Verwaltungsrecht

Erfolgloser Antrag auf Berufungszulassung mangels grundsätzlicher Bedeutung

Aktenzeichen  5 ZB 17.31669

Datum:
23.11.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 134617
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 78 Abs. 3 Nr. 1
AufenthG § 60 Abs. 7 S. 1

 

Leitsatz

1. Die Frage, in welchen Fällen eine Traumatisierung zu einem Abschiebungshindernis im Sinne des § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG  führen kann, kann in der Regel nicht grundsätzlich geklärt, sondern nur im jeweiligen Einzelfall geprüft werden. (Rn. 8) (redaktioneller Leitsatz)
2. Der Schutz von Ehe und Familie (Art. 6 GG, Art. 8 Abs. 1 EMRK) ist kein zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot, dass nicht vom Bundesamt in seiner asylrechtlichen Entscheidung berücksichtigt werden muss, sondern es handelt sich um die Frage des Bestehens eines inländischen Abschiebungshindernisses nach § 60a Abs. 2 AufenthG, über das die Ausländerbehörde zu entscheiden hat. (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

RO 4 K 16.32549 2017-09-13 Urt VGREGENSBURG VG Regensburg

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Kläger tragen die Kosten des Zulassungsverfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

1. Der auf § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG gestützte Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Die Berufung ist nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen.
Der Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung setzt voraus, dass eine konkrete, bisher höchstrichterlich oder obergerichtlich nicht beantwortete Rechts- oder Tatsachenfrage formuliert wird, die für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts von Bedeutung war, deren Klärung im Berufungsverfahren zu erwarten und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder Weiterentwicklung des Rechts geboten ist und der eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 124a Rn. 72). Hierfür ist eine Auseinandersetzung mit den Ausführungen des Verwaltungsgerichts erforderlich (vgl. Berlit in GK-AsylG, § 78 Rn. 592, 607 und 609). Bei einer auf tatsächliche Verhältnisse gestützten Grundsatzrüge muss der Rechtsmittelführer Erkenntnisquellen zum Beleg dafür angeben, dass die Feststellungen, Erkenntnisse und Einschätzungen des Verwaltungsgerichts unzutreffend oder zumindest zweifelhaft sind (OVG NW, B.v. 12.12.2016 – 4 A 2939/15.A – juris m.w.N.).
a) Die Kläger halten die grundsätzliche Tatsachenfrage für klärungsbedürftig, ob für minderjährige Kinder, die durch Kriegshandlungen verletzt wurden und infolgedessen auf qualifizierte therapeutische Behandlung ihrer massiven Traumata angewiesen sind, ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 7 AufenthG besteht.
Das Verwaltungsgericht berücksichtige in seiner Entscheidung nicht, dass sich der minderjährige Kläger zu 3 infolge massiver Traumata, hervorgerufen durch einen Bombenanschlag und den eigenen (auch physischen) Verletzungen, noch immer in dringend notwendiger kinder- und jugendpsychiatrischer Behandlung befinde. Vorgelegt wurden ein ärztliches Attest des BKK Regensburg vom 16. Oktober 2017 und eine ärztliche Bescheinigung vom 19. Oktober 2017. Bei einer Rückkehr ins Heimatland bestünden besonders für traumatisierte Patienten, vor allem für Kinder, enorme Gesundheitsrisiken.
Damit wird eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache nicht im Sinn des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG dargelegt.
Eine Traumatisierung des Klägers zu 3 wurde im bisherigen Verfahren nicht vorgetragen. In der Anhörung vor dem Bundesamt am 7. Juni 2016 schilderten die Kläger zu 1 und 2 lediglich, dass im Jahr 2015 eine Bombe vor der Schule detoniert sei und ihr Sohn dabei verletzt worden sei. Er habe eine Brandverletzung auf der rechten Körperseite. Er sei zu Hause von einem Krankenpfleger behandelt worden und zwei Wochen später wieder zur Schule gegangen. Die beim Verwaltungsgericht erhobene Klage wurde nicht begründet. Auch in der mündlichen Verhandlung am 13. September 2017, zu der die Kläger nicht erschienen sind, trug ihr Prozessbevollmächtigter keinen weiteren Sachverhalt vor. Weder der Bescheid des Bundesamts noch das Urteil des Verwaltungsgerichts enthalten daher Ausführungen zu einem etwaigen Abschiebungshindernis gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG bezüglich des Klägers zu 3 im Hinblick auf eine psychische Erkrankung.
Nunmehr legen die Kläger eine Bestätigung des Bezirksklinikums Regensburg vom 16. Oktober 2017 vor. Darin wird ausgeführt, dass sich der Kläger zu 3 seit dem 11. Januar 2017 in ihrer ambulanten kinder- und jugendpsychiatrischen Diagnostik und Behandlung befinde. Eine Weiterbehandlung sei ihrer fachlichen Einschätzung nach dringend erforderlich. Im ärztlichen Attest vom 19. Oktober 2017 wird ausgeführt, dass der Kläger zu 3 sich seit 22. September 2016 in Behandlung befinde. Bei der Erstvorstellung hätten die Eltern berichtet, dass der Jugendliche seit einem Bombenanschlag in seiner Heimat stark traumatisiert sei, es zeigten sich erhebliche Schlafstörungen. Ein Befundbericht der Jugendpsychiatrie könne nach Vorlage einer Schweigepflichtentbindung angefordert werden. Eine weitere Vorstellung in einer Klinik sei geplant.
Abgesehen davon, dass die nunmehr vorgetragene Traumatisierung des Klägers zu 3 im verwaltungsgerichtlichen Verfahren nicht vorgetragen wurde, obwohl der Kläger zu 3 nach den jetzt vorgelegten Bescheinigungen bereits zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung in Behandlung gewesen ist, und diese Frage daher für das Verwaltungsgericht nicht von Bedeutung war, wird mit diesen ärztlichen Bescheinigungen, die auch in der Zulassungsbegründung nicht näher erläutert werden, ein Abschiebungshindernis nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht ausreichend vorgetragen und damit auch im Sinn von § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG nicht dargelegt. Die Frage, in welchen Fällen eine Traumatisierung zu einem Abschiebungshindernis im Sinn dieser Vorschrift führen kann, kann in der Regel auch nicht grundsätzlich geklärt, sondern nur im jeweiligen Einzelfall geprüft werden.
Die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache wurde auch deshalb nicht ausreichend dargelegt, weil die Zulassungsbegründung – so man die gestellte Frage auf das Herkunftsland der Kläger, den Irak bezieht – nichts zum etwaigen Fehlen von Behandlungsmöglichkeiten für traumatisierte Kinder im Irak ausführt. Der Kläger zu 1 war in Bagdad Autohändler, hat nach eigener Aussage in der Anhörung die Flucht aus Ersparnissen finanziert, „ohne etwas verkaufen zu müssen“, die Klägerin zu 2 arbeitete als Juristin bei der Anwaltskammer; auch haben die Kläger viele Verwandte im Irak. Es ist daher nicht ersichtlich, dass die Kläger zu 1 und 2 eine etwaige notwendige Behandlung ihres Kindes im Irak nicht sicherstellen können.
b) Die von den Klägern ferner für grundsätzlich bedeutsam gehaltene Frage, ob eine Abschiebung von Eltern, deren Kinder wegen eines Abschiebungshindernisses nicht abgeschoben werden können, gegen das Recht auf Achtung des Familienlebens gemäß Art. 8 Abs. 1 EMRK und somit gegen § 60 Abs. 5 AufenthG verstößt, ist weder klärungsbedürftig, weil ein solches Abschiebungshindernis hinsichtlich des Klägers zu 3 nicht ausreichend vorgetragen wurde, noch klärungsfähig, weil sie bereits geklärt ist. Der Schutz von Ehe und Familie (Art. 6 GG, Art. 8 Abs. 1 EMRK) ist kein zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis und muss daher vom Bundesamt in seiner asylrechtlichen Entscheidung nicht berücksichtigt werden. Es handelt sich um die Frage des Bestehens eines sog. inländischen Abschiebungshindernisses (vgl. § 60a Abs. 2 AufenthG), über das die Ausländerbehörde zu entscheiden hat.
2. Da die (Monats-)Frist für die Begründung des Antrags auf Zulassung der Berufung gegen das dem Bevollmächtigten der Kläger am 26. September 2017 zugestellte Urteil bereits abgelaufen ist (§ 78 Abs. 4 Satz 4 i.V.m. Satz 1 AsylG), können weitere Gründe nicht mehr dargelegt werden.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).
4. Dieser Beschluss, mit dem die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig wird (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG), ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).


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