Verwaltungsrecht

Erfolgloser Antrag auf Aussetzung der Abschiebung

Aktenzeichen  W 8 E 19.712

Datum:
3.7.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 16483
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 123
GG Art. 6
GKG § 52 Abs. 1

 

Leitsatz

Ein Antrag nach § 123 VwGO gegen eine Abschiebungsandrohung ist erfolglos, wenn trotz bestehender Ausreisepflicht eine Abschiebung nicht unmittelbar bevorsteht, da es an einem  Anordnungsgrund fehlt (ebenso BeckRS 2019, 5769). (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 1.250,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller, algerischer Staatsangehöriger, reiste am 27. Juli 2016 in die Bundesrepublik Deutschland ein. Die gegen die mit Bescheid vom 11. Juli 2017 erfolgte Ablehnung seines Asylantrags erhobene Klage wurde ebenso abgewiesen (vgl. VG Würzburg, U.v. 10.9.2018 – W 8 K 18.31094 – juris) wie der Antrag auf Zulassung der Berufung (vgl. BayVGH, B.v. 29.10.2018 – 15 ZB 18.32711 – juris).
Am 17. Juni 2019 ließ der Antragsteller beantragen,
den Antragsgegner zu verpflichten,
1. aufgrund des Anspruchs auf Begleitung in der Schwangerschaft jedenfalls in der Schlussphase, sowie Anspruch auf Teilnahme an der Geburt aus Schutzwirkung von Art. 6 Abs. 1, Abs. 2 GG, die Abschiebung mindestens bis vier Wochen nach der Geburt auszusetzen und gemäß § 60a Abs. 4 AufenthG eine Bescheinigung hierüber auszustellen (Duldung).
Hilfsweise
2. die Abschiebung gemäß § 60a Abs. 3 Satz 3 AufenthG im Wege des Ermessens aufgrund des Anspruchs auf Begleitung in der Schwangerschaft, jedenfalls in der Schlussphase, sowie Anspruch auf Teilnahme an der Geburt aus Schutzwirkung von Art. 6 Abs. 1, Abs. 2 GG bis mindestens vier Wochen nach der Geburt auszusetzen und eine Bescheinigung hierüber auszustellen.
3. Dem Antragsgegner mitzuteilen, dass seine Abschiebung bis zur Entscheidung über den Antrag nicht durchgeführt werden darf.
Zur Begründung ist im Wesentlichen ausgeführt: Der Antragsteller sei mit einer deutschen Staatsangehörigen verlobt. Diese befinde sich im letzten Trimester der Schwangerschaft. Der voraussichtliche Geburtstermin sei am 29. August 2019. Der Antragsteller sei der Vater des ungeborenen Kindes. Der Antrag auf Vaterschaftsanerkennung und Erklärung zum gemeinsamen Sorgerecht werde Anfang Juli 2019 beurkundet werden. In der Rechtsprechung sei anerkannt, dass die bevorstehende Geburt eines (auch nichtehelichen) Kindes aufenthaltsrechtliche Vorwirkungen begründen könne. Die Schwangere sei wegen der drohenden Abschiebung ihres Verlobten psychisch erheblich belastet. Eine Risikoschwangerschaft sei diagnostiziert worden. Der Antragsteller unterstütze die Kindesmutter während der Dauer der Risikoschwangerschaft sowohl in physischer als auch in psychischer Hinsicht. Beide Elternteile lebten bereits jetzt in Verhältnissen, welche eine gemeinsame Übernahme der elterlichen Versorgung und Verantwortung sicher erwarten ließen. Die Eilbedürftigkeit sei gegeben, da sich die Schwangere im letzten Schwangerschaftstrimester befinde und das Kind damit jederzeit zur Welt kommen könne. Es werde lediglich eine kurzfristige Aussetzung der Abschiebung von mindestens vier Wochen nach der Geburt des Kindes begehrt.
Mit Schriftsatz vom 26. Juni 2019 ließ der Antragsteller weiter vorbringen: Die Eilbedürftigkeit sei gegeben. Der Antragsteller sei ausreisepflichtig. Auch die Klage gegen den Ausweisungsbescheid schütze den Antragsteller nicht vor Abschiebung. Auf interne Vorgänge der Regierung von Unterfranken hinsichtlich eines Abschiebungstermins habe der Antragsteller keinen Einfluss. Die Abschiebetermine würden nicht mitgeteilt. Auch die Petition der Schwangeren habe keine aufschiebende Wirkung. Der Antragsteller habe bei der Ausländerbehörde die Bescheinigung über die Beantragung eines Reisepasses vorgelegt. Seine Identität stehe fest. Die Frau sei hochschwanger und lebe in permanenter Angst, dass ihr Partner jederzeit abgeholt werden könne und er die Geburt des gemeinsamen Kindes nicht miterleben werde.
Mit Schriftsatz vom 3. Juli 2019 ließ der Antragsteller eine Kopie der Anerkennung der Vaterschaft des Antragstellers vorlegen und weiter mitteilen, dass am 16. Juli 2019 der Termin beim zuständigen Jugendamt bezüglich der gemeinsamen Sorgerechtserklärung stattfinden werde.
Der Antragsgegner, vertreten durch die Regierung von Unterfranken, beantragte mit Schreiben vom 19. Juni 2019 sinngemäß, den Antrag abzulehnen.
Zur Begründung führte er im Wesentlichen aus: Gegenwärtig sei kein Anordnungsgrund gegeben. Konkrete aufenthaltsbeendende Maßnahmen seien derzeit von der Regierung von Unterfranken – Zentrale Ausländerbehörde Unterfranken – weder in Vorbereitung noch seien solche geplant. Zudem habe sich die Schwangere mit einer Eingabe an den Bayerischen Landtag gewandt. Die zuständige Stelle des Bayerischen Staatsministeriums des Innern, für Sport und Integration (StMI) habe um Stellungnahme gebeten. Aufenthaltsbeendende Maßnahmen sollten bis zur Entscheidung über die Eingabe des Bayerischen Landtags nur in Abstimmung mit dem StMI erfolgen. Eine Entscheidung des Bayerischen Landtags sei bisher nicht ergangen.
Mit Schriftsatz vom 3. Juli 2019 brachte der Antragsgegner klarstellend weiter vor: Derzeit würden keine konkreten Abschiebemaßnahmen vorbereitet. Eine Abschiebung wäre nur mit ausdrücklicher Zustimmung des StMI möglich, die nicht vorliege. Konkrete Abschiebemaßnahmen wären erst nach Abschluss des Petitionsverfahren möglich. Das StMI habe um eine ergänzende Stellungnahme zur Petition gebeten, die noch nicht abgegeben worden sei. Eine Behandlung der Eingabe durch den Petitionsausschuss des Landtages werde wohl nicht mehr vor der Sommerpause erfolgen. Derzeit sei kein Anordnungsgrund erkennbar.
Die Kammer übertrug den Rechtsstreit mit Beschluss vom 25. Juni 2019 dem Berichterstatter als Einzelrichter zur Entscheidung.
Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte und die beigezogene Behördenakte Bezug genommen.
II.
Der Antrag nach § 123 VwGO ist sowohl im Hauptantrag als auch in den hilfsweise gestellten Anträgen ohne Erfolg.
Vorliegend ist kein Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Ein Anordnungsgrund gegen eine Abschiebungsandrohung besteht trotz Ausreisepflicht nicht, wenn nicht ersichtlich ist, dass eine Abschiebung unmittelbar bevorsteht (so VG München, B.v. 14.3.2019 – M 5 S 19.50043 – juris). Denn ein Anordnungsgrund liegt nur dann vor, wenn eine vorläufige Sicherung des in der Hauptsache verfolgten materiellen Anspruchs zur Gewährleistung eines effektiven Rechtsschutzes dringlich ist, weil dem Antragsteller unter Berücksichtigung seiner Interessen, aber auch der öffentlichen Interessen ein Abwarten der Hauptsacheentscheidung unzumutbar ist. Im vorliegenden Fall wurde nicht glaubhaft gemacht, dass der Antragsteller wegen besonderer Eilbedürftigkeit einer vorläufigen gerichtlichen Entscheidung bedürfe. Eine solche Entscheidung erscheint nicht zur Abwendung wesentlicher Nachteile oder zur Verhinderung drohender Gewalt nötig.
Denn eine Abschiebung des Antragstellers ist zurzeit nicht zu befürchten. Der Antragsteller ist zwar vollziehbar ausreisepflichtig. Der Antragsgegner hat aber ausdrücklich mitgeteilt, dass konkrete aufenthaltsbeendende Maßnahmen derzeit weder in Vorbereitung noch geplant seien. Außerdem habe die Schwangere eine Petition an den Bayerischen Landtag gerichtet. Eine Abschiebung wäre nur mit ausdrücklicher Zustimmung des Bayerischen Staatsministeriums des Innern, für Sport und Integration (StMI) möglich, die nicht vorliege. Konkrete Abschiebemaßnahmen wären erst nach Abschluss des Petitionsverfahren möglich. Das StMI habe um eine ergänzende Stellungnahme zur Petition gebeten, die noch nicht abgegeben worden sei. Eine Behandlung der Eingabe durch den Petitionsausschuss des Landtages werde wohl nicht mehr vor der Sommerpause erfolgen.
Auch angesichts der angeforderten ergänzenden Stellungnahme des StMI ist nach Überzeugung des Gerichts eine Abschiebung vor der Entscheidung des Petitionsausschusses nicht zu erwarten und weiter mit einer Entscheidung Petitionsausschusses vor der Sommerpause nicht zu rechnen. Der Antragsteller wird über seine schwangere Verlobte von der Entscheidung über die Petition erfahren. Der Antragsteller hat ab da immer noch genügend Zeit, um gegebenenfalls – soweit überhaupt noch erforderlich – um einstweiligen Rechtsschutz bei Gericht nachzusuchen.
Auf die Glaubhaftmachung eines Anordnungsanspruchs kommt es nicht mehr an. Zwar kann auch die Vaterschaft eines im Bundesgebiet lebenden Ausländers für ein ungeborenes Kind einer deutschen Staatsangehörigen unter bestimmten Voraussetzungen den Umstand darstellen kann, der unter dem Gesichtspunkt des Schutzes der Familie nach Art. 6 Abs. 1 und 2 GG aufenthaltsrechtliche Vorwirkungen entfaltet, etwa – wie hier – im Fall einer Risikoschwangerschaft, wenn im Falle eines unehelichen Kindes der Ausländer seine Vaterschaft vorgeburtlich wirksam anerkannt hat. Dies gilt jedoch nur, wenn nicht ausnahmsweise überwiegende, besondere gewichtige Gründe dem Interesse des Antragstellers an einem Verbleib im Bundesgebiet entgegenstehen, etwa wenn der Ausländer während seines Aufenthalts in Deutschland in erheblichem Umfang straffällig geworden ist und bei dem zu befürchten ist, dass er weitere Straftaten begehen wird (vgl. zum Ganzen SächsOVG, B.v. 7.5.2019 – 3 B 102/19 – juris; VG Düsseldorf, B.v. 10.7.2018 – 27 L 1713/18 – juris, jeweils m.w.N.). Dies braucht jedoch nicht weiter vertieft zu werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. den Nrn. 1.5 und 8.3 (entsprechend) des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit. Nach Nr. 8.3 des Streitwertkatalogs ist bei Klagen bezüglich Abschiebung vom halben Auffangwert (2.500,00 EUR) auszugehen. Nach Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs ist der Streitwert im Sofortverfahren zu halbieren, so dass letztlich 1.250,00 EUR festzusetzen waren.


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