Verwaltungsrecht

Erfolglose Beschwerde gegen eine ablehnende Eilentscheidung wegen Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Familiennachzug

Aktenzeichen  10 CE 18.2109

Datum:
29.11.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 35600
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 123, § 146 Abs. 4 S. 6
AufenthG § 5 Abs. 2, § 28 Abs. 1, § 60a
GG Art. 6
EMRK Art. 8 Abs. 1

 

Leitsatz

1. Im Hinblick auf die Rechtsweggarantie gilt das grundsätzliche Verbot einer Vorwegnahme der Hauptsacheentscheidung nicht, wenn eine bestimmte Regelung zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes schlechterdings notwendig ist, d.h. wenn die sonst zu erwartenden Nachteile für den Antragsteller unzumutbar und im Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären und ein hoher Grad an Wahrscheinlichkeit für einen Erfolg auch in der Hauptsache spricht. (Rn. 8) (redaktioneller Leitsatz)
2. Allein der Umstand, dass Eheleute eine vorübergehende Trennung für die übliche Dauer des Visumverfahrens hinnehmen müssen, reicht für eine Unzumutbarkeit der Nachholung des Visumsverfahrens auch unter Berücksichtigung des Schutzes der Ehe und Familie nicht aus. (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 27 E 18.4441 2018-09-13 Bes VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.500,- Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Gegenstand des Rechtsstreits ist die im einstweiligen Rechtsschutzverfahren begehrte Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis bzw. einer Duldung.
Die Antragstellerin ist eine kenianische Staatsangehörige, die sich seit 2011 im Bundesgebiet aufhält. Seit 20. Februar 2018 ist sie rechtskräftig ausreisepflichtig. Aufenthaltsbeendende Maßnahmen konnten seither aus tatsächlichen Gründen nicht vollzogen werden, jedoch besaß sie weder eine Duldung noch war die Ausreisefrist verlängert worden.
Am 21. August 2018 beantragte sie bei der Antragsgegnerin „die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis als Verlobte“ eines deutschen Staatsangehörigen und außerdem „die Aufenthaltserlaubnis zum Zweck des Praktikums zur Ausbildungsförderung für die Ausbildung zur staatlich anerkannten Pflegefachhelferin (Altenpflege)“. Die Antragsgegnerin wies darauf hin, dass aufgrund des unrechtmäßigen Aufenthalts der Antragstellerin neue Aufenthaltsgründe nur im Rahmen eines Visumverfahrens geltend gemacht werden könnten. Am 6. September 2018 beantragte die Antragstellerin beim Bayerischen Verwaltungsgericht München, der Antragsgegnerin im Wege einer einstweiligen Anordnung aufzugeben, ihr eine Aufenthaltserlaubnis, hilfsweise eine Ausbildungsduldung, zu erteilen.
Mit dem angefochtenen Beschluss vom 13. September 2018 lehnte das Verwaltungsgericht den Antrag ab. Die Antragstellerin habe bereits keinen Anordnungsanspruch geltend gemacht. § 28 AufenthG setze eine bestehende Ehe voraus. Außerdem sei die Antragstellerin nicht mit dem erforderlichen Visum eingereist; die Nachholung des Visumverfahrens sei nicht unzumutbar. Die Voraussetzungen für eine Ausbildungsduldung lägen schon deswegen nicht vor, weil keine qualifizierte Berufsausbildung angestrebt werde; für eine Duldung nach Ermessen sei nichts für eine Ermessensreduzierung ersichtlich. Außerdem habe die Antragstellerin auch keinen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Sie habe nicht substantiiert glaubhaft gemacht, dass ihr durch ein Zuwarten auf eine Hauptsacheentscheidung schwere Nachteile entstehen würden. Schließlich würde der Erlass der beantragten Anordnung die Vorwegnahme der Hauptsache bedeuten, für die die Voraussetzungen aber nicht gegeben seien, denn der Antragstellerin würden keine schweren, irreparablen Nachteile entstehen.
Mit der vorliegenden Beschwerde beantragt die Antragstellerin, den Beschluss des Verwaltungsgerichts aufzuheben bzw. abzuändern und der Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtend aufzugeben, der Antragstellerin eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen, hilfsweise ihr eine Ausbildungsduldung zu erteilen. Durch die Durchführung eines Visumverfahrens in ihrem Heimatland entstünden ihr besonders schwere, unzumutbare und irreparable Nachteile, denn sie würde dann mindestens dreieinhalb Jahre nicht bei ihrem Verlobten in Deutschland sein können. Es sei auch nicht richtig, dass sie keinen Anspruch auf die Ausbildungsduldung habe, vielmehr sei es offensichtlich, dass der derzeit ohne Aufenthaltstitel aufhältigen Antragstellerin dringend eine Möglichkeit gegeben werden müsse, eine aufenthaltsrechtliche Basis zu erlangen. Sie habe auch einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis; dass ihrem Verlobten verwehrt werde, seine Ehe in Deutschland zu führen, verstoße gegen dessen Grundrecht aus Art. 11 GG. Auch liege entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts Dringlichkeit vor, da ihr sonst der angebotene Praktikumsplatz verloren gehen würde. Es sei somit offenbar, dass wegen des herrschenden aufenthaltsrechtlichen Schwebezustands bei der Antragstellerin ein dringender Bedarf bestehe, eine aufenthaltsrechtliche Basis zu erlangen.
Wegen der Einzelheiten wird auf die Gerichts- und Behördenakten verwiesen.
II.
Die zulässige Beschwerde der Antragstellerin bleibt ohne Erfolg. Die dargelegten Gründe, auf die der Verwaltungsgerichtshof seine Prüfung nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO zu beschränken hat, rechtfertigen weder die Aufhebung noch eine Abänderung des angefochtenen Beschlusses.
1. Soweit im Wege der einstweiligen Anordnung die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis beantragt wird, setzt sich die Beschwerde schon nicht mit der selbständig tragenden Erwägung des Verwaltungsgerichts auseinander, dass damit die Vorwegnahme der Hauptsache erstrebt wird, ohne dass hierfür die Voraussetzungen vorliegen. Im Hinblick auf Art. 19 Abs. 4 GG gilt das grundsätzliche Verbot einer Vorwegnahme der Hauptsacheentscheidung dann nicht, wenn eine bestimmte Regelung zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes schlechterdings notwendig ist, d. h. wenn die sonst zu erwartenden Nachteile für den Antragsteller unzumutbar und im Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären, und ein hoher Grad an Wahrscheinlichkeit für einen Erfolg auch in der Hauptsache spricht (vgl. BayVGH, B.v. 7.5.2018 – 10 CE 18.464 – juris Rn. 8). Die Antragstellerin hat weder im erstinstanzlichen noch im Beschwerdeverfahren etwas dafür vorgebracht, dass es nicht ausreicht, im einstweiligen Rechtsschutz bestimmte Maßnahmen zu treffen, um einen (behaupteten) Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zu sichern, sondern dass vielmehr durch die einstweilige Anordnung bereits die Verpflichtung zu Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis auszusprechen wäre.
2. Ebenso bringt die Antragstellerin keine durchgreifenden Einwendungen gegen die Feststellung des Verwaltungsgerichts vor, dass § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG eine wirksame Ehe voraussetzt. Der Wunsch eines Ausländers, einen Deutschen zu heiraten, führe nicht zu einem Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis, wenn – wie hier – der Zeitpunkt einer geplanten Eheschließung noch völlig ungewiss sei. Die Antragstellerin beruft sich hier lediglich auf den Grundsatz, dass ein deutscher Staatsangehöriger nicht darauf verwiesen werden dürfe, seine Ehe im Ausland zu führen (BVerwG, U.v. 4.9.2012 – 10 C 12712 – juris Rn. 26); sie lässt dabei außer Acht, dass eine Eheschließung mit ihrem deutschen Verlobten bisher weder erfolgt noch absehbar ist.
3. Ebenso hat sie – für den Fall, dass der Tatbestand für die Erteilung eines Aufenthaltstitels erfüllt ist – keine besonderen Umstände ihres Einzelfalls dargelegt bzw. glaubhaft gemacht, aufgrund derer die Nachholung des Visumverfahrens für sie im Sinn des § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG derzeit oder gar dauerhaft nicht zumutbar wäre. Vielmehr hat das Verwaltungsgericht im Ausgangspunkt zu Recht darauf abgestellt, dass weder Art. 6 Abs. 1 und 2 GG noch Art. 8 Abs. 1 EMRK das Recht auf Einreise und Aufenthalt gewährleisten und dies auch für den Nachzug zu berechtigterweise in Deutschland lebenden Familienangehörigen gilt. Zwar braucht es ein betroffener Ausländer mit Blick auf Art. 6 GG nicht hinzunehmen, unter unverhältnismäßiger Vernachlässigung seiner familiären Bindungen daran gehindert zu werden, bei seinen im Bundesgebiet lebenden Familienangehörigen Aufenthalt zu nehmen. Allein der Umstand, dass die Eheleute eine vorübergehende Trennung für die übliche Dauer des Visumverfahrens hinnehmen müssen, reicht jedoch für eine Unzumutbarkeit auch unter Berücksichtigung des Schutzes der Ehe und Familie durch Art. 6 GG und Art. 8 EMRK nicht aus. Hat der nachziehende Ehegatte ohne rechtfertigende Gründe das nationale Visumverfahren umgehen wollen, ist es regelmäßig nicht zu beanstanden, wenn die Behörde ihr Ermessen nach § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG zulasten des Betroffenen ausübt (BayVGH, B.v. 19.6.2018 – 10 CE 18.993, 10 C 18.994 – juris Rn. 5 m.w.N.). Das gilt erst recht dann, wenn – wie im vorliegenden Fall – eine Eheschließung noch gar nicht erfolgt und auch nicht absehbar ist.
Die Ausführungen, dass im Fall der Antragstellerin ein im Heimatland durchzuführendes Visumverfahren mindestens dreieinhalb Jahre dauern würde, sind nicht nachvollziehbar und allenfalls Spekulation. Richtig ist insoweit allenfalls, dass ein bloßes Verlöbnis ohne eine absehbare Eheschließung keinen Anspruch auf Ehegattennachzug auslöst.
4. Eine Ausbildungsduldung nach § 60a Abs. 2 Satz 4 AufenthG kommt – wie das Verwaltungsgericht zu Recht festgestellt hat – schon deswegen nicht in Betracht, weil keine qualifizierte Berufsausbildung angestrebt wird, sondern lediglich ein „Praktikum zur Ausbildungsförderung für die Ausbildung“ zur staatlich anerkannten Pflegefachhelferin. Hierzu bringt die Beschwerdebegründung nichts vor.
Auch für eine im Ermessen der Ausländerbehörde stehende Duldung nach § 60a Abs. 2 Satz 3 AufenthG ist nichts Durchgreifendes vorgetragen. Allein das Bestreben, der sich derzeit unerlaubt im Bundesgebiet aufhaltenden Antragstellerin eine „aufenthaltsrechtliche Basis“ zu verschaffen, rechtfertigt nicht die Erteilung einer Duldung.
5. Da die Antragstellerin keinen zu sichernden Anspruch (Anordnungsanspruch) glaubhaft machen kann, kommt es auf den Vortrag in der Beschwerdebegründung, dass entgegen der Meinung des Verwaltungsgerichts eine Dringlichkeit hinsichtlich der Erteilung einer Ausbildungsduldung (Anordnungsgrund) vorliege, nicht mehr an. Daher können die Ausführungen, dass entgegen den Angaben gegenüber dem Verwaltungsgericht ein späterer Beginn des angestrebten Praktikums doch nicht möglich sei, und dass bei der Antragstellerin ein „dringender Bedarf“ bestehe, eine „aufenthaltsrechtliche Basis zu erlangen“, ebenfalls nicht zum Erlass einer einstweiligen Anordnung führen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1, § 45 Abs. 1 Satz 2, § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 2 GKG in Verbindung mit dem Streitwertkatalog für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben