Verwaltungsrecht

Einstweiliger Rechtsschutz gegen Eingliederungsverwaltungsakt

Aktenzeichen  L 7 AS 140/16 B ER

Datum:
24.3.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2016, 69070
Gerichtsart:
LSG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGB II § 15 Abs. 1, § 16 Abs. 1 S. 2, § 39 Nr. 1
SGB III § 44
SGG § 86b

 

Leitsatz

1 Erfüllt ein Antragsteller die Pflichten aus einem Eingliederungsverwaltungsakt, dann verlangt ein Eilantrag gegen diesen, dass die Pflichten aktuell „auf Eis“ zu legen sind, um einen erheblichen rechtswidrigen Eingriff oder eine gegenwärtige Notlage zu verhindern. (redaktioneller Leitsatz)
2 Hat der Antragsteller bereits Pflichten des Eingliederungsverwaltungsakts verletzt, begehrt er vorbeugenden Rechtsschutz gegen künftige Sanktionen; dies erfordert ein qualifiziertes Rechtsschutzinteresse, welches den Verweis auf nachlaufenden Rechtsschutz unzumutbar werden lässt. (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

S 54 AS 352/16 2016-02-25 Bes SGMUENCHEN SG München

Tenor

I. Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts München vom 25. Februar 2016 wird zurückgewiesen.
II. Die außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Gründe

Die Beschwerde ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht erhoben (§ 173 Sozialgerichtsgesetz – SGG). Die Beschwerde ist jedoch unbegründet, weil das Sozialgericht München den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs zu Recht abgelehnt hat.
Das Sozialgericht hat den Prüfungsmaßstab zutreffend dargelegt. Die Interessen des Antragstellers, vom Vollzug des strittigen Bescheids vorläufig verschont zu werden, müssen die öffentlichen Interessen an dem sofortigen Vollzug des Verwaltungsaktes überwiegen. Den Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache, also dem Klageverfahren, kommt eine wesentliche Bedeutung zu. Weil der Gesetzgeber dem Sofortvollzug eines Eingliederungsverwaltungsakts mit § 39 Nr. 1 SGB II den Vorrang eingeräumt hat, müssen ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheids bestehen oder ausnahmsweise besondere Interessen überwiegen.
Bis auf die Regelung zur Übernahme von Bewerbungskosten bestehen keine Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Eingliederungsverwaltungsakts. Das Beschwerdegericht schließt sich insoweit gemäß § 142 Abs. 2 Satz 3 SGG der Begründung des Sozialgerichts an und weist die Beschwerde aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung zurück. Sechs Eigenbemühungen pro Monat und deren Nachweis zuzüglich zeitnaher Bewerbungen auf einzelne Vermittlungsvorschläge sind dem Antragsteller zumutbar. Die Behauptungen des Antragstellers zur Nichtvermittelbarkeit und fachlichen Unfähigkeit, sich zu bewerben, sind nicht nachvollziehbar und wurden im Beschwerdeverfahren auch nicht wiederholt.
Die Regelung zu Übernahme von Bewerbungskosten ist insoweit problematisch, als die Übernahme von Kosten für schriftliche Bewerbungen von einem vorherigen Antrag abhängig gemacht wird („ … sofern Sie diese zuvor beantragt haben“).
Die Übernahme von Bewerbungskosten nach § 16 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II i. V. m. § 44 SGB III steht im Ermessen der Behörde. Wenn von einem Leistungsbezieher in erheblichem Umfang kostenträchtige Bewerbungen verlangt werden, ist aber eine Kostenerstattungsregelung erforderlich (vgl. Eicher, SGB II, 3. Auflage 2013, § 15 Rn. 52; Schlegel in Juris-Praxiskommentar, 2015, § 15 Rn. 94 SGB II). Das Fehlen einer Kostenregelung für Online-Bewerbungen und telefonische Bewerbungen ist nicht zu beanstanden, weil hierfür allenfalls geringe Kosten anfallen. Die Kosten für Einschreiben sind angesichts der geringen Verlustquote der Post schon nicht angemessen und deshalb nicht zu übernehmen.
Rechtsgrundlage des Antragserfordernis ist nach wohl h. M. § 37 SGB II, der als Spezialregelung nach § 16 Abs. 2 SGB II die §§ 323, 324 SGB III verdrängt (Eicher, a. a. O., § 16 Rn. 59; Hauck-Noftz, § 16 SGB II Rn. 431, 452 ff). Einschlägig ist hier § 37 Abs. 2 S. 1 SGB II, wonach Leistungen nach SGB II nicht für Zeiten vor der Antragstellung erbracht werden. Für das Antragserfordernis trotz Bewerbungsverpflichtung spricht, dass eine generelle Zusage der Kostenerstattung nicht in Betracht kommt, weil eine zahlenmäßige Begrenzung erforderlich ist und aussichtlose Bewerbungen zu vermeiden sind. Es wäre aber nicht praktikabel, wenn der Antragsteller vor jeder einzelnen schriftlichen Bewerbung einen Antrag auf Kostenübernahme stellen müsste. Die Regelung kann aber auch so verstanden werden, dass der Antragsteller vorab einen Antrag stellt, in dem er Anzahl und Art der Stellenangebote, auf die er sich schriftlich bewerben möchte, darlegt. Eine derartige Verpflichtung zur vorherigen Antragstellung ist nicht zu beanstanden.
Wie die Kostenregelung in der Praxis umgesetzt wird, kann letztlich dahinstehen, weil die aufschiebende Wirkung auch nicht anzuordnen wäre, wenn vor jeder einzelnen Bewerbung ein Kostenantrag zu stellen wäre. Einstweiliger Rechtsschutz dient auch im Bereich der Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Vermeidung erheblicher Eingriffe oder einer gegenwärtigen Notlage. Es geht insbesondere nicht darum, im Eilverfahren Rechtsgutachten zu Verwaltungsakten zu erstellen, wenn kein erheblicher Eingriff und keine Notlage drohen.
Bei einem Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung gegen einen Eingliederungsverwaltungsakt wendet sich der Betroffene gegen die darin enthaltenen Pflichten. Er will wissen, ob er diesen Pflichten Folge leisten muss oder bei deren Missachtung Sanktionen nach §§ 31 ff SGB II riskiert. Es ist daher zu unterscheiden (vgl. Bay LSG, Beschluss vom 13.02.2015, L 7 AS 23/15 B ER):
Wenn der Betroffene bereits gegen die Pflichten aus dem Eingliederungsverwaltungsakt verstoßen hat, begehrt er Rechtsschutz gegen eine mögliche künftige Sanktion. Er begehrt also vorbeugenden Rechtsschutz. Dafür ist, wie das Sozialgericht zutreffend ausführt, ein qualifiziertes Rechtsschutzinteresse erforderlich, das insbesondere beinhaltet, dass der Betroffene nicht auf nachträglichen Rechtsschutz verwiesen werden kann (Meyer-Ladewig, SGG, 11. Auflage 2014, Rn. 17a vor § 51 und § 54 Rn. 42a). Bei Sanktionen ist regelmäßig unmittelbar einstweiliger Rechtsschutz möglich und ausreichend. Es kann daher offen bleiben, ob der Antragsteller bereits gegen seine Pflichten verstoßen hat.
Wenn der Betroffene die ihm auferlegten Pflichten erfüllt, macht er nicht nur vorbeugenden Rechtsschutz gegen eine künftige Sanktion geltend, er wendet sich zunächst gegen die aktuelle Verpflichtung zu einem bestimmten Verhalten. Dahinter steht faktisch auch hier die Frage, ob der Betroffene „in Ruhe“ gegen die Pflichten verstoßen kann oder mit einer Sanktion rechnen muss, wenn er die Pflichten nicht mehr erfüllt. Allerdings könnte die Behörde einen Sanktionsbescheid auch dann erlassen, wenn das Gericht die aufschiebende Wirkung anordnen würde, sie könnte diesen jedoch vorläufig nicht vollziehen (vgl. Bay LSG, Beschluss vom 17.08.2012, L 7 AS 564/12 B ER). Wenn sich der Betroffene gegen die weitere Erfüllung der Verpflichtungen wendet, muss er im Rahmen der Interessenabwägung geltend machen, dass diese Pflichten bereits jetzt „auf Eis gelegt“ werden müssen, um einen erheblichen rechtswidrigen Eingriff oder eine gegenwärtige Notlage zu vermeiden. Daran fehlt es hier.
Die Regelung zur Übernahme der Kosten schriftlicher Bewerbungen hindert den Antragsteller nicht daran, sich per E-Mail, telefonisch oder persönlich auf Stellenangebote zu bewerben. Er kann auch vor einzelnen schriftlichen Bewerbungen Kostenanträge stellen. Die Pflicht, alle Möglichkeiten zur Erzielung von Erwerbseinkommen zu nutzen – sprich zu arbeiten – besteht schon nach dem Gesetz (§ 2 SGB II), im Eingliederungsverwaltungsakt erfolgt lediglich eine Konkretisierung dieser Pflicht.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.
Dieser Beschluss ist gemäß § 177 SGG unanfechtbar.


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