Verwaltungsrecht

Erfolgloser Berufungszulassungsantrag: Niveau willkürlicher Gewalt in Bagdad

Aktenzeichen  20 ZB 18.31062

Datum:
17.5.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 11872
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 4 Abs. 1 Nr. 3, § 78 Abs. 3 Nr. 1, Abs. 4 S. 4

 

Leitsatz

Zur Begründung des Zulassungsantrags genügt nicht der pauschale Hinweis, dass es „konkrete Anzeichen“ für eine weitere Erhöhung der Intensität des Konflikts in der näheren Zukunft gebe, ohne dass diese Anzeichen benannt würden.  (Rn. 6) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

RO 13 K 16.31665 2017-11-22 Ent VGREGENSBURG VG Regensburg

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird verworfen.
II. Der Kläger trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Zulassungsverfahrens.

Gründe

Der Antrag auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Regensburg ist unzulässig, da der geltend gemachte Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG) bereits nicht in einer § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG genügenden Art und Weise dargelegt wurde.
Die Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache im Sinne des § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG verlangt, dass der Rechtsmittelführer eine konkrete Rechts- oder Tatsachenfrage formuliert, ausführt, weshalb diese Frage für den Rechtsstreit entscheidungserheblich ist, erläutert, weshalb die Frage klärungsbedürftig ist und schließlich darlegt, weshalb der Frage eine über die einzelfallbezogene Rechtsanwendung hinausgehende Bedeutung zukommt (Happ in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 124a Rn. 72). „Darlegen“ bedeutet schon nach dem allgemeinen Sprachgebrauch mehr als lediglich einen allgemeinen Hinweis. „Etwas darlegen“ bedeutet vielmehr so viel wie „erläutern“, „erklären“ oder „näher auf etwas eingehen“ (BVerwG, B.v. 2.10.1961 – 8 B 78.61 – BVerfGE 13, 90/91; Beschluss v. 9.3.1993 – 3 B 105.92 – NJW 1993, 2825). Der Orientierungspunkt dieser Erfordernisse ist die Begründung der angefochtenen Entscheidung, mit der sich die Begründung des Zulassungsantrags substantiiert auseinandersetzen muss (BVerfG, B.v. 2.3.2006 – 2 BvR 767/02 – NVwZ 2006, 683). Die Darlegung der Klärungsbedürftigkeit erfordert regelmäßig eine Durchdringung der Materie und in diesem Zusammenhang eine Auseinandersetzung mit den Erwägungen des Verwaltungsgerichts, die verdeutlicht, dass die Entscheidung des Verwaltungsgerichts dem Klärungsbedarf nicht gerecht wird (BVerfG, B.v. 7.11.1994 – 2 BvR 2079/93 – juris Rn. 15; BVerwG, B.v. 9.3.1993 – 3 B 105/92 – NJW 1993, 2825).
Der Kläger hält für grundsätzlich klärungsbedürftig,
ob für das Stadtgebiet Bagdad ein so hohes Niveau willkürlicher Gewalt angenommen werden kann, dass eine Zivilperson auch bei Fehlen besonderer persönlicher gefahrerhöhender Umstände einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt ist.
Die Klärungsbedürftigkeit dieser Frage wird aber nicht dargelegt. Das Verwaltungsgericht hat seine Entscheidung, dass in der Provinz Bagdad ein für die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus nach § 4 Abs. 1 Nr. 3 AsylG ausreichend hoher Gefahrengrad nicht erreicht werde, nach eigenständiger Prüfung unter Bezugnahme auf die Ausführungen im Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 26. Januar 2017 (A 3 K 4020/16 – BeckRS 2017, 104691), die dieses aufgrund der von der UN Assistance Mission for Iraq (UNAMI) veröffentlichten Zahlen getroffen hat, begründet. Es ergäben sich auch keine Anhaltspunkte, dass sich die Situation im laufenden Kalenderjahr in Bagdad wesentlich verschärft hätte. Das Verwaltungsgericht Karlsruhe hat in dem genannten Urteil ausgeführt, dass nach den von der UNAMI veröffentlichten Zahlen, die diese ausdrücklich als Mindestangaben begreife, in der Provinz Bagdad im Jahr 2014 von mindestens 12.077 zivilen Toten und Verletzten, im Jahr 2015 von mindestens 12.963 zivilen Toten und Verletzten und im Jahr 2016 von mindestens 11.961 zivilen Toten und Verletzten auszugehen sei. Bei unverändertem Fortgang des Konflikts und unter Berücksichtigung einer Dunkelziffer von mindestens einem Drittel der in den Statistiken erfassten Fälle sei von einer Gesamtzahl von ca. 17.000 Getöteten und Verletzten im Zeitraum eines Jahres zu rechnen. Dieser Gesamtzahl stehe eine Wohnbevölkerung der Provinz Bagdad von ca. 9,5 Millionen Menschen lt. Wikipedia sowie etwa 570.000 sich dort aufhaltender Binnenflüchtlinge aus anderen Provinzen (lt. Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 18. Februar 2016, Seite 15) gegenüber. Die Gefahr von Verletzungen von Leib oder Leben infolge der stattfindenden gewaltsamen Kampfhandlungen in der Provinz Bagdad betrage derzeit jährlich ca. 1:592 bzw. ca. 0,17%. Konkrete Anzeichen für eine weitere Erhöhung der Intensität des Konflikts in der näheren Zukunft seien angesichts der Entwicklung der Opferzahlen in den letzten Monaten nicht ersichtlich. Auf dieser Grundlage könne auch unter Berücksichtigung der angespannten medizinischen Versorgungssituation in Bagdad derzeit nicht davon ausgegangen werden, dass der den herrschenden bewaffneten Konflikt kennzeichnende Grad willkürlicher Gewalt ein so hohes Niveau erreiche, dass praktisch jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit in dieser Region in einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt sei.
Mit diesen Ausführungen, auf die sich das Verwaltungsgericht in dem angefochtenen Urteil zulässigerweise bezogen hat, setzt sich der Zulassungsantrag nicht substantiiert auseinander. Er setzt dem einerseits entgegen, dass die in Bagdad vorwiegend herrschenden schiitischen Milizen für eine Vielzahl von zivilen Toten und Verletzten verantwortlich seien. Sie verfolgten die im Stadtgebiet lebenden Sunniten und provozierten dadurch auch Gegengewalt. Dokumentiert seien willkürliche Hausdurchsuchungen, Kontrollen, Entführungen, Erschießungen, körperliche Strafen, Misshandlungen und Verwundungen. Mit dieser Argumentation wird aber eher in Richtung einer gezielten Verfolgung von Sunniten durch schiitische Milizen argumentiert, die im Rahmen des § 4 Abs. 1 Nr. 3 AsylG nicht berücksichtigungsfähig ist, da es insoweit um die Betroffenheit durch willkürliche und nicht zielgerichtete Gewalt geht. Soweit darüber hinaus geltend gemacht wird, dass mit einer hohen Dunkelziffer an zivilen Opfern, die nicht in den Statistiken enthalten sind, gerechnet werden müsse, wird insoweit auf einen Aspekt hingewiesen, der vom Verwaltungsgericht bereits gewürdigt wurde. Anhaltspunkte dafür, dass die Dunkelziffer vom Verwaltungsgericht zu niedrig angesetzt wurde werden nicht vorgetragen. Daneben beschränkt sich die Begründung des Zulassungsantrags auf den pauschalen Hinweis, dass es „konkrete Anzeichen“ für eine weitere Erhöhung der Intensität des Konflikts in der näheren Zukunft gebe, ohne dass diese Anzeichen benannt würden. Im Ergebnis erfolgt daher keine substantiierte Auseinandersetzung mit der Begründung des Verwaltungsgerichts, sodass die Klärungsbedürftigkeit nicht dargelegt ist.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO, § 83b AsylG.
Mit dieser Entscheidung wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig, § 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG.


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