Verwaltungsrecht

Erfolgloser Berufungszulassungsantrag – Verhältnis von Pflichtbeitragszeiten in der gesetzlichen Rentenversicherung zu Dienstzeiten

Aktenzeichen  3 ZB 14.2559

Datum:
30.11.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 134592
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayBeamtVG  Art. 26 Abs. 3 S. 1 Nr. 1
VwGO § 124 Abs. 2 Nr. 1
BayBG Art. 62, Art. 143
GG Art. 3 Abs. 1, Abs. 3, Art. 33 Abs. 5
BeamtVG § 14 Abs. 3 S. 5

 

Leitsatz

1. Das Leistungsprinzip nach Art. 33 Abs. 5 GG verlangt, dass sich die Länge der aktiven Dienstzeit in der Höhe der Versorgungsbezüge niederschlägt. (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Möglichkeit der vorzeitigen Inanspruchnahme von Versorgungsleistungen stellt sich auch als eine Form der Gegenleistung für geleistete Dienste dar; Rentenversicherungspflichtbeitragszeiten gehören dazu nicht. (redaktioneller Leitsatz)
3. Die Entscheidung des Gesetzgebers, Rentenversicherungspflichtbeitragszeiten (hier: Tätigkeit als Bäcker) nicht als für die beamtenrechtliche Versorgung maßgebliche Dienstzeit gelten zu lassen, ist rechtmäßig, da er im Hinblick auf den Grad der Harmonisierung der unterschiedlich ausgestalteten Versorgungssysteme – Renten- und Beamtenversorgungsrecht – einen weiten Gestaltungsspielraum hat. (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

Au 2 K 13.1804 2014-10-23 Urt VGAUGSBURG VG Augsburg

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Antragsverfahrens.
III. Der Streitwert wird für das Antragsverfahren auf 3.937,32 Euro festgesetzt.

Gründe

Der auf die Zulassungsgründe des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO (ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils), des § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO (besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten) sowie des § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO (grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache) gestützte Antrag bleibt ohne Erfolg.
1. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils des Verwaltungsgerichts i.S.v. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO bestehen auf der Grundlage des Zulassungsvorbringens nicht. Ernstliche Zweifel im Sinne dieser Vorschrift, die die Zulassung der Berufung rechtfertigen, sind zu bejahen, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird und die Zweifel an der Richtigkeit einzelner Begründungselemente auf das Ergebnis durchschlagen. Dies ist vorliegend nicht der Fall.
Das Verwaltungsgericht hat die Klage auf Festsetzung der Versorgungsbezüge ohne Ansetzen eines Versorgungsabschlags zu Recht mit der Begründung abgewiesen, die ruhegehaltfähige Dienstzeit von 42 Jahren sei unter Berücksichtigung der zweijährigen Wehrdienstzeit vom 1. Oktober 1969 bis 30. September 1971 sowie der vierzigjährigen Dienstzeit vom 1. August 1973 bis 31. Juli 2013 korrekt ermittelt worden. Eine darüber hinaus gehende Berücksichtigung von privatrechtlichen Arbeitsverhältnissen außerhalb des öffentlichen Dienstes sei nach den gesetzlichen Bestimmungen (Art. 26 Abs. 3 Satz 2 BayBeamtVG) nicht vorgesehen. Da der Kläger zum Zeitpunkt der Versetzung in den Ruhestand das 64. Lebensjahr vollendet habe, sei bei ihm ein Versorgungsabschlag von insgesamt 4,5 v.H. vorzunehmen gewesen.
Der Kläger wendet dagegen ein, er habe vor seinem Eintritt in das Beamtenverhältnis eine Ausbildung als Bäcker absolviert und in diesem Beruf gearbeitet. Unter Berücksichtigung seiner Pflichtbeitragszeiten in der gesetzlichen Rentenversicherung ergebe sich eine Lebensarbeitszeit von 50,92 Jahren, weshalb ein Versorgungsabschlag nicht anfallen dürfe. Das Verwaltungsgericht habe zu Unrecht einen Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG verneint. Dieser liege in der Nichtberücksichtigung der Pflichtbeitragszeiten in der gesetzlichen Rentenversicherung für die Berechnung der Dienstjahre nach Art. 26 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 BayBeamtVG. Der Kläger, bei dem es zu einem Nebeneinander von beamtenversorgungsrechtlichen und rentenversorgungsrechtlichen Zeiten komme, werde im Vergleich zu den Gruppen der „Nur-Beamten“ oder „Nur-Angestellten“ unterschiedlich behandelt. Während bei ersteren nach langen Dienstzeiten ein Versorgungsabschlag entfallen könne, solle der Kläger diesen hinnehmen. Dies halte der Kläger mit Blick auf die Ausführungen in der Landtagsdrucksache 16/3200 – dass in Anlehnung an das Rentenrecht auch für die Beamten als Ausgleich für die Anhebung der gesetzlichen Altersgrenze die Möglichkeit geschaffen werde, bei langen Dienstzeiten abschlagsfrei vorzeitig in den Ruhestand zu treten – für sachlich nicht gerechtfertigt. Insoweit könne auch nicht ohne Weiteres auf die Rechtsprechung zur Vorgängerregelung des Art. 26 BayBeamtVG, § 14 BeamtVG, verwiesen werden. Lege man zugrunde, das die Möglichkeit, bei langer Dienstzeit vorzeitig versorgungsabschlagsfrei in den Ruhestand zu treten, in Anlehnung an das Rentenrecht eingeführt worden sei, verbiete sich das Argument, eine sachliche Rechtfertigung in strukturellen Unterschieden zwischen den Versorgungssystemen zu sehen. Auf die Regelung des § 21 Abs. 3 des Thüringer Beamtenversorgungsgesetzes werde hingewiesen. Auch dem Bayerischen Landesrecht sei, wie Art. 85 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1b BayBeamtVG zeige, eine Berücksichtigung von Rentenversicherungszeiten nicht fremd.
Der Senat teilt diese Bedenken des Klägers an der Verfassungsmäßigkeit des Art. 26 Abs. 3 BayBeamtVG nicht. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, der der Senat folgt, gebietet der allgemeine Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) dem Gesetzgeber, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln. Er gilt für ungleiche Belastungen wie auch für ungleiche Begünstigungen. Aus dem allgemeinen Gleichheitssatz ergeben sich je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmalen unterschiedliche Grenzen für den Gesetzgeber, die vom bloßen Willkürverbot bis zu einer strengen Bindung an Verhältnismäßigkeitserfordernisse reichen. Grundsätzlich ist der Gesetzgeber frei, aus der Vielzahl der Lebenssachverhalte die Tatbestandsmerkmale auszuwählen, die für die Gleich- oder Ungleichbehandlung maßgebend sein sollen. Dabei ist nicht zu überprüfen, ob der Gesetzgeber die gerechteste, zweckmäßigste und vernünftigste Regelung getroffen hat. Knüpft eine Ungleichbehandlung nicht an personenbezogene, sondern – wie hier – an situationsgebundene Kriterien an und enthält zudem keine Differenzierungsmerkmale, die in der Nähe des Art. 3 Abs. 3 GG angesiedelt sind, steht dem Gesetzgeber ein größerer Regelungsspielraum offen; dies gilt insbesondere dann, wenn die Betroffenen die Anwendung der eine Ungleichbehandlung auslösenden Regelung durch das Gebrauchmachen von einer Wahlmöglichkeit beeinflussen oder gar ausschließen können. Für die Anforderungen an Rechtfertigungsgründe für gesetzliche Differenzierungen kommt es wesentlich darauf an, in welchem Maß sich die Ungleichbehandlung von Personen oder Sachverhalten auf die Ausübung grundrechtlich geschützter Freiheiten auswirken kann. Genauere Maßstäbe und Kriterien dafür, unter welchen Voraussetzungen der Gesetzgeber den Gleichheitssatz verletzt, lassen sich allerdings nicht abstrakt und allgemein, sondern nur in Bezug auf die jeweils betroffenen unterschiedlichen Sach- und Regelungsbereiche bestimmen. Zudem belässt Art. 3 Abs. 1 GG dem Gesetzgeber im Besoldungs- und Versorgungsrecht ohnehin eine weite Gestaltungsfreiheit (vgl. zum Ganzen zuletzt BVerfG, B.v. 23.5.2017 – 2 BvL 10/11 und 2 BvL 28/14 – juris Rn. 96 f. m.w.N.).
Anhand dieses Maßstabs lässt sich im vorliegenden Fall nach Auffassung des Senats kein Verfassungsverstoß feststellen. Das Verwaltungsgericht hat zutreffend darauf hingewiesen, dass die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (B.v. 20.6.2006 – 2 BvR 361/03 – juris) und des Bundesverwaltungsgerichts (B.v. 25.1.2005 – 2 C 48.03 – NVwZ 2005, 1082) die Regelungen betreffend den Versorgungsabschlag unbeanstandet gelassen hat. Dass durch die Einführung des Art. 26 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 BayBeamtVG der Versorgungsabschlag für Beamte entfällt, die im Zeitpunkt der Ruhestandsversetzung das 64. Lebensjahr vollendet haben und eine Dienstzeit von 45 Jahren erreichen, ändert daran nichts. Dass dieser Ausnahmefall, der Regelungen im Rentenrecht nachgebildet ist, nicht auf jegliche Art von sog. Mischlaufbahnen ausgedehnt wurde, entbehrt nicht der sachlichen Begründung. Denn das Art. 33 Abs. 5 GG unterfallende Leistungsprinzip verlangt, dass sich die Länge der aktiven Dienstzeit in der Höhe der Versorgungsbezüge niederschlägt. Die Möglichkeit der vorzeitigen Inanspruchnahme von Versorgungsleistungen stellt sich insoweit auch als eine Form der Gegenleistung für geleistete Dienste dar. Es wäre demnach nicht sachgerecht, Zeiten zu berücksichtigen, die nicht für die Höhe des Ruhegehalts relevant sind (Kazmaier in Stegmüller/Schmalhofer/Bauer, Beamtenversorgungsrecht des Bundes und der Länder, Art. 26 BayBeamtVG Rn. 55).
Der Grad der Harmonisierung der unterschiedlich ausgestalteten Versorgungssysteme Renten- und Beamtenversorgungsrecht fällt in den weiten Spielraum des Gesetzgebers. Dass dieser sich gegen die vom Kläger rechtspolitisch gewünschte vollständige Harmonisierung entschieden hat und nur punktuell sog. Mischlaufbahnen in den Blick nimmt (neben dem vom Kläger zitierten Beispiel des Art. 85 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1b BayBeamtVG wäre hier Art. 27 Abs. 1 BayBeamtVG zu nennen), ist nicht zu beanstanden. Die Regelung des Art. 26 Abs. 3 BayBeamtVG knüpft nicht an Differenzierungsmerkmale an, die in der Nähe des Art. 3 Abs. 3 GG angesiedelt sind und belässt dem Beamten – wie schon davor die Versorgungsabschlagsregelung ohne Rückausnahme für besonders lange Dienstzeiten – die Möglichkeit, den Versorgungsabschlag dadurch zu vermeiden, dass er bis zur regulären Altersgrenze (Art. 62, Art. 143 BayBG) im Dienst verbleibt.
Dass der weite Gestaltungsspielraum der Versorgungsgesetzgeber in unterschiedlicher Weise genutzt werden kann, belegen die nunmehr abweichenden Regelungen in § 14 Abs. 3 Satz 5 BeamtVG und § 21 Abs. 3 ThürBeamtVG, die zwar gewisse Pflichtbeitragszeiten in der Rentenversicherung auf die lange Dienstzeit anrechnen, jedoch eine Versorgungsabschlagsfreiheit nur vorsehen, wenn der Beamte zum Zeitpunkt des Eintritts in den Ruhestand das 65. Lebensjahr vollendet hat. Da von den Gerichten nicht zu überprüfen ist, ob der Gesetzgeber die gerechteste, zweckmäßigste und vernünftigste Regelung getroffen hat, bedarf diese Vergleichsbetrachtung von vornherein keiner Vertiefung.
2. Entgegen der Auffassung des Klägers weist die Rechtssache auch keine besonderen rechtlichen Schwierigkeiten auf (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO). Insoweit verweist der Senat auf die Ausführungen zum Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, weil auch der Kläger mit seinem Sachvortrag auf denjenigen zu diesem Zulassungsgrund Bezug nimmt.
3. Der Rechtssache kommt die ihr vom Kläger beigemessene grundsätzliche Bedeutung (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) nicht zu. Die aufgeworfene Frage, ob und inwieweit im Rahmen des Art. 26 Abs. 3 BayBeamtVG auch Rentenversicherungspflichtbeitragszeiten bei der Berechnung der 45 Dienstjahre berücksichtigungsfähig sind, lässt sich anhand des Gesetzes ohne weiteres beantworten und verneinen. Eine höhere als die gesetzlich zustehende Versorgung kann nicht bewilligt werden (vgl. Art. 3 Abs. 2 BayBeamtVG). Angesichts des Perfektionsstrebens des Gesetzgebers auf dem Gebiet des Versorgungsrechts ist es grundsätzlich ausgeschlossen, mittels Analogie Ansprüche dem Grunde nach herzuleiten. Auch eine extensive oder ergänzende Auslegung mit diesem Ziel ist ausgeschlossen (vgl. Plog/Wiedow, Bundesbeamtengesetz, § 3 BeamtVG Rn. 71).
4. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 3 GKG.
Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).


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