Verwaltungsrecht

Erfolgloser Berufungszulassungsantrag in Verfahren gegen Zweitwohnungsbescheid

Aktenzeichen  4 ZB 19.1643

Datum:
14.1.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 1249
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
KAG Art. 3, Art. 7
VwGO § 101, § 112, § 124 Abs. 2 Nr. 1, Nr. 5

 

Leitsatz

1. Beziehen sich die Bescheide wie bei der Zweitwohnungsteuer auf bestimmte Erhebungszeiträume, so kann auch ein späteres Außerkrafttreten der Satzung (mit Wirkung für die Zukunft) nichts daran ändern, dass sie für die davor liegenden Zeiträume gegolten hat und demgemäß auch der gerichtlichen Überprüfung zugrunde zu legen ist. (Rn. 15 – 16) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Vorschrift des § 112 VwGO, wonach das Urteil nur von den Richtern und ehrenamtlichen Richtern gefällt werden kann, die an der dem Urteil zugrunde liegenden Verhandlung teilgenommen haben, gilt nicht, wenn die Beteiligten im Anschluss an eine mündliche Verhandlung auf weitere mündliche Verhandlung verzichtet haben und die Entscheidung des Gerichts daher im schriftlichen Verfahren nach § 101 Abs. 2 VwGO ergeht. (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 10 K 18.3744 2019-07-11 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Antragsverfahrens.
III. Der Streitwert wird in Abänderung der erstinstanzlichen Entscheidung für beide Instanzen auf jeweils 1.899,20 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Der Kläger wendet sich gegen die Festsetzung von Zweitwohnungsteuer und Kurbeiträgen für die Jahre ab 2016.
Mit Bescheid vom 9. August 2016 setzte die Beklagte die Zweitwohnungsteuer für 2016 (ab 1. Juni) auf 262,50 Euro und für die Jahre ab 2017 auf jeweils 450 Euro fest.
Mit weiterem Bescheid vom 9. August 2016 wurde der Kurbeitrag für 2016 und die Folgejahre auf jeweils 62 Euro festgesetzt.
Die vom Kläger gegen die beiden Bescheide erhobenen Widersprüche wurden mit Bescheid des Landratsamts vom 13. Dezember 2016 zurückgewiesen.
Nachdem die Beklagte am 16. März 2018 rückwirkend zum 1. Januar 2015 eine neue Zweitwohnungsteuersatzung erlassen hatte, setzte sie gegenüber dem Kläger mit Änderungsbescheid vom 22. Juni 2018 die Zweitwohnungsteuer für 2016 auf 268,80 Euro und für die Folgejahre auf 460,80 Euro neu fest.
Die gegen sämtliche Bescheide erhobene Anfechtungsklage wies das Verwaltungsgericht München mit Urteil vom 5. Juli 2019 zurück.
Gegen dieses Urteil richtet sich der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung.
Die Beklagte tritt dem Antrag entgegen.
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Gerichts- und Behördenakten verwiesen.
II.
1. Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg, da keiner der geltend gemachten Zulassungsgründe vorliegt.
a) Es bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Der Kläger hat keinen einzelnen tragenden Rechtssatz und keine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt (zu diesem Maßstab BVerfG, B.v. 18.6.2019 – 1 BvR 587/17 – DVBl 2019, 1400 Rn. 32 m.w.N.).
aa) In Bezug auf den Zweitwohnungsteuerbescheid vom 9. August 2016 in der Fassung des Änderungsbescheids vom 22. Juni 2018 trägt der Kläger vor, die Beklagte habe für die Jahre ab 2014 bis zum 31. März 2019 über keine wirksame Zweitwohnungsteuersatzung verfügt, da die frühere Satzung vom 27. Juni 2006 vom Bundesverwaltungsgericht für nichtig erklärt worden sei und die daraufhin rückwirkend zum 1. Januar 2015 erlassene Satzung vom 16. März 2018 mittlerweile nach § 12 der neuesten Satzung vom 22. Februar 2019 außer Kraft getreten sei, wobei sich diese aktuelle Satzung keine Rückwirkung beimesse. Weder zum Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheids vom 13. Dezember 2016 als der letzten Behördenentscheidung noch zum Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts habe es daher eine wirksame Satzung gegeben.
Diese Ausführungen sind nicht geeignet, ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung in Bezug auf die angegriffenen Zweitwohnungsteuerbescheide zu begründen.
Das Verwaltungsgericht hat zu Recht angenommen, dass die von der Beklagten rückwirkend zum 1. Januar 2015 erlassene Zweitwohnungsteuersatzung vom 16. März 2018 eine wirksame Rechtsgrundlage für die Festsetzung der Zweitwohnungsteuer gegenüber dem Kläger für die Zeiträume ab 2016 darstellte. In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass eine Zweitwohnungsteuersatzung neu und rückwirkend in Kraft gesetzt werden darf, wenn die bisherige Satzung in einem gerichtlichen Verfahren als nichtig angesehen worden ist. Die betroffenen Inhaber von Zweitwohnungen müssen in diesen Fällen von Anfang an damit rechnen, zur Zweitwohnungsteuer herangezogen zu werden; sie dürfen nicht berechtigterweise darauf vertrauen, wegen der vom Gericht festgestellten Nichtigkeit der früheren Satzung von der Zweitwohnungsteuer auf Dauer verschont zu werden (BayVGH, U.v. 14.4.2011 – 4 B 10.2557 – juris Rn. 22 m.w.N.; vgl. allgemein BayVerfGH, E.v. 12.1.2005 – Vf. 3-VII-03 – VerfGH 58, 1/26 f. = BayVBl 2005, 361; BVerwG, U.v. 15.4.1983 – 8 C 170.81 – BVerwGE 67, 129/131 ff.).
Aus der Zulässigkeit des rückwirkenden Satzungserlasses folgt, dass die neue Satzung unmittelbar an die Stelle der früheren (nichtigen) Satzung tritt und damit im Nachhinein eine wirksame Rechtsgrundlage für die bereits erlassenen Abgabenbescheide bildet. Beziehen sich die Bescheide wie bei der Zweitwohnungsteuer auf bestimmte Erhebungszeiträume, so kann auch ein späteres Außerkrafttreten der Satzung (mit Wirkung für die Zukunft) nichts daran ändern, dass sie für die davor liegenden Zeiträume gegolten hat und demgemäß auch der gerichtlichen Überprüfung zugrunde zu legen ist. Dass die Beklagte mit dem Erlass der aktuellen Zweitwohnungsteuersatzung vom 22. Februar 2019 zugleich die ab 1. Januar 2015 geltende Vorgängersatzung vom 16. März 2018 (mit Wirkung ab dem 22.2.2019) aufgehoben hat, führte daher entgegen der Auffassung des Klägers nicht (unbeabsichtigterweise) dazu, dass der auf einer wirksamen Rechtsgrundlage beruhende Zweitwohnungsteuerbescheid vom 9. August 2016 in der Fassung des Änderungsbescheids vom 22. Juni 2018 nachträglich als rechtswidrig anzusehen wäre. Zu Unrecht beruft sich der Kläger insoweit auf das Urteil des Senats vom 10. Dezember 2008, das ebenfalls einen auf ursprünglich nichtiger Satzungsgrundlage ergangenen Zweitwohnungsteuerbescheid betraf (Az. 4 BV 07.1778 – juris). In dem damaligen Fall konnte der rückwirkende Neuerlass der Satzung allein deshalb keine Heilung des Bescheids für die früheren Besteuerungszeiträume (2005 bis 2007) bewirken, weil die Satzung nur mit Rückwirkung für einen späteren Zeitpunkt (1.1.2008) erlassen worden war (a.a.O., Rn. 16).
Das hier gefundene Ergebnis steht auch im Einklang mit der vom Kläger zitierten Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts (U.v. 27.4.1990 – 8 C 87.88 – BayVBl 1990, 666), wonach die für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit eines Verwaltungsakts maßgebende Sach- und Rechtslage sich nach dem einschlägigen materiellen Recht bestimmt. Die Zweitwohnungsteuer wird nach dem Willen des Satzungsgebers als Jahressteuer erhoben und, soweit der Steuertatbestand erfüllt ist, für das einzelne Kalenderjahr festgesetzt (§§ 6 und 7 ZwStS). Auch im Anfechtungsrechtsstreit muss es daher auf die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse in dem jeweiligen Besteuerungszeitraum ankommen. Die spätere Aufhebung der Abgabensatzung könnte sich hiernach auf die Rechtmäßigkeit des Bescheids nur auswirken, wenn sie ihrerseits rückwirkend erfolgt wäre, was vorliegend jedoch nicht der Fall war.
bb) Bezüglich des Kurbeitrags macht der Kläger ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung geltend, weil für den angefochtenen Bescheid vom 9. August 2016 ebenfalls keine Rechtsgrundlage bestanden habe. Die ursprüngliche Kurbeitragssatzung vom 4. Dezember 2009 sei durch eine Satzung vom 22. September 2017 ersetzt worden und daher mit Wirkung zum 1. Dezember 2017 außer Kraft getreten. Mittlerweile sei eine weitere Kurbeitragssatzung mit Wirkung ab dem 1. Dezember 2019 erlassen worden. Das Jahr 2016 werde von keiner Satzung der Beklagten mehr erfasst, da die neuere Satzung vom 22. September 2017 sich keine Rückwirkung beimesse. Das Verwaltungsgericht habe auch verkannt, dass der Kläger keine Kalkulationsrüge erhoben, sondern eingewandt habe, dass die Beklagte die gesamten Einnahmen aus dem Kurbeitrag nicht zur Deckung ihres eigenen Aufwands für die Kureinrichtungen verwendet, sondern an eine aus mehreren kommunalen und privaten Gesellschaftern bestehende Tourismus GmbH überwiesen und damit gegen Art. 7 KAG verstoßen habe.
Auch aus diesen Darlegungen ergeben sich keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angegriffenen Urteils. Entgegen dem Vorbringen im Berufungszulassungsverfahren fehlte es für die Erhebung des Kurbeitrags im Jahr 2016 nicht an einer wirksamen Beitragssatzung, da die Kurbeitragssatzung vom 4. Dezember 2009 durch die nachfolgende Satzung nicht rückwirkend aufgehoben worden ist; hierzu kann auf die Ausführungen zu dem gleichlautenden Einwand zur Zweitwohnungsteuersatzung verwiesen werden (oben, aa). Soweit der Kläger weiterhin rügt, die aus dem Kurbeitrag erzielten Einnahmen würden zweckwidrig verwendet, setzt er sich nicht mit der auf konkreten Zahlenangaben der Beklagten beruhenden Feststellung im angegriffenen Urteil auseinander, wonach der durch Kureinrichtungen und -veranstaltungen tatsächlich entstehende Aufwand die Einnahmen aus den Kurbeiträgen seit Jahren übersteigt. Das aus Art. 7 Abs. 1 KAG abzuleitende Gebot, wonach die Gemeinden den Beitrag so kalkulieren müssen, dass keine Kostenüberdeckung eintritt (vgl. Engelbrecht in Schieder/Happ, Bayerisches Kommunalabgabengesetz, Stand 12/2018, Art. 7 Rn. 14), ist danach offenkundig eingehalten; die von der Beklagten praktizierte Überweisung eines den Kurbeitragseinnahmen der Höhe nach entsprechenden Betrags an die überörtliche Tourismus GmbH ändert daran nichts.
b) Die Berufung ist auch nicht wegen eines der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegenden Verfahrensmangels, auf dem die Entscheidung beruhen kann, zuzu-lassen (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO).
Der Kläger macht insoweit geltend, das Urteil des Verwaltungsgerichts sei von anderen Richtern gefällt worden als denjenigen, die an der mündlichen Verhandlung teilgenommen hätten; darin liege ein Verstoß gegen § 112 VwGO und gegen den Grundsatz des gesetzlichen Richters (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG).
Dieser Rechtsauffassung kann nicht gefolgt werden. Die Vorschrift des § 112 VwGO, wonach das Urteil nur von den Richtern und ehrenamtlichen Richtern gefällt werden kann, die an der dem Urteil zugrunde liegenden Verhandlung teilgenommen haben, gilt ausschließlich für Urteile, die aufgrund mündlicher Verhandlung gefasst werden. Sie gilt daher nicht, wenn – wie es hier laut Sitzungsprotokoll vom 11. April 2019 geschehen ist – die Beteiligten im Anschluss an eine mündliche Verhandlung auf weitere mündliche Verhandlung verzichtet haben und die Entscheidung des Gerichts daher im schriftlichen Verfahren nach § 101 Abs. 2 VwGO ergeht. In einem solchen Fall liegt dem Urteil die mündliche Verhandlung nicht zugrunde (vgl. BVerwG, U.v. 2.8.1984 – 3 C 31.83 – NVwZ 1985, 562; B.v. 21.3.2017 – 2 B 88.16 – juris Rn. 7 m.w.N.). Verfassungsrechtliche Bedenken gegen diese Regelung bestehen nicht (BVerfG, B.v. 30.1.2008 – 2 BvR 2300/07 – NJW 2008, 2243 Rn. 16).
2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung aus §§ 47, 52 Abs. 3 Satz 1 und 2, 63 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 GKG, wobei im Unterschied zur erstinstanzlichen Entscheidung auch die im Änderungsbescheid vom 22. Juni 2018 enthaltene Erhöhung der jährlichen Steuerbeträge berücksichtigt wurde.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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