Verwaltungsrecht

Erfolglose Asylklage (Afghanistan, Hazara)

Aktenzeichen  W 5 K 19.30272

Datum:
14.3.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 10008
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 4
AufenthG § 60 Abs. 5, § 60 Abs. 7

 

Leitsatz

1 Eine Bestrafung oder Behandlung ist nur dann als unmenschlich oder erniedrigend anzusehen, wenn die mit ihr verbundenen Leiden oder Erniedrigungen über das in der Bestrafungsmethode enthaltene, unausweichliche Leidens- oder Erniedrigungselement hinausgehen, wie z.B. bei bestimmten Strafarten wie Prügelstrafe oder besonders harten Haftbedingungen. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
2 In Afghanistan besteht derzeit keine Gruppenverfolgung von Hazara und Schiiten. (Rn. 19 – 27) (redaktioneller Leitsatz)
3 Derzeit liegen für keine Region Afghanistans die Voraussetzungen einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG vor (Anschluss an VGH München BeckRS 2018, 4358). (Rn. 31 – 38) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Beklagte wird unter Aufhebung der Ziffern 4 bis 6 des Bescheids des Bundesamts für … vom 20. Februar 2017 dazu verpflichtet, festzustellen, dass bei dem Kläger ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG vorliegt. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Die Kosten des Verfahrens tragen der Kläger und die Beklagte je zur Hälfte. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Kostenschuldner kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Kostengläubiger vorher in gleicher Höhe Sicherheit leistet.

Gründe

Der Kläger hat unter Zugrundelegung der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 AsylG) keinen Anspruch auf Zuerkennung des subsidiären Schutzes, jedoch einen Anspruch auf Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG hinsichtlich Afghanistan. Der Bescheid des Bundesamts für Migration Flüchtlinge vom 20. Februar 2017 ist hinsichtlich Ziffer 3 rechtmäßig; hinsichtlich Ziffern 4 bis 6 ist er rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 VwGO).
1. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus gemäß § 4 Abs. 1 AsylG. Ein Ausländer ist subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht (§ 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG).
1.1. Dem Kläger droht nach Überzeugung des Gerichts nicht die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe gemäß § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AsylG. Er hat hierzu bereits keine Tatsachen vorgetragen.
1.2. Der Kläger hat auch keine stichhaltigen Gründe für die Annahme vorgebracht, dass ihm in ihrem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden durch Folter oder durch unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung im Sinne von § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG droht.
Der Begriff der unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG ist im Gesetz nicht näher definiert. Da die zuletzt genannte Vorschrift der Umsetzung der Qualifikationsrichtlinie 2011/95/EU vom 13. Dezember 2011 (ABl L 337, S. 9) – QRL – dient, ist dieser Begriff jedoch in Übereinstimmung mit dem entsprechenden Begriff in Art. 15b QRL auszulegen. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) legt Art. 15b QRL wiederum in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg zu Art. 3 EMRK aus (z.B. EuGH, U.v. 17.2.2009 – Elgafaji, C – 465/07 – juris Rn. 28; ebenso BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 15/12 – juris Rn. 22 ff. m.w.N.). Danach ist eine unmenschliche Behandlung die absichtliche, d.h. vorsätzliche Zufügung schwerer körperlicher oder seelischer Leiden (EGMR, U.v. 21.1.2011 – 30696/09 – ZAR 2011, 395, Rn. 220 m.w.N.; Jarass, Charta der Grundrechte, Art. 4 Rn. 9; Hailbronner, Ausländerrecht, § 4 AsylVfG Rn. 22 ff.), die im Hinblick auf Intensität und Dauer eine hinreichende Schwere aufweisen (EGMR, U.v. 11.7.2006 – Jalloh, 54810/00 – NJW 2006, 3117/3119 Rn. 67; Jarass a.a.O.; Hailbronner a.a.O.). Es muss zumindest eine erniedrigende Behandlung in der Form einer einen bestimmten Schweregrad erreichenden Demütigung oder Herabsetzung vorliegen. Diese ist dann gegeben, wenn bei dem Opfer Gefühle von Furcht, Todesangst und Minderwertigkeit verursacht werden, die geeignet sind, diese Person zu erniedrigen oder zu entwürdigen und möglicherweise ihren psychischen oder moralischen Widerstand zu brechen (vgl. Hailbronner, Ausländerrecht, § 4 AsylVfG Rn. 22 ff.). Eine Bestrafung oder Behandlung ist nur dann als unmenschlich oder erniedrigend anzusehen, wenn die mit ihr verbundenen Leiden oder Erniedrigungen über das in der Bestrafungsmethode enthaltene, unausweichliche Leidens- oder Erniedrigungselement hinausgehen, wie z.B. bei bestimmten Strafarten wie Prügelstrafe oder besonders harten Haftbedingungen (Hailbronner, a.a.O., Rn. 24, 25).
Aufgrund des Vortrags des Klägers in der persönlichen Anhörung durch das Bundesamt sowie in seiner informatorischen Anhörung in der mündlichen Verhandlung steht für das Gericht nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit fest, dass er im Falle seiner Rückkehr nach Afghanistan der Gefahr eines ernsthaften Schadens durch unmenschliche oder erniedrigende Behandlung ausgesetzt wäre. Das Vorbringen des Klägers ist nicht geeignet, eine in seinem Heimatland bestehende, relevante Verfolgungs- oder Bedrohungslage aufzuzeigen.
1.2.1. Es bestehen zunächst keine Anhaltspunkte dafür, dass dem Kläger im Falle der Rückkehr nach Afghanistan eine Gruppenverfolgung – bzw. im vorliegenden Kontext eine gruppenbezogene unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung – aufgrund seiner Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Hazara bzw. seiner Religionszugehörigkeit als Schiit droht.
Die Annahme einer alle Gruppenmitglieder erfassenden gruppengerichteten Verfolgung setzt nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung (vgl. etwa BVerwG, U.v. 18.7.2006 – 1 C 15/05 – juris; U.v. 21.4.2009 – 10 C 11/08 – juris) voraus, dass eine bestimmte Verfolgungsdichte vorliegt, die die Vermutung eigener Verfolgung rechtfertigt. Hierfür ist die Gefahr einer so großen Vielzahl von Eingriffshandlungen in flüchtlingsrechtlich geschützte Rechtsgüter erforderlich, dass es sich dabei nicht mehr nur um vereinzelt bleibende individuelle Übergriffe oder um eine Vielzahl einzelner Übergriffe handelt. Die Verfolgungshandlungen müssen vielmehr im Verfolgungszeitraum und Verfolgungsgebiet auf alle sich dort aufhaltenden Gruppenmitglieder zielen und sich in quantitativer und qualitativer Hinsicht so ausweiten, wiederholen und um sich greifen, dass daraus für jeden Gruppenangehörigen nicht nur die Möglichkeit, sondern ohne weiteres die aktuelle Gefahr einer Betroffenheit besteht. Zudem gilt auch für die Gruppenverfolgung, dass sie mit Rücksicht auf den allgemeinen Grundsatz der Subsidiarität des Flüchtlingsrechts den Betroffenen einen Schutzanspruch im Ausland nur vermittelt, wenn sie im Herkunftsland landesweit droht, wenn also auch keine innerstaatliche Fluchtalternative besteht, die vom Zufluchtsland aus erreichbar ist.
Dies zugrunde gelegt bestehen keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass dem Kläger im Falle der Rückkehr nach Afghanistan eine Gruppenverfolgung – bzw. im vorliegenden Kontext eine gruppenbezogene unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung – aufgrund seiner Religionszugehörigkeit als Schiit oder wegen seiner Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Hazara durch nichtstaatliche Akteure im Sinne des § 3c Nr. 3 AsylG droht. Ungeachtet der unbestritten bestehenden gesellschaftlichen Diskriminierung und Benachteiligung besteht derzeit keine Gruppenverfolgung von Schiiten und Hazara in Afghanistan, weil die genannten Benachteiligungen und vereinzelten gewaltsamen Übergriffe nicht die dafür erforderliche Verfolgungsintensität und Verfolgungsdichte im Sinne des § 3a Abs. 1 AsylG aufweisen, zumal 19% der afghanischen Bevölkerung schiitische Religionszugehörige sind und 10% ethnische Hazara (Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 31.5.2018, S. 9 ff.; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Afghanistan: Update vom 14.9.2017, S. 25 f.; UNAMA, Annual Report Afghanistan, Februar 2018, S. 41 f.; ebenso st.Rspr., z.B. BayVGH, U.v. 3.7.2012 – 13a B 11.30064 – juris Rn. 27; U.v. 21.6.2013 – 13a B 12.30170 – juris Rn. 24; B.v. 1.12.2015 – 13a ZB 15.30224 – juris; B.v. 19.12.2016 – 13a ZB 16.30581 – juris; B.v. 20.1.2017 – 13a ZB 16.30996 – juris; B.v. 14.8.2017 – 13a ZB 17.30807 – juris; VGH Baden-Württemberg, U.v. 17.1.2018 – A 11 S 241/17 – juris: keine Gruppenverfolgung von Hazara).
Auch unter Berücksichtigung und Würdigung der aktuellen Auskunftslage ergibt sich keine abweichende rechtliche Bewertung.
Nach dem Bericht des Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan vom 31. Mai 2018 hat sich die Lage für die während der Taliban-Herrschaft besonders verfolgten Hazara grundsätzlich verbessert. Dies gilt auch für die Zugehörigkeit zur Religionsgruppe der Schiiten, da Schiiten zwar nicht in allen Landesteilen gleichermaßen zahlenmäßig vertreten sind, aber doch neben den Sunniten mit etwa 19% die zahlenmäßig nächst große Religionsgruppe bilden und ein entsprechendes Gegengewicht bilden, so dass nicht von einer landesweiten Gruppenverfolgung ausgegangen werden kann. Auseinandersetzungen zwischen Sunniten und Schiiten seien in Afghanistan selten. Sowohl im Rat der Religionsbelehrten (Ulema) als auch im Hohen Friedensrat seien auch Schiiten vertreten; beide Gremien betonten, dass die Glaubensausrichtung keinen Einfluss auf ihre Zusammenarbeit habe. Auf schiitische religiöse Einrichtungen seien seit Anfang 2016 mehrere Anschläge verübt worden, zu welchen sich mehrheitlich der IS bekannt habe. Hazara und Schiiten seien zunehmend Opfer von Anschlägen des IS geworden. Am 9. März 2018 sei ein Selbstmordanschlag auf eine schiitische Moschee in Kabul verübt worden, bei der neun Menschen ums Leben gekommen seien. Am 25. März 2018 sei es zu einem Angriff auf eine schiitische Moschee in Herat gekommen, bei dem ein Mensch getötet und 14 verletzt worden seien. Bei einem weiteren Anschlag am 22. April 2018 seien bei einem weiteren Anschlag in einem schiitisch geprägten Stadtteil mindestens 60 Menschen zu Tode gekommen und 129 verletzt worden. Aus Angst vor derartigen Übergriffen sei eine verstärkte Ausgrenzung von Schiiten im gesellschaftlichen Bereich beobachtet worden (vgl. zum Ganzen: Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 31.5.2018, S. 9 ff., 20).
UNAMA berichtet für das Jahr 2017 über acht religiös motivierte Angriffe gegen schiitische Moscheen und Gläubige mit insgesamt 418 zivilen Opfern (161 Tote und 257 Verletzte), hiervon sechs Angriffe durch den IS, zwei durch die Taliban. Der IS übernahm darüber hinaus die Verantwortung für zwei weitere Anschläge gegen schiitische Moslems abseits von religiösen Einrichtungen mit insgesamt 133 zivilen Opfern (46 Tote und 87 Verletzte) (vgl. UNAMA, Annual Report Afghanistan, Februar 2018, S. 41 f.). Unter Berücksichtigung dieser Erkenntnismittel verfügen die Verfolgungshandlungen, denen Schiiten in Afghanistan ausgesetzt sind, nach Auffassung des Gerichts nicht über die dargestellte für die Annahme einer Gruppenverfolgung erforderliche kritische Verfolgungsdichte, auch unter Berücksichtigung des Anteils von Schiiten an der Gesamtbevölkerung Afghanistans (ca. 19% Schiiten und ca. 10% Hazara von 34,6 Mio. Millionen Einwohnern (https:// www.auswaertigesamt.de/de/aussenpolitik/laender/afghanistan-node/afghanistan/204676) und dass überdies nicht ersichtlich ist, dass insbesondere der IS für seine Attentate auf eine breite Unterstützung in der Bevölkerung zählen kann (so im Ergebnis auch VGH Baden-Württemberg, U.v. 17.1.2018 – A 11 S 241/17 – juris).
Auch der UNHCR geht in seinen Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 19. April 2016 (S. 87, 59) davon aus, dass die Hazara seit dem Ende des Taliban-Regimes im Jahr 2001 erhebliche politische und wirtschaftliche Fortschritte gemacht hätten, zumal die Anzahl der schiitischen Parlamentsmitglieder in etwa dem Anteil der Schiiten in der Bevölkerung entspreche. Im Oktober 2015 berichtete das US-Außenministerium, dass die Diskriminierung von Schiiten durch Sunniten deutlich abgenommen habe und aus Kabul sowie aus größeren Randgebieten keine Vorfälle mehr gemeldet worden seien, wenn es auch zu nicht offizieller Diskriminierung und schlechterer Behandlung gekommen sei (UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender v. 19.4.2016, S. 59 Fn. 326). In Herat seien große Teile der Bevölkerung Schiiten und sowohl schiitische als auch sunnitische Führer würden von einem weitgehend harmonischen Zusammenleben berichten (UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender v. 19.4.2016, S. 59 Fn. 326). Eine wesentlich andere Einschätzung ergibt sich auch nicht aus den UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 30. August 2018, wonach gewalttätige Überfälle durch regierungsfeindliche Kräfte auf die schiitische Bevölkerung seit 2016 beträchtlich zugenommen hätten und unter anderem Entführungen und gezielte Tötungen, umfassten (S. 61 f.). Im August 2017 berichtete das US-Außenministerium insoweit, dass die Diskriminierung von Schiiten durch Sunniten weiter abgenommen habe, obgleich es auch weiterhin Berichte über Diskriminierungen in manchen Gebieten gebe (UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 30.8.2018, S. 61 Rn. 389). Nach dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Afghanistan vom 21. Januar 2016 mit Stand 5. Oktober 2016 (S. 163) haben sich die Hazara ökonomisch und politisch durch Bildung verbessert und würden den Weg in unterschiedliche Sektoren der afghanischen Wirtschaft einschlagen, die besonders gut bezahlt würden, auch Frauen. Nach den Angaben einer anonymen Quelle seien sie entgegen ihrer eigenen Wahrnehmung keiner gezielten Diskriminierung ausgesetzt (Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Afghanistan, v. 21.1.2016, Stand: 5.10.2016, S. 164).
Des Weiteren hat der Kläger auch zu keinem Zeitpunkt konkrete Gesichtspunkte vorgetragen, die darauf schließen lassen, dass er in Afghanistan wegen seiner Religions- oder Volkszugehörigkeit individuell bedroht worden ist.
Insgesamt hat sich die Gefahr für den Kläger nach Überzeugung des Gerichts mit Blick auf die vorliegenden Erkenntnismittel noch nicht in einer Weise verdichtet, dass er – auch unter Berücksichtigung seiner Volks- oder Religionszugehörigkeit – eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit seiner Person im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG befürchten müsste.
1.2.2. Eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG resultiert auch nicht aus den individuellen Fluchtgründen des Klägers, namentlich seiner Darstellung, dass er von den Personen, die bereits seinen Vater getötet hätten, in relevanter Weise verfolgt werde.
Die diesbezüglichen Schilderungen des Klägers sind ausgesprochen vage und oberflächlich geblieben und vermochten in wesentlichen Teilen auch nicht den Eindruck eines realen Geschehensablaufs zu vermitteln. Als fluchtauslösende Ereignisse hat der Kläger angegeben, es hätten vier bis fünf Personen nach ihm gesucht. Diese hätten einen Mann namens B* …, bei dem der Kläger nach dem Tod seines Vaters und dem Verschwinden seiner Mutter Zuflucht genommen habe, gefragt, ob der Kläger dort wohne. Damit ist jedoch schon gar keine relevante Bedrohungslage aufgezeigt worden. Eine konkrete Drohung wurde von den Leuten nicht ausgesprochen. Es ist vollkommen unklar, weshalb die Leute den Kläger aufgesucht haben und was sie von ihm wollten. Die Vermutung des Klägers, die Leute hätten ihn vor dem Hintergrund einer Landstreitigkeit zwischen seinem Vater und dessen Pächter aufgesucht, konnte von ihm in keiner Weise näher unterlegt werden. Auch die Grundannahme, wonach sein Vater vom Pächter mit einem Auto absichtlich überfahren worden sei, beruht allein auf einer vom Kläger wiedergegebenen Äußerung seiner Mutter, ist jedoch ebenfalls nicht näher substantiiert worden. So konnte der Kläger weder nähere Angaben zum Konflikt zwischen seinem Vater und dem vorgeblichen Täter oder dem Tötungsgeschehen selbst machen noch konnte er etwas zu polizeilichen Nachforschungen berichten bzw. diesbezügliche Unterlagen vorlegen. Es ist seitens des Klägers auch nicht plausibel dargelegt worden, weshalb er selbst in diesen Konflikt einbezogen und ebenfalls bedroht worden sein sollte. Im Übrigen dürfte der Besuch der vier bis fünf Personen nicht fluchtauslösend gewesen sein, da bis zur Ausreise noch ca. fünf Monate vergingen (vgl. Seite 4 der Niederschrift über die Anhörung vor dem Bundesamt). Soweit der Kläger in der mündlichen Verhandlung weiterhin ausführte, die Leute hätten ca. ein bis zwei Tage vor seiner Ausreise nochmals versucht, ihn aufzusuchen, als er gerade beim Autowaschen gewesen sei, hält das Gericht diese Angabe für aus asyltaktischen Gründen nachgeschoben. Es hätte – wenn dies tatsächlich die unmittelbar fluchtauslösende Ursache gewesen wäre – nahegelegen, dass der Kläger hierüber im Rahmen seiner Anhörung vor dem Bundesamt berichtet hätte; dies war jedoch nicht der Fall. Insgesamt reichen die Einlassungen des Klägers nicht aus, um eine auf seine Person bezogene Verfolgungshandlung von hinreichender Ernsthaftigkeit und Intensität aufzuzeigen. Vor dem Hintergrund all dessen ist das Gericht davon überzeugt, dass der Kläger in seinem Heimatland keiner relevanten Verfolgungs- oder Bedrohungslage unterlegen war.
1.2.3. Aus diesem Grund kann auch das Vorliegen einer inländischen Fluchtalternative offenbleiben.
1.3. Dem Kläger droht auch keine individuelle und konkrete Gefahr eines ernsthaften Schadens im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG aufgrund der Sicherheitslage in seiner Herkunftsregion, der Provinz Kabul.
Nach dieser Vorschrift ist subsidiärer Schutz zuzuerkennen, wenn der Ausländer stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden in Gestalt einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts droht. Dabei kann offenbleiben, ob in Afghanistan ein bewaffneter Konflikt i.S.d. § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG vorliegt, weil jedenfalls die Voraussetzungen einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt i.S.d. vg. Vorschrift nicht gegeben sind.
Die tatsächliche Gefahr eines ernsthaften Schadens für jedermann aufgrund eines solchen Konflikts ist erst dann gegeben, wenn der bewaffnete Konflikt eine solche Gefahrendichte für Zivilpersonen mit sich bringt, dass alle Bewohner des maßgeblichen, betroffenen Gebiets ernsthaft individuell bedroht sind. Das Vorherrschen eines so hohen Niveaus willkürlicher Gewalt, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass eine Zivilperson bei einer Rückkehr in das betreffende Land bzw. in die betreffende Region allein durch ihre Anwesenheit tatsächlich Gefahr liefe, einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit ausgesetzt zu sein, bleibt aber außergewöhnlichen Situationen vorbehalten, die durch einen sehr hohen Gefahrengrad gekennzeichnet sind. Eine Individualisierung kann sich insbesondere aus gefahrerhöhenden persönlichen Umständen in der Person des Schutzsuchenden ergeben, die ihn von der allgemeinen, ungezielten Gewalt stärker betroffen erscheinen lassen (EuGH, U.v. 17.2.2009 – C-465/07 – Elgafaji -, NVwZ 2009, 705 Rn. 43 und v. 30.1.2014 – C-285/12 – Diakité -, NVwZ 2014, 573 Rn. 30). Liegen keine gefahrerhöhenden persönlichen Umstände vor, ist ein besonders hohes Niveau willkürlicher Gewalt erforderlich, welches mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit („real risk“) gegeben sein muss. Das Bundesverwaltungsgericht hatte in den Urteilen vom 17. November 2011 (10 C 13.10, Rn. 22 und 10 C 11.10, Rn. 20; beide juris), bezogen auf die Zahl der Opfer von willkürlicher Gewalt eines Jahres, ein Risiko von 1:800 (0,125%) bzw. 1:1.000 (0,1%) verletzt oder getötet zu werden, als weit von der Schwelle der beachtlichen Wahrscheinlichkeit entfernt angesehen. Maßgeblicher Bezugspunkt für die Beurteilung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 3 AsylG ist die Herkunftsregion des Betroffenen, in die er typischerweise zurückkehren wird.
Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof (U.v. 8.11.2018 – 13a B 17.31960; B.v. 20.2.2018 – 13a ZB 17.31970 – juris) geht weiterhin davon aus, dass für keine Region Afghanistans die Voraussetzungen einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG vorliegen.
Das Gericht schließt sich dieser Einschätzung an. Auch wenn man bei Berücksichtigung aktueller Erkenntnismittel (insbesondere Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 31.5.2018; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Afghanistan: Die aktuelle Sicherheitslage – Update, 12.9.2018; UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 30.8.2018; EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan: Security Information, Update von Mai 2018; ECOI, Allgemeine Sicherheitslage in Afghanistan und Chronologie für Kabul vom 23.5.2018) zugrunde legt, dass die Sicherheitslage in Gesamtafghanistan und auch in der Provinz Kabul weiterhin angespannt bleibt und sich seit Abzug der internationalen Truppen 2014/2015 grundsätzlich auch verschlechtert hat und die Aufständischen größere Bewegungsfreiheit haben, kann nicht davon ausgegangen werden, dass der diesen Konflikt kennzeichnete Grad willkürlicher Gewalt ein so hohes Niveau erreicht hat, dass praktisch jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit in diesen Regionen einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt ist.
In Kabul (geschätzte Einwohnerzahl: 3,8 bis 7 Mio.) wurden im Jahre 2018 1.866 Zivilpersonen getötet oder verletzt (vgl. UNAMA, Annual Report 2018 Afghanistan, Februar 2019, S. 68). Die Anschlagswahrscheinlichkeit lag im Jahr 2018 bei deutlich unter 1:800 und damit nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts weit von der Schwelle der beachtlichen Wahrscheinlichkeit, in dem betreffenden Gebiet verletzt oder getötet zu werden, entfernt (vgl. BVerwG, U.v. 17.11.2011 – 10 C 13/13 – juris).
Eine andere Einschätzung ergibt sich auch nicht aus der Abhandlung von Frau … Stahlmann (Zur aktuellen Bedrohungslage der afghanischen Zivilbevölkerung im innerstaatlichen Konflikt, in: ZAR 5-6/2017, S. 189 ff.). Soweit diese darauf hinweist, dass in den UNAMA-Berichten eine Untererfassung der zivilen Opfer zu besorgen sei, so ist darauf hinzuweisen, dass anderes geeignetes Zahlenmaterial nicht zur Verfügung steht und zum anderen auf die von Frau Stahlmann alternativ genannte Zahl der kriegsbedingt Binnenvertriebenen angesichts der klaren Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (a.a.O.) nicht abgestellt werden kann. Insoweit weist Frau Stahlmann eingangs ihrer Abhandlung auch selbst darauf hin, dass ihre Diskussion nicht den Anspruch habe, die Kriterien einer juristischen Prüfung zu erfüllen (vgl. Fußnote 1). Aber selbst unter Einrechnung eines gewissen „Sicherheitszuschlages“ wird die kritische Gefahrendichte noch nicht erreicht.
Individuelle gefahrerhöhende Umstände in der Person des Klägers sind nicht erkennbar. Die Gefahr für den Kläger hat sich nach Überzeugung des Gerichts vielmehr mit Blick auf die vorliegenden Erkenntnismittel und die Zahl der gezielten Anschläge noch nicht in einer Weise verdichtet, dass er – auch unter Berücksichtigung seiner Volks- oder Religionszugehörigkeit – eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit seiner Person i.S.d. § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG befürchten müsste.
2. Der Kläger hat jedoch einen Anspruch auf die hilfsweise begehrte Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG.
Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK setzt voraus, dass der Betroffene im Falle einer Rückkehr einer besonderen Ausnahmesituation ausgesetzt wird. Dies ist bei dem Kläger gegenwärtig der Fall, wenn er nach Afghanistan zurückkehren müsste.
Gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Nach Art. 3 EMRK darf niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe unterworfen werden. Dies ist insbesondere auch dann der Fall, wenn es dem Betroffenen nicht (mehr) gelingen würde, seine elementaren Bedürfnisse, wie Nahrung, Hygiene und Unterkunft, zu befriedigen (vgl. BayVGH, U.v. 21.11.2014 – 13a B 14.30285 – Asylmagazin 2015, 197) und die aus zu erwartenden schwierigen Lebensbedingungen resultierenden Gefährdungen im Einzelfall eine solche Intensität aufweisen, dass auch ohne konkret drohende Maßnahmen von einer unmenschlichen Behandlung auszugehen ist.
Hier liegen diese besonders strengen Voraussetzungen vor. Der Kläger würde im Fall seiner Abschiebung nach Afghanistan einer besonderen Ausnahmesituation ausgesetzt sein, die mit hoher Wahrscheinlichkeit dazu führen würde, dass seine elementarsten Bedürfnisse im Sinne eines absoluten Existenzminimums nicht gesichert wären.
Das Gericht geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass ein alleinstehender Mann seinen Lebensunterhalt in Kabul sicherstellen kann (vgl. BayVGH, B.v. 13.12.2016 – 13a ZB 16.30116 – Rn. 4, 6; BayVGH, B.v. 3.7.2017 – 13a ZB 17.30531 – Rn. 4), wenn er volljährig, arbeitsfähig und mit den Lebensverhältnissen in Afghanistan vertraut ist, wobei maßgeblich nicht einmal ein Vertrautsein erforderlich ist, sondern es für einen Rückkehrer genügt, wenn er den größten Teil seines Lebens in einer islamisch geprägten Umgebung verbracht hat und eine der beiden Landessprachen spricht (BayVGH, B.v. 13.12.2016 – 13a ZB 16.30116 – Rn. 4). Daran fehlt es beim Kläger insoweit, als er zwar in Deutschland unter den für ihn deutlich günstigeren Umständen ausbildungsfähig, jedoch derzeit jedenfalls aufgrund seines Gesundheitszustands in Afghanistan deutlich gemindert belastbar ist, so dass er voraussichtlich außer Stande wäre, ohne Hilfe Dritter – auf tragfähige familiäre Verbindungen kann der Kläger nach den Erkenntnissen in der mündlichen Verhandlung nicht zurückgreifen – sich dort zurechtzufinden und seine elementarsten Bedürfnisse im Sinne eines absoluten Existenzminimums noch zu sichern. Der Kläger ist jedenfalls derzeit aufgrund seiner individuellen Disposition besonders schutzbedürftig:
Der Kläger ist – wie sich insbesondere den Stellungnahmen der Main-Klinik vom 3. Dezember 2015, der Missio-Klinik vom 28. Februar 2016, vom 17. März 2016, vom 5. und vom 27. Juli 2016, vom 12. August 2016 und vom 4. März 2019 sowie der Gemeinschaftspraxis Dr. …Dr. …Dr. … vom 16. Februar 2017 entnehmen lässt – seit längerem insbesondere an einer chronischen Darmentzündung (colitis ulcerosa) erkrankt, aufgrund derer er in den letzten Jahren wiederholt klinisch untersucht und behandelt werden musste. Nach insoweit glaubhafter Einlassung des Klägers in der mündlichen Verhandlung treten aufgrund der Erkrankung ungeachtet der gegenwärtig eingenommenen Dauermedikamente (Salofalk und Omeprazon) ca. alle zwei bis drei Monate starke Schmerzen auf, aufgrund derer er nicht arbeiten kann und sich in ärztliche Behandlung begeben sowie weitere Medikamente – zuletzt Prednisolon 35 mg – einnehmen muss. An den klinischen und fachärztlichen Einschätzungen bestehen, nachdem ihnen insbesondere ein längerer Behandlungszeitraum sowie eine ausführliche Anamnese, Befundung und Therapiebeschreibung zugrunde liegen, keine Zweifel. Aufgrund des konkreten Krankheitsbildes und des Umstands, dass die zur Vermeidung einer Verschlechterung des Gesundheitszustands erforderliche Dauermedikation in Afghanistan für den Kläger nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit gewährleistet sein dürfte, ist davon auszugehen, dass der Kläger im Falle seiner Rückkehr nach Afghanistan auf erhebliche Schwierigkeiten stoßen würde, im Alltagsleben zurecht zu kommen, die andere afghanische Staatsangehörige ohne eine entsprechende Beeinträchtigungen nicht in diesem Maße betreffen. Im Rahmen der Einzelfallbetrachtung fällt neben dem Krankheitsbild des Klägers zusätzlich in erheblicher Weise ins Gewicht, dass dieser – nach sechsjährigem Schulbesuch – keinen Beruf erlernt hat und in Afghanistan auch nicht auf eine tragfähige verwandtschaftliche Unterstützung zurückgreifen kann. Auf das Gericht hat er in der mündlichen Verhandlung einen noch sehr jugendlichen und unselbständigen Eindruck gemacht. Nach dem Eindruck des Gerichts handelt es sich bei dem Kläger nicht um eine hinreichend stabilisierte Persönlichkeit, die allein auf sich gestellt die auf sie bei einer Rückkehr nach Afghanistan zukommenden vielfältigen Schwierigkeiten bewältigen könnte. Insbesondere dürfte dem Kläger das Auffinden einer Wohnung oder die Aufnahme einer auskömmlichen Tagelöhnertätigkeit, etwa in der Stadt Kabul, unter Berücksichtigung des vorherrschenden Konkurrenzdrucks kaum möglich sein. Der Kläger entspricht gerade nicht dem Regelfall des jungen, alleinstehenden und erwerbsfähigen afghanischen Staatsangehörigen, dem eine Rückkehr in sein Heimatland zugemutet werden kann. Vielmehr ist angesichts der bestehenden Gesundheitsprobleme sowie der noch nicht ausgereiften Persönlichkeit zu erwarten, dass es dem Kläger an der nötigen Initiative, Umsicht und Durchsetzungskraft fehlen wird, um sich auf dem äußerst schwierigen Arbeits- und Wohnungsmarkt zu behaupten. Somit ist gegenwärtig zu befürchten, dass dem Kläger bei einer Rückführung mit hoher Wahrscheinlichkeit eine existenzielle Lebensgefahr droht.
Auch unter Berücksichtigung der aktuellen Erkenntnismittel ist davon auszugehen, dass der Kläger in Afghanistan in Anbetracht der humanitären Rahmenbedingungen einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt wäre.
Dem aktuellen Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 31. Mai 2018 ist zu entnehmen, dass Afghanistan weiterhin eines der ärmsten Länder der Welt sei (Human Development Index 2016: Platz 169 von 188 Staaten). Ein selbsttragendes Wirtschaftswachstum sei kurzfristig nicht in Sicht (2017: 2,6%). Nach Angaben der Weltbank sei die Arbeitslosenquote zwischen 2008 und 2014 von 25% auf 39% gestiegen. Die Grundversorgung sei für große Teile der afghanischen Bevölkerung – insbesondere Rückkehrer – weiterhin eine tägliche Herausforderung. Laut UNOCHA benötigen 9,3 Mio. Menschen – ein Drittel der afghanischen Bevölkerung – humanitäre Hilfe (z.B. Unterkunft, Nahrung, sauberes Trinkwasser und medizinische Versorgung). Die hohe Arbeitslosigkeit werde verstärkt durch vielfältige Naturkatastrophen, für 2018 sei eine Dürre vorausgesagt worden. Die aus Konflikten und chronischer Unterentwicklung resultierenden Folgeerscheinungen im Süden und Osten hätten dazu geführt, dass dort ca. eine Million oder fast ein Drittel aller Kinder als akut unterernährt gelten würden. Jedoch habe die afghanische Regierung 2017 mit der Umsetzung eines Aktionsplans für Flüchtlinge und Binnenflüchtlinge begonnen. Seit 2002 seien laut UNHCR 5,8 Mio. afghanische Flüchtlinge in ihr Heimatland zurückgekehrt, Afghanistan erlebe die größte Rückkehrbewegung der Welt. Das Fehlen lokaler Netzwerke könne Rückkehrern die Reintegration stark erschweren, da von diesen etwa der Zugang zum Arbeitsmarkt maßgeblich abhänge (siehe zum Ganzen: Auswärtiges Amt, Lagebericht Afghanistan v. 31.5.2018, S. 25/28).
Laut einem Bericht des Europäischen Unterstützungsbüros für Asylfragen (EASO) vom 1. Juni 2018 stünden in den Großstädten Kabul, Herat und Mazar-e-Sharif Unterkünfte und Nahrung grundsätzlich zur Verfügung, sofern der Lebensunterhalt gewährleistet sei. Zugang zu angemessener Unterkunft sei jedoch eine Herausforderung. Die Mehrheit der städtischen Unterkünfte seien als Slums einzustufen. Flüchtlinge lebten in der Regel in Flüchtlingssiedlungen. Die Städte böten jedoch auch die Option billigen Wohnens in sog. „Teehäusern“. Zugang zu Trinkwasser sei in den Städten oft eine Herausforderung, insbesondere in den Slums und Flüchtlingssiedlungen in Kabul; in Mazar-e-Sharif und Herat hätten hingegen die meisten Menschen besseren Zugang zu Wasserquellen sowie sanitären Anlagen. In Kabul, Herat und Mazar-e-Sharif seien auch Einrichtungen zur Gesundheitsversorgung vorhanden; diese seien aufgrund des Anstiegs der Zahl der Flüchtlinge und Rückkehrer jedoch überlastet. Das Fehlen finanzieller Mittel sei eine große Hürde beim Zugang zur Gesundheitsversorgung. Aufgrund der Wirtschafts- und Sicherheitslage bestehe eine hohe Arbeitslosenquote, insbesondere bei städtischen Jugendlichen. Zusätzliche Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt sei das Ergebnis der steigenden Zahl von Flüchtlingen. Städtische Armut sei weit verbreitet und steige an. In diesem Umfeld hänge die Fähigkeit zur Gewährleistung des Lebensunterhalts überwiegend vom Zugang zu Unterstützungsnetzwerken – etwa Verwandten, Freunden oder Kollegen – oder zu finanziellen Mitteln ab (siehe zum Ganzen: EASO, Country Guidance: Afghanistan, 1.6.2018, S. 104 f.).
Ausweislich des Länderinformationsblatts Afghanistan des österreichischen Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 29. Juni 2018 seien von den 2,1 Mio. Personen, die in informellen Siedlungen lebten, 44% Rückkehrer. Die Zustände in diesen Siedlungen seien unterdurchschnittlich und besonders wegen der Gesundheits- und Sicherheitsverhältnisse besorgniserregend. 81% der Menschen in informellen Siedlungen seien Ernährungsunsicherheit ausgesetzt, 26% hätten keinen Zugang zu adäquatem Trinkwasser und 24% lebten in überfüllten Haushalten. Rückkehrer erhielten Unterstützung von der afghanischen Regierung, den Ländern, aus denen sie zurückkehrten, und internationalen Organisationen (z.B. IOM, UNHCR) sowie lokalen Nichtregierungsorganisationen (z.B. IPSO und AMASO), die die Reintegration in Afghanistan finanziell, durch Bereitstellung von Unterkunft, Nahrungsmitteln oder sonstigen Sachleistungen sowie durch Beratung unterstützten. Gleichwohl sei die Möglichkeit der Rückkehr zur Familie oder einer sonstigen Gemeinschaft mangels konkreter staatlicher Unterbringungen für Rückkehrer der zentrale Faktor. Für jene, die diese Möglichkeit nicht haben sollten, stellten die afghanische Regierung und IOM eine temporäre Unterkunft zur Verfügung (zwei Wochen). Ein fehlendes familiäres Netzwerk stelle eine Herausforderung für die Reintegration von Migranten in Afghanistan dar; Unterstützungsnetzwerke könnten sich auch aus der Zugehörigkeit zu einer Ethnie oder Religion sowie aus „professionellen“ (Kollegen, Kommilitonen etc.) oder politischen Verbindungen ergeben (siehe zum Ganzen: BFA, Länderinformationsblatt Afghanistan v. 29.6.2018, S. 314-316, 327-331).
Nach den aktualisierten UNHCR-Richtlinien vom 30. August 2018 seien die humanitären Indikatoren in Afghanistan auf einem kritisch niedrigen Niveau. Ende 2017 sei bezüglich 3,3 Mio. Afghanen ein akuter Bedarf an humanitärer Hilfe festgestellt worden; nunmehr kämen weitere 8,7 Mio. Afghanen hinzu, die langfristiger humanitärer Hilfe bedürften. Über 1,6 Mio. Kinder litten Berichten zufolge an akuter Mangelernährung, wobei die Kindersterblichkeitsrate mit 70 auf 1.000 Geburten zu den höchsten in der Welt zähle. Ferner habe sich der Anteil der Bevölkerung, die laut Berichten unterhalb der Armutsgrenze lebe, auf 55% (2016/17) erhöht, von zuvor 33,7% (2007/08) bzw. 38,3% (2011/12). 1,9 Mio. Afghanen seien von ernsthafter Nahrungsmittelunsicherheit betroffen. Geschätzte 45% der Bevölkerung hätten keinen Zugang zu Trinkwasser, 4,5 Mio. Menschen hätten keinen Zugang zu medizinischer Grundversorgung. In den nördlichen und westlichen Teilen Afghanistans herrsche die seit Jahrzehnten schlimmste Dürre, weshalb die Landwirtschaft als Folge des kumulativen Effekts jahrelanger geringer Niederschlagsmengen zusammenbreche. 54% der Binnenvertriebenen (Internally Displaced Persons – IDPs) hielten sich in den Provinzhauptstädten Afghanistans auf, was den Druck auf die ohnehin überlasteten Dienstleistungen und Infrastruktur weiter erhöhe und die Konkurrenz um Ressourcen zwischen der Aufnahmegemeinschaft und den Neuankömmlingen verstärke; die bereits an ihre Grenze gelangten Aufnahmekapazitäten der Provinz- und Distriktszentren seien extrem belastet. Dies gelte gerade in der durch Rückkehrer und Flüchtlinge rapide wachsenden Hauptstadt Kabul (Anfang 2016: geschätzt 3 Mio. Einwohner). Flüchtlinge seien zu negativen Bewältigungsstrategien gezwungen wie etwa Kinderarbeit, früher Verheiratung sowie weniger und schlechtere Nahrung. Laut einer Erhebung aus 2016/17 lebten 72,4% der städtischen Bevölkerung Afghanistans in Slums, informellen Siedlungen oder unzulänglichen Wohnverhältnissen. Im Januar 2017 sei berichtet worden, dass 55% der Haushalte in den informellen Siedlungen Kabuls mit ungesicherter Nahrungsmittelversorgung konfrontiert gewesen seien (siehe zum Ganzen: UNHCR, Richtlinien zur Feststellung des Internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender v. 30.8.2018, S. 36 f., 125 f.).
Auch laut einem Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe (SFH) vom 12. September 2018 böten die informellen Siedlungen in den afghanischen Städten meist einen schlechten oder keinen Zugang zu Basisdienstleistungen und Infrastruktur (Elektrizität, sauberes Wasser, Nahrungsmittel, sanitäre Einrichtungen, Bildungs- und Gesundheitseinrichtungen). Die Unterkünfte seien meist behelfsmäßig gebaut und könnten nur bedingt vor Kälte, Hitze und Feuchtigkeit schützen. Die Lebensbedingungen von Rückkehrern lägen unter den normalen Standards. Laut einer Studie seien 87% der IDPs und 84% der Rückkehrer von Lebensmittelknappheit betroffen. Ob es Rückkehrer schafften, sich in Afghanistan wieder zu integrieren, hänge nicht zuletzt vom Vorhandensein von Unterstützungsnetzwerken ab. In Kabul (geschätzte Einwohnerzahl: 3,8 – 7 Mio.) habe der schnelle Bevölkerungsanstieg rasch zu einer Überforderung der vorhandenen Infrastruktur sowie der Kapazitäten für Grunddienstleistungen geführt. Die humanitäre Lage spitze sich insbesondere in großen Städten zu, weil sich dort IDPs und Rückkehrer konzentrierten, die eine Existenzgrundlage und Zugang zu bereits stark überlasteten Grunddienstleistungen suchten. Laut Amnesty International sei die Aufnahmekapazität – insbesondere in den größeren Städten – aufgrund der schlechten wirtschaftlichen Lage, der sehr bescheidenen Möglichkeiten, eine Existenzsicherung sowie angemessene Unterkunft zu finden, sowie des mangelnden Zugangs zu überstrapazierten Grunddienstleistungen „äußerst eingeschränkt“ (siehe zum Ganzen: SFH, Afghanistan: Gefährdungsprofile – Update, 12.9.2018, S. 20 – 22).
Unter diesen Voraussetzungen wäre der Kläger in seiner spezifischen Situation in Afghanistan gegenwärtig nicht befähigt, den für sich notwendigen Unterhalt zu erwirtschaften. Ein anderes rechtliches Ergebnis können auch nicht eventuelle Hilfen für den Kläger aus den Rückkehrprogrammen REAG/GARP bzw. ERIN begründen. In Anbetracht der Schwierigkeiten, die der Kläger haben dürfte, überhaupt eine adäquate Unterbringung in Kabul zu finden bzw. auf dem hart umkämpften afghanischen Arbeitsmarkt Fuß zu fassen, erscheinen diese Rückkehrbeihilfen, auf die überdies kein Rechtsanspruch besteht (Bundesamt, Auskunft gegenüber VG Augsburg vom 12. August 2016; vgl. VG Augsburg, B.v. 30.11.2017 – Au 5 K 17.32431 – juris) nicht als ausreichend, um dauerhaft ein Überleben des Klägers in Afghanistan ohne hinreichenden familiären Rückhalt und Unterstützung zu gewährleisten.
Aufgrund der vorstehenden Ausführungen erweist sich die Prüfung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG als entbehrlich. Das national begründete Abschiebungsverbot stellt einen einheitlichen und nicht weiter teilbaren Verfahrensgegenstand dar (BVerwG, U.v. 8.9.2011 – 10 C 14.10 – BVerwGE 140, 319, Rn. 16 f.).
3. Die unter Ziffer 5 des Bescheids vom 20. Februar 2017 ausgesprochene Abschiebungsandrohung war ebenso wie die unter Ziffer 6 vorgenommene Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots aufzuheben, weil diese Maßgaben aufgrund des bestehenden Abschiebungsverbots rechtswidrig sind und den Kläger in seinen Rechten verletzen.
4. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Das Verfahren ist gemäß § 83b AsylG gerichtskostenfrei.


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