Verwaltungsrecht

Erfolgloser Eilantrag auf vorläufige Gestattung der Ausbildung

Aktenzeichen  B 3 E 17.33257

Datum:
23.10.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 145495
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Bayreuth
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 61 Abs. 2 Satz 1
VwGO § 123 Abs. 1 S. 1

 

Leitsatz

1 Wird einem Asylbewerbers einstweilen bis zur Hauptsacheentscheidung die Aufnahme einer Beschäftigung (zu Ausbildungszwecken) in einem Ausbildungsbetrieb gestattet, führt dies zu einer zumindest temporären Vorwegnahme der Hauptsache. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
2 Eine die Vorwegnahme der Hauptsache rechtfertigende Interessenlage kann nicht mit einer wirtschaftlichen Notlage existenzieller Art begründet werden, da ein Asylbewerber weiterhin Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz beziehen kann. Auch die Versäumung von Ausbildungsinhalten des bereits begonnenen Ausbildungsjahres stellt keinen schweren und irreparablen Nachteil dar, der die Vorwegnahme der Hauptsache rechtfertigt. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Der Antrag, den Antragsgegner zu verpflichten, dem Antragsteller einstweilen die Aufnahme der beantragten Ausbildung zu gestatten, wird abgelehnt.
2. Der Antragsteller trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.
3. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Rechtsanwaltsbeiordnung für das Eilverfahren wird abgelehnt.

Gründe

I.
Der Antragsteller begehrt die Verpflichtung des Antragsgegners, ihm einstweilen den Beginn einer Berufsausbildung zu gestatten.
Der 1998 geborene Antragsteller ist afghanischer Staatsangehöriger. Er reiste am 18.09.2015 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 22.10.2015 einen Asylantrag. Mit Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) vom 30.07.2016 wurde der Asylantrag abgelehnt. Die dagegen erhobene Klage ist derzeit beim Verwaltungsgericht Bayreuth unter dem Az.: B 3 K 16.30988 anhängig.
Am 12.06.2017 beantragte der Antragsteller beim Antragsgegner die Erteilung einer Beschäftigungserlaubnis zur Aufnahme einer Ausbildung als Maler bei der … in ….
Mit Bescheid vom 15.09.2017 lehnte der Antragsgegner den Antrag auf Erteilung der Beschäftigungserlaubnis ab. Zur Begründung führte dieser im Wesentlichen aus, nach pflichtgemäßer Ermessensausübung überwiege das öffentliche Interesse an der Versagung der Ausbildungserlaubnis. Die Identität des Antragstellers sei bisher nicht geklärt. Er habe keine Dokumente vorgelegt, die seine Identität bestätigen würden. Im Übrigen sei aufgrund der ablehnenden Entscheidung des Bundesamts die Aussicht auf ein dauerhaftes Bleiberecht in der Bundesrepublik Deutschland eher als gering anzusehen. Mit der negativen Entscheidung bezüglich der Erwerbstätigkeit solle verdeutlicht werden, dass mit Stellen aussichtsloser Asylanträge nicht das Ziel einer Beschäftigung in Deutschland verfolgt werden könne. Fehlanreize zum Missbrauch des Asylsystems sollten vermieden werden. Im Übrigen wird auf den Bescheid vom 15.09.2017 verwiesen.
Mit Schriftsatz vom 16.10.2017, eingegangen beim Verwaltungsgericht Bayreuth am gleichen Tag, erhob die Bevollmächtigte des Antragstellers Klage gegen den Bescheid vom 15.09.2017 und beantragte zugleich:
Dem Antragsgegner wird aufgegeben, dem Antragsteller einstweilen die Aufnahme der Beschäftigung im genannten Ausbildungsbetrieb zu gestatten bis über die Klageanträge entschieden ist.
Ferner wurde beantragt,
dem Antragsteller Prozesskostenhilfe für die erste Instanz zu bewilligen und die Bevollmächtige als Rechtsanwältin beizuordnen.
Zur Begründung des Eilantrags führte die Bevollmächtigte des Antragstellers aus, das Ausbildungsjahr habe bereits begonnen. Die bislang versäumten Inhalte könne der Antragsteller bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch mühelos aufholen. Ein Zuwarten bis zum rechtskräftigen Abschluss des Klageverfahrens führe jedoch dazu, dass der Antragsteller weitere Ausbildungsinhalte versäume. Ein Anordnungsgrund sei damit gegeben. Weiterhin bestehe ein Anordnungsanspruch. Der Antragsgegner habe sein Ermessen fehlerhaft ausgeübt. Bei fehlerfreier Ermessensausübung hätte dem Antragsteller die Beschäftigungserlaubnis erteilt werden müssen.
Der Antragsgegner äußerte sich bislang nicht.
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Akten des Klage- und des Eilverfahrens sowie auf die Gerichts- und Behördenakte im Asylverfahren des Antragstellers (B 3 K 16.30988) verwiesen.
II.
1. Der zulässige Antrag bleibt ohne Erfolg.
Nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann das Gericht, auch schon vor Klageerhebung, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung nötig erscheint, um wesentliche Nachteile abzuwenden.
Voraussetzung ist hierbei, dass der Antragsteller das Bestehen eines zu sichernden Rechts, den sogenannten Anordnungsanspruch, und die Notwendigkeit einer vorläufigen Regelung, den sogenannten Anordnungsgrund, glaubhaft macht (§ 123 Abs. 1 und 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO). Maßgebend sind die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung. Über den Erfolg des Antrags ist aufgrund einer im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes gebotenen und auch nur möglichen summarischen Prüfung zu entscheiden. Ergibt die überschlägige rechtliche Beurteilung auf der Grundlage der verfügbaren und vom Antragsteller glaubhaft zu machenden Tatsachenbasis, dass von überwiegenden Erfolgsaussichten in der Hauptsache auszugehen ist, besteht regelmäßig ein Anordnungsanspruch. Ein Anordnungsgrund setzt voraus, dass es dem Antragsteller unter Berücksichtigung seiner Interessen unzumutbar ist, eine Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten (vgl. SächsOVG, B.v. 22.9.2017 – 4 B 268/17 – juris; Kopp/Schenke, VwGO, 23. Aufl. 2017, § 123 RdNr. 26 m. w. N.).
Grundsätzlich dient die einstweilige Anordnung der vorläufigen Sicherung eines Anspruchs bzw. der vorläufigen Regelung eines Rechtsverhältnisses. Wird mit der begehrten Entscheidung die Hauptsache vorweggenommen, sind an die Prüfung von Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch qualifizierte Anforderungen zu stellen, d.h. der Erlass einer einstweiligen Anordnung kommt nur in Betracht, wenn ein hoher Grad an Wahrscheinlichkeit für den Erfolg in der Hauptsache spricht und dem Antragsteller durch das Abwarten in der Hauptsache schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare, Nachteile entstünden, zu deren nachträglicher Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (BVerfG, B.v. 25.10.1988 – 2 BvR 745/88 – juris; vgl. BayVGH, B.v. 18.3.2016 – 12 CE 16.66 – juris).
a) Unter Berücksichtigung der obigen Grundsätze kann dahinstehen, ob ein Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht wurde, insbesondere ob bei Ermessensnormen wie § 61 Abs. 2 Satz 1 AsylG, wenn – wie vorliegend – eine Ermessenreduzierung auf Null weder glaubhaft gemacht wurde noch anderweitig ersichtlich ist, der (bloße) Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung überhaupt Gegenstand einer einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO sein kann (vgl. hierzu BayVGH, B.v. 3.6.2002 – 7 CE 02.637 – juris m.w.N.).
b) Selbst wenn man wegen des bereits begonnenen Ausbildungsjahres eine Dringlichkeit und damit einen Anordnungsgrund annimmt, steht dem Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung jedenfalls das Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache entgegen. Der Antragsteller begehrt in der Hauptsache die Verpflichtung des Antragsgegners, ihm die beantragte Ausbildungserlaubnis zu erteilen bzw. – wohl „hilfsweise“ – über den Antrag unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden. Das gleiche Ziel verfolgt der Antragsteller letztlich auch mit einem Eilantrag nach § 123 VwGO. Hieran ändert nichts, dass die im einstweiligen Anordnungsverfahren erstrebte Rechtsstellung unter der auflösenden Bedingung des Ergebnisses des Klageverfahrens stünde. Denn auch die vorläufige Vorwegnahme der Hauptsache vermittelt dem Antragsteller die im Klageverfahren erstrebte Rechtsposition und stellt ihn vorweg so, als wenn er im Klageverfahren bereits obsiegt hätte (vgl. OVG Lüneburg, B.v. 29.7.2015 – 8 ME 33/15 – juris; VG München, B.v. 10.05.2017 – M 4 S 17.1620 – juris; VG Bayreuth, B.v. 10.08.2017 – B 6 E 17.32713 – juris). Damit hätte der Antragsteller sein Rechtsschutzziel der Hauptsache zumindest temporär erreicht (vgl. VG Bayreuth, B. v. 6.2.2017 – B 4 E 17.30002 m.w.N.). Eine die Vorwegnahme der Hauptsache rechtfertigende Interessenlage, die bei einem Abwarten für den Antragsteller zu schweren und unabwendbare Nachteile führen würde, wurde weder glaubhaft gemacht, noch ist eine solche bei vorliegender Fallgestaltung ersichtlich. Insbesondere droht dem Antragsteller durch das Abwarten der Hauptsacheentscheidung und der damit verbundenen Verzögerung des Ausbildungsbeginnes keine wirtschaftliche Notlage existenzieller Art, da er auch weiterhin Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz beziehen kann (vgl. VG Bayreuth, B.v. 10.08.2017 – B 6 E 17.32713 – juris). Auch der Vortag der Bevollmächtigen des Antragstellers, der Antragsteller versäume ohne den Erlass der einstweiligen Anordnung weitere Ausbildungsinhalte des bereits begonnenen Ausbildungsjahres und verliere damit den Anschluss, so dass er in dieses Ausbildungsjahr nicht mehr einsteigen könne, stellt keinen schweren und irreparablen Nachteil, der die Vorwegnahme der Hauptsache rechtfertigen könnte, dar.
2. Die Kostenentscheidung richtet sich nach § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden gem. § 83b AsylG nicht erhoben. Der Gegenstandswert bestimmt sich nach § 30 RVG.
3. Aus vorstehenden Gründen war auch der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Verfahren nach § 123 VwGO abzulehnen, da der Antrag keinen Erfolg hat (§§ 166 VwGO, 114 ff. ZPO).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG) gez. …


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