Verwaltungsrecht

Erfolgloser mit Verletzung rechtlichen Gehörs begründeter Berufungszulassungsantrag eines Georgiers

Aktenzeichen  15 ZB 18.31143

Datum:
12.10.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 26926
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 78 Abs. 3 Nr. 3
VwGO § 138 Nr. 3
GG Art. 103

 

Leitsatz

1. Eine Verletzung des Prozessgrundrechts des rechtlichen Gehörs kann erst angenommen werden, wenn die Ablehnung eines Beweisantrags unter keinem denkbaren Gesichtspunkt mehr eine Stütze im Prozessrecht findet, sich das Gericht mit dem Vorbringen eines Beteiligten in völlig unzulänglicher Form auseinandergesetzt hat und die Ablehnung des Beweisersuchens daher erkennbar willkürlich erscheint. (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz)
2. Bei der Frage, ob Reisefähigkeit besteht, handelt es sich nicht um ein zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis, sondern um ein inlandsbezogenes Vollstreckungshindernis, das nicht vom Bundesamt, sondern von der zuständigen Ausländerbehörde zu prüfen ist. (Rn. 9) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

AN 4 K 17.33474 2018-02-20 Urt VGANSBACH VG Ansbach

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen.

Gründe

I.
Der Kläger (georgischer Staatsangehöriger) wendet sich gegen den Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) vom 2. Mai 2017, mit dem (u.a.) der Antrag auf Asylanerkennung abgelehnt, die Flüchtlingseigenschaft und der subsidiäre Schutzstatus nicht zuerkannt und die Abschiebung nach Georgien angedroht wurde. Wegen der Einzelheiten wird auf den Bescheid verwiesen.
Das Verwaltungsgericht Ansbach hat nach mündlicher Verhandlung vom 20. Februar 2018, in der auf weitere mündliche Verhandlung verzichtet wurde und nach Einräumung einer Schriftsatzfrist bis 6. März 2018 mit Urteil vom 26. März 2018 (irrtümlich als Urteil vom 20. Februar 2018 bezeichnet) die auf Aufhebung des genannten Bescheids und auf Verpflichtung der Beklagten gerichtete Klage, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft bzw. den subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen, ihn (hilfsweise) als Asylberechtigten anzuerkennen und (ebenso hilfsweise) Abschiebungsverbote (§ 60 Abs. 2 bis 5 und 7 AufenthG) festzustellen, abgewiesen. Wegen der Einzelheiten wird auf das Urteil Bezug genommen.
Mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung macht der Kläger geltend, ihm sei rechtliches Gehör versagt worden (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V.m. § 138 Nr. 3 VwGO), weil das Verwaltungsgericht seine Beweisanträge „bezüglich der Fragestellung nach dem Vorliegen einer lebensbedrohlichen Erkrankung des Klägers und der Behandelbarkeit dieser Erkrankung im Heimatland ablehnte“. Wegen der Einzelheiten wird auf den Schriftsatz des Bevollmächtigten des Klägers vom 10. Mai 2018 verwiesen.
Wegen der weiteren Einzelheiten zum Sach- und Streitstand wird auf die Gerichtsakten und die Behördenakte Bezug genommen.
II.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.
1. Der vom Kläger geltend gemachte Zulassungsgrund, ihm sei rechtliches Gehör versagt worden (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V.m. § 138 Nr. 3 VwGO), liegt nicht vor.
Dem Kläger ist das rechtliche Gehör nicht deshalb versagt worden, weil das Verwaltungsgericht seine Beweisanträge „bezüglich der Fragestellung nach dem Vorliegen einer lebensbedrohlichen Erkrankung des Klägers und der Behandelbarkeit dieser Erkrankung im Heimatland ablehnte“. Das verfassungsrechtlich verankerte Gehörsgebot schützt einen Verfahrensbeteiligten nicht vor jeder nach seiner Meinung sachlich unrichtigen Ablehnung eines von ihm in einer mündlichen Verhandlung gestellten Beweisantrags. Eine Verletzung des Prozessgrundrechts aus Art. 103 Abs. 1 GG kann erst dann angenommen werden, wenn die Ablehnung des Antrags unter keinem denkbaren Gesichtspunkt mehr eine Stütze im Prozessrecht findet, sich das Gericht mit dem Vorbringen eines Beteiligten in völlig unzulänglicher Form auseinandergesetzt hat und die Ablehnung des Beweisersuchens daher erkennbar willkürlich erscheint (vgl. z.B. OVG Saarl, B.v. 16.6.2015 – 2 A 197/14 – juris Rn. 12 m.w.N.; BayVGH, B.v. 16.1.2013 – 13a ZB 12.30425 – juris Rn. 8).
Das Verwaltungsgericht hat die – vorliegend jeweils bedingt gestellten – klägerischen Beweisanträge tatsächlich nicht willkürlich abgelehnt. Dem Beweisantrag, den Facharzt Dr. I. als Zeugen zu vernehmen, zum Beweis der Tatsache, dass „der Kläger bei fehlender kardialer Überwachung und Versorgung des implantierten Defibrillators konkrete Gefahr läuft, entweder körperlich schwer geschädigt zu werden oder nicht zu überleben“, musste das Verwaltungsgericht nicht entsprechen, weil sich aus den im behördlichen und im gerichtlichen Verfahren vorgelegten fachärztlichen Stellungnahmen bereits hinreichend ergibt, dass der Kläger – wovon auch das Verwaltungsgericht ausgeht – an einer schweren Herzkrankheit leidet, die ohne ärztliche Behandlung (und funktionierenden Defibrillator) lebensbedrohlich ist. Das Verwaltungsgericht konnte auch den weiteren Beweisantrag, Auskünfte bei der deutschen Botschaft in Tiflis zur Behandelbarkeit der klägerischen Erkrankung in Georgien einzuholen, ablehnen, weil – wie bereits das Bundesamt im angefochtenen Bescheid ausgeführt hat und der Kläger in seinem Schriftsatz vom 29. Januar 2018 ausdrücklich einräumt – „so gut wie jede Krankheit in Georgien behandelbar“ ist und dort auch „sehr schwere neurochirurgische und Herzoperationen“ durchgeführt werden. Der Kläger ist – wie sich insbesondere aus dem vom Kläger vorgelegten „Ärztlichen Attest“ über seinen „Gesundheitszustand“ anlässlich der Behandlung seines im Dezember 2014 erlittenen zweiten Herzinfarkts in Georgien ergibt (vgl. Bl. 85 ff. der Behördenakte) auch in Georgien insoweit umfänglich untersucht und versorgt worden. Die in Deutschland eingeholten ärztlichen Atteste geben übereinstimmend eine im Dezember 2014 (und damit vor der Ausreise des Klägers noch in Georgien erfolgte) erste Stent-Implantation an. Das georgische „Ärztliche Attest“ weist diesbezüglich auch auf „Koronarstents“ (nach dem ersten im Jahr 2008 erlittenen Herzinfarkt des Klägers) hin. Es verordnet weiter (ausführlich) die vom Kläger einzunehmenden Medikamente und sieht im Übrigen eine weitere kardiologische Beobachtung und Beratung sowie weitere Untersuchungen des Klägers vor. Die klägerische Behauptung, in Georgien sei eine kardiale „Überwachung und Versorgung des implantierten Defibrillators“ nicht möglich, ist nach alledem weder nachvollziehbar noch näher substantiiert. Die grundsätzliche Behandelbarkeit der Erkrankung des Klägers in Georgien wird im Übrigen auch durch die vom Kläger selbst eingeholte Auskunft des Georgischen Ministeriums für Arbeit, Gesundheitsschutz und Soziales vom 31. August 2017 bestätigt. Danach gehört u.a. die Elektrokardiographie zu den für den Kläger in Georgien (sogar kostenlos) möglichen Behandlungen. Zu Recht weist das Verwaltungsgericht in seiner Entscheidung auf der Grundlage der zum Gegenstand des Verfahrens gemachten Erkenntnismittel ferner darauf hin, dass in Georgien grundsätzlich alle Arten von Medikamenten des westeuropäischen Marktes als Originalpräparate oder Generika zur Verfügung stehen.
Auch die vom Verwaltungsgericht in seiner angefochtenen Entscheidung vorgenommene Würdigung der Sach- und Rechtslage ist nicht willkürlich. Dies gilt namentlich für die Annahme des Verwaltungsgerichts, der Kläger könne durch eigene Erwerbstätigkeit seine weitere medizinische Behandlung in Georgien finanzieren. Abgesehen davon, dass die medizinische Grundversorgung in Georgien flächendeckend durch eine staatlich finanzierte Grundversorgung gewährleistet ist und der Kläger – wie die Auskunft des Georgischen Ministeriums für Arbeit, Gesundheitsschutz und Soziales vom 31. August 2017 bereits bestätigt – hieran teilnehmen kann, geht das Verwaltungsgericht in nachvollziehbarer Weise auch davon aus, dass der Kläger in Georgien erwerbstätig sein kann. Der Kläger hat nach eigenen Angaben nach seinem Universitätsabschluss bei namhaften Unternehmen in Georgien als „Supervisor“ und „Sales Manager“ gearbeitet und sein Heimatland im Januar 2015 mit einem Touristenvisum verlassen. Im Februar 2015 erfolgte in Deutschland eine (zweite) Stent-Implantation und „zur Vorbeugung von lebensbedrohlichen Arrythmien“ die „primär prophylaktische ICD-Implantation“. Der Kläger ist indes nach stationären Behandlungen stets in „gutem Allgemeinzustand“ wieder in die weitere ambulante Betreuung entlassen worden, ohne dass bisher eine Verschlechterung seiner Herzerkrankung festgestellt wurde. Der Kläger „arbeitet“ – wie er vor dem Bundesamt und auch in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht angegeben hat -, auch wenn es sich dabei nach eigenen Angaben lediglich um Unterstützungsarbeiten für den Hausmeister der Wohnanlage, in dem der Kläger wohnt, handelt. Der Kläger betreut zudem seine pflegebedürftige Mutter, die sich ebenfalls in Deutschland aufhält. Es ist deshalb nachvollziehbar, wenn das Verwaltungsgericht davon ausgeht, dass dem Kläger bei einer Rückkehr in sein Heimatland eine Erwerbstätigkeit – wie in der Vergangenheit – grundsätzlich möglich und zumutbar ist und es die – auch fachärztlich nicht näher substantiierte – Behauptung, der Kläger sei „auf Dauer erwerbsunfähig“ für unschlüssig hält. Vor diesem Hintergrund ist auch die Wertung des Verwaltungsgerichts willkürfrei, dass sich ein Abschiebungsverbot für den Kläger nicht aus § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ergibt, weil eine wesentliche Verschlimmerung der klägerischen Erkrankung nicht infolge der im Heimatland herrschenden Verhältnisse alsbald zu befürchten ist. Auf die Frage, ob die Abschiebung selbst für den Kläger eine Stresssituation darstellt, die seinen Krankheitszustand verschlechtern kann, kommt es für die gerichtliche Entscheidung nicht an, weil es sich bei der Frage, ob Reisefähigkeit besteht, nicht um ein zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis, sondern um ein inlandsbezogenes Vollstreckungshindernis handelt, das nicht vom Bundesamt, sondern von der zuständigen Ausländerbehörde zu prüfen ist.
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG). Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).


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