Verwaltungsrecht

Erfolgloser Berufungszulassungsantrag gestützt auf Gehörsverstoß

Aktenzeichen  21 ZB 18.30314

Datum:
4.2.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 1654
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 78 Abs. 3 Nr. 1, Nr. 3
VwGO § 86 Abs. 3, § 104 Abs. 1, § 108 Abs. 1 S. 1, § 138 Nr. 3

 

Leitsatz

1. Ein Verfahrensbeteiligter kann im Grundsatz nur dann mit Erfolg geltend machen, sein Anspruch auf rechtliches Gehör sei verletzt, wenn er die nach Lage der Sache gegebenen prozessualen Möglichkeiten ausgeschöpft hat, um sich Gehör zu verschaffen (BVerwG NJW 1976, 1283). (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ein den Grundsatz des rechtlichen Gehörs verletzender Verstoß gegen die richterliche Überzeugungsbildung kann ausnahmsweise insbes. dann gegeben sein, wenn die Sachverhalts- und Beweiswürdigung des Gerichts objektiv willkürlich ist oder allgemeine Erfahrungssätze missachtet (BVerwG BeckRS 9998, 28990). (Rn. 8) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 4 K 17.31582 2017-12-20 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

1. Der Antrag auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 20. Dezember 2017 hat keinen Erfolg.
1.1 Die Berufung ist nicht wegen eines in § 138 VwGO bezeichneten Verfahrensmangels (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG) zuzulassen.
1.1.1 Das Verwaltungsgericht hat dem Kläger entgegen dem Zulassungsvorbringen das rechtliche Gehör nicht dadurch versagt (§ 138 Nr. 3 VwGO), dass es unter Verletzung der Hinweis- und Erörterungspflicht (§ 86 Abs. 3, § 104 Abs. 1 VwGO) einen nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt zur Grundlage des angefochtenen Urteils gemacht hat und damit dem Rechtsstreit eine Wende gegeben hat, mit der die Beteiligten nach dem bisherigen Verlauf des Verfahrens nicht zu rechnen brauchten (vgl. dazu Brüning in Posser/Wolff, VwGO, 2. Aufl. 2014, § 104 Rn. 1 m.w.N.).
Unzutreffend ist die dem Zulassungsvorbringen zugrunde liegende Annahme, das Urteil sei deswegen überraschend, weil das Verwaltungsgericht in der mündlichen Verhandlung die Kompetenz der Ärzte und Fachärzte nicht angezweifelt habe, welche die im erstinstanzlichen Verfahren vorgelegten ärztlichen Beurteilungen erstellt haben. Das Verwaltungsgericht hat auf der Grundlage einer eingehenden Befragung des Klägers in der mündlichen Verhandlung nachvollziehbar begründet, dass das Verfolgungsvorbringen und damit das vom Kläger geltend gemachte traumaauslösende Ereignis nicht glaubhaft ist (UA S. 6 ff.). Damit hat es für sich jedoch keine ärztliche Kompetenz beansprucht, denn es ist nicht Aufgabe eines ärztlichen Gutachters festzustellen, ob eine traumatische Situation tatsächlich vorgelegen hat oder nicht. Vielmehr ist es ausschließlich Sache des Tatrichters, sich selbst die nach § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO notwendige Überzeugungsgewissheit von der Wahrheit des Parteivortrags und damit davon zu verschaffen, ob das in einem ärztlichen Gutachten zugrunde gelegte traumatisierende Ereignis glaubhaft ist (vgl. BVerwG, B.v. 22.2.2005 – 1 B 10.05 – juris Rn. 2; BayVGH, B.v. 15.2.2017 – 9 ZB 14.30433 – juris Rn. 7 m.w.N.; Dreßing, Hessisches Ärzteblatt 2016, 271/272).
Im Übrigen muss das Gericht die Beteiligten grundsätzlich nicht vorab auf seine Rechtsauffassung oder die beabsichtigte Würdigung des Prozessstoffs hinweisen, weil sich die tatsächliche und rechtliche Würdigung regelmäßig erst aufgrund der abschließenden Beratung ergibt. Dies gilt auch für den Tatsachenvortrag des Asylbewerbers, der selbst für die Darlegung seiner Asylgründe verantwortlich ist. (vgl. etwa BVerwG, B.v. 10.5.2002 – 1 B 392/01 – juris Rn. 5). Unabhängig davon ist selbstverständlich und bedarf grundsätzlich nicht eines besonderen Hinweises, dass es – soweit entscheidungserheblich – im Asylverfahren stets auch um die Glaubwürdigkeit des Asylbewerbers und die Glaubhaftigkeit seines Vortrags geht (vgl. BVerwG, B.v. 26.11.2001 – 1 B 347.01 – juris Rn. 5). Schließlich verdeutlichte aber auch der Umstand, dass das Verwaltungsgericht den Kläger ausweislich der Sitzungsniederschrift eingehend zu seinem Verfolgungsvorbringen befragte und ihm dabei auch immer wieder aufgrund von offensichtlichen Ungereimtheiten und unauflösbaren Widersprüchen Vorhaltungen machte, dass es trotz des Gutachtens von Refugio sowie der ärztlichen Atteste auf die vorgebrachten Verfolgungsgründe und die Glaubhaftigkeit des Verfolgungsvorbringens ankam. Der anwaltlich vertretene Kläger hatte deshalb ohne Weiteres Gelegenheit, sein Prozessverhalten auf die entscheidungserhebliche Frage der Glaubhaftigkeit des Verfolgungsvorbringens auszurichten. Das gilt umso mehr, als das Verwaltungsgericht bereits in dem im Eilverfahren des Klägers ergangenen Beschluss vom 8. März 2017 (M 4 S 17.31584) festgestellt hat, die vorgetragene Verfolgungsgeschichte sei nicht glaubhaft.
1.1.2 Ebenso wenig begründet die Rüge einen Gehörsverstoß, angesichts der vorgelegten ärztlichen Beurteilungen und des Nachweises, dass der Kläger aufgrund akuter Belastungsreaktionen mehrfach in eine psychiatrische Klinik eingeliefert worden sei, hätte sich dem Gericht im Rahmen der Aufklärungspflicht aufdrängen müssen, im Zweifel zumindest ein Gegengutachten in Auftrag zu geben. Der Kläger leide durch mehrere Gutachten belegt unter schweren Depressionen. Es sei deshalb nicht verwunderlich, dass er sich zum Teil wirr und unzusammenhängend äußere. Es entspreche auch dem üblichen Muster einer posttraumatischen Belastungsreaktion, dass er sich zu dem Trauma auslösenden Ereignis ausweichend äußere.
Ein Verfahrensbeteiligter kann im Grundsatz nur dann mit Erfolg geltend machen, sein Anspruch auf rechtliches Gehör sei verletzt, wenn er die nach Lage der Sache gegebenen prozessualen Möglichkeiten ausgeschöpft hat, um sich Gehör zu verschaffen (vgl. BVerwG, B.v. 22.1.1976 – VI C 110.75 – NJW 1976, 1283). Daran fehlt es. Ausweislich der Niederschrift über die mündliche Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht am 19. Dezember 2017 hat die Bevollmächtigte des Klägers insbesondere zur Glaubwürdigkeitsbeurteilung keinen formellen Beweisantrag nach § 86 Abs. 2 VwGO gestellt. Dem Verwaltungsgericht musste sich insoweit eine weitere Sachverhaltsaufklärung auch nicht etwa deshalb aufdrängen, weil der Kläger nach den von ihm vorgelegten ärztlichen Beurteilungen an einer posttraumatischen Belastungsstörung leiden soll. Das mag zwar begründen, dass der Kläger die (angebliche) Ermordung eines Bruders und seiner Schwester nicht bereits gegenüber dem Bundesamt erwähnte. Es erklärt aber nicht die Tatsache, dass der Kläger verschiedene mit dem traumatisierenden Ereignis nicht oder nur entfernt zusammenhängende Fragen widersprüchlich beantwortet hat, wie im angegriffenen Urteil im Einzelnen etwa zum Ablauf des Überfalls, zu den sich daran anschließenden Vorfällen und zum Schicksal der Mutter sowie des zweiten Bruders dargelegt ist (vgl. UA S. 7 f).
1.1.3 Der Einwand der Bevollmächtigten des Klägers, nicht alle angeblichen Widersprüche seien so gegeben wie dargestellt, führt ebenfalls nicht weiter. Letztlich übt der Kläger damit in der Form einer Gehörsrüge Kritik an der richterlichen Überzeugungsbildung (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO), ohne allerdings einen Gehörsverstoß darzulegen. Die dem Gericht im Rahmen seiner Überzeugungsbildung obliegende Sachverhalts- und Beweiswürdigung ist grundsätzlich dem materiellen Recht zuzuordnen. Ein den Grundsatz des rechtlichen Gehörs verletzender Verstoß gegen § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann aber ausnahmsweise insbesondere dann gegeben sein, wenn die Sachverhalts- und Beweiswürdigung des Gerichts objektiv willkürlich ist oder allgemeine Erfahrungssätze, missachtet (vgl. BVerwG, U.v. 16.3.1994 – 6 C 5.93 – NVwZ-RR 1994, 582 und B.v. 12.3.2014 – 5 B 48/13 – juris Rn. 22). Derartige Verstöße zeigt der Zulassungsantrag nicht auf, solche sind im Übrigen auch nicht offenkundig.
1.2 Die Berufung ist nicht wegen der geltend gemachten grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG) zuzulassen.
Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung im Sinn des § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG, wenn eine im Zulassungsantrag formulierte konkrete sowie fallübergreifende Rechts- oder Tatsachenfrage für das Urteil des Verwaltungsgerichts entscheidungserheblich war, die Klärung dieser Frage im Berufungsverfahren zu erwarten ist und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zur Weiterentwicklung des Rechts geboten ist (vgl. Seibert in Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 124 Rn. 127). Dem genügt der Zulassungsantrag nicht.
Der Kläger formuliert zwar die Fragen,
„inwieweit ein nachweislich psychisch schwer kranker Mensch überhaupt in der Lage ist, Ereignisse, die eine ganze Weile zurückliegen, die er auch wegen seiner Schuldgefühle zu verdrängen versucht, so strukturiert und detailliert darzulegen, dass die Schilderung mit den üblichen Anforderungen an eine glaubwürdige Darstellung gemessen werden kann,und
ob die Anforderungen hinsichtlich des Abschiebungsschutzes nicht eher in den Folgen als in den Ursachen der psychischen Erkrankung liegen sollten.“
Allerdings waren diese Fragen für das Verwaltungsgericht nicht entscheidungserheblich. Denn es hat nicht die Überzeugung davon gewonnen, dass die traumaauslösenden Ereignisse tatsächlich stattgefunden haben. Dementsprechend ist es davon ausgegangen, dass die Atteste und das Gutachten nicht aussagekräftig sind, weil die wesentliche Grundlage für die Diagnose fehlt (UA S. 8). Im Übrigen entzieht sich die zuerst angeführte Frage einer fallübergreifenden Beantwortung, weil das Aussageverhalten eines psychisch erkrankten Menschen nicht losgelöst vom konkreten Einzelfall beurteilt werden kann.
2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO, § 83b AsylG.
Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 20. Dezember 2017 rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).


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