Verwaltungsrecht

Erfolglose Klage eines Nigerianers auf Erteilung einer Beschäftigungserlaubnis

Aktenzeichen  M 12 K 18.4405

Datum:
28.2.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 5778
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 61 Abs. 2
VwGO § 114

 

Leitsatz

Die Ausländerbehörde darf bei ihrer Ermessensenscheidung einwanderungspolitische Gesichtspunkte, den Gesichtspunkt der niedrigen Bleibeperspektive wie der ungeklärten Identität, eine strafrechtliche Verurteilung und ein zwingendes Erwerbstätigkeitsverbot nach Asylantragsablehnung berücksichtigen.  (Rn. 23 – 28) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet.
Der Kläger hat keinen Anspruch auf Neuverbescheidung seines Antrags auf Erteilung einer Erlaubnis zur Ausübung einer Beschäftigung als …mitarbeiter bei der Firma … … GmbH & Co KG, … … in … (§ 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO). Der Bescheid des Beklagten vom 9. August 2018 ist vielmehr rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.
Rechtsgrundlage für den geltend gemachten Anspruch des Klägers auf Neuverbescheidung seines Antrags auf Erteilung einer Erlaubnis zur Beschäftigung als …mitarbeiter bei der Firma … … GmbH & Co KG, … … in …, ist § 61 Abs. 2 AsylG.
Nach § 61 Abs. 2 Satz 1 AsylG kann einem Asylbewerber, der sich seit drei Monaten gestattet im Bundesgebiet aufhält, die Ausübung einer Beschäftigung erlaubt werden, wenn die Bundesagentur für Arbeit zugestimmt hat oder durch Rechtsverordnung bestimmt ist, dass die Ausübung der Beschäftigung ohne Zustimmung der Bundesagentur für Arbeit zulässig ist.
Die Erteilung einer Beschäftigungserlaubnis gemäß § 61 Abs. 2 AsylG ist keine gebundene Entscheidung, sondern liegt im Ermessen der Behörde. Nach § 114 Satz 1 VwGO prüft das Gericht bei Ermessensentscheidungen, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht wurde. Eine Überprüfung der Zweckmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts findet nicht statt.
Gemessen an diesem Maßstab hat der Beklagte sein Ermessen fehlerfrei ausgeübt. Die Ausländerbehörde hat sich bei der Ermessensausübung im Rahmen der Vollzugshinweise des Bayerischen Staatsministerium des Innern, für Bau und Verkehr vom 1. September 2016 (Az: IA2-2081-1-8-19) und der ergänzenden Vollzugshinweise vom 19. Dezember 2016 und vom 27. Januar 2017 gehalten. Diese Schreiben sind als ermessenslenkende Verwaltungsvorschrift zu sehen, um das Ermessen der verschiedenen Ausländerbehörden im Sinne einer landeseinheitlichen, gleichmäßigen Anwendung zu steuern. Solche Weisungen sind zulässig, da das ausländerbehördliche Ermessen dem Grunde nach durch Verwaltungsvorschriften gelenkt und gebunden werden darf (BVerwG, B.v. 27.12.1990 – 1 B 162/90).
Der Beklagte durfte bei seiner Ermessensentscheidung einwanderungspolitische Ziele berücksichtigen. Es ist keine sachfremde Erwägung, dass Ausländer ihren Aufenthalt im Inland durch die Aufnahme einer Ausbildung verfestigen und dass dies bei Asylsuchenden verhindert werden soll, solange kein endgültiges Bleiberecht feststeht (vgl. Grünewald in Fritz/Vormeier, GK AsylG, § 61 Rn. 25). Dass dieser Gesichtspunkt unter Nr. 2.2.2 im IMS vom 1. September 2016 nicht explizit genannt ist, ist unerheblich, da die dort aufgezählten Umstände gerade nicht abschließend sind.
Die Heranziehung des Gesichtspunktes der niedrigen Bleibeperspektive des Klägers in der Ermessensabwägung begegnet keinen rechtlichen Bedenken. Hierbei kann auch die niedrige Anerkennungsquote des Bundesamts für nigerianische Staatsangehörige in die Ermessensabwägung einbezogen werden (vgl. auch ergänzende Ausführungen zu o.g. IMS v. 19.12.2016, Az. IA2-2081-1-8-19). Die Ermessensentscheidung darf auf grundsätzliche migrationspolitische Erwägungen gestützt werden, die dem individuellen Interesse an einer Beschäftigung vorgehen, um Fluchtanreize zu vermeiden. Es ist nicht zu beanstanden, dass der Beklagte in diesem Zusammenhang auch dem negativen Ausgang des behördlichen Asylverfahrens maßgebliche Bedeutung zugemessen hat. Beim Bundesamt handelt es sich im Hinblick auf das Asylverfahren um die allein zuständige Fachbehörde mit besonderer Expertise und besonderen Erkenntnisquellen. Der Bescheid konkretisiert aufgrund konkret-individueller Einzelfallprüfung – gegenwärtig – die Bleiberechtsaussichten des Klägers. Die Formulierung in den Vollzugshinweisen vom 1. September 2016 „insbesondere, wenn die Ablehnung als offensichtlich unbegründet im Sinne des § 30 Asylgesetz erfolgte“ bedeutet nicht, dass eine Ablehnung als einfach unbegründet im Rahmen der Ermessensentscheidung des § 61 Abs. 2 AsylG nicht berücksichtigt werden kann. Dies ergibt sich weder aus Sinn und Zweck der Vorschrift des § 61 Abs. 2 AsylG noch aus den Vollzugshinweisen vom 1. September 2016, in denen es zu der Ausübung des behördlichen Ermessens heißt: „Dabei können insbesondere folgende (nicht abschließende) Umstände berücksichtigt werden“ (vgl. IMS v. 1.9.2016, S. 10, Ziffer 2.2.2). Das gegen den Bescheid des Bundesamts anhängige Klageverfahren ändert hieran nichts, da es sich bei der Bleibeprognose um die Voraussage einer wahrscheinlichen künftigen Entwicklung, nicht jedoch um eine schon erwiesene Gewissheit handelt.
Es ergibt sich für den Kläger auch keine vom Beklagten im Rahmen des Ermessens zu berücksichtigende und zu gewichtende erhöhte Bleibeperspektive dadurch, dass der Kläger die Vaterschaft für ein am … Januar 2018 geborenes Kind nigerianischer Staatsangehörigkeit anerkannt hat, eine gemeinsame elterliche Sorge des Klägers und der Kindsmutter besteht und nach Vortrag seines Bevollmächtigten im Falle eines möglichen negativen Abschluss seines Asylverfahrens ein Duldungsanspruch gemäß § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG bestehen soll. So verfügen weder die Mutter noch das Kind aktuell über ein gesichertes Bleiberecht in Deutschland. Bei beiden wurde der Asylantrag durch das Bundesamt abgelehnt und es sind gerichtliche Klageverfahren beim Bayerischen Verwaltungsgericht München anhängig, was sich auch daran zeigt, dass die Mutter sich im Rahmen der Erklärung über die gemeinsame elterliche Sorge durch eine Aufenthaltsgestattung und nicht durch eine Aufenthaltserlaubnis ausgewiesen hat. Art. 6 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 GG gebieten es regelmäßig nicht, dem Wunsch eines Ausländers nach familiärem Zusammenleben im Bundesgebiet zu entsprechen, wenn ein solches Zusammenleben auch im Heimatland des Ausländers oder eines Familienangehörigen zumutbar möglich ist (vgl. BVerfG, B.v. 12.5.1987 2 BvR 1226/83 – juris; VGH Baden-Württemberg, Urt. v. 18.4.2007 – 11 S 1035/06 – juris Rn. 53 jeweils m.w.N.; OVG Lüneburg, 2.2.2011 – 8 ME 305/10 – juris). Somit musste die Behörde schon aus diesem Grund nicht im Rahmen der Bleibeperspektive prognostisch einen möglichen Duldungsanspruch des Klägers in der Zukunft berücksichtigen, da diesem infolge der aktuell fehlenden gesicherten Bleibeperspektive des Kindes des Klägers und der Kindsmutter die Grundlage fehlt. Darüber hinaus ist ein möglicher vom Beklagten zu prüfender Duldungsanspruch von weiteren Voraussetzungen, wie beispielsweise der in Zukunft geführten familiären Lebensgemeinschaft zwischen dem Kläger und seinem Kind und der Zumutbarkeit einer Ausreise des Klägers im Hinblick auf das Alter des Kindes abhängig, und kann somit von der Behörden aktuell nicht im Hinblick auf eine erhöhte Bleibeperspektive des Klägers prognostiziert und ins Ermessen eingestellt und berücksichtigt werden.
Weiter durfte der Beklagte berücksichtigen, dass die Identität des Klägers nicht geklärt ist (vgl. Grünewald in Fritz/Vormeier, GK AsylG, § 61 Rn. 25, 33). Nach den Vollzugshinweisen des Bayerischen Staatsministeriums des Innern vom 1. September 2016 kann nach Ziffer 2.2.2 Buchstabe a) insbesondere dann von einer geklärten Identität ausgegangen werden, wenn ein gültiger Nationalpass oder ein anerkannter ausländischer Passersatz vorgelegt wird. Die vom Kläger vorgelegte „Geburtsurkunde“ ist dafür nicht ausreichend. Insbesondere stellt die von ihm vorgelegte „Attestation of Birth“ ausweisliche eines Merkblatts des Generalkonsulats der Bundesrepublik Deutschland Lagos zur Überprüfung nigerianischer Urkunden im Wege der Amtshilfe, Stand Februar 2019 keinen Geburtsnachweis dar. Der Kläger konnte bislang keinen gültigen Nationalpass oder einen anerkannten ausländischen Passersatz vorlegen. Ob dem Kläger die Vorsprache bei der nigerianischen Botschaft zumutbar ist, kann dabei dahinstehen. Denn der Kläger ist zumindest verpflichtet, sich ggf. über Vertrauensanwälte oder Verwandte im Heimatland Identifikationspapiere zu beschaffen. Aktivitäten des Klägers in dieser Richtung sind nicht ersichtlich. Zudem hat der Kläger im Rahmen der Erstbefragung durch die Regierung von Oberbayern am 15. April 2016 zugesichert, sich seinen Pass, seine Geburtsurkunde und seinen Wählerausweis aus Nigeria schicken zu lassen. Damit hat der Kläger zugleich seinen asylrechtlichen Mitwirkungspflichten nicht genügt, was ebenfalls negativ berücksichtigt werden konnte.
Vorliegend ist es auch nicht ermessensfehlerhaft, dass der Beklagte im Rahmen seines Ermessens berücksichtigt hat, dass ein Erwerbstätigkeitsverbot gemäß § 60a Abs. 6 AufenthG nach Asylantragsablehnung ohnehin zwingend greifen würde. Wie oben bereits dargestellt hat der Kläger seinen Mitwirkungspflichten zur Identitätsklärung nicht genügt. Somit können bei ihm aktuell im Falle eines negativen rechtskräftigen Abschlusses seines Asylverfahrens aus von ihm zu vertretenden Gründen keine aufenthaltsbeendenden Maßnahmen vollzogen werden. Deswegen besteht beim Kläger prognostisch ein Erwerbstätigkeitsverbot gemäß § 60a Abs. 6 Nr. 2 AufenthG. Dieser Umstand durfte von der Beklagten im Rahmen des Ermessens berücksichtigt und gewichtet werden.
Schließlich durfte der Beklagte auch die strafrechtliche Verurteilung des Klägers in seine Entscheidung einbeziehen. Der Kläger wurde mit Urteil des Amtsgerichts … vom *. Februar 2016 wegen unerlaubter Einreise in Tateinheit mit unerlaubtem Aufenthalt zu einer Freiheitsstrafe von zwei Monaten ohne Bewährung verurteilt. Entgegen des klägerischen Vortrags musste der Beklagte im Rahmen seiner Ermessensausübung auch nicht berücksichtigen, ob dem Kläger individuell ein Schuldvorwurf im Sinne eines vorsätzlichen oder grob fahrlässigen Handelns gemacht werden kann und ob ein nicht nur vereinzelter oder geringfügiger Verstoß gegen Rechtsvorschriften begangen wurde. Gemäß den Vollzugshinweisen vom 1. September 2016 können begangene Straftaten im Ermessen berücksichtigt werden, wobei es im Gegensatz zu einem Ausweisungsinteresse im Sinne des § 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG nicht darauf ankommt, ob der Kläger einen nicht nur vereinzelten oder geringfügigen Verstoß gegen Rechtsvorschriften begangen hat (vgl. IMS v. 1.9.2016, S. 10, Ziffer 2.2.2). Das Gericht weist in diesem Zusammenhang auch darauf hin, dass es sich entgegen dem klägerischen Vortrag bei den verurteilten Straftaten des Klägers gemäß § 95 Abs. 1 Nr. 2 und 3 AufenthG um Vorsatzstraftaten handelt und vorsätzliche Straftaten in der Regel keine geringfügigen Straftaten im Rahmen von § 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG darstellen (Tanneberger in Kluth/Heusch, BeckOK Ausländerrecht, Stand 1.5.2018, § 54 AufenthG Rn. 118).
Die Abwägung widerstreitender öffentlichen Interessen, wie vorliegend einwanderungspolitischer Zielsetzungen einerseits und fiskalischer, wirtschaftlicher und integrativer Interessen andererseits, obliegt dem Beklagten und ist durch die ermessenslenkenden Verwaltungsvorschriften erfolgt. Im Übrigen kann sich der Kläger auf öffentliche Interessen nicht mit Erfolg berufen, da selbst eine Verletzung öffentlicher Interessen nicht zu einer Rechtsverletzung des Klägers führen würde.
Insbesondere hat der Beklagte durch die Ermessensergänzung gemäß § 114 Satz 2 VwGO im Rahmen der Klageerwiderung die persönlichen Interessen des Klägers bei seiner Ermessensentscheidung ausreichend gewürdigt. Das zu Gunsten des Klägers zu berücksichtigende Interesse, einer Erwerbstätigkeit nachzugehen und ein zusätzliches Einkommen zu erzielen, fand ausdrücklich Eingang in die behördliche Entscheidung. Weitere zu Gunsten des Klägers zu berücksichtigende Gesichtspunkte sind vorliegend nicht ersichtlich und wurden auch nicht vorgetragen.
Dass den öffentlichen Interessen an der Ablehnung der Ausbildungserlaubnis der Vorrang vor den persönlichen Interessen des Klägers an der Aufnahme einer Beschäftigung gegeben wurde, ist angesichts des Gewichts der o.g. Ermessensgesichtspunkte auch vor dem Hintergrund der Dauer des Asylverfahrens rechtlich nicht zu beanstanden, zumal der Kläger Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz erhält und somit durch die Ablehnung nicht in eine existenzbedrohende Notlage gerät. Die Versagung der Erlaubnis beruht auch nicht auf sachfremden, sondern auf aufenthalts- und asylrechtlichen Zwecken (Neundorf in: Kluth/Heusch, BeckOK, Ausländerrecht, 15. Aufl., August 2017, § 61 Rn. 17).
Die Klage war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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