Verwaltungsrecht

Erfolgloser Berufungszulassungsantrag – Antrag auf pauschale Dienstbefreiung wegen Ausübung eines Stadtratsmandats

Aktenzeichen  3 ZB 17.906

Datum:
24.10.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 131743
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 121 Nr. 1, § 124 Abs. 2
UrlV § 17 Abs. 1
BayVwVfG Art. 51
BayBG Art. 93 Abs. 4

 

Leitsatz

1. Die Rechtskraft eines den Anspruch auf Stundenmaßreduzierung abschlägig entscheidenden Urteils  wirkt als von Amts wegen zu beachtendes Prozesshindernis für nachfolgende Prozesse mit identischem Streitgegenstand (ebenso BVerwG BeckRS 9998, 50081). (redaktioneller Leitsatz)
2. Von einem identischen Streitgegenstand kann ausgegangen werden, wenn in dem erneuten Rechtsstreit derselbe prozessuale Anspruch – hier die pauschale Dienstbefreiung einer Lehrerin wegen zeitlicher Belastung aufgrund Wahrnehmung eines Stadtratsmandats – begehrt wird, auch wenn der Antrag ein anderes Schuljahr betrifft und die Anzahl der Gremien, in denen die Beamtin vertreten ist, sich erhöht hat. (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

RO 1 K 15.2248 2017-03-15 Urt VGREGENSBURG VG Regensburg

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Antragsverfahrens.
III. Der Streitwert für das Antragsverfahren wird auf 5.000 € festgesetzt.

Gründe

I.
Die 1961 geborene Klägerin steht als Studienrätin an der Staatlichen Realschule in N. im Dienst des Beklagten. Seit dem 1. Mai 2008 ist sie ununterbrochen Mitglied des Stadtrats in R.
Mit Schreiben vom 18. Dezember 2009 beantragte die Klägerin, ihr wöchentliches Stundenmaß wegen des von ihr wahrgenommenen Stadtratsmandats pauschal zu reduzieren. Die Staatliche Realschule N. lehnte den Antrag mit Bescheid vom 8. Juni 2010 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 8. Juni 2010 ab. Mit Urteil vom 21. März 2012 (RO 1 K 11.408) wies das Verwaltungsgericht die Klage ab. Der Senat lehnte den Antrag auf Zulassung der Berufung mit Beschluss vom 29. November 2013 ab (3 ZB 12.998). Die Verfassungsbeschwerde zum Bayerischen Verfassungsgerichtshof wurde mit Entscheidung vom 9. Februar 2015 abgewiesen (Vf. 11-6-14).
Mit Schreiben vom 1. Oktober 2015 beantragte die Klägerin erneut eine pauschale Reduzierung ihres wöchentlichen Vollstundenmaßes ab dem Schuljahr 2015/2016.
Das Bayerische Staatsministerium für Bildung und Kultus, Wissenschaft und Kunst (Staatsministerium) teilte der Klägerin unter dem 26. Oktober 2016 mit, dass der neuerliche Antrag weder auf einem rechtlich abweichend zu beurteilenden Sachvortrag beruhe noch sich die diesbezüglich einschlägigen Bestimmungen oder die hierzu ergangene Rechtsprechung geändert hätten. Die gegen diese Mitteilung erhobene Klage wies das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 15. März 2017 (RO 1 K 11.408) ab. Die Klage sei unzulässig. Das Schreiben des Staatsministeriums sei eine wiederholende Verfügung. Im Übrigen sei die von der Klägerin aufgeworfene Frage einer pauschalen Dienstbefreiung bereits rechtskräftig in den vorhergehenden Verfahren entschieden worden. Hieran seien die Beteiligten gemäß § 121 Nr. 1 VwGO gebunden. Im Übrigen sei die Klage auch unbegründet, weil die Klägerin keinen Anspruch auf pauschale Dienstbefreiung habe.
Mit ihrem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichts- und Behördenakten verwiesen.
II.
Der auf die Zulassungsgründe des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO (ernstliche Zweifel), des § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO (besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten), des § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO (grundsätzliche Bedeutung), des § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO (Divergenz) und des § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO (Verfahrensmangel, auf dem die Entscheidung beruhen kann) gestützte Antrag bleibt ohne Erfolg.
1. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils des Verwaltungsgerichts i.S.v. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO bestehen auf der Grundlage des Zulassungsvorbringens nicht. Ernstliche Zweifel, die die Zulassung der Berufung rechtfertigen, sind zu bejahen, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird und die Zweifel an der Richtigkeit einzelner Begründungselemente auf das Ergebnis durchschlagen. Dies ist vorliegend nicht der Fall.
a. Die Klägerin rügt, es liege keine wiederholende Verfügung vor, da sich die Rechts- und Sachlage im Vergleich zu dem vorhergehenden Antrag verändert habe. Der streitgegenständliche Antrag betreffe die Zeit ab dem Schuljahr 2015/2016. Sie sei nunmehr in acht (zuvor fünf) Gremien tätig und damit sehr viel stärker belastet als vorher. Anders als in der vorangegangenen Wahlperiode gebe es im Stadtrat nunmehr verbeamtete Kollegen, denen eine pauschale Reduzierung ihrer Arbeitszeit vom Beklagten gewährt worden sei bzw. von denen keine Nacharbeit für die durch Sitzungen verloren gegangene Arbeitszeit eingefordert werde. Darüber hinaus stelle sich auch die Rechtslage im Vergleich zum Vorverfahren anders da, da die Klägerin ihren Antrag nunmehr auf § 17 Abs. 1 Satz 1 UrlV anstatt auf § 17 Abs. 1 Satz 2 UrlV stütze.
Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils ergeben sich hieraus nicht. Die rechtliche Qualifizierung einer behördlichen Erklärung als „wiederholende Verfügung“ hängt allein davon ab, ob sie sich in der bloßen Wiederholung eines bereits ergangenen Verwaltungsakts ohne neuen Regelungsgehalt erschöpft (vgl. von Alemann/Scheffczyk in BeckOK VwVfG, Stand: April 2017, § 35 Rn. 188). Ob sich die Sach- und Rechtslage geändert hat, wie die Klägerin meint, ist für die Frage von Interesse, ob Gründe für ein Wiederaufgreifen des Verfahrens nach Art. 51 BayVwVfG vorliegen. Auf diesen Gesichtspunkt bezieht sich der Zulassungsantrag der Klägerin indessen nicht. Ebenso wenig auf die Frage, ob die wiederholende Verfügung deshalb Verwaltungsakt ist, weil sie auch die (konkludente) Entscheidung darüber beinhaltet, dass Gründe für ein Wiederaufgreifen des Verfahrens nach Art. 51 BayVwVfG nicht vorliegen (vgl. von Alemann/Scheffczyk a.a.O. Rn.189 unter Hinweis auf BVerwG NVwZ 2002, 482; vgl. auch Sachs in Stelkens/Bonk/Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz, 8. Aufl. 2014, § 51 Rn. 5).
b. Das Verwaltungsgericht hat mit Urteil vom 21. März 2012 (RO 1 K 11.408) entschieden, dass die Klägerin keinen Anspruch auf pauschale Dienstbefreiung nach Art. 93 Abs. 4 BayBG i.V.m. § 17 Abs. 1 Satz 1 UrlV hat. Auch einen Anspruch nach § 17 Abs. 1 Satz 2 UrlV hat es verneint. Die Klägerin ignoriert diesen Umstand indes und behauptet, in dem früheren Verfahren sei es nur um § 17 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. Abs. 2 als mögliche Anspruchsgrundlage für die pauschale Dienstbefreiung gegangen. Sie mag insoweit für wesentlich halten, dass sich der Senat in seiner Entscheidung vom 29. November 2013 nicht mit § 17 Abs. 1 Satz 1 UrlV auseinandergesetzt hat. Dies beruhte jedoch darauf, dass sich die Klägerin im damaligen Antragsverfahren auf Ausführungen zu § 17 Abs. 1 Satz 2 UrlV beschränkt hatte. Auswirkungen auf die Bindungswirkung des § 121 Nr. 1 VwGO hat diese Beschränkung nicht.
Das Verwaltungsgericht hat in seinem Urteil vom 21. März 2012 entschieden, dass die Klägerin keinen Anspruch auf pauschale Dienstbefreiung hat. Die Rechtskraft dieses Urteils wirkt als von Amts wegen zu beachtendes Prozesshindernis für nachfolgende Prozesse mit identischem Streitgegenstand (vgl. BVerwG U.v. 27.1.1995 – 8 C 8/93 – juris Rn. 12). Der klägerische Einwand, das Verwaltungsgericht habe verkannt, dass die erneute Klage auf einem anderen Lebenssachverhalt beruhe, weil sie auf eine neue Wahlperiode und ein anderes Maß an pauschalierter Dienstbefreiung (18,75% gegenüber 7 Stunden) bezogen sei und daher auch nicht denselben Gegenstand betreffe, greift nicht durch. Rechtskräftige Urteile binden gemäß § 121 VwGO die Beteiligten „soweit“, als über den Streitgegenstand entschieden worden ist. Im Falle einer Verpflichtungsklage ist als „Streitgegenstand“ der prozessuale Anspruch anzusehen, der sich aus dem Begehren ergibt, den Beklagten zum Erlass eines abgelehnten Verwaltungsaktes zu verurteilen. Die Abweisung der Verpflichtungsklage aus sachlichen Gründen erfolgt, wenn dem Kläger der erhobene Anspruch auf Erlass des Verwaltungsakts nicht zusteht. Die Rechtskraft erstreckt sich daher auf die Feststellung, dass der Kläger/die Klägerin gegenüber dem Beklagten keinen Anspruch auf Erlass des erstrebten Verwaltungsakts hat. An der Rechtskraft nehmen die tragenden Gründe für die Verneinung des Anspruchs teil (vgl. Kilian in Sodan/Ziekow, Verwaltungsgerichtsordnung, 4. Aufl. 2014, § 121 Rn. 80 m.w.N.). Demgemäß ist der Streitgegenstand in dem nunmehr geführten Verfahren identisch, da die Klägerin denselben prozessualen Anspruch begehrt, nämlich eine pauschale Dienstbefreiung wegen der zeitlichen Belastung aufgrund der Wahrnehmung ihres Stadtratsmandats. Dieser materiell-rechtliche Anspruch ist der Klägerin schon dem Grunde nach abgesprochen worden, sodass sich die von ihr geltend gemachten Umstände nicht auswirken können.
Das Verwaltungsgericht hat ausgeführt, die materielle Rechtskraft entfalte auch dann Bindungswirkung gegenüber denselben Beteiligten in einem weiteren Verfahren, wenn der Streitgegenstand zwar nicht identisch, die rechtskräftig entschiedene Frage aber in einem weiteren Verfahren relevant und vorgreiflich sei (vgl. hierzu Rennert in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 121 Rn. 11; Lindner in BeckOK VwGO, Stand: Juli 2017, § 121 Rn. 19; Clausing in Schoch/Schneider/Bier, Verwaltungsgerichtsordnung, Stand: Oktober 2016, § 121 Rn. 24; BVerwG, B.v. 30.6.2014 – 2 B 99/13 – juris). Diesen Rechtssatz hat das Verwaltungsgericht jedoch nicht angewandt, sondern ist davon ausgegangen, dass „der gleiche Lebenssachverhalt mit einem inhaltlich identischen Antrag verknüpft wird“ (vgl. Bl. 16 UA). Aus diesem Grund kann die Klägerin mit ihren Einwänden gegen die Vorgreiflichkeit keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils darlegen. Da der Rechtssatz die angefochtene Entscheidung des Verwaltungsgerichts nicht trägt, liegt auch der geltend gemachte Zulassungsgrund der Divergenz nicht vor.
Die Bindungswirkung ist auch nicht durch eine nachträgliche Veränderung der Sach- oder Rechtslage entfallen (vgl. Clausing in Schoch/Schneider/Bier, Verwaltungsgerichtsordnung a.a.O. Rn. 53). Die Beibringung neuer Beweismittel (hier weitere Bezugsfälle) lässt die Sachlage grundsätzlich unberührt (vgl. Clausing a.a.O. Rn. 72; BayVGH, B.v. 14.4.2008 – 8 ZB 08.406 – juris). Die Rechtslage ist unverändert.
c. Erweist sich die Klage nach Vorstehendem bereits als unzulässig, so kommt es nicht mehr darauf an, dass die Klage nach Auffassung des Verwaltungsgerichts darüber hinaus auch unbegründet wäre. Ist die verwaltungsgerichtliche Entscheidung auf mehrere selbständig tragende Begründungen gestützt (Mehrfachbegründung), so ist die Berufung nur zuzulassen, wenn hinsichtlich jeder dieser Begründungen ein Berufungszulassungsgrund aufgezeigt wird und vorliegt (vgl. Happ in Eyermann a.a.O. § 124a Rn. 61). Es kann danach offen bleiben, ob ein Anspruch der Klägerin auf pauschale Gewährung einer Dienstbefreiung bestanden hätte, wenn ihre Klage zulässig gewesen wäre.
2. Besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten sind – mit dem pauschalen Hinweis auf den „Begründungsaufwand“ – nicht in einer dem Darlegungserfordernis des § 124 a Abs. 4 Satz 4 VwGO entsprechenden Weise geltend gemacht worden. Besondere rechtliche Schwierigkeiten ergeben sich auch nicht aus der Verknüpfung mit dem Verfassungsrecht, insbesondere mit den verfassungsrechtlichen Wahlgrundsätzen. Diese Fragen sind bereits durch die Entscheidung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs vom 9. Februar 2015 geklärt.
3. Soweit die Klägerin meint, der Rechtssache komme grundsätzliche Bedeutung zu, sind die Darlegungserfordernisse nicht erfüllt. Es wurde keine Rechtsfrage formuliert, die in einem Berufungsverfahren über den Einzelfall hinausgehend für eine Vielzahl von Fällen klärungsbedürftig und auch klärungsfähig wäre.
4. Es liegt auch kein Verfahrensmangel vor, auf dem die Entscheidung beruhen kann. Die Beweisanträge (Zeugenvernehmung div. Stadtratsmitglieder der Stadt R. und der Stadt M. zu – behaupteten – pauschalen Arbeitsreduzierungen) hat das Verwaltungsgericht zu Recht wegen der Bindung an die materiell rechtskräftigen Entscheidungen (s.o.) als nicht entscheidungserheblich abgelehnt.
5. Der Zulassungsantrag war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 2 VwGO abzulehnen. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 2 GKG.
Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).


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