Verwaltungsrecht

Erfolgloser Berufungszulassungsantrag mangels Vorliegens eines Verfahrensmangels

Aktenzeichen  20 ZB 18.50002

Datum:
16.1.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 197
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 138 Nr. 3, Nr. 6
AsylG § 78 Abs. 3 Nr. 3

 

Leitsatz

1. Zum Grundsatz des rechtlichen Gehörs gehört auch das Verbot von Überraschungsentscheidungen. (Rn. 4) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ein Urteil ist auch dann nicht mit Gründen versehen, wenn die gegebene Begründung so unverständlich oder verworren bzw. in wesentlichen Teilen widersprüchlich ist, dass sie die Funktion der Entscheidungsgründe nicht erfüllen kann. (Rn. 6) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

5 K 15.50260 2016-11-02 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Beklagte hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Der Antrag der Beklagten auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 2. November 2016 (Az. M 5 K 15.50260) ist zulässig, hat aber in der Sache keinen Erfolg. Die geltend gemachten Zulassungsgründe (§ 78 Abs. 3 AsylG) sind entweder schon nicht im Sinne des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG dargelegt oder liegen tatsächlich nicht vor.
1. Der geltend gemachte Verfahrensfehler im Sinne des § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V.m. § 138 Nr. 3 VwGO liegt nicht vor.
Die Beklagte trägt vor, das Verwaltungsgericht habe eine Überraschungsentscheidung gefällt, weil es entgegen dem sich aus der Behördenakte des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) ergebenden Sachverhalt davon ausgegangen sei, dass sich die italienischen Behörden mit Schreiben vom 10. Dezember 2014 zur Wiederaufnahme des Klägers nach der Dublin III-Verordnung (Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013, ABl. L 180, S. 31 ff.) bereit erklärt hätten. Ohne einen entsprechenden Hinweis zu geben, sei das Verwaltungsgericht deshalb hinsichtlich der Ziffer 1 des Bescheides vom 20. Februar 2015 unzutreffend von einer Unzulässigkeitsentscheidung nach § 27a AsylG a.F. wegen der internationalen Zuständigkeit Italiens nach der Dublin III-Verordnung ausgegangen. In der Folge habe das Verwaltungsgericht, ohne vorher einen entsprechenden Hinweis zu geben, den Ablauf der Überstellungsfrist angenommen und daher den Bescheid wegen des Übergangs der Zuständigkeit auf die Beklagte aufgehoben. Das Verwaltungsgericht hätte die Klage aber vielmehr wegen des dem Kläger in Italien gewährten Flüchtlingsschutzes nach § 60 Abs. 1 Satz 2 und 3 AufenthG als unzulässig abweisen müssen (unter Verweis auf die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 17. Juni 2014, Az. 10 C 7.13 – juris).
Damit liegt jedoch keine gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs verstoßende Überraschungsentscheidung vor, die einen absoluten Revisionsgrund im Sinne des § 138 Nr. 3 VwGO und damit einen nach § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG beachtlichen Verfahrensmangel begründen würde. Zwar gehört zum Grundsatz des rechtlichen Gehörs auch das Verbot von Überraschungsentscheidungen. Das Gericht darf einen bisher nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt nicht ohne einen Hinweis zur Grundlage seiner Entscheidung machen, wenn dieser dem Prozess eine so überraschende Wendung gibt, dass auch ein sorgfältiger Prozessbeteiligter damit nicht rechnen muss (Berlit in GK-AsylG, § 78 Rn. 283 ff.). Allerdings muss das Gericht nicht vorab auf seine Rechtsauffassung oder die von ihm beabsichtigte Würdigung des Prozessstoffs hinweisen. Falls es jedoch eine vorläufige Einschätzung der Rechtslage zu erkennen gegeben hat, muss es deutlich machen, wenn es hiervon wieder abweichen will (vgl. zum Ganzen Kraft in Eyermann, VwGO, § 138 Rn. 33 m.w.N.). Gemessen daran hat das Verwaltungsgericht keine Überraschungsentscheidung getroffen. Denn der Gesichtspunkt des (angenommenen) Ablaufs der Überstellungsfrist wurde vom Prozessbevollmächtigten des Klägers mit Schriftsatz vom 10. November 2015 geltend gemacht, dessen Zustellung an die Beklagte das Verwaltungsgericht am 10. November 2015 verfügt hat. Mit demselben Schriftsatz hatte der Klägerbevollmächtigte auch sein Einverständnis nach § 101 Abs. 2 VwGO erklärt, weshalb die Beklagte, die ihren Verzicht auf mündliche Verhandlung vorab durch Globalerklärung erklärt hat, auch mit einer Entscheidung des Verwaltungsgerichts ohne mündliche Verhandlung rechnen musste. Bis zur gerichtlichen Entscheidung am 2. November 2016 hatte die Beklagte damit ausreichend Gelegenheit, auf den rechtlichen Gesichtspunkt des Ablaufs der Überstellungsfrist zu reagieren und vorzutragen, dass der Sachverhalt wegen des dem Kläger in Italien zuerkannten Flüchtlingsschutzes (Bl. 42 der Bundesamtsakte) nicht mehr in den Anwendungsbereich der Dublin III-Verordnung fällt und dass deshalb mit dem Wiederaufnahmegesuch des Bundesamtes an die italienischen Behörden vom 25. November 2014 (Bl. 31/33 der Bundesamtsakte) auch keine Überstellungsfrist anlaufen konnte.
2. Auch der geltend gemachte Verfahrensmangel nach § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V.m. § 138 Nr. 6 VwGO liegt nicht vor.
Die Beklagte vertritt die Auffassung, das angefochtene Urteil sei im Sinne des § 138 Nr. 6 VwGO nicht mit einer Begründung versehen. Dem ist jedoch nicht zu folgen. Zwar ist ein Urteil auch dann (im Sinne des § 138 Nr. 6 VwGO) nicht mit Gründen versehen, wenn die gegebene Begründung so unverständlich oder verworren bzw. in wesentlichen Teilen widersprüchlich ist, dass sie die Funktion der Entscheidungsgründe nicht erfüllen kann (Kraft in Eyermann, VwGO, § 138 Rn. 57). Die Funktion der Entscheidungsgründe liegt zum einen darin, den Rechtsschutzsuchenden darüber zu informieren, welche tatsächlichen und rechtlichen Erwägungen für die Entscheidung leitend gewesen sind, und diesem die Möglichkeit zu geben, die Erfolgsaussichten eines Rechtsmittels einzuschätzen. Zum anderen sollen die Gründe dem Rechtsmittelgericht die Überprüfung der Entscheidung in inhaltlicher und prozessrechtlicher Hinsicht ermöglichen (vgl. zum Ganzen Kraft in Eyermann, VwGO, § 138 Rn. 54). Diese Funktionen erfüllen die Entscheidungsgründe des Verwaltungsgerichts vorliegend zweifellos. Denn es geht daraus klar hervor, dass das Gericht – in Verkennung des Inhaltes des Schreibens des Ministerio dell´Interno vom 10. Dezember 2014 (Bl. 42 der Bundesamtsakte) – von einer Wiederaufnahmezusage und – von seinem rechtlichen Standpunkt aus folgerichtig – von einem Ablauf der Überstellungsfrist ausgeht. Indem die Beklagte vorträgt, die Begründung des Verwaltungsgerichts sei nicht nachvollziehbar, macht sie keine Verworrenheit, Unverständlichkeit oder Widersprüchlichkeit der Entscheidung in sich geltend, sondern greift in Wahrheit die Richtigkeit der Sachverhaltswürdigung des Gerichts und dessen rechtliche Schlussfolgerungen an. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung (vgl. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) sind jedoch nach der abschließenden Regelung des § 78 Abs. 3 AsylG im Asylprozess nicht als Zulassungsgrund vorgesehen.
3. Schließlich hat die Beklagte schon nicht im Sinne des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG dargelegt, inwiefern in dem Umstand, dass das Verwaltungsgericht zwar aufgrund des Verzichts der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden hat, in der Entscheidung aber vor dem Entscheidungsdatum die Formel „aufgrund mündlicher Verhandlung“ (anstatt „ohne mündliche Verhandlung“) enthalten ist, ein Verfahrensmangel im Sinne des § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V.m. § 138 VwGO liegen soll.
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO, § 83b AsylG.
Mit der Ablehnung der Berufungszulassung wird die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).


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