; vgl. zur konkreten Umsetzung auch Ziffer IV. des Rahmen-Hygieneplan zur Umsetzung des Schutz- und Hygienekonzepts für Schulen nach der jeweils geltenden Infektionsschutzmaßnahmenverordnung vom 1.8.2020 für das Schuljahr 2020/2021, Stand 31.7.2020).
Dies gilt auch für das Begehren des Wegfalls einer Begrenzung der Gruppengröße. Denn für das neue Schuljahr sieht der Rahmenhygieneplan Unterricht in der regulären Klassenstärke vor; eine Reduzierung der Klassenstärke – wie im Hygieneplan für das Schuljahr 2019/2020 vorgesehen – müsse im Regelbetrieb nicht mehr erfolgen (IV. Ziffer 3. des Rahmenhygieneplans vom 1.8.2020)
3. Im Übrigen (Ausgestaltung des Unterrichts ohne Mund-Nasen-Schutz) sind die Anträge der Antragsteller zu 2 und 3 unzulässig, der Antrag des Antragstellers zu 1 zulässig, aber unbegründet.
3.1 Ein Rechtsschutzbedürfnis für die Anträge auf Ausgestaltung des Unterrichts ohne Mund-Nasen-Schutz ist gegeben. Aus dem aktuellen Rahmen-Hygieneplan vom 1.8.2020 ergibt sich, dass der von den Antragstellern abgelehnte Mund-Nasen-Schutz (neben dem Mindestabstand) weiterhin zentraler Bestandteil des Hygienekonzepts an bayerischen Schulen sein wird (vgl. hierzu IV Ziffer 3 des Rahmen-Hygieneplans).
3.2 Die Anträge nach § 123 VwGO sind insoweit statthaft und nicht durch § 47 Abs. 6 VwGO ausgeschlossen. Die Anforderung des Tragens eines Mund-Nasen-Schutzes ergibt sich nämlich nicht direkt aus § 16 6. BayIfSMV, sondern ist in dem in der Verordnung in Bezug genommenen Rahmen-Hygieneplan vom 1.8.2020 vorgesehen (IV. Ziffer 4.) und ist damit gerade nicht normativ festgelegt.
3.3 Die Anträge der Antragsteller zu 2 und 3 sind aber dennoch unzulässig. Es ist keine Norm ersichtlich, aus der sich für die Antragsteller zu 2 und 3 als Eltern des Antragstellers zu 1 ein möglicher Anspruch auf Beschulung des Antragstellers zu 1 ohne Verpflichtung, einen Mund-Nasen-Schutz zu tragen, ergeben könnte, § 42 Abs. 2 VwGO analog.
Aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG kommt die Ableitung eines entsprechenden Anspruchs der Antragsteller zu 2 und 3 nicht in Betracht.
Aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG, wonach die Erziehung der Kinder das natürliche Recht der Eltern ist, ergibt sich zwar ein Bestimmungsrecht hinsichtlich des Bildungsweges des Kindes und ein Wahlrecht im Hinblick auf die vom Staat bereitgestellten Schulen; aufgrund des staatlichen Bildungsauftrags aus Art. 7 Abs. 1 GG verbleibt dem Staat und damit dem Antragsgegner bei der Planung, Organisation, Leitung und inhaltlich-didaktischen Ausgestaltung des öffentlichen Schulwesens sowie des dort erteilten Unterrichts jedoch eine umfassende Gestaltungsfreiheit (BVerwG, U. v. 16.4.2016 – 6 C 11/13, beckonline Rn. 13). Ein Recht zur Mitentscheidung über die Organisation des Schulwesens besteht hingegen gerade nicht (BVerfG, B. v. 19.8.2015 – 1 BvR 2388/11, Rn. 18). Anhaltspunkte dafür, dass der Antragsgegner seinen Gestaltungsspielraum überschritten hat und seiner Verantwortung, für ein leistungsfähiges Schulwesen zu sorgen, nicht gerecht werden würde, sondern seine diesbezüglichen Pflichten evident verletzt hat (BVerfG, B. v. 27.11.2017 – 1 BvR 1555/14, Rn. 25), sind nicht ersichtlich.
3.4 Der Antrag des Antragstellers zu 1 ist unbegründet. Er hat keinen Anspruch auf Beschulung ohne Mund-Nasen-Schutz aus Art. 3 Abs. 1 GG. Angesichts der umfassenden Gestaltungsfreiheit des Antragsgegners bei der Organisation des Schulwesens scheidet eine Vergleichbarkeit von organisatorischen Maßnahmen bzw. Vorgaben, die einerseits Schulen und andererseits Kindergärten betreffen, aus, so dass schon aus diesem Grund eine Verletzung des Art. 3 Abs. 1 GG nicht vorliegt.
Im Übrigen finden die organisatorischen Abweichungen vom schulischen Normalbetrieb, in concreto die Pflicht für alle in der Schule tätigen Personen, insbesondere Schüler und Lehrer, auf dem Schulgelände grundsätzlich einen Mund-Nasen-Schutz zu tragen, einen sachlichen Grund in der gegenwärtigen Corona-Pandemie und der angestrebten Reduzierung der Ausbreitung des neuartigen Coronavirus, zumal das Robert-Koch-Institut als nationale Behörde zur Verhinderung der Weiterverbreitung von Infektionen, § 4 Abs. 1 Satz 1 IfSG, die Gefährdung für die Gesundheit der deutschen Bevölkerung durch das neuartige Coronavirus immer noch als hoch einschätzt.
Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat übrigens die Rechtmäßigkeit der Verpflichtung zum Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes, wie sie die 6. BayIfSMV für verschiedene Lebensbereiche vorsieht, bereits verschiedentlich bestätigt (z.B. für das Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung im Rahmen von Gottesdiensten B.v. 26.6.2020, 20 NE 20.1423). Das nach § 4 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1 IfSG besonders zur Beurteilung der epidemiologischen Lage berufene RKI empfiehlt ein generelles Tragen einer MNB in bestimmten Situationen im öffentlichen Raum, um Risikogruppen zu schützen und den Infektionsdruck zu reduzieren. Die Schutzfunktion einer MNB ist nach Einschätzung des RKI jedenfalls „plausibel“ und ihre Verwendung als zusätzlicher Baustein neben anderen Maßnahmen – insbesondere der Einhaltung einer physischen Distanz von mindestens 1,5 m, der Hustenregeln und der Händehygiene – zur Reduktion der Ausbreitungsgeschwindigkeit des Virus geeignet (vgl. https://www.rki.de/SharedDocs/FAQ/NCOV 2019/FAQ_Mund_Nasen_Schutz.html mit Verweis auf „Mund-Nasen-Bedeckung im öffentlichen Raum als weitere Komponente zur Reduktion der Übertragungen von Covid-19”, 3. Update v. 7.5.2020, Epid Bull 19/2020, https://www.rki.de/DE/Content/Infekt/EpidBull/Archiv/2020/Ausgaben/19_20.pdf? blob=publicationFile).
Die Anordnung zum Tragen einer MNB dürfte somit in der derzeitigen Situation zumindest in Kombination mit physischen Kontaktreduzierungen bzw. der Einhaltung eines möglichst weiten Abstands zu anderen Personen und der Befolgung allgemeiner Hygieneregeln, wie sie der Antragsgegner für den Schulbetrieb im neuen Schuljahr vorsieht, eine grundsätzlich geeignete Maßnahme sein, die Infektionszahlen zu reduzieren (vgl. auch die Studie von Mitze et al. „Face Masks Considerably Reduce COVID-19 Cases in Germany: A Synthetic Control Method Approach“, http://ftp.iza.org/dp13319.pdf). Diese Eignung ergibt sich auch und gerade vor dem Hintergrund der Rückkehr zum schulischen Regelbetrieb, indem das Gebot zum Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes, zusätzlich zur Beachtung der allgemeinen Hygieneregeln und Abstandsgebote, diesen Regelbetrieb erst ermöglicht (vgl. im Einzelnen dazu bereits BayVGH, B.v. 15.5.2020 – 20 NE 20.1102 – juris Rn. 16 ff.; B.v. 12.5.2020 – 20 NE 20.1080 – juris Rn. 17 ff.; B.v. 11.5.2020 – 20 NE 20.843 – juris Rn. 17 ff.).
Die Anträge waren daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 2 GKG i.V.m. Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit. Da die Anträge auf die Vorwegnahme der Hauptsache zielen, war eine Anhebung auf den Hauptsachestreitwert angezeigt.


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben