Verwaltungsrecht

Erfolglose Asylklage eines türkischen Staatsangehörigen kurdischer Volkszugehörigkeit

Aktenzeichen  Au 4 K 19.31816

Datum:
9.11.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 40210
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 3 Abs. 1, Abs. 4, § 3a Abs. 2, § 3e, § 4
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7
EMRK Art. 3, Art. 9

 

Leitsatz

1. Es gibt keine belastbaren Erkenntnisse darüber, dass die Heranziehung zum Wehrdienst in der Türkei an persönlichen oder gruppenbezogenen Merkmalen orientiert ist; die Heranziehung zum Wehrdienst bzw. die Bestrafung wegen dessen Verweigerung stellen keine politische Verfolgung dar. (Rn. 32) (redaktioneller Leitsatz)
2. Hinsichtlich potentieller Anwerbeversuche der PKK besteht in der Westtürkei eine innerstaatliche Fluchtalternative. (Rn. 39) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kosten des Verfahrens hat der Kläger zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Die Klage ist zulässig, aber unbegründet. Der Bescheid ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Der Kläger hat zum maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 AsylG) keinen Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, die Gewährung subsidiären Schutzes oder auf Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 AufenthG. Auch die Abschiebungsandrohung sowie die Anordnung und die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots sind nicht zu beanstanden.
Zur Überzeugung des Gerichts ist das Vorbringen des Klägers vor dem Bundesamt sowie die allgemeine, insbesondere die politische, wirtschaftliche und humanitäre Lage in der Türkei und auch die Situation des Klägers bei einer Rückkehr in dem streitgegenständlichen Bescheid zutreffend dargestellt und gewürdigt worden. Das Gericht folgt daher, auch unter Berücksichtigung des Klägervorbringens im gerichtlichen Verfahren, in vollem Umfang der Begründung des streitgegenständlichen Bescheids und nimmt hierauf Bezug (§ 77 Abs. 2 AsylG). Ergänzend wird ausgeführt:
1. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylG.
Nach § 3 Abs. 4 AsylG wird einem Ausländer, der Flüchtling nach § 3 Abs. 1 AsylG ist, die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt. Ein Ausländer ist nach § 3 Abs. 1 AsylG Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560 – Genfer Flüchtlingskonvention), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb seines Herkunftslandes befindet.
Für die Beurteilung der Frage, ob die Furcht des Betroffenen vor Verfolgung begründet i.S.v. § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG ist, gilt einheitlich der Prognosemaßstab der tatsächlichen Gefahr („real risk“), der demjenigen der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (vgl. BVerwG, U.v. 4.7.2019 – 1 C 31/18 – juris Rn. 16) entspricht.
Der Wahrscheinlichkeitsmaßstab setzt voraus, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegensprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine „qualifizierende“ Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann (vgl. BVerwG, U.v. 4.7.2019 – 1 C 31.18 – juris Rn. 16).
Es ist Sache des Schutzsuchenden, seine Gründe für eine Verfolgung in schlüssiger Form vorzutragen. Er hat unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern, aus dem sich bei Wahrunterstellung ergibt, dass bei verständiger Würdigung seine Furcht vor Verfolgung begründet ist, so dass ihm nicht zuzumuten ist, im Herkunftsland zu verbleiben oder dorthin zurückzukehren. Wegen des sachtypischen Beweisnotstands, in dem sich Flüchtlinge insbesondere im Hinblick auf asylbegründende Vorgänge im Verfolgerland vielfach befinden, genügt für diese Vorgänge in der Regel eine Glaubhaftmachung. Voraussetzung für ein glaubhaftes Vorbringen ist allerdings ein detaillierter und in sich schlüssiger Vortrag ohne wesentliche Widersprüche und Steigerungen.
Gemessen an diesen Maßstäben muss der Kläger bei einer Rückkehr in die Türkei keine flüchtlingsrelevante Verfolgung befürchten. Eine solche ergibt sich weder aus dem Entzug vor dem Militärdienst (a), seiner kurdischen Volkszugehörigkeit (b), der Mitgliedschaft seines Vaters in der HDP (c) und auch nicht aus einer drohenden Rekrutierung durch die PKK (d).
a) Eine Verfolgung i. S. des § 3 i.V.m. § 3a Abs. 2 AsylG in Gestalt einer unverhältnis mäßigen oder diskriminierenden Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Wehrdienstentziehung droht nicht.
Ungeachtet dessen, dass die Angaben des Klägers zu seiner vermeintlichen Einberufung zur Musterung vage blieben, ist selbst bei Wahrunterstellung des klägerischen Vortrags, er habe Mitte 2018 ein Einberufungsschreiben erhalten, welches er zerrissen und weggeschmissen habe, eine ihm drohende asylrelevante Verfolgung nicht erkennbar.
Nach § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG ist eine Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt dann als Verfolgungshandlung zu qualifizieren, wenn der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter die Ausschlussklausel des § 3 Abs. 2 AsylG fallen, sich also als Verbrechen gegen den Frieden, als ein Kriegsverbrechen oder als ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit darstellen würden.
Zwar unterliegt ein Mann grundsätzlich der gesetzlichen Wehrpflicht, die in der Türkei ab dem 20. Lebensjahr beginnt. Der Wehrdienst wird in den Streitkräften oder der Jandarma abgeleistet. Söhne und Brüder gefallener Soldaten können vom Wehrdienst befreit werden; im Ausland lebende Türken können sich gegen ein Entgelt von derzeit 5.700 Euro (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Türkei vom 24.8.2020, S. 16 – im Folgenden: Lagebericht) befreien lassen. Das am 25. Juni 2019 in Kraft getretene neue Wehrgesetz verkürzte die Dauer der Wehrpflicht zudem von zwölf auf sechs Monate, wobei männliche türkische Staatsbürger nur noch eine einmonatige militärische Fernausbildung absolvieren müssen und sich von den restlichen fünf Monaten ihres Wehrdienstes unter Zahlung von 31.000 TL (ca. 4.755 Euro) freikaufen können. Dies gilt auch für bereits Wehrdienst leistende Männer. Nach sechs Monaten kann freiwillig gegen Entgelt weiter gedient werden (BFA, Länderinformationsblatt Türkei vom 29.11.2019, S. 36).
Wer wehrpflichtig ist, aber sich der Musterung entzieht, gilt als „Musterungsflüchtiger“, was eine Ordnungswidrigkeit darstellt und mit Geldstrafen geahndet wird. Die Verjährung richtet sich nach dem Ordnungswidrigkeitenrecht und greift proportional zur Höhe der Geldbuße nach drei, vier oder fünf Jahren Verjährungsfrist. Wer sich nach erfolgter Musterung und Einberufung dem Wehrdienst entzieht, gilt als „Wehrdienstflüchtiger“, was eine Straftat darstellt und mit Geldstrafen geahndet wird, die in der Höhe von der Dauer der Wehrdienstentziehung sowie davon abhängig sind, ob der Wehrdienstflüchtige sich stellt oder gefasst wird. Die Verjährung richtet sich nach Art. 66 tStGB und greift, wenn der Wehrdienstflüchtige sich stellt oder gefasst wird (zum Ganzen Lagebericht, S. 16 f.; Deutsche Botschaft Ankara, Auskunft vom 1.6.2017 an das BAMF, S. 2). Das aktuelle Wehrpflichtgesetz vom 25. Juni 2019 sieht für Wehrdienstflüchtige eine Verwaltungsgeldstrafe/Geldbuße vor. Meldet sich der Flüchtige freiwillig, muss er für jeden Tag der Wehrdienstentziehung 5 TL zahlen; im Falle der Ergreifung das Doppelte nach Art. 17 Abs. 7 des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten Nummer 5326. Anders als zuvor sieht das aktuelle Wehrdienstgesetz Nummer 7179 nur eine Geldstrafe (statt früher wohl einer Haftstrafe) vor (Auswärtiges Amt, Auskunft vom 8.1.2020 an das VG Augsburg zu Frage 3h).
In der Türkei gibt es kein Recht zur Verweigerung des Wehrdienstes oder einen Anspruch auf Ableistung eines Ersatzdienstes. Musterungsverweigerer, Wehrdienstverweigerer und Fahnenflüchtige werden strafrechtlich verfolgt. Wehrdienstpflichtige werden im zentralen elektronischen Fahndungsregister (GBT) erfasst; Sicherheitsbeamte an der Grenze und im Inland können an Hand der Identitätsnummer des Betroffenen einen Eintrag im GBT prüfen (vgl. Auswärtiges Amt, Auskunft an das VG Augsburg vom 6.3.2019 zu Frage 7). Wehrdienstentziehung wird in der Türkei zunächst mit einer Geldbuße geahndet unter Berücksichtigung der Zeitspanne des Wehrdienstentzugs sowie ob sich der Betroffene selbst bei den Wehrbehörden gemeldet hat oder festgenommen wurde (vgl. Auswärtiges Amt, Auskunft an das VG Augsburg vom 6.3.2019 zu Frage 6). Wird ein erlassener Bußgeldbescheid bestandskräftig und meldet sich der Betroffenen danach nicht bei der Wehrbehörde zum Dienstantritt, können auch Freiheitsstrafen zwischen 2 und 36 Monaten verhängt werden; in der Regel wird von der Mindeststrafe Gebrauch gemacht und können kurzzeitige Gefängnisstrafen nach Art. 50 tStGB u.a. auch in Geldstrafen umgewandelt werden (vgl. Auswärtiges Amt, Auskunft an das VG Augsburg vom 6.3.2019 zu Frage 6). Seit Änderung von Art. 63 tMilStGB ist bei unentschuldigtem Nichtantritt oder Fernbleiben vom Wehrdienst statt einer Freiheitsstrafe zunächst eine Geldstrafe zu verhängen. Subsidiär bleiben aber Haftstrafen bis zu sechs Monaten möglich, insbesondere nach Art. 67 tStGB bei Flucht ins Ausland. Die Verjährungsfrist richtet sich nach Art. 66e tStGB und beträgt zwischen fünf und acht Jahren, falls die Tat mit Freiheitsstrafe bedroht ist. Suchvermerke für Wehrdienstflüchtlinge werden seit Ende 2004 nicht mehr im Personenstandsregister eingetragen (vgl. Lagebericht S. 18; BFA, Länderinformationsblatt Türkei vom 29.11.2019, S. 40). Die Vollstreckung solcher Haftstrafen wurde wegen Platzmangels in den Haftanstalten regelmäßig aufgeschoben, so dass fast niemand eine solche Haftstrafe verbüßen musste; auch nach einer Gesetzesänderung, dass Haftstrafen über drei Monaten verbüßt werden müssten, wird der Haftantritt aus demselben Gründen aufgeschoben (vgl., Gutachten an das VG Magdeburg vom 5.11.2017, S. 10). Die Haftbedingungen in Militärhaftanstalten unterscheiden sich nach Kenntnis des Auswärtigen Amts grundsätzlich nicht von jenen in anderen Haftanstalten; das türkische Wehrrecht sieht eine Haft in einer Militärhaftanstalt jedoch erst vor, wenn ein Wehrpflichtiger während des Ableistens des Wehrdienstes wegen einer Straftat verurteilt wird (vgl. Auswärtiges Amt, Auskunft an das VG Augsburg vom 6.3.2019 zu Frage 7). Wehrdienstflüchtige werden auch nicht per Hausdurchsuchung am Wohnort, sondern per GBT gesucht (vgl. Auswärtiges Amt, Auskunft an das VG Augsburg vom 6.3.2019 zu Frage 6) und dürften daher beim Grenzübertritt auffallen sowie – im Falle eines Haftbefehls – in Untersuchungshaft genommen werden (vgl., Gutachten an das VG Magdeburg vom 5.11.2017, S. 12).
Soweit bis zum Jahr 2009 Personen die türkische Staatsangehörigkeit aberkannt wurde, die sich dem Wehrdienst entzogen hatten, können sie mittlerweile durch Novellierung des türkischen Staatsangehörigkeitsgesetzes unabhängig von ihrem Wohnsitz wieder die Staatsangehörigkeit erhalten (vgl. Lagebericht S. 17) und unterliegen dann weiterhin der Wehrpflicht (vgl. Auswärtiges Amt, Auskunft an das VG Augsburg vom 6.3.2019 zu Frage 6).
Zwar hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte für das türkische System, das keinen Ersatzdienst und kein Verfahren vorsieht, in dem dargelegt werden kann, ob die Voraussetzungen einer Wehrdienstverweigerung aus Gewissensgründen vorliegen, eine Verletzung der von Art. 9 EMRK garantierten Gewissensfreiheit angenommen, weil es keinen gerechten Ausgleich zwischen dem allgemeinen Interesse der Gesellschaft und jenem von Wehrdienstverweigern trifft (vgl. BVerwG, B.v. 16.1.2018 – 1 VR 12/17 – juris Rn. 87; BVerwG, U.v. 6.2.2019 – 1 A 3.18 – juris Rn. 110 jeweils unter Verweis auf EGMR, U.v. 12.6.2012 – 42730/05). Allerdings bezog sich diese Bewertung eines angemessenen Ausgleichs auf die Strafpraxis vor der Reform der Wehrstrafverfolgung mit einer deutlichen Milderung der vormals strengeren Strafen (vgl. oben), so dass die frühere Einschätzung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte wegen der damals harten Mehrfachbestrafung auf das heute deutlich abgemilderte Sanktionensystem (vgl. oben: Geldbuße, Geldstrafe, Haftstrafe, die regelmäßig nicht vollstreckt, sondern umgewandelt oder aufgeschoben wird) so nicht mehr übertragbar ist (das übersieht BVerwG, U.v. 6.2.2019 – 1 A 3.18 – juris Rn. 110, ohne nähere Würdigung der aktuellen Auskunftslage zum Sanktionensystem und unter Verweis auf EGMR, U.v. 12.6.2012 – 42730/05).
Es ist daher gerade nicht ersichtlich, dass die Verhängung einer Geldbuße oder Geldstrafe oder im Wiederholungsfall einer Haftstrafe, die regelmäßig nicht vollstreckt, sondern umgewandelt oder aufgeschoben wird, keinen angemessenen Ausgleich zwischen der Durchsetzung des staatlichen Dienstanspruchs einerseits und der privaten Gewissensentscheidung des Betroffenen andererseits darstellte. Anhaltspunkte für eine im vorliegenden Fall abweichende Bewertung sind weder ersichtlich noch geltend gemacht.
Dessen ungeachtet läge hier auch keine Verletzung von Art. 9 EMRK vor. Sie setzt voraus, dass der Betroffene glaubhaft machen kann, dass er den Wehrdienst aus Gewissensgründen verweigert. Eine solche Gewissensentscheidung setzt eine sittliche Entscheidung voraus, die der Kriegsdienstverweigerer innerlich als für sich bindend erfährt und gegen die er nicht handeln kann, ohne in schwere Gewissensnot zu geraten. Erforderlich ist eine Gewissensentscheidung gegen das Töten von Menschen im Krieg und damit die eigene Beteiligung an jeder Waffenanwendung. Sie muss absolut sein und darf nicht situationsbezogen ausfallen (vgl. BVerwG, B.v. 16.1.2018 – 1 VR 12/17 – juris Rn. 87; BVerwG, U.v. 6.2.2019 – 1 A 3.18 – juris Rn. 110 jeweils m.w.N.). Dies ist aufgrund der persönlichen Entwicklung, der Lebensführung, des bisherigen Verhaltens, der Einflüsse, denen er ausgesetzt war und noch ist, sowie aufgrund der Motivation seiner Entscheidungsbildung zu beurteilen (std. Rspr., BVerwG, U.v. 18.10.1972 – 8 C 46.72 – BVerwGE 41, 53/55; BVerwG, U.v. 24.10.1984 – 6 C 49.84 – BVerwGE 70, 216/221; BVerwG, U.v. 1.2.1989 – 6 C 61.86 – BVerwGE 81, 239/240 f.). Erforderlich ist eine Gesamtwürdigung aller in Betracht kommenden Umstände. Da die Gewissensentscheidung das Ergebnis innerer Erkenntnisprozesse ist, müssen durch das Gericht innere Vorgänge beurteilt werden. Hierbei kommt es maßgeblich auf die Schlüssigkeit und Glaubhaftigkeit des Vorbringens an (vgl. BVerwG, B.v. 3.8.2018 – 6 B 124.18 – beckonline Rn. 11 ff.).
Der Kläger hat bei der Anhörung beim Bundesamt als ein wesentliches Motiv, warum er nicht zum Wehrdienst wolle, angeführt, dass er sonst an die Front geschickt würde und dort gegen seine eigene Volksgruppe hätte kämpfen müssen. Dies hat er auch bei seiner informatorischen Befragung durch das Gericht ausgeführt und ergänzt, dass sich die Türkei im Krieg befinde, es ständig Gefechte gebe und er keine Waffe in die Hand nehmen und einen anderen Menschen erschießen könne. Der Kläger macht daher verschiedene Gründe geltend, warum er nicht zum Militär möchte. Von einer nach den Maßstäben der o.g. Rechtsprechung kategorischen, die Persönlichkeit durchdringenden und das Verhalten prägenden Gewissensentscheidung kann jedoch unter Berücksichtigung der Aussagen des Klägers und des Gesamteindrucks, den der Kläger hinterlassen hat, zur Überzeugung der Einzelrichterin vorliegend nicht ausgegangen werden.
Doch selbst bei einer Unterstellung, dass der Kläger aus Gewissensgründen den Wehrdienst verweigern würde, ergeben sich aus den angegebenen Erkenntnismitteln keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass der türkische Staat Wehrdienstverweigerer aus Gewissensgründen systematisch härter oder anders bestraft als andere Wehrdienstverweigerer (wie hier BVerwG, U.v. 6.2.2019 – 1 A 3.18 – juris Rn. 98). Auch der Kläger hat hierzu nichts Gegenteiliges vorgetragen. Deshalb fehlt es insoweit an der erforderlichen Kausalbeziehung zwischen Verfolgungshandlung und Verfolgungsmerkmal. Zudem ist kein unverhältnismäßiger Ausgleich zwischen der individuellen Gewissensfreiheit und dem staatlichen Anspruch auf Wehrdienstleistung ersichtlich angesichts der vergleichsweise milden Strafpraxis mit Geldstrafe, Aufschub und Umwandlung von Haftstrafen.
Ungeachtet dessen hat der Kläger nicht vorgetragen, dass entsprechende Schritte wie bspw. der Erlass eines Bußgeldbescheids gegen ihn in der Türkei eingeleitet worden seien. Auf Nachfrage des Gerichts gab der Kläger an, er wisse nicht, ob seit des Einberufungsschreibens Mitte 2018 weitere Schreiben in dieser Sache an seine Adresse bei seinen Eltern – die nach Angaben des Klägers vor dem Bundesamt auch das Einberufungsschreiben in Empfang genommen hätten – eingegangen seien. Dass ein für die Ausreise des Klägers derart wichtiges Thema in den regelmäßigen Telefonaten des Klägers mit seinen Eltern nicht thematisiert worden sein soll, um den Kläger nicht zu beunruhigen, hält das Gericht für nicht nachvollziehbar.
Soweit im vorliegenden Fall dennoch eine Strafverfolgung wegen Wehrdienstent ziehung möglich ist, droht jedoch keine hinreichend wahrscheinliche Beteiligung an Kriegsverbrechen (vgl. BVerwG, U.v. 6.2.2019 – 1 A 3.18 – juris Rn. 98); besondere Umstände, aus denen sich ergibt, dass Strafmaßnahmen nicht nur der Ahndung eines Verstoßes gegen eine allgemeine staatsbürgerliche Pflicht gelten, sind nicht ersichtlich (als Maßstab bei EuGH, U.v. 20.11.2013 – C-472/13; BVerwG, U.v. 6.2.2019 – 1 A 3.18 – Rn. 98; BVerwG, U.v. 4.7.2019 – 1 C 31/18 – juris Rn. 15).
Insbesondere gibt es auch keine belastbaren Erkenntnisse, dass die Heranziehung zum Militärdienst an gruppenbezogenen Merkmalen bzw. persönlichen Merkmalen i.S.v. § 3b AsylG oder an der Volkszugehörigkeit (vgl. Auswärtiges Amt, Auskunft an das VG Augsburg vom 6.3.2019 zu Frage 7) orientiert ist, mithin ein „Politmalus“ oder „Religionsmalus“ erfolgt. Im Gegenteil können z.B. homosexuelle Wehrpflichtige auf Antrag und nach ärztlicher Begutachtung grundsätzlich als für den Wehrdienst untauglich eingestuft werden (vgl. Lagebericht ebenda S. 17; BFA, Länderinformationsblatt Türkei vom 29.11.2019, S. 37 f.). Die Heranziehung zum Wehrdienst und die Bestrafung wegen seiner Verweigerung in der Türkei stellen daher keine politische Verfolgung dar (wie hier BVerwG, U.v. 6.2.2019 – 1 A 3.18 – juris Rn. 98; VG München, B.v. 5.4.2018 – M 1 S 17.46575 – juris Rn. 13 m.w.N.).
Kurden werden bei der Heranziehung zum Militärdienst ebenso wie bei einer Bestrafung wegen Militärdienstentziehung auch nicht aufgrund ihres Volkstums in asylerheblicher Weise benachteiligt. Die Heranziehung zum Militärdienst in der Türkei und die Bestrafung ihrer Nichtbefolgung stellen keine Form politischer Verfolgung dar, da sie allgemein gegenüber allen männlichen Staatsangehörigen ausgeübt werden. Auch eine Militärdienstverweigerung durch Flucht ins Ausland wird ohne weitere Verdachtsmomente nicht als Sympathie für separatistische Bestrebungen ausgelegt. Es liegen schließlich auch keine Erkenntnisse darüber vor, dass Militärdienstpflichtige, die ihre Strafe wegen Dienstentziehung oder Fahnenflucht verbüßen, misshandelt werden oder in der vorausgehenden Polizei- oder Militärhaft generell Folter zu erleiden haben. Das gilt sowohl dann, wenn sich ein Militärdienstflüchtiger im Inland stellt oder er ergriffen wird, als auch insbesondere dann, wenn er bei der Einreise aus Deutschland von den Sicherheitsbeamten an der Grenze als solcher erkannt und festgenommen wird (zum Ganzen VG Aachen, U.v. 5.3.2018 – 6 K 3554/17.A – juris Rn. 44 m.w.N.).
Die türkischen Streitkräfte setzen Wehrpflichtige gezielt in anderen Landesteilen als ihrer Herkunftsregion ein; nach kurdischen Angaben würden kurdischstämmige Rekruten gezielt in den Konfliktgebieten im Südosten eingesetzt, um den Alleinvertretungsanspruch der PKK für Kurden zu diskreditieren; für eine systematische Diskriminierung kurdischer oder alevitischer Minderheitenangehöriger in der Armee fehlten aber Anhaltspunkte (vgl. BFA, Länderinformationsblatt Türkei vom 29.11.2019, S. 38 f.), auch wenn von Einzelfällen von Diskriminierungen und Misshandlungen bis hin zu Todesfällen anlässlich des Gebrauchs der kurdischen Sprache berichtet wird (BFA, Länderinformationsblatt Türkei vom 29.11.2019, S. 37, 39). Die türkischen Wehrrechtsbestimmungen treffen keine Unterschiede wegen ethnischer Zugehörigkeiten türkischer Staatsbürger (Auswärtiges Amt, Auskunft vom 6.3.2019 an das VG Augsburg zu Frage 7), auch nicht Kurden oder Aleviten (BFA, Länderinformationsblatt Türkei vom 29.11.2019, S. 38 f.).
Der Einmarsch der türkischen Streitkräfte in Nordsyrien im Oktober 2019 mag möglicherweise völkerrechtswidrig sein. Belastbare Anhaltspunkte dafür, dass kurdischstämmige Wehrpflichtige hierbei eingesetzt werden, insbesondere (zuvor) musterungs- oder wehrdienstflüchtige Wehrpflichtige, liegen ebenso wenig vor wie belastbare Anhaltspunkte dafür, dass über die militärischen Operationen hinaus von türkischer Seite gezielt Kriegsverbrechen begangen werden (solche Vorwürfe erhebt Amnesty International, Pressemitteilung vom 18.10.2019, www.amnesty.de/allgemein/pressemitteilung/syriensyrienamnestywirfttuerkischenstreitkraeftenundverbuendeten, letzter Abruf am 9.11.2020, auf die wohl auch der von der Bevollmächtigten des Klägers vorgelegte Ausdruck der tagesschau.de Seite Bezug nimmt). Die türkische Armee habe vor einigen Jahren ihre Praxis beendet, Wehrpflichtige im Kampf einzusetzen (BFA, Länderinformationsblatt Türkei vom 29.11.2019, S. 39). Dies gilt umso mehr, als kurdische Einheiten der YPG nach aktueller Nachrichtenlage das Grenzgebiet zur Türkei verlassen haben und Truppen des syrischen Assad-Regimes nach Norden vorgerückt sind mit der Bildung einer Pufferzone im grenznahen Gebiet. Eine türkischkurdische Konfrontation in NordSyrien und eine Fortdauer der Kämpfe wird damit weniger wahrscheinlich; erst recht ein dortiger Einsatz des Klägers im Fall seiner Rückkehr in die Türkei und seiner Einberufung zum Wehrdienst.
b) Eine Gruppenverfolgung allein wegen einer Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Kur den haben Asylbewerber aus der Türkei nicht zu befürchten. Kurden gehören zu einer weit verbreiteten Bevölkerungsgruppe in der Türkei; Anhaltspunkte für eine staatliche oder staatlich geduldete Gruppenverfolgung ethnischer Kurden liegen nicht vor (vgl. in st. Rspr. VG Augsburg, U.v. 17.12.2019 – Au 6 K 17.35166 – juris Rn. 40 ff. m.w.N.; bestätigend BayVGH, B.v. 10.2.2020 – 24 ZB 20.30271 – Rn. 6).
c) Eine individuelle Verfolgung wegen einer Zurechnung zur HDP hat der Kläger nicht zu befürchten. Insoweit hat der Kläger bei der Anhörung vor dem Bundesamt lediglich erwähnt, dass sie diskriminiert worden seien, weil der Vater Mitglied der HDP gewesen sei. Der Kläger selbst hat sich nach eigenen Angaben jedoch nicht politisch betätigt. Probleme aufgrund der Mitgliedschaft seines Vaters in der HDP erwähnte der Kläger bei der informatorischen Befragung durch das Gericht nicht. Im Übrigen lebt der Vater des Klägers weiterhin in der Türkei, ohne dass der Kläger insoweit von Problemen seines Vaters aufgrund dessen Mitgliedschaft in der HDP berichtet hätte. Es ist daher nicht ersichtlich, wieso dem Kläger, der nach seinen Angaben nicht politisch aktiv war, bei einer Rückkehr in die Türkei wegen einer Unterstützung der HDP flüchtlingsrelevante Verfolgung drohen sollte.
d) Auch im Hinblick auf die vom Kläger behauptete ihm drohende Zwangsrekrutierung durch die PKK ist eine flüchtlingsrelevante Verfolgung des Klägers nicht ersichtlich. Zum einen hat das Gericht bereits erhebliche Zweifel an dem Wahrheitsgehalt der Aussagen des Klägers. Seine Angaben zu den Besuchen der PKK bei seinen Eltern und der Art und Weise, wie er sich nach seinem 18. Geburtstag drei Jahre lang erfolgreich den Rekrutierungsbemühungen der PKK entzogen haben will und wo er sich in dieser Zeit aufgehalten haben will, blieben trotz mehrfacher Nachfragen des Gerichts vage. Auch auf Nachfragen des Gerichts gab der Kläger ausweichende und ungenaue Antworten, schilderte keinen in sich stimmigen Geschehensablauf und konnte Unklarheiten nicht ausräumen (so etwa bei den Fragen, wie oft die PKK bei der Familie gewesen sei, wie oft die Eltern ihn darüber informiert hätten, wie oft bzw. lange er bei seinen Eltern gewesen sei oder ob das von ihm geführte Geschäft nun wegen der Besuchen der PKK geschlossen gewesen sei oder nicht).
Unabhängig davon galten die Rekrutierungsbemühungen der PKK entsprechend den Angaben des Klägers vor dem Bundesamt allen Kurden in der Nachbarschaft, und nicht nur dem Kläger. Ein gesondertes Interesse der PKK am Kläger ist seinem Vortrag nicht zu entnehmen. Dem Kläger ist es auch nach seinem eigenen Vortrag gelungen, sich den Anwerbeversuchen der PKK über drei Jahre lang zu entziehen. Es ist daher nicht ersichtlich, dass dies dem Kläger bei einer Rückkehr in die Türkei nicht weiterhin gelingen könnte. Zudem hat der Kläger eine innerstaatliche Fluchtalternative in der Westtürkei, in der er vor potentiellen Anwerbeversuchen der PKK hinreichend sicher ist. Auch aus diesem Grund scheidet eine Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft aus, vgl. § 3e AsylG.
e) Gegen ein staatliches Verfolgungsinteresse spricht auch, dass der Kläger etwa zwei bis drei Monate vor seiner Ausreise einen neuen Reisepass hat ausstellen lassen.
Da in der Türkei strenge Ausreisekontrollen stattfinden, wird türkischen Staatsangehörigen, gegen welche ein vom türkischen Innenministerium oder von einer Staatsanwaltschaft verhängtes Ausreiseverbot vorliegt und die auf einer entsprechenden Liste stehen, bereits die Erteilung eines Reisepasses versagt oder sie werden bei Besitz eines Reisepasses an der Ausreise gehindert (vgl. Auswärtiges Amt, Auskunft an das BAMF vom 11.6.2018, S. 1 f.). Ein Personalausweis hingegen wird ausgestellt (Auswärtiges Amt, Auskunft vom „8.8.2020“ [Eingang: 16.1.2020 am VG] an das VG Augsburg zu Frage 14). Ob eine Ausstellung eines Reisepasses und eine unbehelligte Ausreise auch durch Bestechung erlangt werden können, kann nicht ausgeschlossen werden (Auswärtiges Amt, Auskunft vom „8.8.2020“ [Eingang: 16.1.2020 am VG] an das VG Augsburg zu Frage 15 und 16). Sollte dem Kläger wirklich eine Verhaftung aufgrund des von ihm behaupteten Entzugs vor dem Wehrdienst drohen, ist nicht ersichtlich, dass er ca. ein dreiviertel Jahr nach seiner behaupteten Einberufung offenbar ohne Probleme einen Pass beantragen konnte und erhalten hat.
Ein Anspruch des Klägers auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft besteht daher nicht.
2. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4 AsylG. Insoweit wird auf obige Ausführungen sowie den angefochtenen Bescheid Bezug genommen (§ 77 Abs. 2 AsylG).
3. Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 AufenthG liegen ebenfalls nicht vor. Ergänzend zu der Begründung des Bescheids (§ 77 Abs. 2 AsylG) wird ausgeführt:
a) Der Kläger würde im Fall seiner Abschiebung in die Türkei nicht wegen seiner Asyl antragstellung (auch in Zusammenschau mit dem behaupteten Entzug vor dem Wehrdienst) unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe unterworfen werden. Rückkehrerinnen und Rückkehrer werden nach vorliegenden Erkenntnissen keiner unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Strafe unterworfen. Dem Auswärtigen Amt und türkischen Menschenrechtsorganisationen, zu
denen die Deutsche Botschaft engen Kontakt unterhält, ist in den letzten Jahren kein Fall bekannt geworden, in dem ein aus Deutschland in die Türkei zurückgekehrter Asylbewerber im Zusammenhang mit früheren Aktivitäten – dies gilt auch für exponierte Mitglieder und führende Persönlichkeiten terroristischer Organisationen – gefoltert oder misshandelt worden ist (vgl. Lagebericht vom 24.8.2020, S. 26; a.A. allerdings unter Verweis auf Quellen lediglich zum Risiko von Festnahmen und nicht von Folter VG Freiburg, U.v. 13.6.2018 – A 6 K 4635/17 – juris Rn. 28 ff.). Dem gegenüber wird geltend gemacht, dass der Bundesregierung keine Abschiebungen bzw. Auslieferungen dieses Personenkreises bekannt und daraus auch keine Rückschlüsse auf ihre Gefährdung zu ziehen seien (so AI, Auskunft vom 28.1.2020 an das VG Magdeburg, S. 2 f.).
Aufgrund eines Runderlasses des türkischen Innenministeriums dürfen keine Suchvermerke (insbesondere für Wehrdienstflüchtlinge oder zur Fahndung ausgeschriebene Personen) mehr ins Personenstandsregister eingetragen werden; vorhandene Suchvermerke sollen Angaben türkischer Behörden zufolge im Jahr 2005 gelöscht worden sein (vgl. Lagebericht ebenda S. 28). Allerdings werden Wehrdienstflüchtige aufgrund einer Fahnenflucht gesucht; eine Strafverfolgung erfolgt unabhängig vom politischen, biografischen und ethnischen Hintergrund; die Personendaten von Wehrdienstflüchtigen werden im nationalen Polizeiinformationssystem hinterlegt und sind dort für die Polizeibehörden abrufbar (Auswärtiges Amt, Auskunft vom 8.1.2020 an das VG Augsburg zu Frage 3a-e). Das Verteidigungsministerium meldet Wehrdienstflüchtige dem Innenministerium zwecks Festnahme; im Fall der Festnahme wird der Wehrdienstflüchtige in „Obhut“ genommen und innerhalb der Dienstzeiten der nächsten Wehrbehörde überstellt; bei Festnahme außerhalb der Dienstzeit oder an Orten ohne Wehrbehörde werden sie nach Protokollierung des Sachverhalts durch die Sicherheitskräfte (Polizei und Jandarma) sofort freigelassen (Auswärtiges Amt, Auskunft vom 8.1.2020 an das VG Augsburg zu Frage 3f).
b) Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK folgt auch nicht aus der nicht auszuschließenden Möglichkeit, dass der Kläger bei seiner Rückkehr in die Türkei zur Ableistung des Wehrdienstes einberufen wird. Selbst wenn man Art. 9 EMRK insoweit als einschlägig betrachten wollte, hat der Kläger nicht glaubhaft gemacht, dass er den Wehrdienst aus Gewissensgründen verweigert (s.o.). Zudem ist kein unverhältnismäßiger Ausgleich zwischen der individuellen Gewissensfreiheit und dem staatlichen Anspruch auf Wehrdienstleistung ersichtlich angesichts der vergleichsweise milden Strafpraxis mit Geldstrafe, Aufschub und Umwandlung von Haftstrafen (siehe oben). Es bestehen auch keine Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger, anders als vor der Ausreise, nicht in der Lage sein sollte, seinen Lebensunterhalt zu sichern.
4. Bedenken gegen die Anordnung und Befristung des Einreise- und Aufenthaltsver bots gem. § 11 AufenthG bestehen nicht. Die Länge der Frist liegt im Rahmen von § 11 Abs. 3 Satz 2 AufenthG. Dass insoweit Umstände vorlägen, die eine weitere Verkürzung der Frist als zwingend erscheinen ließen, ist weder dargetan noch sonst ersichtlich.
5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG). Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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