Verwaltungsrecht

Einstweilige Anordnung (abgelehnt), Duldung, Rechtliches Abschiebungshindernis, Schutz von Ehe und Familie, Risikoschwangerschaft der Lebensgefährtin, Glaubhaftmachung, Keine Vaterschaftsanerkennung, Tatsächliche Lebens- und Erziehungsgemeinschaft von Eltern und Kindern

Aktenzeichen  M 24 E 21.2595

Datum:
19.5.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 12496
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 123
GG § 60a
AufenthG Art. 6
EMRK Art. 8

 

Leitsatz

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 1.250,- EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller begehrt den Erlass einer einstweiligen Anordnung zur vorläufigen Aussetzung seiner Abschiebung nach Nigeria.
1. Der Antragsteller ist nigerianischer Staatsangehöriger, geboren am … … 1991. Er reiste nach eigenen Angaben erstmals am 11. September 2015 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 13. Juni 2016 einen Asylantrag. Mit Bescheid vom 18.05.2017 lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) den Asylantrag ab, erkannte Flüchtlingseigenschaft und subsidiären Schutz nicht zu, stellte fest, dass keine Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) vorliegen, drohte die Abschiebung an und setzte eine Ausreisefrist von 30 Tagen ab Bestandskraft des Bescheids (Bl. 82 der vorgelegten Behördenakte – BA). Ein Klageverfahren blieb erfolglos, so dass der Antragsteller nach der am 28. November 2019 eingetretenen Bestandskraft des Bescheids des BAMF seit dem 29. Dezember 2019 vollziehbar ausreisepflichtig ist (Bl. 224 BA). Auch ein Asylfolgeantrag blieb nach gerichtlicher Überprüfung erfolglos (Bl. 237, 284, 325 BA).
Am 23. Januar 2020 wurde dem Antragsteller erstmals eine Duldung wegen Passlosigkeit ausgestellt (Bl. 204 BA). Der Antragsteller gab an, nicht im Besitz eines Reisepasses zu sein und auch nicht freiwillig ausreisen zu wollen. Er wurde wiederholt auf die Passpflicht und seine asyl- und aufenthaltsrechtlichen Mitwirkungspflichten hingewiesen (§ 3, § 48 AufenthG, § 15 AsylG).
Am 1. März 2021 legte der Antragsteller bei der Ausländerbehörde D. seinen am 7. Januar 2021 bei der nigerianischen Botschaft beantragten Reisepass vor (Bl. 322 BA). Am 2. März 2021 leitete die Ausländerbehörde die Abschiebung ein (Bl. 1ff. der Abschiebeakte – BA II).
Am 26. April 2021 ordnete das Amtsgericht Dachau im Hinblick auf eine für den 26. Mai 2021 geplante Rückführung nach Nigeria die Abschiebungshaft für den Antragsteller an (Bl. 22 BA II). Er befindet sich seit diesem Tag in der Justizvollzugsanstalt … (Bl. 27 BA II).
Am 4. Mai 2021 teilte ein vom Kläger bevollmächtigter Rechtsanwalt erstmals der Ausländerbehörde mit, dass der Kläger ein Kind mit seiner Lebensgefährtin … … erwarte und es sich um eine Risikoschwangerschaft handele (Bl. 34 BA II). Das Landratsamt M. beteiligte daraufhin die zuständige Ausländerbehörde am Wohnort der Frau …, die Landeshauptstadt M. (Bl. 34 BA II). Frau … ist ebenfalls nigerianische Staatsangehörige, geboren am … … 1992. Sie ist derzeit in Besitz einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 AufenthG (vgl. Bl. 101 BA II). Ihre beiden Kinder aus früherer Beziehung, Zwillinge geboren am … 2016 sind deutsche Staatsangehörige. Zu dem Vater der beiden Kinder hat Frau … nach eigenen Angaben keinen Kontakt mehr. Frau … lebt mit ihren Kindern in einem Frauenhaus in M., B.straße. Der Kläger lebte vor seiner Inhaftierung in K., Landkreis Dachau.
Mit Schriftsatz vom 10. Mai 2021 beantragte die jetzige Bevollmächtigte des Antragstellers bei der Ausländerbehörde, den Antragsteller zu dulden und ihm eine entsprechende Bescheinigung auszustellen (Bl. 57ff. BA II). Die Lebensgefährtin des Antragstellers erwarte ein Kind von ihm. Diese sei in Besitz eines gesicherten Aufenthaltsrechts und benötige infolge einer Risikoschwangerschaft seinen Beistand in physischer und psychischemotionaler Hinsicht und auch zum Schutz des ungeborenen Lebens. Zum Nachweis der Vaterschaft und der Nähebeziehung zur Kindsmutter werde auf eidesstattliche Versicherungen der ehrenamtlichen Familienbetreuerin und der Kindsmutter verwiesen. Eine Vaterschaftsanerkennung liege ebenso wie die Sorgerechtserklärung noch nicht vor, da hierzu zunächst ein Termin bei der Frauenärztin erforderlich war, der erst nach der Inhaftierung des Antragstellers stattgefunden habe. Es werde aber hinsichtlich der Vaterschaft auf die eidesstattliche Versicherung von Frau … verwiesen.
Mit Schreiben vom 12. Mai 2021 lehnte die Ausländerbehörde die Duldung des Antragstellers und Ausstellung einer Duldungsbescheinigung ab. Insbesondere aus der Risikoschwangerschaft sei kein Duldungsgrund abzuleiten, weil keine Vaterschaftsanerkennung vorliege und die Eltern nicht in Verhältnissen lebten, die eine gemeinsame Übernahme der elterlichen Verantwortung und eine gemeinsame Erziehung und Betreuung des Kindes sicher erwarten ließen.
2. Mit Schriftsatz vom 17. Mai 2021, bei Gericht eingegangen am gleichen Tag, ließ der Antragsteller bei Gericht den vorliegenden Eilantrag einreichen. Er beantragt,
Der Antragsteller wird im Wege der einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO verpflichtet, den Antragsgegner zu dulden und eine Duldungsbescheinigung auszustellen.
Der Antragsteller verwies zur Begründung nochmals auf die Risikoschwangerschaft seiner Lebensgefährtin, die über ein gesichertes Aufenthaltsrecht in Deutschland verfüge. Zu deren Nachweis und zum Nachweis, dass eine gemeinsame Übernahme der elterlichen Verantwortung mit hinreichender Sicherheit zu erwarten sei, legte der Antragsteller u.a. vor:
– Ärztliches Attest vom 6. Mai 2021, wonach Frau … sich aktuell in der 10. SSW befinde und es sich um eine Risikoschwangerschaft handele aufgrund Adipositas, Hypertonie, Z.n. Sectio, psychische und soziale Belastung.
– Auszüge aus dem Mutterpass, wonach im Jahr 2016 eine Geburt durch Sectio erfolgt sei und im Jahr 2018 eine Fehlgeburt.
– Eidesstattliche Versicherung der Frau … zur Vaterschaft des Antragstellers und das wechselseitige Verhältnis.
– Eidesstattliche Versicherung der ehrenamtlichen Familienpatin zum Verhältnis zwischen dem Antragsteller und Frau …
– Bestätigung des Hauses … … … …, B.straße, München, wonach der Antragsteller sich regelmäßig bei Frau … aufgehalten habe.
– „Psychologischen Befundbericht“ einer Diplompsychologin ohne Datum, aber aus dem Mai 2021, wonach bei Frau … eine Anpassungsstörung vorliege.
Auf die Antragsbegründung wird im Übrigen verwiesen.
Das Landratsamt D. reichte bei Gericht unter dem Datum 14. Mai 2021 eine Schutzschrift ein und legte am 19. Mai 2021 die Behördenakte vor. Es beantragt sinngemäß
den Antrag abzulehnen.
Im Hinblick auf die Schwangerschaft der Lebensgefährtin des Antragstellers führte das Landratsamt aus, dass kein Zusammenhang zwischen der Risikoschwangerschaft und der geplanten Abschiebung des Antragstellers bestehe. Eine besondere Hilfebedürftigkeit der Frau … sei nicht ersichtlich. Sie werde im Mutter-Kind-Haus betreut. Zudem gebe es eine ehrenamtliche Familienpatin. Eine Vaterschaftsanerkennung liege nicht vor, die derzeitigen Lebensverhältnisse ließen die gemeinsame Erziehung und Betreuung der Kinder nicht sicher erwarten.
Im Übrigen wird wegen der weiteren Einzelheiten zum Sach- und Streitstand auf die Gerichtsakte und die vorgelegte Behördenakte verwiesen.
II.
Der Antrag bleibt ohne Erfolg.
1. Aufgrund der Dringlichkeit im vorliegenden Fall entscheidet der Vorsitzende gemäß § 80 Abs. 8, § 123 Abs. 2 Satz 3 VwGO.
2. Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO kann das Gericht eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis erlassen, wenn diese Regelung nötig erscheint, um wesentliche Nachteile abzuwenden, drohende Gewalt zu verhindern oder wenn andere Gründe vorliegen. Voraussetzung ist, dass der Antragsteller das von ihm behauptete Recht (den Anordnungsanspruch) und die drohende Gefahr seiner Beeinträchtigung (den Anordnungsgrund) glaubhaft macht, § 123 Abs. 3 VwGO i. V. m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung -ZPO-.
3. Im vorliegenden Fall ist der Antrag nach § 123 VwGO zunächst zulässig und es ist auch der Anordnungsgrund in Form einer besonderen Dringlichkeit glaubhaft gemacht. Der Antragsteller soll im Rahmen einer Sammelabschiebung am 26. Mai 2021 nach Nigeria abgeschoben werden.
4. Der Antragsteller hat jedoch keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. §§ 920 Abs. 2, 294 Abs. 1 ZPO).
4.1. Der Antragsteller ist infolge des bestandskräftigen ablehnenden Asylbescheids des BAMF vom 18. Mai 2017 nach Ablauf der ihm gesetzten Ausreisefrist vollziehbar ausreisepflichtig und ist nach der Gesetzeslage abzuschieben (§ 58 Abs. 1, Abs. 2, Abs. 3 Nr. 2 AufenthG).
4.2. Der Abschiebung stehen auch keine Abschiebungshindernisse entgegen. Es liegt kein Duldungsgrund vor.
Die Abschiebung eines Ausländers ist gem. § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG auszusetzen, solange die Abschiebung aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen unmöglich ist.
Zunächst ist eine tatsächliche Unmöglichkeit der Abschiebung vorliegend nicht ersichtlich. Der Antragsteller hat einen gültigen Reisepass vorgelegt. Für eine Reiseunfähigkeit bestehen keine Hinweise.
In Betracht kommt daher allein ein rechtliches Abschiebungshindernis aufgrund familiärer Gründe nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG i.V.m. Art. 6 GG, Art. 8 EMRK. Die Voraussetzungen für ein Abschiebungshindernis sind insoweit aber nicht glaubhaft gemacht.
4.2.1. Gemäß Art. 6 Abs. 1 GG steht die Familie unter dem besonderen Schutz der staatlichen Ordnung. Gemäß ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts erfasst der Schutzbereich die tatsächliche Lebens- und Erziehungsgemeinschaft von Eltern und Kindern (BVerfGE 80, 81 (90 f.); BVerfGE 127, 263 (287); BVerfGE 133, 59 (82); BVerfG NJW 2019, 1793 (1795)) in den verschiedenen Phasen ihrer Entwicklung, von einer Lebens- und Erziehungsgemeinschaft bis hin zur Haus- und schließlich zur Begegnungsgemeinschaft (BVerfGE 80, 81 (90 f.); BVerfGE 108, 82 (112)). Erfasst sind auch solche Fälle, in denen das Kind mit einem Elternteil, z.B. dem Vater, nicht in einem gemeinsamen Haushalt lebt, soweit zwischen ihm und dem Kind eine soziale Beziehung besteht.
Weder Art. 6 GG noch Art. 8 Abs. 1 EMRK gewähren dabei einen unmittelbaren Anspruch des Ausländers auf Aufenthalt. Allerdings verpflichtet die in Art. 6 GG enthaltene wertentscheidende Grundsatznorm, nach welcher der Staat die Familie zu schützen und zu fördern hat, die Ausländerbehörde und das Gericht, bei der Entscheidung über aufenthaltsbeendende Maßnahmen die familiären Bindungen des den (weiteren) Aufenthalt begehrenden Ausländers an Personen, die sich berechtigterweise im Bundesgebiet aufhalten, pflichtgemäß, d. h. entsprechend dem Gewicht dieser Bindungen, in ihren Erwägungen zur Geltung zu bringen. Dabei ist grundsätzlich eine Betrachtung des Einzelfalles geboten, bei der auf der einen Seite die familiären Bindungen zu berücksichtigen sind, auf der anderen Seite aber auch die sonstigen Umstände des Einzelfalles (BVerfG, B.v. 5.6.2013 – 2 BvR 586/13 – juris Rn. 13 f.). Kann die Lebensgemeinschaft zwischen einem Ausländer und seinem Kind nur in der Bundesrepublik Deutschland stattfinden, etwa weil das Kind deutscher Staatsangehörigkeit und ihm wegen der Beziehungen zu seinem anderen Elternteil das Verlassen der Bundesrepublik Deutschland nicht zumutbar ist, so drängt die Pflicht des Staates, die Familie zu schützen, einwanderungspolitische Belange regelmäßig zurück. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sind die Rechtspositionen des Kindes und seiner Eltern im Einzelfall umfassend zu berücksichtigen, insbesondere sei deshalb maßgeblich auch auf die Sicht des Kindes abzustellen und im Einzelfall zu untersuchen, ob tatsächlich eine persönliche Verbundenheit bestehe, auf deren Aufrechterhaltung das Kind zu seinem Wohl angewiesen sei (BVerfG, B.v. 8.12.2005 – 2 BvR 1001/04 – juris; B.v. 23.1.2006 – 2 BvR 1935/05 – juris.; vgl. auch BVerwG, U.v. 20.2.2003 – 1 C 13/02 – BVerwGE 117, 380, 390 f.).
Diese Grundsätze, die den verfassungsrechtlichen Rahmen für die Zuerkennung von Abschiebungsschutz bilden, können bereits vor der Geburt des Kindes aufenthaltsrechtliche Vorwirkungen entfalten. Die genannten Grundsätze bedürfen jedoch – da die familiäre Lebensgemeinschaft zwischen den Eltern und dem Kind erst bevorsteht – einer den tatsächlichen Verhältnissen entsprechenden modifizierten Anwendung. Insoweit ist in der Rechtsprechung hinsichtlich der Vaterschaft eines ungeborenen Kindes und dessen aufenthaltsrechtlichen Vorwirkungen entschieden, dass – anstelle des Bestehens einer bereits gelebten familiären Gemeinschaft – zunächst regelmäßig zu fordern ist, dass der ausländische Vater gegenüber den zuständigen Behörden seine Vaterschaft anerkannt hat und die Eltern in Verhältnissen leben, welche die gemeinsame Übernahme der elterlichen Verantwortung und eine gemeinsame Erziehung und Betreuung des Kindes sicher erwarten lassen (BayVGH, B.v. 11.10.2017 – 19 CE 17.2007 – juris Rn. 13; vgl. OVG Berlin-Bbg, B.v. 3.9.2012 – OVG 11 S 40.12; B.v. 30.3.2009 – OVG 12 S 28.09; B.v. 18.11.2013 – OVG 7 S 92.13; SächsOVG, B.v. 2.10.2009 – 3 B 482/09; B.v. 25.1.2006 – 3 BS 274/05; OVG LSA, B.v. 10.12.2014 – 2 M 127/14; OVG Hamburg, B.v. 10.12.2009 – 3 Bs 209/09; B.v. 14.8.2008 – 4 Bs 84/08 – jeweils juris).
4.2.2. Dies zu Grunde gelegt, ist eine aus Art. 6 Abs. 1 GG oder Art. 8 EMRK herrührende rechtliche Unmöglichkeit der Abschiebung des Antragstellers zunächst nicht mit Blick auf das Verhältnis zu Frau … und deren beiden Kindern aus einer früheren Beziehung gegeben. Die Beziehung des Antragstellers zu diesen Personen unterfällt nicht dem Schutz des Art. 6 GG und entfaltet somit keine ausländerrechtlichen Schutzwirkungen. Insbesondere ist der Antragsteller nicht mit Frau … verheiratet und es steht auch keine Eheschließung bevor.
4.2.3. Weder Art. 6 GG noch Art. 8 EMRK gebieten es nach der Rechtsprechung zudem, den Verbleib des werdenden Vaters in der Bundesrepublik Deutschland bis zur Entbindung zu erlauben, es sei denn, es treten besondere Umstände des Einzelfalles hinzu, die dies rechtfertigen (BayVGH B.v. 1.2.2006 Az. 24 CE 06.265 – juris Rn. 34f.). Nach Art. 6 Abs. 4 GG hat aber jede Mutter Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der staatlichen Gemeinschaft. Der Schutz des Art. 6 Abs. 4 GG erfasst Schwangerschaft, Geburt und Stillzeit. Neben dem verbindlichen Verfassungsauftrag an den Gesetzgeber, der vor allem die Gewährung einer „Schonzeit“ vor und nach der Geburt fordert, ist die Verfassungsnorm Ausdruck einer verfassungsrechtlichen Wertentscheidung, die für den gesamten Bereich des öffentlichen und privaten Rechts verbindlich ist. Die Zuerkennung von Abschiebungsschutz gemäß § 60a Abs. 2 AufenthG für den ausländischen Vater eines noch nicht geborenen Kindes kommt daher auch dann in Betracht, wenn eine Gefahrenlage für das ungeborene Kind oder die Mutter (Risikoschwangerschaft) besteht und die Unterstützung der Schwangeren durch den Abzuschiebenden glaubhaft gemacht wird (BayVGH, B.v. 28.1.2021 – 10 CE 21.313 – juris Rn. 7, für ein ungeborenes deutsches Kind); denn die Wahrscheinlichkeit, dass die werdende Mutter unter diesen Umständen durch eine abschiebungsbedingte Trennung Belastungen ausgesetzt ist, die die Leibesfrucht gefährden, ist ungleich höher als bei vorübergehender Trennung während einer normal verlaufenden Schwangerschaft (vgl. OVG Sachsen-Anhalt, B.v. 10.12.2014 – 2 M 127/14 -, juris Rn. 6 m.w.N.;; OVG BB, B.v. 30.3.2009 – OVG 12 S 28.09 -, juris Rn. 5; OVG Hamburg, B.v. 10.12.2009 – 3 Bs 209/09 -, juris Rn. 10; BayVGH, B.v. 28.11.2011 – 10 CE 11.2746 – juris Rn. 4). Erforderlich ist dabei aber, dass eine enge und durch Fürsorge geprägte persönliche Beziehung des Ausländers zur werdenden Mutter besteht. Das setzt in der Regel ein tatsächliches Zusammenleben mit ihr in häuslicher Gemeinschaft voraus. Zudem muss glaubhaft die Bereitschaft bekundet werden, in Zukunft in einer tatsächlich gelebten familiären Verbundenheit elterliche Verantwortung zu übernehmen. Voraussetzung ist ferner grundsätzlich, dass der ausländische Vater gegenüber den zuständigen Behörden mit Zustimmung der Mutter seine Vaterschaft anerkannt hat (vgl. OVG Sachsen-Anhalt, B.v. 24.10.2019 – 2 M 111/19 – NJ 2020, 32).
Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht glaubhaft gemacht.
4.2.3.1. Der Antragsteller hat zwar glaubhaft gemacht, dass er Vater eines noch ungeborenen Kindes der Frau … wird. Insoweit ist zum einen durch Vorlage des Attests der Frauenärztin der Frau … und durch Vorlage eines Auszugs aus dem Mutterpass die Schwangerschaft der Frau … und zudem, den Anforderungen der § 123 Abs. 3 VwGO, § 920 Abs. 2 ZPO, § 294 ZPO entsprechend, über eine eidesstattliche Versicherung der Frau … die Vaterschaft des Antragstellers für die Zwecke des vorliegenden Verfahrens glaubhaft gemacht.
4.2.3.2. Es ist weiter durch das fachärztliche Attest vom 6. Mai 2021 (Anlage K 1) und den Auszug aus dem Mutterpass glaubhaft gemacht, dass in der Schwangerschaft der Lebensgefährtin des Antragstellers besondere Risiken bestehen.
Zwar handelt es sich bei den diagnostizierten Schwangerschaftsrisiken Adipositas und Hypertonie um durchaus häufig vorkommende Risikofaktoren. Auch teilt das Gericht die Auffassung der Ausländerbehörde, wonach es sich bei dem undatierten „Psychologischen Befundbericht“ (Anlage K 5) schon den nach den teilweise unsachlichen Formulierungen („Deportationslager“) nach um ein interessengeleitetes Gefälligkeitsschreiben mit allenfalls geringer inhaltlicher Aussagekraft handelt, zumal sich Frau erst seit 5. Mai 2021 in der Behandlung der betreffenden Psychotherapeutin befindet. Insofern ist der Risikofaktor „psychische und soziale Belastung“ (vgl. frauenärztliches Attest vom 6. Mai 2021) als für das vorliegende Verfahren jedenfalls nicht fachärztlich belegt anzusehen. Zugleich bestehen aber die weiteren Risikofaktoren einer früheren Sectio und einer Fehlgeburt im Jahr 2018 in der Person der Lebensgefährtin des Antragstellers. Damit liegen bei Frau … insgesamt vier Gesichtspunkte vor, die nach allgemeinem Wissen zu möglichen Risikofaktoren im Rahmen einer Schwangerschaft gehören.
Keine Aussage trifft das vorgelegte frauenärztliche Attest indes über die Frage, welche Folgen die Risikoschwangerschaft im konkreten Fall hat und in welcher Art und Weise Frau … auf die Unterstützung des Antragstellers angewiesen ist (vgl. hierzu auch BayVGH, B.v. 28.1.2021 – 10 CE 21.313 – juris Rn 7). Solche Hinweise lassen sich auch den in der Behördenakte enthaltenen Unterlagen (vgl. etwa Bl. 53 BA II) nicht entnehmen.
Es kann vorliegend aber dahingestellt bleiben, ob die aufgrund der Risikoschwangerschaft erforderlich werdende Hilfe demzufolge, wie der Antragsgegner ausführt, zumutbar auch durch die Betreuer im Mutter-Kind-Haus, der derzeitigen Unterkunft der Frau …, erbracht werden kann und inwieweit diesbezüglich auch die ehrenamtliche Familienpatin zu berücksichtigen ist.
4.2.3.3. Denn es liegt im maßgeblichen Zeitpunkt der vorliegenden Entscheidung weder eine Vaterschaftsanerkennung des Antragstellers für das ungeborene Kind der Frau … vor, noch ist glaubhaft gemacht, dass die Eltern in Verhältnissen leben, welche die gemeinsame Übernahme der elterlichen Verantwortung und eine gemeinsame Erziehung und Betreuung des Kindes sicher erwarten lassen.
Dabei geht auch das Gericht nach den vorgelegten Unterlagen davon aus, dass der Antragsteller Frau … immer wieder besucht hat und zu ihr selbst und ihren Kindern ein gutes Verhältnis hat. Insoweit können die vorgelegten Ausführungen der Kindsmutter, der Familienpatin und der Einrichtung zu Grunde gelegt werden. Es liegt somit nicht alleine eine biologische Vaterschaft ohne jede weitere Verbindung vor.
Die oben dargestellten Anforderungen der Rechtsprechung für die Bejahung eines Abschiebungshindernisses in derartigen Konstellationen gehen aber darüber hinaus und sind nicht erfüllt.
Zunächst liegt im Entscheidungszeitpunkt keine Anerkennung der Vaterschaft durch den Antragsteller vor. Die Vaterschaftsanerkennung erschöpft sich indes nicht mit einem Formalakt, sondern damit drückt der Betreffende auch gegenüber den Behörden aus, dass er sich um das Kind kümmern und in entsprechende Pflichten eintreten wird. Der Antragsteller bemühe sich nach seinem Vortrag derzeit darum, die Anerkennung zu erreichen. Mit den vom Antragsteller geschilderten Abläufen (Inhaftierung erfolgte vor dem Termin bei der Frauenärztin) erscheint auch erklärbar, warum die Anerkennung nicht vorliegt, so dass alleine diesem Umstand seitens des Gerichts keine zu große Bedeutung im vorliegenden Fall zugemessen wird.
Unabhängig davon setzt aber die sichere Erwartung der gemeinsamen Übernahme der elterlichen Verantwortung in der Regel ein tatsächliches Zusammenleben in häuslicher Gemeinschaft voraus (vgl. OVG Sachsen-Anhalt, B.v. 24.10.2019 – 2 M 111/19 – NJ 2020, 32). Dies trifft hier nicht zu. Der Antragsteller lebte in K., Frau I. aber in M. S., eine einfache Fahrt mit öffentlichen Verkehrsmitteln dauert vom Bahnhof K. aus etwa 40 Minuten. Das Gericht erachtet zwar das Zusammenleben nicht in jedem Fall als zwingend erforderlich an, um ein Abschiebungshindernis annehmen zu können. Es müssen aber, wenn diese regelmäßige Voraussetzung nicht erfüllt ist, weitere Gesichtspunkte des Einzelfalles hinzutreten, die gleichwohl die Annahme der entsprechenden Verbundenheit rechtfertigen. Dies ist vorliegend nicht der Fall. Es sind zunächst keine Versuche der beiden Betroffenen aktenkundig, näher beisammen zu wohnen, obgleich die Beziehung nach dem Vortrag des Antragstellers bereits seit 2018 andauert und bereits im Jahr 2018 eine Schwangerschaft der Frau mit einer Fehlgeburt endete und bereits damals die beiden sehr kleinen Zwillinge vorhanden und betreuungsbedürftig waren. Erst jetzt wird erwähnt, dass der Wunsch nach einem gemeinsamen Wohnsitz bestehe. Zum anderen wird in den Unterlagen erst jetzt bei bevorstehender Abschiebung von einer Verlobung gesprochen. Zuvor stand eine Eheschließung oder Verlobung ebenso wenig im Raum, wie der Ausländerbehörde die Verbindung des Antragstellers zu Frau … überhaupt bekannt war. Diese wurde erst am 4. Mai 2021 gegenüber der Ausländerbehörde offenbart. Nach alledem kann das Gericht zusammenfassend bei Berücksichtigung der Aktenlage und der vom Antragsteller vorgelegten Unterlagen nicht den Eindruck gewinnen, dass die Eltern in Verhältnissen leben, welche die gemeinsame Übernahme der elterlichen Verantwortung und eine gemeinsame Erziehung und Betreuung des Kindes sicher erwarten lassen.
Der Antrag war demzufolge abzulehnen.
5. Die Kostenfolge ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO
6. Der Streitwert ergibt sich aus § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 2 Gerichtskostengesetz (GKG) i.V.m. Nr. 1.5, 8.3 des Streitwertkatalogs.


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