Verwaltungsrecht

Erfolgloser Berufungszulassungsantrag mangels Vorliegens einer Divergenz – Keine unterschiedlichen Wahrscheinlichkeitsmaßstäbe, sondern beweisrechtlicher Ansatz bei Vorverfolgung

Aktenzeichen  11 ZB 18.30937

Datum:
14.5.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 10013
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 4, § 78 Abs. 3 Nr. 2
RL 2011/95/EU Art. 4 Abs. 4

 

Leitsatz

1 Für die Annahme einer Divergenz ist erforderlich, dass zwischen den Gerichten ein prinzipieller Auffassungsunterschied über den Bedeutungsgehalt einer bestimmten Rechtsvorschrift oder eines Rechtsgrundsatzes besteht (BVerwG BeckRS 2014, 58487). (Rn. 2) (redaktioneller Leitsatz)
2 Mit dem Richtlinienumsetzungsgesetz vom 19. August 2007 hat der deutsche Gesetzgeber bei der Flüchtlingsanerkennung die bisherigen unterschiedlichen Wahrscheinlichkeitsmaßstäbe des nationalen Rechts bei Vorverfolgung aufgegeben und sich den beweisrechtlichen Ansatz zu eigen gemacht (vgl. BVerwG BeckRS 2011, 52920). (Rn. 5) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

B 5 K 16.31001 2018-03-08 Urt VGBAYREUTH VG Bayreuth

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Kläger tragen die Kosten des Berufungszulassungsverfahrens.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg, da das erstinstanzliche Urteil nicht von einer der genannten Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts abweicht.
Eine Divergenz im Sinne von § 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylG liegt vor, wenn das Verwaltungsgericht in Anwendung derselben Vorschrift (vgl. BVerwG, B.v. 28.1.2004 – 6 PB 15.03 – NVwZ 2004, 889/890) mit einem seine Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz oder einem verallgemeinerungsfähigen Tatsachensatz von einem in der Rechtsprechung der genannten übergeordneten Gerichte aufgestellten Rechts- oder Tatsachensatz oder einer inhaltsgleichen Rechtsvorschrift ausdrücklich oder konkludent abweicht und die Entscheidung darauf beruht (vgl. Rudisile in Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand Juni 2017, § 124 Rn. 42; Happ in Eyermann, VwGO, 14. Auflage 2014, § 124a Rn. 73 m.w.N.). Zwischen den Gerichten muss ein prinzipieller Auffassungsunterschied über den Bedeutungsgehalt einer bestimmten Rechtsvorschrift oder eines Rechtsgrundsatzes bestehen (vgl. BVerwG, B.v. 27.10.2014 – 2 B 52.14 – juris Rn. 5). Es genügt nicht, wenn in der angegriffenen Entscheidung ein in der Rechtsprechung der übergeordneten Gerichte aufgestellter Grundsatz lediglich übersehen, übergangen oder in sonstiger Weise nicht richtig angewandt worden ist (BVerwG, B.v. 20.7.2016 – 6 B 35.16 – juris Rn. 12 m.w.N.; Happ a.a.O.; Rudisile a.a.O.).
Die Kläger meinen, das Verwaltungsgericht habe den abstrakten Rechtssatz aufgestellt, dass es für die Frage, ob die Furcht eines Ausländers vor Verfolgung bzw. Eintritt eines drohenden und ernsthaften Schadens in Gestalt einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung i.S.d. § 3 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG (gemeint wohl § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG) in seinem Heimatstaat begründet ist, irrelevant sei, ob der Ausländer vorverfolgt im Sinne eines bereits erlittenen ernsthaften Schadens ausgereist ist. Dies trifft aber nicht zu, denn das Verwaltungsgericht hat einen solchen Rechtssatz weder ausdrücklich aufgestellt noch inzident zugrunde gelegt. Vielmehr ist es davon ausgegangen, dass den Klägern kein ernsthafter Schaden i.S.d. § 4 AsylG droht (UA, S. 10 oben), da der Kläger zu 1 selbst erklärt habe, er wäre bereit gewesen, seinen Betrieb aufzugeben. Die Kläger seien damit nicht existentiell auf den Fortbestand des Unternehmens angewiesen gewesen. Darüber hinaus geht das Verwaltungsgericht davon aus, es sei nicht nachvollziehbar, weshalb die Verfolger der Kläger, denen es nach den klägerischen Angaben vor allem darum ging, den gewinnbringenden Betrieb in ihre Hand zu bekommen, die Kläger weiter verfolgen sollten, wenn sie dieses Ziel mit der vollständigen Übernahme des Unternehmens erreicht hätten.
Des Weiteren hat das Verwaltungsgericht geprüft, ob durch die politischen Veränderungen in der Ukraine seit dem Machtwechsel im Jahr 2014 gemäß Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (RL 2011/95/EU – Neufassung, ABl L 337 S. 9, ber. ABl 2017 L 167 S. 58) stichhaltige Gründe dagegen sprechen, dass für die Kläger trotz des erlittenen Schicksals, das es als glaubhaft angesehen hat, zum maßgeblichen heutigen Zeitpunkt noch eine Bedrohungssituation besteht. Dabei hat es zwar Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU nicht ausdrücklich genannt, ist aber gleichwohl zu dem Ergebnis gekommen, dass durch den Machtwechsel und erhebliche gesetzgeberische Reformen heute keine Bedrohung für die Kläger mehr zu befürchten ist, selbst wenn sie ihr Unternehmen nicht an ihre Verfolger überlassen würden (UA, S. 10 Mitte und S. 15 2. Absatz).
Die von den Klägern als divergierend angesehene Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts aus den Jahren 1980 und 1989 bezog sich demgegenüber auf ein von der heutigen Rechtslage abweichendes materiellrechtliches Konzept unterschiedlicher Wahrscheinlichkeitsmaßstäbe und nicht auf mit den Vorschriften zum subsidiären Schutz inhaltsgleiche Rechtsvorschriften. Die Rechtsprechung ist damals davon ausgegangen, dass im Falle einer Vorverfolgung auf den herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstab der hinreichenden Sicherheit vor Verfolgung abgestellt werden müsse (vgl. BVerfG, B.v. 2.7.1980 – 1 BvR 147/80, 1 BvR 181/80, 1 BvR 182/80 – BverfGE 54, 341; B.v. 10.7.1989 – 2 BvR 502/86, 2 BvR 1000/86, 2 BvR 961/86 – BverfGE 80, 315). Dieses Konzept unterschiedlicher Wahrscheinlichkeitsmaßstäbe für die Verfolgungsprognose war der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl L 304 S. 12, ber. ABl L 204 S. 24) jedoch fremd. Sie ging vielmehr von einem einheitlichen Prognosemaßstab aus, der dem der beachtlichen Wahrscheinlichkeit nach bisheriger deutscher Rechtslage entsprach, und verfolgte einen beweisrechtlichen Ansatz, wie er bei der Nachweispflicht der Mitgliedstaaten nach Art. 14 Abs. 2 und der tatsächlichen Verfolgungsvermutung des Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie zum Ausdruck kommt. Mit dem Richtlinienumsetzungsgesetz vom 19. August 2007 hat der deutsche Gesetzgeber deshalb bei der Flüchtlingsanerkennung die bisherigen unterschiedlichen Wahrscheinlichkeitsmaßstäbe des nationalen Rechts aufgegeben und sich den beweisrechtlichen Ansatz der Richtlinie zu eigen gemacht (vgl. zum Vorstehenden im Einzelnen BVerwG, U.v. 1.6.2011 – 10 C 25.10 – BVerwGE 140, 22 m.w.N.).
Der von den Klägern genannte Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 31. Mai 2014 (2 BvR 193/93 – NJW 1994, 2883) bezog sich auf ein Auslieferungsverfahren und ebenfalls nicht auf mit den Vorschriften zum subsidiären Schutz inhaltsgleiche Rechtsvorschriften.
Soweit die Kläger ausführlich vortragen, das Verwaltungsgericht habe Art. 4 Abs. 4 der RL 2011/95/EU nicht ordnungsgemäß geprüft, läuft dies auf die Geltendmachung ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des Urteils hinaus, was nach § 78 Abs. 3 AsylG keinen Berufungszulassungsgrund im Asylstreitverfahren darstellt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, § 83b AsylG.
Mit dieser gemäß § 80 AsylG unanfechtbaren Entscheidung wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).


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