Verwaltungsrecht

Einstweiliger Rechtsschutz bei Ausschluss von Schule

Aktenzeichen  M 3 S 19.2533

Datum:
4.9.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 30782
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayEUG Art. 87 Abs. 1
VwGO § 80 Abs. 5

 

Leitsatz

Aggressives, respektloses und provokantes Verhalten gegenüber Lehrkräften und/oder Mitschülern, das auf Gewaltbereitschaft und Kontrollverlust schließen lässt, kann einen vorläufigen Schulausschluss rechtfertigen. (Rn. 32) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 2.500,– Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller wendet sich gegen einen Schulausschluss als Sicherungsmaßnahme gemäß Art. 87 Abs. 1 BayEUG.
Der Antragsteller besuchte im Schuljahr 2018/2019 die 6. Jahrgangsstufe der Grund- und Mittelschule N* … (im Folgenden: die Schule).
Mit Bescheid vom 20. Mai 2019 wurde der Antragsteller „bis zur weiteren Klärung“ vom Besuch der Schule ausgeschlossen.
Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, der Antragsteller habe am 1. April 2019, am 15. Mai 2019 und am 17. Mai 2019 zum wiederholten Male äußerst aggressives Verhalten gegenüber Lehrkräften und seinen Mitschülern gezeigt. Verschiedenen Lehrkräften und dem Konrektor gegenüber habe er sich höchst respektlos und provokant verhalten, er habe in sehr hohem Maße Gewaltbereitschaft gezeigt und immer wieder Kontrollverlust über sein eigenes Verhalten offenbart. In diesen Konfliktsituationen sei er absolut distanzlos gewesen und habe sich den zuständigen Lehrkräften mit Drohgebärden bis auf wenige Zentimeter genähert.
Am 17. Mai 2019 habe der Antragsteller während der Pause einem am Boden liegenden Schüler mit den Füßen mehrfach ins Gesicht getreten. Einem Lehrer, der im Erdgeschoß aus dem Fenster gesprungen sei, um Schlimmeres zu verhindern, habe er auf die Frage nach seinen Beweggründen geantwortet:“…weil es mir Spaß macht, zu schlägern und weil es mir egal ist.“ Sein Fazit sei gewesen: „Wir hätten uns fast schon umgebracht…Er soll nur kommen, ich hau ihn wieder, immer wieder.“
Ein Ausschluss vom Unterricht vom 29. April bis 3. Mai 2019 habe keine Verhaltensänderung gebracht. Über die Selbst- und Fremdgefährdung hinaus störe der Antragsteller durch sein Verhalten auch massiv den Schulfrieden.
Mit Schreiben vom 22. Mai 2019, eingegangen am 27. Mai 2019, beantragte die Mutter des Antragstellers beim Bayerischen Verwaltungsgericht München sinngemäß,
die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen den Ausschluss vom Schulbesuch anzuordnen.
Sie bitte um sofortige Wiederaufnahme in den Unterricht, da der Antragsteller schulpflichtig sei und ihm der Schulstoff fehlen werde.
Der Kindsvater sei am 15. April 2016 verstorben und seitdem habe sie das alleinige Sorgerecht. Der Antragsteller befinde sich bereits wegen des Schulausschlusses in ärztlicher psychotherapeutischer Behandlung. Seit 8. Juni 2019 nehme er jetzt regelmäßig Medikamente unter ständiger ärztlicher Kontrolle ein.
Die Mutter des Antragstellers habe schon mehrfach erfolglos versucht, den Schulpsychologen telefonisch zu erreichen. Auch vom Jugendamt werde sie telefonisch immer vertröstet.
Mit Schreiben vom 6. Juni 2019 teilte die Schule mit, das zuständige Jugendamt sei über die Ordnungsmaßnahme informiert. Der zuständige Schulpsychologe sei eingeschaltet und der Mobile Sonderpädagogische Dienst mit der Angelegenheit betraut. Da von dem Antragsteller eine erhebliche Fremdgefährdung ausgehe, müsse aus der Sicht der Schule zunächst eine gründliche Abklärung erfolgen, ehe der geeignete Förderort festgestellt und der Schulbesuch wieder aufgenommen werden könne.
Mit Schreiben vom 31. Juli 2019 teilte die Schule mit, die Praxis für Kinder- und Jugendpsychiatrie, in der der Antragsteller in ambulanter Behandlung sei, habe bereits im Mai die Klassenlehrkraft des Antragstellers und die Schulsozialarbeiterin kontaktiert. Es seien jeweils längere Gespräche geführt worden. Nach Angaben der Mutter des Antragstellers werde diese Praxis ein Gutachten erstellen, das in der Regel Empfehlungen aus therapeutischer Sicht für die weitere Vorgehensweise und die geeignete Art der Beschulung enthalte. Dieses Gutachten liege aber bis jetzt noch nicht vor. Auch die zuständige Sachbearbeiterin beim Jugendamt wolle sich bei der Praxis nach den Fortschritten der Behandlung erkundigen.
Zwischenzeitlich sei eine Beschulung an einer Krankenschule denkbar, aber nach Angaben des Jugendamts verweigere die Mutter des Antragstellers bisher eine stationäre Abklärung.
Mit Schreiben vom 6. August 2019 teilte die Mutter des Antragstellers mit, sie werde versuchen einen anderen Arzt aufzusuchen, da der Antragsteller die Therapiestunden in Landshut aufgrund ihrer Berufstätigkeit und fehlender öffentlicher Verkehrsmittel nicht mehr wahrnehmen könne. Die behandelnde Ärztin versuche, den Antragsteller in eine Klinik zu geben. Dieser benötige jedoch ambulante Therapiestunden in der Nähe seines Wohnortes.
Wegen weiterer Einzelheiten zum Sach- und Streitstand wird auf die Gerichtsakte und die von der Antragsgegnerin vorgelegten Aktenvorgänge Bezug genommen.
II.
Der Antrag ist bereits unzulässig, jedenfalls aber unbegründet.
Die im Bescheid der Grund- und Mittelschule N* … vom 20. Mai 2019 angeordnete Sicherungsmaßnahme des vorläufigen Ausschlusses vom Schulbesuch gemäß Art. 87 Abs. 1 BayEUG ist kraft Gesetzes sofort vollziehbar (Art. 88 Abs. 8 BayEUG).
1. Der Antrag ist bereits unzulässig, da offensichtlich kein Widerspruch gegen die Entscheidung der Schule erhoben wurde. Es liegt somit kein Rechtsbehelf vor, aufgrund dessen die aufschiebende Wirkung gemäß § 80 Abs. 5 VwGO angeordnet werden könnte.
Zwar enthält der Bescheid der Schule vom 20. Mai 2019 keine Rechtsbehelfsbelehrung:, so dass ein Rechtsbehelf gemäß § 58 Abs. 2 Satz 1 VwGO noch innerhalb eines Jahres nach Zustellung, Eröffnung oder Verkündung des Bescheids zulässig ist. Dies ändert jedoch nichts daran dass bisher kein Rechtsbehelf eingelegt wurde.
2. Der Antrag ist jedoch auch unbegründet.
Für die vom Gericht im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO zu treffende eigene Ermessensentscheidung kommt es daher auf eine Abwägung der von der Schule angeführten öffentlichen Interessen an der sofortigen Vollziehung mit den privaten Interessen des Antragstellers an. In erster Linie fallen dabei die Erfolgsaussichten des Antragstellers in einem eventuellen Hauptsacheverfahren, wie sie augenblicklich beurteilt werden können, ins Gewicht. Ist die Erfolgsaussicht mit genügender Eindeutigkeit zu verneinen, ist der Antrag grundsätzlich abzulehnen; ist sie offensichtlich zu bejahen, ist die aufschiebende Wirkung in der Regel wiederherzustellen. Im Übrigen kommt es auch darauf an, wie schwer die angegriffene Maßnahme durch ihren Sofortvollzug in die Rechtssphäre des Betroffenen eingreift, ob und unter welchen Erschwernissen sie wieder rückgängig zu machen ist und wie dringlich demgegenüber das öffentliche Interesse an der sofortigen Durchsetzung des angegriffenen Verwaltungsakts zu bewerten ist (vgl. BayVGH, B. v. 7.4.1995, 7 CS 95.1163 – m.w.N.).
Von diesen Grundsätzen ausgehend überwiegt das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des Ausschlusses die privaten Interessen des Antragstellers, da sich die Sicherungsmaßnahme nach summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage als rechtmäßig erweist.
Gemäß Art. 87 Abs. 1 BayEUG kann eine Schülerin oder ein Schüler auch bei bestehender Schulpflicht vorläufig vom Besuch der Schule bzw. der praktischen Ausbildung ausgeschlossen werden, wenn ihr bzw. sein Verhalten das Leben oder in erheblicher Weise die Gesundheit gefährdet von
1. Schülerinnen bzw. Schülern,
2. Lehrkräften,
3. sonstigem an der Schule tätigem Personal oder
4. anderen Personen im Rahmen ihrer schulischen oder praktischen Ausbildung und die Gefahr nicht anders abwendbar ist.
Der vorläufige Ausschluss endet spätestens mit der Vollziehbarkeit der Entscheidung über schulische Ordnungsmaßnahmen, über die Überweisung an eine Förderschule oder über eine Aufnahme in eine Schule für Kranke oder in eine andere Einrichtung, an der die Schulpflicht erfüllt werden kann. Der vorläufige Ausschluss soll auf wegen desselben Sachverhalts später gegebenenfalls nach Art. 86 BayEUG verhängte Ausschlussmaßnahmen angerechnet werden.
Formelle Fehler sind nicht ersichtlich.
Die Maßnahme wurde von der dafür gemäß Art. 88 Abs. 2 Nr. 1 BayEUG zuständigen Schulleiterin erlassen.
Die Voraussetzungen für die Sicherungsmaßnahme des vorläufigen Ausschlusses von der Schule sind vorliegend gegeben. Durch das dem Antragsteller in dem Bescheid vorgeworfene Verhalten insbesondere am 17. Mai 2019, das auch nicht bestritten wird, hat er in erheblicher Weise die Gesundheit eines Mitschülers gefährdet. Aus dem diesem Vorfall vorausgegangenen, hinsichtlich Aggressivität und Respektlosigkeit einschlägigen Verhalten des Antragstellers, das aus den Begründungen der verhängten Ordnungsmaßnahmen und den aufgezeichneten Beobachtungen der einzelnen Lehrer ersichtlich ist, konnte die Schule auch in nachvollziehbarer Weise die Schlussfolgerung ziehen, dass die für die Gesundheit der Mitschüler bestehende Gefahr nicht anders abwendbar ist. Insbesondere ergibt sich daraus auch, dass sich die Intensität der Aggressivität in den Handlungen des Antragstellers bis zum Vorfall am 17. Mai 2019 erheblich gesteigert hat.
Die vorangegangenen Ordnungsmaßnahmen bis hin zum Unterrichtsausschluss vom 29. April bis 3. Mai 2019 erbrachten offensichtlich keinerlei Verhaltensänderung beim Antragsteller.
Nachdem der Ausschluss vom Schulbesuch nur vorläufig ist und spätestens mit der Vollziehbarkeit der Entscheidung über schulische Ordnungsmaßnahmen, über die Überweisung an eine Förderschule oder über eine Aufnahme in eine Schule für Kranke oder in eine andere Einrichtung, an der die Schulpflicht erfüllt werden kann, endet, wobei vorliegend wohl eine schulische Ordnungsmaßnahme nicht in Betracht kommt und Überlegungen und Gespräche hinsichtlich der anderen Maßnahmen bereits eingeleitet wurden, ist davon auszugehen, dass bis zum Ferienende oder zumindest zeitnah im beginnenden Schuljahr 2019/2020 eine Lösung hinsichtlich der zukünftigen Beschulung des Antragstellers gefunden wird.
Dabei handelt es sich besonders um eine gemeinsame Erziehungsaufgabe im Sinne des Art. 74 Abs. 1 BayEUG, die Schule und Erziehungsberechtigte zu erfüllen haben, und die eine von gegenseitigem Vertrauen getragene Zusammenarbeit erfordert.
Aus den dargestellten Gründen war der Antrag daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen. Die Entscheidung über den Streitwert beruht unter Berücksichtigung der Vorläufigkeit des Verfahrens auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 2 GKG.


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