Verwaltungsrecht

Erfolgloser Berufungszulassungsantrag

Aktenzeichen  6 ZB 18.1054

Datum:
5.7.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 17252
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayStrWG Art. 6 Abs. 1
BayKAG Art. 13

 

Leitsatz

1 Eine der straßenrechtlichen Widmung beigefügte Anordnung der Rückwirkung aus Gründen der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit ist unwirksam. Sie führt jedoch nicht zur Unwirksamkeit der Widmungsverfügung in ihrer Gesamtheit. (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz)
2 Nach dem allgemeinen Grundsatz der materiellen Beweislast geht die Nichterweislichkeit von Tatsachen, aus denen ein Beteiligter für ihn günstige Rechtsfolgen herleitet, zu seinen Lasten, es sei denn, dass die im Einzelfall einschlägige Norm selbst eine besondere Regelung trifft. Abweichend hiervon kann es gerechtfertigt sein, Ungewissheiten und Unklarheiten bei der Beweislastentscheidung zum Nachteil desjenigen Beteiligten ausgehen zu lassen, in dessen Verantwortungs- und Verfügungssphäre diese fallen (hier: Beweistlastentscheidung zum Nachteil der Behörde, wenn sich die von ihr behauptete fehlende Bekanntmachung einer früheren Widmungsverfügung nicht nachweisen lässt). (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 28 K 17.1763 2018-03-27 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Der Antrag der Beklagten auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 27. März 2018 – M 28 K 17.1763 – wird abgelehnt.
II. Die Beklagte hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 16.916,89 € festgesetzt.

Gründe

Der Antrag der Beklagten‚ die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts zuzulassen‚ hat keinen Erfolg. Die von der Beklagten innerhalb der Zwei-Monats-Frist des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO geltend gemachten Zulassungsgründe der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO), der besonderen rechtlichen Schwierigkeiten (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) und der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) liegen nicht vor.
1. An der Richtigkeit des angegriffenen Urteils bestehen keine ernstlichen Zweifel im Sinn von § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO.
Dieser Zulassungsgrund läge vor, wenn vom Rechtsmittelführer ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung des Verwaltungsgerichts mit schlüssigen Argumenten in Frage gestellt würde (vgl. BVerfG, B.v. 23.6.2000 – 1 BvR 830/00 – NVwZ 2000, 1163/1164; B.v. 23.3.2007 – 1 BvR 2228/02 – BayVBl 2007, 624). Das ist nicht der Fall.
Die Klägerin wurde von der beklagten Gemeinde mit Bescheid vom 26. Oktober 2016 als Eigentümerin des Grundstücks FlNr. 1052/9 für die erstmalige endgültige Herstellung des Kastanienwegs zu einem Erschließungsbeitrag in Höhe von 16.916,89 € herangezogen. Auf ihre Klage hin hat das Verwaltungsgericht mit dem angegriffenen Urteil vom 27. März 2018 den Erschließungsbeitragsbescheid der Beklagten vom 26. Oktober 2016 aufgehoben, weil Festsetzungsverjährung eingetreten sei. Die sachlichen Beitragspflichten seien bereits im Jahr 2011 entstanden. Zu diesem Zeitpunkt habe eine wirksame Erschließungsbeitragssatzung vorgelegen; die letzte Unternehmerrechnung sei 2006 eingegangen. Gewidmet worden sei der Kastanienweg bereits durch die Widmungsverfügung vom 29. April 2009 und nicht erst durch die spätere vom 20. März 2012. Als zeitlich letzte Voraussetzung für das Entstehen der sachlichen Beitragspflichten sei am 21. Oktober 2011 die infolge Planabweichung erforderlich gewordene 1. Änderung des Bebauungsplans Nr. 56 in Kraft getreten. Der Erschließungsbeitragsbescheid vom 26. Oktober 2016 sei deshalb infolge Festsetzungsverjährung rechtswidrig.
Dem hält die Beklagte keine durchgreifenden ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils entgegen.
a) Ohne Erfolg bleibt die Rüge, die rückwirkende Anordnung des Wirksamwerdens der Widmungsverfügung vom 29. April 2009 führe zur Nichtigkeit der gesamten Widmung.
Zwar enthält diese Widmungsverfügung als Zeitpunkt ihres Wirksamwerdens das Datum „06.03.2000“. Das Verwaltungsgericht hat jedoch zu Recht entschieden, dass der Umstand, dass die Widmung rückwirkend zum 6. März 2000 verfügt war, nicht zu deren gänzlicher Unwirksamkeit führt. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs ist eine der Widmung beigefügte Anordnung der Rückwirkung aus Gründen der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit unwirksam (BayVGH, B.v. 12.3.2003 – 6 CS 02.2979 – juris Rn. 13; U.v. 4.4.1995 – 8 B 94.2803). Allerdings führt die unzulässige Rückwirkungsanordnung entgegen der Ansicht der Beklagten nicht zur Unwirksamkeit der Widmungsverfügung in ihrer Gesamtheit, sondern nur zur Unwirksamkeit der Rückwirkungsanordnung (BayVGH, B.v. 20.9.2017 – 20 ZB 17.942 – juris Rn. 3; SächsOVG, U.v. 8. 6. 2012 – 5 A 455.09 – juris Rn. 31 ff.).
b) Mit der Rüge, die Unerweislichkeit der unterbliebenen öffentlichen Bekanntmachung der Widmungsverfügung (vom 29. April 2009) könne nicht zulasten der Beklagten gehen, hat die Beklagte die eingehend und überzeugend begründete Auffassung des Verwaltungsgerichts (UA S. 9 bis 12) nicht mit schlüssigen Gegenargumenten erschüttert. Das Verwaltungsgericht hat das Vorbringen der Beklagten, dass die in den Akten befindliche Widmungsverfügung vom 29. April 2009 nicht bekannt gemacht worden sei, als unerweislich erachtet (non liquet) und die Unerweislichkeit dieser Tatsache im vorliegenden Einzelfall bei einer Gesamtwürdigung aller Umstände zulasten der insoweit materiell beweispflichtigen Beklagten gewertet.
Es hat dabei u.a. darauf abgestellt, dass der Vertreter der Beklagten in der mündlichen Verhandlung nicht habe ausschließen können, dass die entsprechende Bekanntmachung der Widmung mit dem Vermerk über das Anheften und Abnehmen der Bekanntmachung „verloren gegangen“ sei. Laut dem vorgelegten Schreiben der Prozessbevollmächtigten der Beklagten vom 7. März 2012 sei die Bekanntmachung der Widmungsverfügung vom 29. April 2009 „möglicherweise“ noch nicht erfolgt. Im Vorlageschreiben an das Landratsamt vom 18. Mai 2017 habe sich die Beklagte lediglich auf die Problematik der unzulässigen Rückwirkung der Widmung berufen, nicht hingegen darauf, dass diese nicht bekannt gemacht worden sei. Zutreffend hat das Verwaltungsgericht ferner ausgeführt, dem Umstand, dass auf der Rückseite der Widmungsverfügung vom 29. April 2009 die Rubrik „Bekanntmachungsnachweise“ nicht ausgefüllt sei, komme keine Aussagekraft zu, weil dort auch in der Widmungsverfügung vom 20. März 2012 nichts eingetragen sei, obwohl diese nachweislich öffentlich durch Aushang an den Amtstafeln bekannt gemacht worden sei. Eine weitere Möglichkeit der Aufklärung der Bekanntmachung der Widmungsverfügung vom 29. April 2009 bestehe trotz aller Bemühungen nicht. Gemessen am Günstigkeitsprinzip obliege der Nachweis der Tatsache, dass die – unstreitig verfügte – Widmungsverfügung vom 29. April 2009 nicht bekannt gemacht worden sei, der Beklagten. Nur in diesem Fall wäre keine Festsetzungsverjährung eingetreten, weil dann die sachlichen Beitragspflichten erst mit der späteren Widmungsverfügung vom 20. März 2012 entstanden wären. Für die materielle Beweislast der Beklagten streite zusätzlich der Umstand, dass die Bekanntmachung einer verfügten und von einem Gemeinderatsbeschluss getragenen Widmungsverfügung den Regelfall, hingegen ein Unterbleiben der Bekanntmachung den Ausnahmefall darstelle. Nicht zuletzt ergebe sich die materielle Beweislast der Beklagten zudem auch daraus, dass die Bekanntmachung einer Widmungsverfügung nicht der Sphäre der Klagepartei, sondern allein jener der Beklagten zuzuordnen sei.
Das Verwaltungsgericht hat sämtliche Umstände des vorliegenden Falles im Einklang mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung gewürdigt. Danach gilt als allgemeiner Grundsatz der materiellen Beweislast, dass die Nichterweislichkeit von Tatsachen, aus denen ein Beteiligter für ihn günstige Rechtsfolgen herleitet, zu seinen Lasten geht, es sei denn, dass die im Einzelfall einschlägige Norm selbst eine besondere Regelung trifft (ständige Rechtsprechung, vgl. BVerwG, B.v. 6.6.2017 – 8 B 69.16 – juris Rn. 4; U.v. 27.11.1980 – 2 C 38.79 – BVerwGE 61, 176/189; U.v. 13.10.1988 – 5 C 35.85 – BVerwGE 80, 290/296 ff.). Abweichend von dieser Grundregel kann es gerechtfertigt sein, Ungewissheiten und Unklarheiten bei der Beweislastentscheidung zum Nachteil desjenigen Beteiligten ausgehen zu lassen, in dessen Verantwortungs- und Verfügungssphäre diese fallen (BVerwG, B.v. 6.6.2017 – 8 B 69.16 – juris Rn. 4; U.v. 13.10.1988 – 5 C 35.85 – BVerwGE 80.290/297) oder der die Beweisführung schuldhaft vereitelt (vgl. BVerwG, U.v. 18.12.1987 – 7 C 49.87 – BVerwGE 78, 367/370 ff.). Das Verwaltungsgericht ist in Anwendung dieser Grundsätze zu dem überzeugenden Ergebnis gelangt, dass die Nichterweislichkeit der von der Beklagten behaupteten fehlenden Bekanntmachung der früheren Widmungsverfügung vom 29. April 2009 in der Beweislast der Beklagten liegt und ihrer Verantwortungssphäre zugehört. Das entspricht der ständigen Rechtsprechung für Bestandsverzeichnisse, nach der die Eintragung und das dabei durchzuführende Verfahren sich im Herrschafts- und Risikobereich der das Bestandsverzeichnis führenden Kommune vollziehen, weshalb diese die materielle Beweislast und damit das Risiko dafür trägt, dass ein tatsächlicher Umstand, der für die Wirksamkeit der Eintragung erheblich ist, nicht bewiesen werden kann (BayVGH, B.v. 22.7.2016 – 8 ZB 15.1304 – BayVBl 2017, 454 Rn. 11 m.w.N.). Dieser Beweislastverteilung hält die Beklagte lediglich ihre abweichende gegensätzliche Rechtsauffassung entgegen, ohne sich substantiiert mit dem vom Verwaltungsgericht Dargelegten auseinanderzusetzen.
2. Die Rechtssache weist aus den unter 1. genannten Gründen keine besonderen rechtlichen Schwierigkeiten auf (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO).
3. Der geltend gemachte Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) liegt nicht vor.
a) Die von der Beklagten aufgeworfene Frage, ob bei einer Widmungsverfügung gemäß Art. 6 Abs. 1 BayStrWG die nichtige Anordnung des rückwirkenden Wirksamwerdens der Verfügung zur Gesamtnichtigkeit der Widmungsverfügung führt, ist nach der unter 1. a wiedergegebenen Rechtsprechung geklärt.
b) Keine grundsätzliche Bedeutung kommt auch der Frage zu, ob im Beitragserhebungsverfahren gem. Art. 13 KAG die Beweislast dafür, dass eine Festsetzungsverjährung nach Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b bb KAG i.V.m. mit §§ 169 ff. AO nicht eingetreten ist, den Beitragsgläubiger oder den Beitragsschuldner trifft. Diese Frage war für das Verwaltungsgericht in dieser Allgemeinheit nicht entscheidungserheblich. Abgesehen davon ist angesichts der unter 1.b angegebenen Rechtsprechung ein weiterer Klärungsbedarf nicht erkennbar.
4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47, 52 Abs. 3 Satz 1 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit ihm wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).


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