Verwaltungsrecht

Erfolgloser Eilantrag gegen eine für sofort vollziehbar erklärte Nutzungsuntersagung einer bestandsgeschützten Wohnung aus Brandschutzgründen

Aktenzeichen  W 4 S 19.629

Datum:
24.6.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 34034
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4, Abs. 3 S. 1, Abs. 5, § 113 Abs. 1 S. 1, § 117 Abs. 5
BayBO Art. 31 Abs. 1, Art. 35 Abs. 4, Art. 54 Abs. 4
BayVwVfG Art. 48, Art. 49
VwZVG Art. 21a, Art. 23, Art. 31 Abs. 1, Art. 36 Abs. 1

 

Leitsatz

1. Anordnungen können auf Art. 54 Abs. 4 BayBO gestützt werden, ohne dass die Baugenehmigung gemäß Art. 48 und 49 BayVwVfG aufgehoben werden muss bzw. ohne dass die tatbestandlichen Voraussetzungen für eine Rücknahme oder einen Widerruf der Baugenehmigung vorliegen müssen. (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)
2. Für ein Einschreiten nach Art. 54 Abs. 4 BayBO ist eine konkrete Gefahr in dem Sinne zu fordern, dass bei einer Betrachtungsweise ex ante bei ungehindertem Geschehensablauf mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein Schaden droht. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)
3. Mängel innerhalb der Rettungswege indizieren eine erhebliche Gefahr i.S.v. Art. 54 Abs. 4 BayBauO. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragstellerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 2.500,00 EUR festgesetzt.

Gründe

Die Antragstellerin begehrt die Gewährung einstweiligen Rechtschutzes in Bezug auf das mit Bescheid der Stadt A. vom 30. April 2019 angeordnete Verbot der Nutzung einer Wohnung im 4. Obergeschoss und Dachgeschoss des Anwesens …straße … A., Fl.Nr. …4, Gemarkung A..
Die Antragstellerin ist Miteigentümerin des Anwesens …straße … Am 18. März 2019 wurde in dem Anwesen eine Feuerbeschau durchgeführt, bei der u.a. Herr H. vom Amt für Brand- und Katastrophenschutz sowie Herr E. vom Bauordnungsamt, Abteilung Feuerbeschau, anwesend waren. Gemäß dem in den Akten befindlichen Vermerk wurde dabei festgestellt, dass es keinen zweiten Rettungsweg aus dem Geschoss gebe. Die zwei Dachfenster gäben nicht die erforderliche Öffnungsgröße her und seien etwa 2 m horizontal von der Traufe angeordnet. Im 4. Obergeschoss gehe die Fahrstuhlöffnung direkt in die Wohnung. Es hätten Deckenöffnungen eingesehen werden können, die darlegten, dass tragende Teile nicht F-90 verkleidet seien.
Mit Bescheid vom 30. April 2019 verbot die Stadt A. daraufhin der Antragstellerin die Nutzung der Wohnung im 4. Obergeschoss und Dachgeschoss des Anwesens …straße …, A., Fl.Nr. …4, Gemarkung A. (Ziffer 1). Sollte die Antragstellerin der Verpflichtung nach Ziffer 1 des Bescheids zuwiderhandeln, werde ohne weitere Festsetzung ein Zwangsgeld in Höhe von 5.000,00 EUR fällig (Ziffer 3).
Zur Begründung wurde ausgeführt, dass erhebliche Mängel hinsichtlich der Rettungswege vorlägen. Daraus resultiere eine Gefahr für das Leben und die Gesundheit von Menschen. Die Antragsgegnerin habe sich für ein Verbot der Nutzung der betroffenen Wohneinheit im Rahmen des Auswahlermessens entschieden, weil dadurch am ehesten und vollständigsten diese Gefahr beseitigt werden könne. Das Nutzungsverbot sei angemessen. Dem öffentlichen Interesse sei ein höheres Gewicht beizumessen.
Mit Schriftsatz vom 23. Mai 2019 an das Verwaltungsgericht Würzburg, hier eingegangen am 24. Mai 2019, ließ die Antragstellerin Klage erheben, die unter dem Az. W 4 K 19.627 geführt wird und beantragte gleichzeitig,
die aufschiebende Wirkung der Klage gegen das Nutzungsverbot wiederherzustellen und bezüglich der Zwangsgeldandrohung die Vollziehung aufzuheben.
Zur Begründung wurde darauf hingewiesen, dass der gesamte Brandschutz entsprechend den Anforderungen für Gebäude der Gebäudeklasse 4 umgesetzt worden sei. Das entsprechende Brandschutzkonzept habe die Antragstellerin über das Ing.-Büro G. der Antragsgegnerin vorgelegt. Die Antragstellerin sehe daher keinen weiteren Handlungsbedarf. Die Wohnung werde derzeit ohnehin nicht genutzt. Eine erhebliche Gefahr für Leben und Gesundheit sei in keiner Weise gegeben und auch die Rettungswege seien gewährleistet.
Die Antragsgegnerin beantragte,
den Antrag abzulehnen.
Rechtsgrundlage der Anordnung sei Art. 54 Abs. 4 BayBO. Die tatbestandlichen Voraussetzungen lägen vor. Sowohl der zweite Rettungsweg über ein Dachfenster im Dachgeschoss, als auch der erste Rettungsweg über den Haupttreppenraum wiesen Mängel auf. Im Dachgeschoss sei der zweite Rettungsweg über das Dachfenster zur Straßenseite nicht ordnungsgemäß ausgeführt. Das Fenster habe im geöffneten Zustand nicht die Mindestbreite von 0,60 m und in der Höhe nicht die Mindestbreite von 1 m. Der davor liegende Austritt (Podest) sei mit ca. 2 m von der Traufkante, mehr als 1 m (horizontal gemessen) entfernt. Der Haupttreppenraum als erster Rettungsweg weise ebenfalls Mängel auf. Die Trittstufen seien aufgrund der durch Abnutzung entstandenen Neigung nicht mehr verkehrssicher. Insbesondere im Falle einer Verrauchung des Treppenhauses im Brandfall bestehe erhebliche Verletzungsgefahr. Weiterhin sei der Aufzugsschacht nicht rauchdicht hergestellt.
Bezüglich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakten im vorliegenden Verfahren und im Klageverfahren W 4 K 19.627 sowie auf die vorgelegten Behördenakten verwiesen.
II.
Der zulässige Antrag, die aufschiebende Wirkung der von der Antragstellerin erhobenen Anfechtungsklage gegen den Bescheid der Stadt A. vom 30. April 2019 wiederherzustellen und hinsichtlich der Ziffer 3 des Bescheids (Zwangsgeldandrohung) anzuordnen, ist unbegründet.
Nach § 80 Abs. 5 VwGO kann das Gericht der Hauptsache im Falle des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO, wenn die Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen hat, dessen sofortige Vollziehung angeordnet hat, die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage ganz oder teilweise wiederherstellen. Das Gericht überprüft zunächst, ob die Anordnung des Sofortvollzugs den Anforderungen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO entspricht und trifft sodann eine eigene Ermessensentscheidung, wobei es unter Berücksichtigung der gesetzgeberischen Grundentscheidung in § 80 Abs. 1 Satz 1 VwGO für die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage eine Interessenabwägung zwischen dem Interesse der Antragstellerin an der aufschiebenden Wirkung ihres Rechtsbehelfs und dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung der getroffenen Anordnung vornimmt. Maßgebend sind vor allem die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens. Ergibt eine dem Charakter des Verfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO entsprechende summarische Prüfung der Sach- und Rechtslage, dass die Anfechtungsklage voraussichtlich erfolglos sein wird, ist das ein starkes Indiz dafür, dass das behördliche Vollzugsinteresse Vorrang gegenüber dem privaten Aussetzungsinteresse hat (vgl. BayVGH, B.v. 26.7.2011 – 14 CS 11.535). Erweist sich der angefochtene Bescheid hingegen nach summarischer Prüfung als rechtswidrig und wird die Anfechtungsklage voraussichtlich Erfolg haben, so tritt das öffentliche Interesse zurück, da es kein schutzwürdiges Interesse am Sofortvollzug eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes geben kann.
1. Die Anordnung des Sofortvollzugs in Ziffer 2 des streitgegenständlichen Bescheids der Stadt A. vom 30. April 2019 begegnet in formeller Hinsicht keinen rechtlichen Bedenken. Insbesondere ist die Antragsgegnerin ihrer aus § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO folgenden Pflicht zu einer auf den Einzelfall eingehenden und nicht bloß formelhaften Begründung nachgekommen. Es wird nachvollziehbar und im konkreten Einzelfall darauf abgestellt, dass die Anordnung der sofortigen Vollziehung erforderlich ist, weil nur so sichergestellt werden könne, dass die sicherheitsgefährdenden Zustände nicht zu einer Gefahr für Leben und Gesundheit führen würden. Dem gewichtigen öffentlichen Interesse an der schnellstmöglichen Beseitigung der Gefahrenzustände stünden keine triftigen privaten Gründe entgegen, die das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung überwiegen würden. Damit brachte die Antragsgegnerin nachvollziehbar zum Ausdruck, dass sie das Instrument des Sofortvollzugs hinreichend bedacht und abgewogen hat.
Die Androhung des Zwangsgeldes nach Art. 23, 31 Abs. 1, 36 Abs. 1 VwZVG in Höhe von 5.000,00 EUR in Ziffer 3 des Bescheids vom 30. April 2019 ist kraft Gesetzes sofort vollziehbar (Art. 21a VwZVG).
2. Die im Eilverfahren mögliche Überprüfung anhand der Akten ergibt, dass die Klage der Antragstellerin voraussichtlich keinen Erfolg haben wird, da das Nutzungsverbot zu Recht verfügt wurde. Der streitgegenständliche Bescheid der Stadt A. vom 30. April 2019 ist insoweit rechtmäßig und verletzt die Antragstellerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 VwGO). Das Gericht folgt der Begründung dieses Bescheids und sieht zur Vermeidung von Wiederholungen insoweit von einer Darstellung der Entscheidungsgründe ab (entsprechend § 117 Abs. 5 VwGO).
Ergänzend ist lediglich folgendes anzumerken: Nach Art. 54 Abs. 4 BayBO können die Bauaufsichtsbehörden auch bei bestandsgestützten baulichen Anlagen Anforderungen stellen, wenn das zur Abwehr von erheblichen Gefahren für Leben und Gesundheit notwendig ist. Eine erhebliche Gefahr i.d.S. kann darin begründet sein, dass diese erst nachträglich auftritt oder erst nachträglich erkannt bzw. ihre Schwere nunmehr – etwa unter Berücksichtigung der fortschreitenden technischen Entwicklung oder neue Erkenntnisse der Brandabwehr – anders beurteilt wird (Dirnberger in Simon/Busse, BayBO, Stand: Mai 2017, Art. 54 Rn. 167). Art. 54 Abs. 4 BayBO vermittelt der Bauaufsichtsbehörde über Art. 54 Abs. 2 und 3 BayBO sowie Art. 76 BayBO hinausgehend auch Eingriffsbefugnisse bei Anlagen, die aufgrund einer geltenden Baugenehmigung formell bestandsgeschützt sind. Anordnungen können auf Art. 54 Abs. 4 BayBO gestützt werden, ohne dass die Baugenehmigung gemäß Art. 48 und 49 BayVwVfG aufgehoben werden muss bzw. ohne dass die tatbestandlichen Voraussetzungen für eine Rücknahme oder einen Widerruf der Baugenehmigung vorliegen müssen (vgl. BayVGH, B.v. 29.8.2012 – 2 CS 12.1256; Dirnberger, Art. 54 Rn. 158, 160 m.w.N.). Insofern ist die Legalisierungswirkung einer Baugenehmigung verfassungsgemäß eingeschränkt.
Vorliegend hat die Antragsgegnerin in dem streitgegenständlichen Bescheid vom 30. April 2019 der Antragstellerin die Nutzung der Wohnung im 4. Obergeschoss und Dachgeschoss des Anwesens …straße …, A., Fl.Nr. …4, Gemarkung A., untersagt. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass im Dachgeschoss der zweite Rettungsweg über das Dachfenster – oberes Geschoss – zur Straßenseite nicht ordnungsgemäß ausgeführt sei. Das Fenster habe, im geöffneten Zustand, nicht die Mindestbreite von 0,60 m und in der Höhe nicht die Mindestbreite von 1,0 m. Der davor liegende Austritt (Podest) sei mit ca. 2 m von der Traufkante, mehr als 1 m (horizontal gemessen) entfernt (Art. 35 Abs. 4 Satz 1 BayBO). Der Haupttreppenraum als erster Rettungsweg weise ebenfalls Mängel auf. So seien die Trittstufen der Treppe derzeit nicht verkehrssicher. Die durch Abnutzung entstandene Neigung der Trittstufen sei nicht verkehrssicher, insbesondere im Falle einer Verrauchung des Treppenhauses im Brandfall bestehe erhebliche Verletzungsgefahr. Weiterhin sei der Aufzugsschacht nicht rauchdicht hergestellt. Die Aufzugstür im 4. Obergeschoss sei nicht mit einer VES-Türe versehen. Hier bestehe die Gefahr, dass sich Brandrauch aus dem Aufzugsschacht in der Wohnung ausbreiten könne.
Dass aufgrund dieser Feststellungen vorliegend die Tatbestandsvoraussetzungen des Art. 54 Abs. 4 BayBO gegeben sind, steht für die Kammer außer Frage.
Bei der nach den Umständen des jeweiligen Einzelfalls zu beurteilenden Frage, ob die Eingriffsschwelle des Art. 54 Abs. 4 BayBauO (erhebliche Gefahr für Leben und Gesundheit) erreicht ist, ist eine konkrete Gefahr in dem Sinne zu fordern, dass bei einer Betrachtungsweise ex ante bei ungehindertem Geschehensablauf mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein Schaden droht (vgl. VGH München, Urt. v. 1.2.1980 – 53 II 77, BeckRS 1980, 108796; Beschluss vom 21.6.2011 – 14 CS 11.790, BeckRS 2011, 32374; Beschluss vom 29.8.2012 – 2 CS 12.1256; Decker, BayVBl 2011, 517 [524]; Hirschfelder, BauR 2015, 921 [924 f.]; vgl. auch zum Landesrecht außerhalb Bayerns VGH Mannheim, BauR 2012, 473 = BeckRS 2011, 49891; VGH Kassel, NVwZ-RR 2000, 581; OVG Koblenz, NVwZ-RR 2013, 496; OVG Hamburg, NVwZ-RR 1997, 466; OVG Lüneburg, BauR 1986, 684 [686]; OVG Münster, BauR 2002, 763 = BeckRS 2002, 21385; nach aA soll das Vorliegen einer abstrakten Gefahr genügen, vgl. Gröpl, BayVBl 1995, 292 [296]; Dirnberger, Art. 54 Rn. 169). Dabei ist der allgemeine sicherheitsrechtliche Grundsatz anzuwenden, dass an die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts umso geringere Anforderungen zu stellen sind, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist (vgl. VGH München, BayVBl 1997, 280; B.v. 21.6.2011 – 14 CS 11.790, BeckRS 2011, 32374). Angesichts des hohen Stellenwerts der Rechtsgüter Leben und Gesundheit sind daher im Anwendungsbereich des Art. 54 Abs. 4 BayBO an die Feststellungen der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts sowie an den Maßstab der Erheblichkeit der Gefahr keine übermäßig hohen Anforderungen zu stellen (BVerwG, NJW 1970, 1890; VGH München, Beschluss vom 27.1.2003 – 2 CS 02.2438, BeckRS 2003, 27635; Beschluss vom 21.6.2011 – 14 CS 11.790, BeckRS 2011, 32374; Beschluss vom 29.8.2012 – 2 CS 12.1256; Jäde, Art. 54 Rn. 220). Es genügt grundsätzlich, wenn ein Schadenseintritt zulasten der durch Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG unter dem besonderen Schutz der Rechtsordnung stehenden Schutzgüter aufgrund der konkreten Umstände des Einzelfalls nicht ganz unwahrscheinlich ist (Molodovsky in Molodovsky/Famers, Bayerische Bauordnung, Stand: Mai 2017, Art. 54 Rn. 141, 141 a; Schwarzer/König, Art. 54 Rn. 48; vgl. auch VGH Mannheim, BauR 2012, 473 = BeckRS 2011, 49891; VGH Kassel, NVwZ-RR 2000, 581; OVG Koblenz, NVwZ-RR 2013, 496; OVG Münster, BauR 2002, 763 = BeckRS 2002, 21385).
Unter Berücksichtigung der Ausführungen der Antragsgegnerin ist eine solche erhebliche konkrete Gefahr, wie sie Art. 54 Abs. 4 BayBO fordert, vorliegend nicht von der Hand zu weisen, zumal bei der Gefahr- und Wahrscheinlichkeitsbeurteilung im Zusammenhang mit brandschutzrechtlichen Anforderungen weitere Besonderheiten gelten, weil mit der Entstehung eines Brandes praktisch jederzeit gerechnet werden muss (vgl. VGH München, Beschluss vom 27.1.2003 – 2 CS 02.2438, BeckRS 2003, 27635; Beschluss vom 29.8.2012 – 2 CS 12.1256; VGH Mannheim, BauR 2012, 473 = BeckRS 2011, 49891; OVG Münster, BauR 2002, 763 = BeckRS 2002, 21385; NVwZ-RR 2013, 678 = BauR 2013, 1261; Hirschfelder, BauR 2015, 921 [925]) und ein Gebäudebrand regelmäßig mit erheblichen Gefahren für Leben und Gesundheit von Personen einhergeht. Personen, die sich in dem Gebäude aufhalten, müssen sich darauf verlassen können, dass die vorgesehenen Rettungswege im Brandfall hinreichend gefahrfrei und sicher benutzbar sind. Mängel innerhalb der Rettungswege indizieren daher eine erhebliche Gefahr iSv Art. 54 Abs. 4 BayBauO (Kühnel/Gollwitzer in Simon/Busse, Bayerische Bauordnung, Art. 33 Rn. 8; zur Möglichkeit nachträglicher Anordnungen auch gegenüber bestandsgeschützten Gebäude im Falle ungesicherter Rettungswege vgl. auch Bauer in Jäde/Dirnberger/Bauer/Weiß, Die neue BayBO, Art. 12 Rn. 10; Molodovsky, Art. 54 Rn. 141 a; VGH München, Urt. v. 17.2.1997 – 14 B 93/1180, BeckRS 2005, 30957: ungesicherter erster Rettungsweg wegen fehlender feuerbeständiger Ausgestaltung eines Treppenraums; VGH Mannheim, Urt. v. 28.6.1989 – 5 S 1542/88, BeckRS 1989, 112972: Anordnung zum Einbau von rauchdichten und selbstschließenden Türen; für den Fall der mangelnden Sicherung des zweiten Rettungswegs vgl. auch VGH München, Urt. v. 10.1.1992 – 2 B 89/740, BeckRS 1992, 10676; Beschluss vom 29.8.2012 – 2 CS 12.1256; Dirnberger, Art. 54 Rn. 176, 177; vgl. auch OVG Münster, BauR 2002, 763 = BeckRS 2002, 21385; NVwZ-RR 2003, 722 = BauR 2002, 1841). Ganz in diesem Sinne ist nach dem Rundschreiben des Bayerischen Staatsministerium des Innern vom 25.7.2011 „Vollzug der Bayerischen Bauordnung; Brandschutz in bestehenden Gebäuden“ (II B 7-4112420-013/11, dort unter Nr. 1.2) für die Anwendung des Art. 54 Abs. 4 BayBauO „beispielhaft (…) von einer erheblichen Gefahr in Bezug auf den Brandschutz u.a. dann auszugehen, wenn die nach Art. 31 Abs. 1 BayBO für Nutzungseinheiten mit Aufenthaltsräumen regelmäßig geforderten zwei unabhängigen Rettungswege überhaupt nicht vorhanden sind oder wenn nur ein Rettungsweg vorhanden und mit Mängeln behaftet ist, die im Brandfall mit hinreichend großer Wahrscheinlichkeit zur vorzeitigen Unbenutzbarkeit führen“ (zustimmend Bell, KommP BY 2011, 334; Famers in Molodovsky/Famers, BayBauO, Art. 31 Rn. 58; in Anwendung von Art. 60 V BayBauO 1998 vgl. bereits VGH München, Beschluss vom 27.1.2003 – 2 CS 02.2438, BeckRS 2003, 27635).
Die Antragstellerin hat trotz ausführlicher gerichtlicher Schriftsätze diese von der Antragsgegnerin im Rahmen des Ortstermins festgestellten Mängel nicht substantiiert bestritten. Vorliegend geht es nicht um die Ausführungen von Decken oder die Frage der Standsicherheit, sondern, wie sich aus der Begründung des streitgegenständlichen Bescheids ergibt, lediglich darum, dass der zweite Rettungsweg nicht die von Art. 35 Abs. 4 BayBO geforderten Voraussetzungen erfüllt, ebensowenig die Trittstufen der Treppe, die von Art. 33 Abs. 1 BayBO normierten Voraussetzungen. Auch die weiteren vom Antragstellervertreter diskutierten Probleme gehen in diesem Zusammenhang am Thema vorbei.
Die Kammer hat auch keine Bedenken im Hinblick auf die von der Behörde durchgeführte Ermessensentscheidung.
Die Anordnung nach Art. 54 Abs. 4 BayBauO steht zwar im pflichtgemäßen Ermessen der Bauaufsichtbehörde, das Handlungs-/Entschließungsermessen (hinsichtlich des „Ob“) wird aber regelmäßig auf Null reduziert sein, d.h. die Behörde muss in der Regel tätig werden, soweit Anordnungen zur Abwehr von erheblichen Gefahren für Leben oder Gesundheit notwendig sind (Dirnberger, Art. 54 Rn. 180; Jäde, Art. 54 Rn. 226).
Hinsichtlich des Auswahlermessens sind keine Ermessenfehler erkennbar. Insbesondere halten sich die Anordnungen im Rahmen des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit. Mit den Regelungen wird nicht, auch unter Berücksichtigung des Bestandsschutzes, über die Grenze des nach Art. 54 Abs. 4 BayBO Erforderlichen hinausgegangen.
Nachdem auch gegen die Zwangsgeldandrohung keine substantiierten Einwendungen erhoben wurden, war der Antrag mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen.
Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 52 Abs. 2 i.V.m. § 53 Abs. 2 GKG.


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