Verwaltungsrecht

Erfolgloser Antrag auf Zulassung der Berufung

Aktenzeichen  10 ZB 19.32520

Datum:
15.7.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 15921
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 78 Abs. 3 Nr. 3
AufenthG § 60 Abs. 5
VwGO § 138 Nr. 3
EMRK Art. 3

 

Leitsatz

1 Ob wegen der schlechten humanitären Bedingungen in Nigeria ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG iVm Art. 3 EMRK besteht, ist einer grundsätzlichen Klärung nicht zugänglich. In der Rechtsprechung des EGMR ist geklärt, dass die einem Ausländer im Zielstaat drohende Gefahr ein gewisses Mindestmaß an Schwere erreichen muss, um ein Abschiebungsverbot nach Art. 3 EMRK zu begründen. (Rn. 4) (redaktioneller Leitsatz)
2 Für eine schlüssige Gehörsrüge genügt nicht allein der Vortrag eines Gehörsverstoßes aus, sondern es ist darüber hinaus substantiiert darzulegen, was bei ausreichender Gewährung rechtlichen Gehörs, dh bei Kenntnis des nicht in das Verfahren eingeführten Erkenntnismittels noch vorgetragen worden wäre. (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

Au 9 K 17.32148 2019-05-02 Ent VGAUGSBURG VG Augsburg

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Kläger tragen die Kosten des Zulassungsverfahrens.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Der Antrag auf Zulassung der Berufung bleibt ohne Erfolg. Die geltend gemachten Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG) und der Verletzung rechtlichen Gehörs (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V.m. § 138 Nr. 3 VwGO) sind schon nicht den Anforderungen des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG entsprechend dargelegt bzw. liegen nicht vor.
Die Darlegung der rechtsgrundsätzlichen Bedeutung (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG) verlangt, dass eine konkrete Tatsachen- oder Rechtsfrage formuliert und aufgezeigt wird, weshalb die Frage im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Fortentwicklung des Rechts klärungsbedürftig und klärungsfähig, insbesondere entscheidungserheblich, ist; ferner, worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung dieser Frage besteht.
Die von den Klägern aufgeworfene Frage, „ob die schlechte wirtschaftliche Situation in Nigeria zu einem Abschiebungsverbot auf Grund schlechter humanitärer Verhältnisse führt und als unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne von Art. 3 EMRK zu qualifizieren ist“, hat keine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung.
Ob wegen der schlechten humanitären Bedingungen ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 i.V.m. Art. 3 EMRK AufenthG besteht, ist einer grundsätzlichen Klärung nicht zugänglich. In der Rechtsprechung des EGMR ist geklärt, dass die einem Ausländer im Zielstaat drohende Gefahr ein gewisses Mindestmaß an Schwere erreichen muss, um ein Abschiebungsverbot nach Art. 3 EMRK zu begründen (EGMR, U.v. 13.12.2016 – Nr. 41738/10, Paposhvili/Belgien – Rn. 174). Das erforderliche Mindestmaß kann erreicht sein, wenn die Rückkehrer ihren existenziellen Lebensunterhalt nicht sichern können. Einer weitergehenden abstrakten Konkretisierung ist das Erfordernis, dass ein gewisses Mindestmaß an Schwere erreicht sein muss, nicht zugänglich. Vielmehr bedarf es insoweit der Würdigung aller Umstände des Einzelfalls (BVerwG, B.v. 8.8.2018 – 1 B 25.18 – Rn. 11), so dass die Frage nach dem Vorliegen eines Abschiebungsverbots nicht grundsätzlich geklärt werden kann (stRspr, vgl. BayVGH, B.v. 14.12.2018 – 10 ZB 18.33218 – juris Rn. 4).
Auch die Frage, „ob nigerianische Staatsangehörige, die Eltern weiblicher Kinder sind, bei ihrer Rückkehr nach Nigeria auch gegen ihren eigenen Willen eine Genitalverstümmmelung ihrer Töchter befürchten müssen, wenn weitere Familienmitglieder der Tradition entsprechend auf einer Beschneidung bestehen“, rechtfertigt nicht die Zulassung der Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung.
Das Verwaltungsgericht hat seine Entscheidung, dass den Klägern wegen drohender Beschneidung der Klägerinnen zu 3, 5 und 6 die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt wird, selbstständig tragend darauf gestützt, dass ihnen wegen ihrer Volkszugehörigkeit und ihres Alters keine Beschneidung drohe und zudem eine inländische Fluchtalternative bestehe. Die von den Klägern formulierte Frage ist daher nicht entscheidungserheblich, weil in jedem Fall die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft an der bestehenden inländischen Fluchtalternative scheitert. Auch kommen die Kläger den Darlegungsanforderungen an eine auf tatsächliche Verhältnisse gestützte Grundsatzrüge nicht nach, weil sie ihrerseits keine Erkenntnisquellen zum Beleg dafür angeben, dass die Feststellungen und Erkenntnisse des Verwaltungsgerichts zur drohenden Gefahr einer Beschneidung von Mädchen im Alter von 4 bis 9 Jahren mit der Volkszugehörigkeit Edo unzutreffend sind.
Die Berufung ist auch nicht aufgrund des gerügten Verfahrensfehlers einer Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V.m. § 138 Nr. 3 VwGO) zuzulassen.
Das verfassungsrechtliche Gebot des rechtlichen Gehörs nach Art. 103 Abs. 1 GG gebietet, dass ein asylrechtliches Urteil nur auf solche Tatsachen und Beweismittel (einschließlich Presseberichte und Behördenauskünfte) gestützt werden darf, zu denen sich die Beteiligten äußern konnten. Nur bei einer Offenlegung der Erkenntnisquellen über die der Entscheidungsfindung zugrunde gelegten tatsächlichen Umstände wird den Beteiligten eine effektive Prozessführung ermöglicht und die Gelegenheit eröffnet, durch Vortrag und Anträge auf die Zusammensetzung des Quellenmaterials Einfluss zu nehmen. Hieraus folgt im gerichtlichen Asylverfahren grundsätzlich die Pflicht des Gerichts, die Erkenntnismittel, auf die es seine Entscheidung zu stützen beabsichtigt, in einer Weise zu bezeichnen und in das Verfahren einzuführen, die es den Verfahrensbeteiligten ermöglicht, diese zur Kenntnis zu nehmen und sich zu ihnen zu äußern (NdsOVG, B. v. 8.7.2014 – 13 LA 16/14 – InfAuslR 2014, 458). Für eine Einführung in das Verfahren reicht es dabei grundsätzlich aus, dass das Gericht den Beteiligten eine Liste der betreffenden Erkenntnismittel übersendet (VGH BW, B.v. 18.9.2017 – A 11 S 2067/17 – juris Rn. 19).
Im vorliegenden Fall ist aus den Akten des Verwaltungsgerichts nicht ersichtlich, dass das Gericht vor Erlass des Urteils die Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 7. Juni 2005 in das Verfahren eingeführt hat, obwohl es in den Entscheidungsgründen darauf Bezug genommen hat.
Der Kläger hat den geltend gemachten Gehörsverstoß jedoch nicht hinreichend dargelegt. Für eine schlüssige Gehörsrüge genügt nicht allein der Vortrag eines Gehörsverstoßes aus, sondern es ist darüber hinaus substantiiert darzulegen, was bei ausreichender Gewährung rechtlichen Gehörs, d.h. bei Kenntnis des nicht in das Verfahren eingeführten Erkenntnismittels noch vorgetragen worden wäre (OVG NW, B.v. 10.7.2018 – 13 A 1529/18.A – juris Rn. 16, BayVGH, B.v. 31.8.2018 – 10 ZB 18.32135 – Rn. 6, B.v. 22.11.2018 – 10 ZB 18.31288 – Rn. 4 m.w.N.). Diesen Anforderungen genügt das Zulassungsvorbringen nicht. Die Kläger behaupten lediglich, dass dieses Erkenntnismittel aufgrund aktuellerer Erkenntnisse inhaltlich unzutreffend sei. Zudem hätten die Kläger darlegen müssen, weshalb die verfahrensfehlerfrei eingeführten Erkenntnismittel das gefundene Ergebnis nicht eigenständig stützen (VGH BW, B.v. 18.8.2017 – A 11 S 2067/17 – juris Rn. 19), weil das Verwaltungsgericht neben der Auskunft des Auswärtigen Amtes auch auf den Informationsbrief des Informationszentrums Asyl und Migration – Weibliche Genitalverstümmelung – vom April 2010 und den EASO Country of Origin Information Report vom Juni 2017 verwiesen hat.
Eine Verletzung des rechtlichen Gehörs kann auch nicht darauf gestützt werden, dass die vom Verwaltungsgericht seiner Entscheidung zugrunde gelegten Erkenntnismittel nicht gesondert bezeichnet wurden. Entgegen der Ansicht der Kläger gebietet es der Grundsatz des rechtlichen Gehörs nicht, dass das Verwaltungsgericht für jedes Verfahren gesondert aus der Gesamtmenge der zu einem Herkunftsland verfügbaren, jeweils genau bezeichneten Erkenntnismittel diejenigen herausfiltert und durch eine gesonderte, verfahrensbezogene Liste einführt, die (möglicherweise) entscheidungserheblich Verwendung finden werden (VGH BW, B.v. 20.8.2018 – A 12 S 1364/18 – juris Rn. 6 m.w.N.). Selbst wenn man annimmt, das Verwaltungsgericht hätte auch die Erkenntnismittelliste thematisch aufarbeiten müssen, können sich die Kläger nicht auf eine Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör berufen. Denn die Verletzung der Garantie des rechtlichen Gehörs kann jedenfalls dann nicht mit Erfolg gerügt werden, wenn der Beteiligte es versäumt, sich unter Einsatz der ihm nach der Prozessordnung zur Verfügung stehenden Mittel rechtliches Gehör zu verschaffen (vgl. VGH BW, B.v. 27.12.2017 – A 4 S 2775/17 – juris zur Rügepflicht bei Einführung einer falschen Erkenntnismittelliste im Asylprozess). Demgemäß ist der Asylkläger jedenfalls bei entsprechendem Anlass gehalten, auf nähere themen- oder fallbezogene Konkretisierung der vom Gericht als möglicherweise entscheidungserheblich bezeichneten, eingeführten Erkenntnismittel hinzuwirken (VGH BW a.a.O. Rn. 8 m.w.N.).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylG nicht erhoben.
Mit dieser gemäß § 80 AsylG unanfechtbaren Entscheidung wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).


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