Verwaltungsrecht

Erfolgloser Eilantrag auf Erteilung einer ausländerrechtlichen Duldung für kosovarischen Intensivstraftäter

Aktenzeichen  M 9 E 21.4598

Datum:
14.9.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 34358
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 123
GG Art. 6
AufenthG § 28, § 59 Abs. 1 S. 4, § 60a Abs. 2
EMRK Art. 8

 

Leitsatz

Unter Berücksichtigung der vollständig fehlenden Integration, der durch das strafrechtliche Ermittlungsverfahren dokumentierten Wiederholungsgefahr, der in Kenntnis der Umstände eingegangenen Ehe und der Gefährlichkeit der Straftaten besteht kein Anspruch auf Duldung oder Verlängerung der Ausreisefrist. Die Trennung ist der Familie des Klägers zumutbar, da die Familiengründung in Kenntnis der drohenden Abschiebung erfolgte. Ein Duldungsanspruch besteht auch nicht wegen des erkrankten Vaters des Klägers. Es ist weder eine entsprechende familiäre Bindung noch die Notwendigkeit einer Unterstützung durch den Antragsteller erkennbar, der sehr viele Geschwister hat. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Der Streitwert wird auf 2.500,00 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller ist kosovarischer Staatsangehöriger und vollziehbar ausreisepflichtig. Er wurde mit Bescheid des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 29. Januar 2013 ausgewiesen und wurde bereits einmal abgeschoben. Die Antragsgegnerin befristete das Einreise- und Aufenthaltsverbot mit Bescheid vom 10. Juli 2018 auf sieben bzw. neun Jahre ab der Ausreise. Der Antragsteller hat keine Aufenthaltserlaubnis.
Der Antragsteller ist Intensivstraftäter und befand sich bis zum 24. März 2021 in der Unterbringung. Der im Bundesgebiet geborene Antragsteller ist mittlerweile … Jahre alt und hatte bereits im Juni 2010 eine 3-jährige Jugendstrafe verbüßt. Er ist vielfach vorbestraft, überwiegend wegen Eigentums- und Gewaltdelikten. Die Eintragungen im Zentralregister reichen bis in das Jahr 2006 zurück. Zur Vorgeschichte wird auf den Widerspruchsbescheid des Regierungspräsidiums S. … vom 8. September 2009 (Bl. 278 Behördenakte) verwiesen.
Der Antragsteller war durchgehend straffällig und mehrfach in Haft. Wegen der Einzelheiten und zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf den Ausweisungsbescheid des Regierungspräsidiums S. … vom 29. Januar 2013 (Bl. 670 ff. Behördenakte) Bezug genommen.
Mit Bescheid vom 10. Juli 2018 (Bl. 749 Behördenakte) befristete die Antragsgegnerin unter der Bedingung der Straf- und Drogenfreiheit das Einreise- und Aufenthaltsverbot in Nr. 2 des Bescheids des Regierungspräsidiums S. … vom 29. Januar 2013 auf sieben Jahre ab Ausreise/Abschiebung und auf neun Jahre ab Ausreise, wenn diese Bedingung nicht erfüllt wird (Ziff. 1 des Bescheids) und ordnete nach erfülltem Strafanspruch und Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht die Abschiebung in den Kosovo im Vollzug der Verfügung des Regierungspräsidium Stuttgart vom 29. Januar 2013 aus der Haft bzw. nach Haftentlassung unter Fristsetzung von zwei Wochen an (Ziff. 2 des Bescheids). Zugrunde lag, dass der Antragsteller zuletzt durch das Landgericht M. … mit Urteil vom 8. Januar 2018 unter anderem wegen unerlaubter Einreise nach Ausweisung und Abschiebung, schwerem Raub in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis zu einer Gesamtfreiheitstrafe von sechs Jahren unter Anordnung der Unterbringung in eine Entziehungsanstalt ab dem 2. April 2019 gem. § 64 StGB verurteilt hatte. Auf den Bescheid wird zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen.
Am 24. März 2021 wurde der Antragsteller aus der Unterbringung entlassen. Er hat ausweislich der Geburtsurkunde einen am … Juni 2021 geborenen Sohn und lebt mit dessen Mutter in ehelicher Lebensgemeinschaft. Die Ehefrau und das Kind sind deutsche Staatsangehörige. Die Heirat war am … August 2020.
Aktuell ist gegen den Antragsteller ausweislich einer Mitteilung der Staatsanwaltschaft L. … vom 20. August 2021 (Bl. 1105 Behördenakte) unter dem Az. 503 JS 3307/21 ein Ermittlungsverfahren wegen eines Verbrechens nach § 29a BtMG, illegaler Handel in nicht geringen Mengen von Kokain anhängig. Die Staatsanwaltschaft hat mit Datum vom 1. September 2021 das Einvernehmen mit der Abschiebung in den Kosovo erteilt (Bl. 1111).
Die Bevollmächtigte des Antragstellers beantragte mit Schriftsatz vom 30. August 2021 gem.§ 123 VwGO:
Verpflichtung der Antragsgegnerin dem Antragssteller eine Duldung zu erteilen, hilfsweise, die Ausreisefrist weiter zu verlängern.
Die Antragsgegnerin habe mitgeteilt, dass mit Erteilung einer Duldung kein Einverständnis bestehe und der Antragssteller bis 30. August 2021 das Bundesgebiet zu verlassen habe. Der Antragsteller wolle sich in den ersten Lebensmonaten seines neugeborenen Sohnes sowohl um diesen als auch um seine Frau kümmern. Er habe einen Duldungsanspruch aus Art. 6 GG. Der Vater des Antragstellers sei an Krebs erkrankt, lebe in der Nähe von S. … und sei der deutschen Sprache nicht hinreichend mächtig, so dass der Antragsteller ihn zu den Arztbesuchen begleite. Daraus ergebe sich aufgrund der sittlichen Pflicht zur Unterstützung des schwererkrankten Vaters ein Duldungsgrund.
Die Antragsgegnerin beantragte mit Schreiben vom 3. September 2021:
Antragsablehnung.
Das öffentliche Interesse an der Verhinderung weiterer schwerer Straftaten überwiege, die Bindung an das 2021 geborene Kind und die Ehefrau, die beide deutsche Staatsangehörige seien. Der Antragsteller stehe für fünf Jahre unter Führungsaufsicht.
Ehe und Vaterschaft seien in Kenntnis der Straftaten und der prekären aufenthaltsrechtlichen Situation begründet worden. Die gesundheitliche Lage des in S. … lebenden Vaters habe hier keine entscheidende Bedeutung. Die Abschiebung sei beabsichtigt. Ein Schubtermin stehe nicht fest und die Eilentscheidung werde abgewartet.
Wegen der Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte und die Behördenakte Bezug genommen.
II.
Der Antrag hat keinen Erfolg.
Im vorliegenden Fall fehlt der nach § 123 VwGO erforderliche Anordnungsanspruch, da der Antragsteller kein Bleiberecht im Bundesgebiet hat. Insbesondere hat er keinen Anspruch auf Duldung nach § 60a Abs. 2 AufenthG
Unter Berücksichtigung der zeitlichen Abfolge hat der Antragsteller während der Zeit der Unterbringung geheiratet und der gemeinsame Sohn wurde kurze Zeit nach der Entlassung aus der Unterbringung geboren. Ein Familienleben hat bis dahin nicht stattgefunden.
Unter Berücksichtigung der vollständig fehlenden Integration in das Leben der Bundesrepublik trotz Intensivbetreuung und Förderung ab Kindesalter und unter Berücksichtigung dessen, dass bereits kurze Zeit nach Entlassung aus dem Unterbringungsgewahrsam erneute strafrechtliche Ermittlungen wegen eines Verbrechens nach dem Betäubungsmittelgesetz wegen Kokainhandels im erheblichen Umfang durchgeführt werden, überwiegt das öffentliche Interesse an der Ausweisung des Antragstellers und der Beendigung seines Aufenthalts im Bundesgebiet das private Interesse an seinem weiteren Verbleib bei Ehefrau und gemeinsamen Kind. Der Schutz von Ehe und Familie geht nicht soweit, dass es Intensivstraftätern ein Recht darauf gibt, nicht abgeschoben zu werden und eine Duldung zu erhalten. Die Voraussetzungen für eine Abschiebung nach § 58 AufenthG liegen vor. Ein Abschiebeverbot nach § 60a Abs. 2 liegt nicht vor; insbesondere bestehen keine rechtlichen Abschiebehindernisse aufgrund eines Anspruchs auf Aufenthaltserlaubnis als Ehegatte einer Deutschen, § 28 AufenthG. Zum einen fehlt es an der allgemeinen Erteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 2, dass kein Ausweisungsinteresse besteht und zum anderen steht dem die Sperrwirkung des § 11 AufenthG entgegen. Der Schutz von Ehe und Familie, Art. 6 GG sowie Art. 8 EMRK führen zu keinem anderen Ergebnis, da im Hinblick auf die während der Zeit der Unterbringung geschlossenen Ehe mit einem vollziehbar ausreisepflichtigen und ausgewiesenen Straftäter und der Entscheidung für ein Kind in dieser Situation die Ehegattin sehenden Auges und in Kenntnis einer Trennung geheiratet und ein Kind bekommen haben. Unter Berücksichtigung der vollständig fehlenden Integration, der durch das strafrechtliche Ermittlungsverfahren dokumentierten Wiederholungsgefahr, der in Kenntnis der Umstände eingegangenen Ehe und der Gefährlichkeit der Straftaten besteht kein Anspruch auf Duldung oder Verlängerung der Ausreisefrist. Die Trennung ist der Familie zumutbar, da die Familiengründung in Kenntnis der drohenden Abschiebung erfolgte. Ein Duldungsanspruch besteht auch nicht wegen des erkrankten Vaters. Ungeachtet dessen, dass nicht ausreichend vorgetragen wurde ist weder eine entsprechende familiäre Bindung noch die Notwendigkeit einer Unterstützung durch den Antragsteller erkennbar, der sehr viele Geschwister hat.
Aus den hier dargelegten Gründen besteht auch kein Anspruch des Antragstellers auf die hilfsweise beantragte Verlängerung der Ausreisefrist, § 59 Abs. 1 S.4 AufenthG. Das öffentliche Interesse am Schutz Dritter vor erheblichen Straftaten überwiegt das nicht vorbehaltslos geschützte Recht nach Art.6 GG. Ein weiterer Verbleib im Bundesgebiet ist im überwiegenden öffentlichen Interesse nicht hinnehmbar, da dies mit Sicherheit vom Antragsteller zur Begehung weiterer erheblicher Straftaten gegen Gesundheit und Leben Anderer genutzt wird.
Der Antrag war daher mit der Kostenfolge des § 154 VwGO abzulehnen. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 2 GKG.


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