Verwaltungsrecht

Erfolglose Klagen gegen Einstellung des Asylverfahrens

Aktenzeichen  AN 4 K 16.30411, AN 4 K 16.30413

Datum:
21.9.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG AsylG § 33 Abs. 1, 3, Abs. 5 S. 1-5, S. 6 Nr. 2
VwGO VwGO § 113 Abs. 1 S. 4

 

Leitsatz

1 Eine von Anfang an unzulässig gewesene, in der Hauptsache erledigte Anfechtungsklage kann nicht zulässigerweise als Fortsetzungsfeststellungsklage fortgeführt werden; die Umstellung von einem Anfechtungs- auf einen Fortsetzungsfeststellungsantrag kann jedoch auch hilfsweise erfolgen.  (redaktioneller Leitsatz)
2 Bei einem erstmaligen Wiederaufnahmeantrag nach Einstellung des Asylverfahrens kommt es auf die Rechtmäßigkeit des zuvor ergangenen Einstellungsbescheides nicht an. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Klagen werden abgewiesen.
2. Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens; Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Die stillschweigend gemäß § 93 VwGO zur gemeinsamen Entscheidung verbundenen Klagen werden sowohl im jeweiligen Hauptantrag als auch im jeweiligen Hilfsantrag abgewiesen, weil sie unzulässig sind.
Die Kammer, auf die der Einzelrichter den Rechtsstreit in der mündlichen Verhandlung vom 7. September 2016 gemäß § 76 Abs. 3 Satz 1 AsylG zurückübertragen hat, entscheidet über die Klagen gemäß § 101 Abs. 2 VwGO ohne (weitere) mündliche Verhandlung, nachdem die Parteien übereinstimmend ihr Einverständnis mit dem Übergang in das schriftliche Verfahren erklärt haben.
Der in beiden Verfahren jeweils durch den anwaltlichen Bevollmächtigten gestellte und aufrechterhaltene Hauptantrag, die Bescheide des … vom 2. April 2016 aufzuheben, ist jedenfalls deswegen unzulässig (geworden), weil die angefochtenen Bescheide gegenstandslos geworden sind: Das … hat die Asylverfahren für beide Kläger, was unstreitig ist, fortgeführt – und sei es auch unter neuen …-Geschäftszeichen -, nachdem die Kläger dies gemäß § 33 Abs. 5 Satz 2, 3 AsylG bei ihrer persönlichen Vorsprache bei der …-Außenstelle am 19. April 2016 (sowohl die Aktenlage) bzw. bereits am 13. April 2016 (so laut Rechtsanwaltsschreiben an das … vom 19.5.2016) jeweils wirksam beantragt haben.
Die angefochtenen Bescheide vom 2. April 2016 sind – allein durch die Wiederaufnahme der Asylverfahren in dem Verfahrensabschnitt, in dem sie jeweils eingestellt worden sind (vgl. § 33 Abs. 5 Satz 5 AsylG) – unabhängig davon gegenstandslos geworden, ob die gesetzlichen Voraussetzungen für die Verfahrenseinstellung nach § 33 Abs. 1, 5 Satz 1 AsylG vorlagen. Dem Eintritt der tatsächlichen Hauptsacheerledigung steht auch nicht entgegen, dass ein Ausländer die Wiederaufnahme des Verfahrens nach § 33 Abs. 5 AsylG nur ein einziges Mal ohne die in § 33 Abs. 5 Satz 6 AsylG genannten Verfahrensnachteile beantragen kann.
Die Klagen bleiben auch im Hilfsantrag ohne Erfolg:
Dabei geht die Kammer – auch unter Zugrundlegung des gegebenen Ablaufs des gerichtlichen Verfahrens – bei sachdienlicher Auslegung des anwaltlichen Schriftsatzes vom 9. September 2016 (vgl. § 88 VwGO) davon aus, dass der jeweils hilfsweise gestellte Fortsetzungsfeststellungsantrag nicht etwa nur unverbindlich angekündigt werden sollte, sondern dass dieser wirksam und ohne unzulässige Bedingungen gestellt worden ist.
Ob die dargelegte Absicht der Kläger, Schadensersatz- bzw. Entschädigungsansprüche gegen die Beklagte zu erheben, nachdem die Kläger infolge der Ablehnung ihrer Anträge im einstweiligen Rechtsschutzverfahren mit außergerichtlichen Kosten (Anwaltskosten) belastet sind (auch im Verfahren nach § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO könnte eine Änderung des Kostenausspruchs in den Beschlüssen des Verwaltungsgerichts vom 29.4.2016, AN 4 S 16.30410 und AN 4 S 16.30412, nicht erreicht werden, vgl. etwa Schenke in: Kopp/Schenke, VwGO, 22. Aufl. 2016, § 80 Rn. 191; Gersdorf in: BeckOK, VwGO, § 80 Rn. 198; Buttler in: Sodan/Ziekow, VwGO, § 80 Rn. 183), d. h. ob das für den jeweils hilfsweise gestellten Fortsetzungsfeststellungsantrag erforderliche besondere Feststellungsinteresse aus dem vorstehend genannten oder aus einem sonstigen Grund besteht, kann letztlich hier offenbleiben, denn der Zulässigkeit der Umstellung von der ursprünglich jeweils erhobenen Anfechtungsklage jeweils auf eine Fortsetzungsfeststellungsklage nach § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO steht bereits entgegen, dass die jeweilige Anfechtungsklage, wie nachfolgend ausgeführt, von Anfang an mangels Rechtsschutzinteresses unzulässig war. Eine von Anfang an unzulässig gewesene, in der Hauptsache erledigte Anfechtungsklage kann auch nicht zulässigerweise als Fortsetzungsfeststellungsklage nach § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO fortgeführt werden (vgl. etwa Decker in: BeckOK, VwGO, § 113, Rn. 83; Gerhardt in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, § 113, Rn. 79; Bamberger in: Wysk, VwGO, § 113, Rn. 75 sowie Rn. 92 bis 95; Eyermann, VwGO, § 113, Rn. 69). Die Umstellung von einem Anfechtungs- auf einen Fortsetzungsfeststellungsantrag kann jedoch, wie hier geschehen, auch hilfsweise erfolgen (BVerwGE 66, 367; BVerwG, NVwZ 1991, 570). Offenbleiben kann, ob die Erledigung der Einstellungsbescheide des … durch Fortführung der Asylverfahren der Kläger bereits vor oder erst nach Klageerhebung eingetreten ist, denn nach ganz herrschender Meinung ist § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO auf die Fälle der Erledigung des angefochtenen Verwaltungsaktes bereits vor Klageerhebung jedenfalls entsprechend anwendbar (vgl. etwa Decker in: BeckOK, VwGO, § 114, Rn. 90 f.). Die Frage, auf welchen Zeitpunkt bezogen die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Bescheide vom 29. April 2016 und die Feststellung der Rechtsverletzung begehrt wird (vgl. den Wortlaut des Hilfsantrages), ist aus den nachfolgend genannten Gründen nicht entscheidungserheblich.
Der Zulässigkeit der ursprünglich erhobenen Anfechtungsklagen stand – unabhängig von der nachträglich hinzugekommenen Hauptsacheerledigung durch Weiterbetreiben des Verfahrens durch das … – von Anfang an entgegen, dass die Kläger mit der Möglichkeit der Stellung eines Wiederaufnahmeantrages nach § 33 Abs. 5 Satz 2, 4 AsylG über eine im Vergleich zur Beschreitung des verwaltungsgerichtlichen Rechtsweges einfachere und nicht weniger effektive Möglichkeit verfügten (diese Möglichkeit wurde von den Klägern auch bei ihrer persönlichen Vorsprache bei der Außenstelle des … am 13. bzw. 19.4.2016 auch wahrgenommen), ihr Rechtsschutzziel zu erreichen, nämlich die Wiederaufnahme des Asylverfahrens in dem Verfahrensabschnitt, in dem es vom … (zunächst) eingestellt worden ist (vgl. § 33 Abs. 5 Satz 5 AsylG). Die Zuteilung neuer Geschäftszeichen durch das … für die fortzuführenden Asylverfahren ist in diesem Zusammenhang ohne Bedeutung.
Der Gesetzgeber wollte nämlich – ausweislich der amtlichen Begründung in BT-Drs. 18/7538, Seite 17 Mitte – eindeutig der erstmaligen Einstellung des Asylverfahrens nach § 33 Abs. 1 oder 3 AsylG „lediglich Warncharakter“ zusprechen. Demgemäß ist der Wiederaufnahmeantrag nach § 33 Abs. 5 Satz 2 AsylG bzw. ein als Wiederaufnahmeantrag geltender neuer Asylantrag nach § 33 Abs. 5 Satz 4 AsylG an keinerlei materielle Voraussetzungen gebunden, sondern lediglich an die formelle Voraussetzung, dass der Wiederaufnahmeantrag persönlich bei der Außenstelle des … zu stellen ist, die der Aufnahmeeinrichtung zugeordnet ist, in welcher der Ausländer vor der Einstellung des Verfahrens zu wohnen verpflichtet war. Infolgedessen kommt es auch – bei einem erstmaligen (!) Wiederaufnahmeantrag – auf die Rechtmäßigkeit des zuvor ergangenen Einstellungsbescheids nach § 33 Abs. 5 Satz 1 AsylG nicht an.
Erst im Falle eines etwaigen weiteren, innerhalb des Zeitrahmens nach § 33 Abs. 5 Satz 6 Nr. 1 AsylG gestellten Wiederaufnahmeantrages nach gegebenenfalls erneuter Verfahrenseinstellung durch das … (bzw. im hier nicht gegebenen Falle eines im Sinne von § 33 Abs. 5 Satz 6 Nr. 1 AsylG außerhalb des dort genannten Neun-Monats-Zeitraumes gestellten Wiederaufnahmeantrages) können die in § 33 Abs. 5 Satz 6 AsylG angesprochenen Verfahrensnachteile, d. h. die Behandlung des weiteren Wiederaufnahmeantrages als Folgeantrag nach § 71 AsylG, nach § 33 Abs. 5 Satz 6 Nr. 2 AsylG überhaupt eintreten. Erst bei einer dieser beiden möglichen Konstellationen, die in der Verwaltungspraxis möglicherweise nicht den Regelfall darstellen werden, ist – dann allerdings zwingend – über die Vorfrage mit zu entscheiden, ob die vorangegangene Verfahrenseinstellung durch das … rechtmäßig war, wie dies vom VG Köln (vgl. B.v. 19.5.2016 – 3 L 1060/16.A – juris, Rn. 37) angesprochen, wenngleich im Ergebnis verneint worden ist.
Anders als das Verwaltungsgericht Köln a. a. O. vermag das erkennende Gericht nicht festzustellen, dass mit der hier vertretenen Auslegung der Wortlaut von § 33 AsylG überschritten würde, vielmehr spricht dieser die hier aufgeworfene Rechtsfrage überhaupt nicht unmittelbar an. Die hier aufgeworfene Rechtsfrage muss vielmehr ohnehin von vorneherein aufgrund einer – notwendigerweise auch verfassungskonformen (vgl. insbesondere Art. 3 und Art. 19 Abs. 4 GG) – Auslegung der Norm beantwortet werden. Dass nach Inkrafttreten einer neuen Rechtsvorschrift für eine Übergangszeit bis zu einer abschließenden, letztlich höchstrichterlichen Klärung, wobei insoweit hier auch die einschränkenden Regelungen in § 78 AsylG in Rechnung zu stellen sind, eventuell unterschiedliche Auslegungen von Instanzgerichten vorgenommen werden, ist eine unvermeidbare Folge der vom Gesetzgeber gewählten Gesetzesformulierung und stellt, gerade bei komplexen gesetzlichen Regelungsgegenständen, keineswegs einen seltenen Sonderfall dar.
Demzufolge vermag das erkennende Gericht, anders als das Verwaltungsgericht Köln, a. a. O., auch keine unangemessene „Privilegierung“ derjenigen Asylbewerber/innen zu erkennen, die nach der ersten Verfahrenseinstellung davon absehen, um gerichtlichen Rechtsschutz nachzusuchen und sich stattdessen für den leichteren Weg des Antrags auf Wiederaufnahme des Verfahrens entscheiden, wobei es diesen dann unbenommen bliebe, sich nach der zweiten Verfahrenseinstellung auf die Rechtswidrigkeit des ersten Einstellungsbeschlusses zu berufen. Entsprechendes gilt – erst recht – für die vom Verwaltungsgericht Köln, a. a. O., unterstellte prozessuale Ineffektivität und Systemwidrigkeit. Im Gegenteil erscheint es unter Zugrundlegung des oben genannten gesetzgeberischen Grundgedankens effektiver, der unter Umständen nicht immer leicht zu beantwortenden Frage, ob ein – erster – Einstellungsbescheid des … nach § 33 Abs. 5 Satz 1 AsylG rechtmäßig war, erst dann nachzugehen, wenn es hierauf unter praktischen Gesichtspunkten überhaupt erstmals – und sei es als Vorfrage – ankommt, nämlich bei Stellung eines weiteren Wiederaufnahmeantrages bzw. eines neuen Asylantrages im Sinne von § 33 Abs. 5 Satz 6 Nr. 2 AsylG. Entsprechendes gilt wohl, was hier jedoch nicht unmittelbar entscheidungserheblich ist, bei einem Wiederaufnahmeantrag bzw. bei erneuter Asylantragstellung nach Fristablauf der Neun-Monats-Frist gemäß § 33 Abs. 5 Satz 6 Nr. 1 AsylG.
Auch die Ausführungen der 3. Kammer des 2. Senats des BVerfG zur Begründung seines Nichtannahmebeschlusses vom 20. Juli 2016, Az. 2 BvR 1385/16, juris, Rn. 8, stehen der hier getroffenen Entscheidung nicht entgegen. Das BVerfG vertritt in dem genannten Nichtannahmebeschluss lediglich die Auffassung, dass (nur) dann, wenn die erste Wiederaufnahmeentscheidung des … nach § 33 Abs. 5 Satz 2 AsylG ein späteres Wiederaufnahmebegehren selbst unter der Voraussetzung „sperre“, dass die erste Verfahrenseinstellung nach § 33 Abs. 5 Satz 1 AsylG rechtswidrig war, nicht von einem Wegfall des Rechtsschutzinteresses ausgegangen werden könne. Nach der hier vom erkennenden Gericht vorgenommenen Auslegung des § 33 AsylG ist es jedoch gerade nicht so, dass sogar eine rechtswidrige erste Verfahrenseinstellung nach § 33 Abs. 5 Satz 1 AsylG ein späteres erneutes Wiederaufnahmebegehren „sperrt“ (gemeint ist offenbar: dass ein späteres erneutes Wiederaufnahmebegehren zwingend als Folgeantrag im Sinne von § 71 AsylG zu behandeln ist), vielmehr vertritt das erkennende Gericht ausdrücklich die Auffassung (siehe oben), dass im Falle eines erneuten Wiederaufnahmebegehrens im Sinne von § 33 Abs. 5 Satz 2 AsylG bzw. im Falle eines erneuten Asylantrages im Sinne von § 33 Abs. 5 Satz 4 AsyG – allerdings erst dann, und nicht schon beim materiell-rechtlich voraussetzungslosen ersten Wiederaufnahmebegehren – zwingend als Vorfrage darüber zu entscheiden ist, ob die vorangegangene erste Verfahrenseinstellung nach § 33 Abs. 5 Satz 1 AsylG rechtmäßig war. Nur unter dieser Voraussetzung wird nach der vom erkennenden Gericht hier vertretenen Auffassung der in § 33 Abs. 5 Satz 6 AsylG genannte Verfahrensnachteil, d. h. die Behandlung des erneuten Wiederaufnahmebegehrens bzw. des erneuten Asylantrages als Folgeantrag im Sinne von § 71 AsylG, überhaupt ausgelöst.
Nach alledem erweist sich auch der hilfsweise gestellte Fortsetzungsfestsetzungsantrag der Kläger als unzulässig.
Die Klagen waren daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen; Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylG nicht erhoben.


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