Verwaltungsrecht

Einstweiliger Rechtsschutz – Untersagung der Haltung eines Kampfhundes der Kategorie I

Aktenzeichen  10 CS 18.280

Datum:
19.10.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 28751
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80 Abs. 5, Abs. 7 S. 1
LStVG Art. 7 Abs. 2 Nr. 1, Art. 37 Abs. 1, Abs. 2, Abs. 4 Nr. 1
BayVwVfG Art. 38 Abs. 1, Art. 40, Art. 48 Abs. 1

 

Leitsatz

1. Auch wenn die Rücknahme einer rechtswidrigen Zusicherung zur Erteilung einer Haltungserlaubnis auf den Zeitpunkt ihres Erlasses zurückwirkt (ex tunc), ist der durch die Zusicherung zwischenzeitlich gesetzte Vertrauenstatbestand im Rahmen der Ermessensausübung über eine Haltungsuntersagung und Abgabeverpflichtung zu berücksichtigen. (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)
2. In einer gebotenen gerichtlichen Interessenabwägung hat das öffentliche Interesse an der sofortigen Bekämpfung der von Kampfhunden ausgehenden Gefahren gegenüber einem im Einzelfall schutzwürdigen individuellen Aussetzungsinteresse dann (zunächst) zurückzutreten, wenn etwa die von dem Hund ausgehenden Gefahren wegen der Zuverlässigkeit der Halterin und mangels bisheriger Auffälligkeiten des Hundes als nicht erheblich einzuschätzen sind. (Rn. 24 – 26) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

RO 4 S 18.42 2018-01-11 Bes VGREGENSBURG VG Regensburg

Tenor

I. Der Beschluss des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 11. Januar 2018 (RO 4 S 18.42) wird in seinen Nummern I und II aufgehoben. Die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragstellerin vom 23. August 2017 gegen die Nummern 2 bis 5 und 7 des Bescheids der Antragsgegnerin vom 16. August 2017 wird wiederhergestellt bzw. angeordnet.
II. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten beider Rechtszüge.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.500 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragstellerin begehrt die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage im Zusammenhang mit der Haltung eines im Februar 2017 geborenen Hundes (namens Cash) der Rasse „American Staffordshire Terrier“.
Die Antragstellerin hält den Hund seit 17. April 2017 und hat unter dem gleichen Datum bei der Antragsgegnerin eine Erlaubnis nach Art. 37 LStVG beantragt. Zuvor hatte sie am 6. März 2017 ein Schreiben der Antragsgegnerin mit folgendem Inhalt erhalten: „Hiermit bestätigen wir Ihnen, dass für einen Kampfhund der Kategorie I eine Genehmigung, verbunden mit Auflagen, von Seiten der Gemeinde F. erteilt wird“. Vorangegangen war eine entsprechende mündliche Auskunft der Antragsgegnerin im Februar 2017 anlässlich einer persönlichen Vorsprache der Antragstellerin. Nachdem sie Angaben zum berechtigten Interesse an der Hundehaltung gemacht hatte, lehnte die Antragsgegnerin mit Bescheid vom 16. August 2017 die Erteilung einer Erlaubnis zur Haltung des Hundes ab (Ziff. 1), untersagte sie (Ziff. 2) und gab der Antragstellerin auf, den Hund unter entsprechendem Nachweis abzugeben (Ziff. 3 bis 5); im Falle eines Verstoßes gegen diese Verpflichtungen wurden Zwangsgelder angedroht (Ziff. 7). Die sofortige Vollziehung wurde angeordnet (Zi. 6). Das für die Erlaubniserteilung nach Art. 37 Absatz 2 LStVG erforderliche berechtigte Interesse an der Haltung des Hundes, etwa zur Bewachung eines gefährdeten Grundstückes, sei nicht nachgewiesen. Die dargestellten Umstände reichten nicht über ein allgemeines Liebhaberinteresse an der Hundehaltung hinaus. Rechtsgrundlage für die Anordnungen sei Art. 7 Abs. 2 Nr. 1, 3 LStVG. Sein Tatbestand sei infolge der Haltung eines Kampfhundes im Sinn von § 1 Abs. 1 der Verordnung über Hunde mit gesteigerter Aggressivität und Gefährlichkeit vom 10. Juli 1992 ohne die erforderliche Erlaubnis und durch die damit verwirklichte Ordnungswidrigkeit (Art. 37 Abs. 4 Nr. 1 LStVG) erfüllt; die Ordnungswidrigkeit müsse durch die Abgabe des Tieres und das Verbot der Haltung beendet werden. Die Sicherheitsbehörde könne nicht hinnehmen, dass von einem Kampfhund eine Gefahr für Menschen ausgehe, sondern sei gehalten, gegen die Halterin einzuschreiten. Das Inaussichtstellen der Erlaubnis habe auf der Annahme beruht, die Antragstellerin erfülle die Voraussetzungen des Art. 37 LStVG. In Ausübung des Ermessens bei Abwägung aller bekannten Umstände seien die Haltungsuntersagung und die Abgabeverpflichtung sowie die damit verbundenen Verpflichtungen zur Dokumentation der Übergabe an eine andere Person in verhältnismäßiger Weise festgesetzt worden. Andere Maßnahmen, wie etwa die Verhängung eines Leinen- und Maulkorbzwangs, würden dem Willen des Gesetzgebers im Hinblick auf die Gefahrenabwehr nicht gerecht werden. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung liege im Hinblick auf die Rechte der Bürger auf körperliche Unversehrtheit und Schutz des Eigentums im besonderen öffentlichen Interesse; hierfür sprächen auch generalpräventive Erwägungen, denn es müsse die Entstehung von Bezugsfällen durch sofort wirkende Maßnahmen verhindert werden. Das Interesse der Antragstellerin an der Fortsetzung der Hundehaltung bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung sei nachrangig.
Mit Beschluss vom 27. September 2017 hat das Verwaltungsgericht dem Antrag der Antragstellerin vom 29. August 2017 auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes stattgegeben und die aufschiebende Wirkung der Klage (RO 4 K 17.1498) gegen den Bescheid wiederhergestellt (Ziff. 2 bis 5) bzw. angeordnet (Ziff. 7); das Schreiben der Antragsgegnerin vom 6. März 2017 stelle eine einen Anspruch auf Erteilung der Erlaubnis zur Haltung des Hundes einräumende Zusicherung nach Art. 38 Abs. 1 Satz 1 BayVwVfG dar. Gegen den Beschluss vom 27. September 2017 hat die Antragsgegnerin Beschwerde (10 CS 17.2053) eingelegt.
Mit Bescheid vom 26. Oktober 2017 nahm die Antragsgegnerin die Bestätigung vom 6. März 2017 mit Wirkung auf diesen Zeitpunkt zurück und ordnete den Sofortvollzug der Rücknahme an. Auch gegen diesen Bescheid erhob die Antragstellerin mit Schriftsatz vom 31. Oktober 2017 Klage (RO 4 K 17.1895). Ihren am 5. November 2017 nach Art. 80 Abs. 5 VwGO gestellten Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung dieser Klage lehnte das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 14. Dezember 2017 (RO 4 S 17.1906) ab. Die Rücknahme des Schreibens der Antragsgegnerin vom 6. März 2017, das nach summarischer Prüfung als rechtswidrige Zusicherung zu qualifizieren sei, sei zwar mangels Durchführung der erforderlichen Anhörung vor Erlass des Bescheids vom 26. Oktober 2017 formell rechtswidrig, dieser Mangel könne allerdings nachgeholt werden. In materieller Hinsicht lägen die Voraussetzungen des Art. 48 BayVwVfG vor; insbesondere könne das Vertrauen der Antragstellerin in den Fortbestand der Zusicherung nicht als schutzwürdig angesehen werden. Die gegen den Beschluss vom 14. Dezember 2017 gerichtete Beschwerde hat der Senat inzwischen mit Beschluss vom 15. Oktober 2018 (10 CS 18.102), auf den Bezug genommen wird, zurückgewiesen, nachdem die Antragsgegnerin die zunächst unterbliebene Anhörung nachgeholt hatte.
Mit weiterem – hier streitgegenständlichen – Beschluss vom 11. Januar 2018 (RO 4 S 18.42) lehnte das Verwaltungsgericht unter Abänderung seines Beschlusses vom 27. September 2017 gemäß § 80 Abs. 7 Satz 1 VwGO den Antrag der Antragstellerin, die aufschiebende Wirkung ihrer Klage gegen den Bescheid vom 16. August 2017 wiederherzustellen bzw. anzuordnen, ab. Der abgeänderte Beschluss vom 27. September 2017 sei allein deshalb erfolgt, weil zum damaligen Zeitpunkt noch die Zusicherung der Antragsgegnerin vom 6. März 2017 Bestand gehabt habe. Nach ihrer mit Sofortvollzug ausgestatteten Rücknahme könne die Antragstellerin voraussichtlich nicht mehr mit der Erteilung einer Erlaubnis zur Hundehaltung rechnen, da sie bereits kein berechtigtes Interesse hieran nachgewiesen habe. Erweise sich aber die Ablehnung der Erlaubniserteilung als voraussichtlich rechtmäßig, gelte dies auch für die Anordnung der Haltungsuntersagung und der Verpflichtung zur Abgabe des Hundes an eine geeignete Einrichtung oder Person. Die Antragstellerin habe für seine Haltung niemals eine Erlaubnis besessen, sodass die von ihr begangene Ordnungswidrigkeit nach Art. 37 Abs. 5 Nr. 1 LStVG durch die Antragsgegnerin habe unterbunden werden müssen. Die hierbei getroffenen Ermessensentscheidungen seien ausführlich und zutreffend im Ausgangsbescheid begründet worden. Da es sich um einen Kampfhund der Kategorie 1 handele, müsse die Allgemeinheit vor dessen vermuteter gesteigerter Aggressivität und Gefährlichkeit sofort und effektiv geschützt werden. Der positive Wesenstest stelle nur eine Momentaufnahme dar und könne nicht zu einem Überwiegen der Interessen der Antragstellerin führen. Durch die Abgabe des Hundes entstehe ihr selbst dann kein irreversibler Nachteil, sollte sie später in der Hauptsache doch obsiegen und der Hund wieder zurückzugeben sein.
Die Antragstellerin begründet ihre am 4. Februar 2018 gegen den Beschluss vom 11. Januar 2018 eingelegte Beschwerde insbesondere mit Hinweis auf ein fortbestehendes berechtigtes Interesse an der Haltung des Hundes. Es bestehe nach wie vor ein berechtigtes Interesse an der Haltung von Cash. Die Antragstellerin und ihr Ehemann seien seit frühester Kindheit mit Hunden aufgewachsen, besäßen seit fast neun Jahren zwei eigene, inzwischen behandlungsbedürftige Hunde, hätten immer wieder Pflegehunde aus Tierschutzheimen aufgenommen und mit einem von ihnen sogar einen OP-Termin wahrgenommen, kümmerten sich ehrenamtlich in Tierheimen gerade um Kampfhunde und leisteten für diverse Tierschutzorganisationen immer wieder Futter- und Geldspenden. Schließlich betrieben die Antragstellerin und ihr Ehemann einen auf Hundebedarf spezialisierten Onlinehandel und einen Fachhandel mit Ladengeschäft, in dessen Rahmen sogar eine Futterberatung für Kunden stattfinde. Damit seien weit überdurchschnittliche Erfahrungen und Kenntnisse im Bereich der Hundehaltung nachgewiesen. Weiter sei zu beachten, dass bei der Prüfung eines berechtigten Interesses auch die Belange des Tierschutzes (Art. 141 Abs. 1 Satz 2 BV) zu berücksichtigen seien. Gemäß der Vollzugsbekanntmachung (Nr. 37.4.1) des Bayerischen Staatsministeriums des Innern könne auch die „tierschützerische Aufnahme“ eines nicht wegen seiner Gefährlichkeit dem vorherigen Halter weggenommenen Kampfhundes durch eine besonders geeignete Person ein solch berechtigtes Interesse darstellen. Mit der Abgabe von Cash wäre das Wohlbefinden des Tieres erheblich beeinträchtigt, zumal letztlich nur die Aufnahme durch ein Tierheim infrage komme. Das Staatsziel Tierschutz könne durch geeignete Nebenbestimmungen zur Erlaubnis mit den Belangen der Gefahrenabwehr in Übereinstimmung gebracht werden. Das „vorläufige Gutachten“ eines Hundesachverständigen vom 4. Juli 2017 komme zu einer positiven Einschätzung, zumal die Antragstellerin und ihr Mann viermal wöchentlich mit Cash eine sachkundige Hundetrainerin in einer Hundeschule besuchten. Außerdem werde er in einem Schäferhundeverein auf seine Begleithundeprüfung vorbereitet. Damit gehe die Anschaffung des Hundes weit über das vermeintlich reine Liebhaberinteresse hinaus. Durch die Abgabe an ein Tierheim entstünde ein höchst unerwünschter Zustand, dessen Auflösung eindeutig im öffentlichen Interesse liege. Im Vertrauen auf die Zusicherung hätten die Eheleute bereits erhebliche Dispositionen getroffen, wie zum Beispiel Besuche beim Züchter, Stornierung eines gebuchten Urlaubs, Kauf eines größeren Fahrzeugs und anderes mehr. Das Verwaltungsgericht habe vor diesem Hintergrund verkannt, dass die Antragsgegnerin ihr Ermessen fehlerhaft ausgeübt habe und unmittelbar in die durch Art. 2 Abs. 1 GG geschützte Hund-Halter-Beziehung eingreife. Die Verpflichtung, ein liebgewonnenes Tier ohne Not weggeben zu müssen, stelle eine außerordentliche emotionale Belastung für die Antragstellerin dar, zumal sie ihre Hunde anstelle von Kindern führe. Angesichts ihrer Fähigkeiten im Umgang mit Hunden, die vielfach nachgewiesen seien, und mangels Anhaltspunkten für die Gefährlichkeit von Cash gehe es gerade nicht um die Abwehr von Gefahren für Leib und Leben. Die Antragstellerin sei sogar mit einem Leinen- und Maulkorbzwang einverstanden.
Die Antragsgegnerin erwidert, aus dem Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 14. Dezember 2017 ergebe sich eindeutig, warum die Antragstellerin nicht mit einer Erlaubnis zur Haltung ihres Kampfhundes habe rechnen können, ohne dass dem mit ihren Ausführungen in den Beschwerdeverfahren etwas Tragfähiges entgegengesetzt werde. Auch soweit die Trennung unter emotionalen Gesichtspunkten als schwierig für die kinderlose Antragstellerin bezeichnet werde, könne dies der Beschwerde nicht zum Erfolg verhelfen.
Das gegen den abgeänderten Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 27. September 2017 von der Antragsgegnerin angestrengte Beschwerdeverfahren (10 CS 17.2053) ist infolge der nach Erlass des im vorliegenden Verfahren streitgegenständlichen Beschlusses abgegebenen übereinstimmenden Erledigungserklärungen der Parteien vom 31. Januar und 11. Februar 2018 beendet und mit Beschluss vom 27. Februar 2018 eingestellt worden, auf dessen Gründe verwiesen wird. Ein am 12. Juli 2018 vor dem Berichterstatter abgehaltener Erörterungstermin in der vorliegenden Streitsache blieb ohne Ergebnis.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Behördenakte der Antragsgegnerin sowie die Gerichtsakten der verschiedenen Verfahren vor dem Verwaltungsgericht und vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof Bezug genommen.
II.
Die zulässige Beschwerde hat in der Sache Erfolg. Der angefochtene Abänderungsbeschluss vom 11. Januar 2018 war aufzuheben und die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 16. August 2017 (erneut) wiederherzustellen bzw. anzuordnen. Die dargelegten Gründe, auf deren Prüfung das Beschwerdegericht nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, rechtfertigen die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung.
Für die im Rahmen der Aussetzungsentscheidung nach § 80 Abs. 5 VwGO vorzunehmende gerichtliche Interessenabwägung sind als zentraler Entscheidungsmaßstab die Erfolgsaussichten in der Hauptsache heranzuziehen (Gersdorf in BeckOK VwGO, Posser/Wolff, Stand: 1.7.2018, § 80 Rn. 187-191). Im vorliegenden Fall sind die Erfolgsaussichten der gegen die Haltungsuntersagung und die Abgabeverpflichtung (nebst Nebenentscheidungen) gerichteten Anfechtungsklage der Antragstellerin als offen anzusehen (1.). Die unter Berücksichtigung dieses Befunds gebotene Abwägung der Interessen der Antragstellerin mit den öffentlichen Interessen am Sofortvollzug des angefochtenen Bescheids fällt zugunsten der Antragstellerin aus (2.).
1. Nach der im Eilverfahren erforderlichen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung der Erfolgsaussichten der Klage beurteilt der Senat diese derzeit als offen. Zwar liegen die Tatbestandsvoraussetzungen für ein sicherheitsbehördliches Einschreiten vor (1.1), Zweifel bestehen jedoch hinsichtlich einer fehlerfreien Ermessensausübung (1.2).
1.1 Die Tatbestandsvoraussetzungen des Art. 7 Abs. 2 Nr. 1 LStVG sind erfüllt, weil die Antragstellerin durch die Haltung von Cash ohne die hierfür erforderliche Erlaubnis eine Ordnungswidrigkeit nach Art. 37 Abs. 4 Nr. 1 LStVG begeht, zu deren Unterbindung die Befugnisnorm ermächtigt.
Die nach Art. 37 Abs. 1, 2 LStVG beantragte Erlaubnis kann der Antragstellerin aller Voraussicht nach nicht erteilt werden, sodass ihre insoweit erhobene Verpflichtungsklage (Ziff. 1 des Bescheids vom 16.8.2017) nach überschlägiger Prüfung ohne Erfolg bleiben wird.
1.1.1 Ein unmittelbar aus Art. 37 Abs. 1, 2 LStVG folgender Erlaubnisanspruch besteht nicht, weil die Antragstellerin bisher das Vorliegen eines berechtigten Interesses an der Erteilung der Erlaubnis nicht nachgewiesen hat. Der Senat verweist insoweit auf die ausführliche Begründung in seinem Beschluss vom 15. Oktober 2018 (10 CS 18.102, BA S. 13, 2.2.4).
1.1.2 Ein Anspruch auf die begehrte Erlaubnis ergibt sich auch nicht (mehr) aus der Zusicherung vom 6. März 2017, nachdem diese von der Antragsgegnerin mit Bescheid vom 26. Oktober 2017 – unter Anordnung des Sofortvollzugs – zurückgenommen worden war. Der Senat hat wiederum im dortigen Verfahren 10 CS 18.102 unter Zurückweisung der gegen die Ablehnung des von der Antragstellerin begehrten Eilrechtsschutzes gerichteten Beschwerde festgestellt, dass die gegen die Rücknahme der Zusicherung erhobene Klage voraussichtlich ohne Erfolg bleiben wird. Auch insoweit kann auf die Gründe des Beschlusses vom 15. Oktober 2018 (10 CS 18.102, BA S. 7 f.) verwiesen werden. Der Sofortvollzug des Rücknahmebescheids führt dazu, dass aus der Zusicherung derzeit keine Rechtswirkung abgeleitet werden und sie daher insbesondere nicht Grundlage für den geltend gemachten Erlaubnisanspruch sein kann.
1.2 Unter Berücksichtigung des gesamten Beschwerdevorbringens bestehen allerdings noch Zweifel an der Fehlerfreiheit der Ermessensausübung der Antragsgegnerin im Bescheid vom 16. August 2017. Auf der Grundlage von Art. 7 Abs. 2 LStVG kann die Sicherheitsbehörde für den Einzelfall Anordnungen treffen, wenn – wie hier – einer der dort genannten Tatbestände verwirklicht ist. Das danach eröffnete Ermessen ist gemäß Art. 40 BayVwVfG entsprechend dem Zweck der Ermächtigung unter Einhaltung der gesetzlichen Grenzen auszuüben.
Im vorliegenden Fall hat die Antragsgegnerin ihr Ermessen in erster Linie an dem Umstand ausgerichtet, dass die Antragstellerin die für die Hundehaltung erforderliche Erlaubnis im Klageweg nicht wird erstreiten können, weil sie das erforderliche berechtigte Interesse nicht nachweisen kann, und daher von einer rechtswidrigen, die öffentliche Sicherheit wegen der von einem Kampfhund ausgehenden Gefahren beeinträchtigenden Hundehaltung auszugehen ist. Demgegenüber hat die Antragsgegnerin das Eigentumsrecht der Antragstellerin aus Art. 14 Abs. 1 GG und das hiervon umfasste „Nutzungsrecht an einer Sache“ (hier: Haltung eines Tieres) als nachrangig gegenüber dem in Artikel 7 LStVG zum Ausdruck kommenden öffentlichen Interesse betrachtet, das die Untersagung der weiteren Haltung des Hundes erfordere.
Soweit die Antragsgegnerin ihre Entscheidung (Besch. v. 16.8.2017, 2.2.4) damit begründet, aus der Versagung einer Erlaubnis zur Haltung eines Kampfhundes der Kategorie 1 ergebe sich „auch die Notwendigkeit der weiteren Untersagung der Haltung des Kampfhundes…und der Anordnung der Abgabe“, werden damit kein (weiteren) Ermessenerwägungen mitgeteilt. Vielmehr lassen diese Ausführungen eher den Schluss zu, es bestehe im Sinne einer gebundenen Entscheidung eine „Automatik“, die letztlich dazu führe, dass im vorliegenden Fall gar keine anderen Anordnungen als die getroffenen infrage kämen. Damit würde aber gerade im vorliegenden Fall eine Ermessensentscheidung verfehlt. Allerdings führt der Bescheid weitere, grundsätzlich zutreffende Überlegungen insbesondere zur Abwehr der von Kampfhunden ausgehenden Gefahren für die Allgemeinheit aus. Sie machen deutlich, dass die Antragsgegnerin die Anordnungen (wohl) nicht ausschließlich auf die Versagung der Erlaubnis zur Hundehaltung stützt.
Im Hinblick auf die Ermittlung der einzustellenden Belange der Antragstellerin erscheint jedoch problematisch, dass sich die Antragsgegnerin im Rahmen der Ermessensausübung mit keinem Wort mit der Besonderheit des vorliegenden Falles auseinandersetzt. Sie besteht darin, dass sich die Antragstellerin zum Kauf und zur Haltung des Hundes erst nach Abgabe der Zusicherung vom 6. März 2017 durch die Antragsgegnerin entschlossen hatte; ab diesem Tag bis zumindest 26. Oktober 2017, dem Tag des Bescheids über die Rücknahme der Zusicherung, konnte sie auf die Erteilung einer Haltungserlaubnis vertrauen, denn ihr war insoweit ein – nunmehr in vollziehbarer Weise zurückgenommener – Anspruch eingeräumt worden (vgl. hierzu B.v. 15.10.2018 – 10 CS 18.102 – BA S. 8, 9). Durch diesen Ablauf unterscheidet sich der vorliegende Fall ganz grundsätzlich von der Vielzahl derjenigen Fälle, in denen der Hundehalter ohne vorherige Absprache mit der für die Erlaubniserteilung zuständigen Gemeinde einen Kampfhund erwirbt und hält. Einer Auseinandersetzung mit dieser besonderen Konstellation hätte es auch im Rahmen der Ausübung des Ermessens bedurft. So erscheint es dem Senat jedenfalls nicht ausgeschlossen, dass – auch vor dem Hintergrund des eindeutigen gesetzgeberischen Willens, wie er aus Art. 38 LStVG hervorgeht – in einem derart untypisch gelagerten Fall eine „geduldete“ Haltung auch eines Hundes der Kategorie 1 in Betracht kommen könnte, soweit durch geeignete Nebenbestimmungen Gefahren für die Allgemeinheit in angemessener Weise minimiert werden können.
Die Rücknahme der rechtswidrig, da ohne Rücksicht auf die entscheidende Frage des berechtigten Interesses an der Hundehaltung erfolgten Zusicherung einer Erlaubnis wirkt zwar nach ihrem ausdrücklichen Wortlaut in rechtlicher Hinsicht auf den Zeitpunkt der Erteilung der Zusicherung zurück (ex tunc). Dies bedeutet aber nicht, dass die Antragstellerin im fraglichen Zeitraum vor der Rücknahme nicht tatsächlich auf sie vertraut hat und vertrauen hat dürfen; jedenfalls ist dieser Umstand auch bei der Ermessensausübung im Rahmen der Entscheidung über die Haltungsuntersagung und die Abgabeverpflichtung in den Blick zu nehmen.
Die von der Antragsgegnerin angeführten generalpräventiven Überlegungen tragen nach Auffassung des Senats im vorliegenden Fall schon deshalb nicht, weil er durch die singuläre Situation der zuvor erteilten Zusicherung gekennzeichnet ist und sich daher die Frage der Verhinderung von Bezugnahmen nicht stellen kann. Ob die Gefahren der hier streitgegenständlichen Hundehaltung auch vor dem dargestellten Hintergrund zu einem Überwiegen des öffentlichen Interesses führen, bedarf einer eingehenden Überprüfung, gegebenenfalls Ergänzung im Rahmen des anhängigen Klageverfahrens.
2. Kann demnach aus heutiger Sicht über den Ausgang des Klageverfahrens keine hinreichend sichere Prognose abgegeben werden, verbleibt es bei einer umfassenden Abwägung der gegenläufigen Interessen. Sie fällt hier zugunsten der Antragstellerin aus.
Bei der Gewichtung des Aussetzungsinteresses ist zugunsten der Antragstellerin insbesondere zu bedenken, dass sie – wovon auch die Antragsgegnerin ausgeht – bereits vielfach nachgewiesene Fähigkeiten im Umgang mit Hunden verschiedener Rassen besitzt und damit keinerlei Zweifel an ihrer Zuverlässigkeit (vgl. a. Art. 37 Abs. 2 Satz 1 LStVG; BayVGH, B.v. 15.10 2018, a.a.O., BA S. 12, 2.2.1) bestehen. Unabhängig hiervon sind die von dem im Zeitpunkt des vorliegenden Beschlusses erst eineinhalb Jahre alten Hundes ausgehenden Gefahren auf der Basis der im Erörterungstermin am 12. Juli 2018 mitgeteilten Erkenntnisse nicht als so erheblich einzuschätzen, dass zu ihrer Abwehr die Anordnung des Sofortvollzugs geboten wäre. Dies gilt auch vor dem Hintergrund, dass die Antragstellerin den Hund praktisch von Geburt an aufgenommen und erzogen hat. Würde sie ihn nunmehr vor einer Entscheidung über die Klage abgeben müssen, im Klageverfahren dann aber obsiegen, wäre dies eine jedenfalls nicht unerhebliche Belastung für eine erneute Aufnahme der Hundehaltung und nur dann möglich, wenn man davon ausgehen will, dass mit dem angefochtenen Sofortvollzug der Abgabeverpflichtung ein nicht wieder rückgängig zu machender Tatbestand gesetzt werden würde, weil es äußerst schwierig sein dürfte, eine zur Haltung des Hundes für den unbestimmten Zeitraum bis zum Abschluss des Klageverfahrens bereite Person oder Einrichtung zu finden.
Demgegenüber streiten für den Sofortvollzug die gesetzgeberische Wertung, dass in Bayern Kampfhunde der Kategorie 1 nur in streng begrenzten Ausnahmefällen gehalten werden dürfen (vgl. Nr. 37.4.1. VollzBek). Damit hat der Gesetzgeber deutlich zum Ausdruck gebracht, dass er die von den in der Kampfhundeverordnung näher definierten Hunderassen ausgehenden Gefahren unabhängig von individuellen Charaktereigenschaften des jeweiligen Hundes bekämpfen und damit die höchsten Rechtsgüter – Leben und körperliche Unversehrtheit der Bürger – vor Beeinträchtigungen schützen will. Eine Aussetzung des Sofortvollzugs würde also während ihrer Dauer das von der Antragsgegnerin verfolgte Ziel beeinträchtigen.
Allerdings erfordert das auf den Einzelfall bezogene besondere öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts ein Gewicht, das über das im Regelfall vorliegende Interesse am Erlass des zugrunde liegenden Verwaltungsakts hinausgeht und das Rechtsschutzinteresse des Betroffenen überwiegt (vgl. Puttler in Sodan/Ziekow, Verwaltungsgerichtsordnung, 5. Aufl. 2018, § 80 Rn. 161). In der vorliegenden Konstellation ist jedoch ein derartiges Gewicht, das beispielsweise mit einer anzunehmenden Unzuverlässigkeit der Halterin oder schon gezeigten Auffälligkeiten des Hundes begründbar wäre, nicht erkennbar. Das öffentliche Interesse am Sofortvollzug hat (zunächst) hinter den oben dargestellten vorrangigen Interessen der Antragstellerin zurückzustehen, ohne dass damit für den Fall der späteren Klageabweisung im Hinblick auf den Vollzug des Bescheids irreversible Zustände geschaffen werden.
Die Kosten beider Rechtszüge hat die unterlegene Antragsgegnerin zu tragen (§ 155 Abs. 1 VwGO).
Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 63 Abs. 2 Satz 1‚ § 47 Abs. 1‚ § 53 Abs. 2 Nr. 2 und § 52 Abs. 2 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben