Verwaltungsrecht

Entlassung eines Soldaten wegen strafrechtlich relevanten außerdienstlichen Verhaltens

Aktenzeichen  6 CS 20.1540

Datum:
12.8.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 20601
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
SG § 17 Abs. 3 S. 2, § 23 Abs. 1, § 55 Abs. 5
VwGO § 80 Abs. 5, § 146 Abs. 1, Abs. 4
StPO § 153 a
SBG § 24 Abs. 1 Nr. 6
VwVfG § 46

 

Leitsatz

Das Ergreifen einer Schreckschusspistole im Rahmen einer Auseinandersetzung mit einem anderen Verkehrsteilnehmer erfüllt die Voraussetzungen des § 55 Abs. 5 SG für eine Entlassung aus dem Soldatenverhältnis. (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

RO 1 S 20.484 2020-06-10 Bes VGREGENSBURG VG Regensburg

Tenor

I. Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 10. Juni 2020 – RO 1 S 20.484 – wird zurückgewiesen.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 7.260,39 € festgesetzt.

Gründe

Der Antragsteller wurde mit Bescheid des Bundesamts für das Personalmanagement der Bundeswehr (Bundesamt) vom 15. Juli 2019 nach § 55 Abs. 5 SG aus dem Soldatenverhältnis auf Zeit fristlos entlassen. Zur Begründung wird ausgeführt, er habe am 18. April 2019 auf der Heimfahrt von einem Lehrgang im Beisein von Kameraden in Uniform als Fahrer einen anderen Verkehrsteilnehmer genötigt und im weiteren Verlauf mit einer Schreckschusswaffe bedroht und damit seine Dienstpflichten verletzt. Dies gefährde die militärische Ordnung und das Ansehen der Bundeswehr ernstlich.
Mit Bescheid vom 21. Januar 2020 wies das Bundesamt die Beschwerde des Antragstellers zurück. Die Entlassung sei formell und materiell rechtmäßig. Eine Anhörung und Berücksichtigung der Vertrauensperson sei – wie vom Antragsteller gewünscht – nicht erfolgt. Es finde sich zwar in der Entlassungsakte die Anhörung der Vertrauensperson im einfachen Disziplinarverfahren. Diese Anhörung sei aber im Entlassungsverfahren nicht berücksichtigt worden. Der Antragsteller habe seine Dienstpflichten schuldhaft verletzt, indem er in Uniform und im Beisein zweier uniformierter Kameraden in Gegenwart eines anderen Verkehrsteilnehmers, mit dem er in Streit geraten sei, eine teilgeladene Schreckschusspistole hervorgeholt habe, die von einer echten Waffe nicht zu unterscheiden gewesen sei, und diesem die Waffe gezeigt habe. Dadurch habe er seine Pflicht zu Wohlverhalten und achtungs- und vertrauenswürdigem Verhalten schwerwiegend verletzt und die militärische Ordnung und das Ansehen der Bundeswehr ernstlich gefährdet.
Am 20. Februar 2020 erhob der Antragsteller beim Verwaltungsgericht Klage gegen den Entlassungsbescheid in der Gestalt des Beschwerdebescheids (RO 1 K 20.287).
Nachdem das Strafverfahren gegen den Antragsteller wegen Nötigung gemäß § 153a StPO eingestellt worden war, hat der Antragsteller beim Verwaltungsgericht die Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage beantragt. Diesen Antrag hat das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 10. Juni 2020 mit der Begründung abgelehnt, die Klage habe voraussichtlich keinen Erfolg. Die Entlassung sei bei summarischer Prüfung formell und materiell rechtmäßig.
Der Antragsteller hat hiergegen Beschwerde eingelegt, mit der er seinen Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz weiterverfolgt.
II.
Die Beschwerde des Antragstellers ist zulässig (§ 146 Abs. 1, 4 VwGO), aber unbegründet.
Das Verwaltungsgericht hat es zu Recht abgelehnt, die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Entlassungsverfügung in der Gestalt des Beschwerdebescheids nach § 23 Abs. 6 Satz 2 und 3 WBO in Verbindung mit § 80 Abs. 5 VwGO anzuordnen. Die Gründe, die mit der Beschwerde fristgerecht dargelegt worden sind und auf deren Prüfung das Gericht beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Satz 6 i.V.m. Satz 1 und 3 VwGO), führen zu keiner anderen Beurteilung.
1. Die Entlassung ist nicht deshalb formell rechtswidrig, weil sich bei dem die Entlassung betreffenden Verwaltungsvorgang die Niederschrift über die Anhörung der Vertrauensperson aus dem Disziplinarverfahren befindet, obwohl der Antragsteller deren Beteiligung im Entlassungsverfahren ausdrücklich abgelehnt hat.
Es ist bereits nichts für einen Verfahrensfehler ersichtlich. Insbesondere ist die Vertrauensperson nicht unter Verstoß gegen § 24 Abs. 1 Nr. 6 SBG entgegen der ausdrücklichen Ablehnung des Antragstellers zur vorzeitigen Beendigung des Dienstverhältnisses angehört worden. Die Anhörung erfolgte mit Einwilligung des Antragstellers im Disziplinarverfahren und bezieht sich dementsprechend inhaltlich auf eine Disziplinarbuße und nicht auf eine Entlassung nach § 55 Abs. 5 SG als im Ermessen des Dienstherrn stehende allgemeine Personalmaßnahme.
Ob die Aufnahme der Niederschrift über die Anhörung im Disziplinarverfahren in die Entlassungsakte einen Verfahrensfehler darstellt, kann dahinstehen. Ein solcher – unterstellter – Fehler wäre nach § 46 VwVfG unbeachtlich. Danach kann die Aufhebung eines Verwaltungsakts nicht allein deshalb beansprucht werden, weil er unter Verletzung von Vorschriften über das Verfahren zustande gekommen ist, wenn offensichtlich ist, dass die Verletzung die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst hat. Von letzterem kann angesichts der Begründung von Ausgangs- und Beschwerdebescheid ohne weiteres ausgegangen werden. Denn dort wird die Anhörung nicht verwertet. Im Gegenteil heißt es im Beschwerdebescheid ausdrücklich, dass eine Anhörung und Berücksichtigung wunschgemäß unterblieben ist.
2. Die inhaltlichen Einwände der Beschwerde gegen die Entlassungsverfügung können ebenfalls nicht überzeugen.
a) Nach § 55 Abs. 5 SG kann ein Soldat auf Zeit während der ersten vier Dienstjahre fristlos entlassen werden, wenn er seine Dienstpflichten schuldhaft verletzt hat und sein Verbleiben in seinem Dienstverhältnis die militärische Ordnung oder das Ansehen der Bundeswehr ernstlich gefährden würde. Die Vorschrift dient allein dem Schutz der Bundeswehr und soll zukünftigen Schaden für sie verhindern. Zweck der fristlosen Entlassung ist nicht eine disziplinare Sanktion, sondern die Abwendung einer drohenden ernstlichen Gefahr für die Bundeswehr. Sie soll die personelle und materielle Einsatzbereitschaft der Bundeswehr gewährleisten. Die fristlose Entlassung stellt ein Mittel dar, um eine Beeinträchtigung der uneingeschränkten Einsatzbereitschaft zu vermeiden. Bereits aus dem Wortlaut des § 55 Abs. 5 SG ergibt sich, dass diese Gefahr gerade als Auswirkung einer Dienstpflichtverletzung des Soldaten drohen muss. Dies ist von den Verwaltungsgerichten aufgrund einer nachträglichen Prognose zu beurteilen (BVerwG, B.v. 28.1.2013 – 2 B 114.11 – juris Rn. 8).
Mit dem Erfordernis, dass die Gefährdung der militärischen Ordnung ernstlich sein muss, entscheidet das Gesetz selbst die Frage der Angemessenheit der fristlosen Entlassung im Verhältnis zu dem erstrebten Zweck und konkretisiert so den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Zwar können Dienstpflichtverletzungen auch dann eine ernstliche Gefährdung der militärischen Ordnung herbeiführen, wenn es sich um ein leichteres Fehlverhalten handelt oder mildernde Umstände hinzutreten. Jedoch ist im Rahmen der Gefährdungsprüfung zu berücksichtigen, ob die Gefahr für die Einsatzbereitschaft der Bundeswehr durch eine Disziplinarmaßnahme abgewendet werden kann (BVerwG, B.v. 28.1.2013 – 2 B 114.11 – juris Rn. 9).
Auf dieser Grundlage haben sich in der Rechtsprechung Fallgruppen herausgebildet, bei denen eine ernstliche Gefährdung der militärischen Ordnung im Sinne des § 55 Abs. 5 SG regelmäßig anzunehmen ist: dies gilt vor allem für Dienstpflichtverletzungen im militärischen Kernbereich, die unmittelbar die Einsatzbereitschaft beeinträchtigen. Bei Dienstpflichtverletzungen außerhalb dieses Bereichs kann regelmäßig auf eine ernstliche Gefährdung geschlossen werden, wenn es sich entweder um Straftaten von erheblichem Gewicht handelt, wenn die begründete Befürchtung besteht, der Soldat werde weitere Dienstpflichtverletzungen begehen (Wiederholungsgefahr) oder es sich bei dem Fehlverhalten um eine Disziplinlosigkeit handelt, die in der Truppe als allgemeine Erscheinung auftritt oder um sich zu greifen droht (Nachahmungsgefahr). Jedenfalls die beiden letztgenannten Fallgruppen erfordern eine einzelfallbezogene Würdigung der konkreten Dienstpflichtverletzung, um die Auswirkungen für die Einsatzbereitschaft oder das Ansehen der Bundeswehr beurteilen zu können (BVerwG, B.v. 28.1.2013 – 2 B 114.11 – juris Rn. 10).
b) Gemessen daran dürfte das Ergreifen einer Schreckschusspistole im Rahmen einer Auseinandersetzung mit einem anderen Verkehrsteilnehmer bei der Heimfahrt von einem Lehrgang am 18. April 2019 die Voraussetzungen des § 55 Abs. 5 SG für eine Entlassung aus dem Soldatenverhältnis erfüllen.
Das Verwaltungsgericht ist mit überzeugenden Gründen zu dem Ergebnis gelangt, dass der Antragsteller durch dieses außerdienstliche Verhalten die Pflicht zu allgemeinem Wohlverhalten nach § 17 Abs. 2 Satz 3 SG schuldhaft verletzt und damit ein Dienstvergehen im Sinn des § 23 Abs. 1 SG begangen hat.
Nach § 17 Abs. 2 Satz 3 SG hat sich der Soldat außer Dienst so zu verhalten, dass er das Ansehen der Bundeswehr oder die Achtung und das Vertrauen, die seine dienstliche Stellung erfordert, nicht ernsthaft beeinträchtigt. Dabei kommt es bei einem Verstoß gegen § 17 Abs. 2 Satz 3 SG nicht darauf an, ob eine Beeinträchtigung des Ansehens der Bundeswehr oder der Achtungs- und Vertrauenswürdigkeit im konkreten Fall tatsächlich eingetreten ist. Es reicht vielmehr aus, dass das Verhalten geeignet war, eine solche Wirkung auszulösen. Die Achtungs- und Vertrauenswürdigkeit eines Soldaten können durch ein Verhalten schon dann Schaden nehmen, wenn dieses Zweifel an seiner Redlichkeit und Zuverlässigkeit weckt oder seine Eignung für die jeweilige Verwendung in Frage stellt. Dies ist bei strafrechtlich relevantem Verhalten eines Soldaten auch außerhalb des Dienstes in Betracht zu ziehen (BVerwG, U.v. 20.3.2014 – 2 WD 5.13 – juris Rn. 48 ff.).
Diese Pflicht zu allgemeinem Wohlverhalten hat der Antragsteller durch die Verwendung einer Schreckschusspistole in einer Auseinandersetzung im Straßenverkehr in nicht unerheblicher Weise verletzt, auch wenn er von dem anderen Verkehrsteilnehmer mehr oder weniger provoziert worden sein sollte. Als der andere Verkehrsteilnehmer seinen Kopf durch das geöffnete Fahrerfenster steckte, hat der Antragsteller eine in einem Fach unter dem Lenkrad befindliche, nicht als solche erkennbare Schreckschusspistole hervorgeholt und für den anderen Verkehrsteilnehmer sichtbar, wenn auch nicht auf ihn zielend, in der Hand gehalten. Das erfüllt den Tatbestand einer Nötigung nach § 240 StGB, der eine Strafandrohung von bis zu drei Jahren vorsieht. Hinzu kommt, dass der Antragsteller bei dem Vorfall seine Uniform getragen hat, was einen (sonstigen) Bezug zum Dienst herstellt, und dass zwei ebenfalls uniformierte Kameraden in seinem Auto saßen, er also vor Kameraden die Dienstpflichtverletzung begangen hat.
Dieses Verhalten gefährdet die militärische Ordnung in der Bundeswehr aus generalpräventiven Überlegungen wegen der Gefahr der Nachahmung ernstlich und kann nicht geduldet werden. Ohne die fristlose Entlassung würde ein Anlass zu ähnlichem Verhalten für andere Soldaten gegeben werden. Es beschädigt auch ernstlich das Ansehen der Bundeswehr, nämlich den guten Ruf der Streitkräfte bei Außenstehenden, vor allem in der Öffentlichkeit.
Der Beschwerde kann nicht in der Annahme gefolgt werden, das Verhalten des Antragstellers sei durch das aggressive Verhalten des anderen Verkehrsteilnehmers gerechtfertigt gewesen. Das Zücken einer Schreckschusspistole bei einer Auseinandersetzung im Straßenverkehr, zumal in Uniform und im Beisein von – ebenfalls uniformierten – Kameraden, war offenkundig überzogen.
Die Einstellung des Strafverfahrens gegen den Antragsteller gemäß § 153 a StPO ist für die Gefährdungseinschätzung nach den Maßstäben des § 55 Abs. 5 SG ohne Bedeutung. Gleiches gilt für die gegen den Antragsteller verhängte Disziplinarbuße in Höhe von 1.000,00 Euro. Zwar ist im Rahmen der Gefährdungsprüfung zu berücksichtigen, ob die Gefahr für die Einsatzbereitschaft der Bundeswehr oder für ihr Ansehen durch eine Disziplinarmaßnahme abgewendet werden kann (BVerwG, B.v. 28.1.2013 – 2 B 114.11 – juris Rn. 9). Das ist aber aus den vom Verwaltungsgericht ausgeführten Gründen nicht der Fall.
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1, Abs. 6 Satz 1 Nr. 2, Satz 2 GKG unter Berücksichtigung von Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (vgl. BayVGH, B.v. 28.5.2018 – 6 CS 18.775 – juris Rn. 17; B.v. 19.4.2018 – 6 CS 18.580 – juris Rn. 19 f.).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5, § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).


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